Steuerrechtsschutz - 28. August 2020

Erosion des Rechts

Mit der Überprüfung von Entscheidungen der Finanzbehörden ist es hierzulande alles andere als gut bestellt. Darüber kann auch die Tatsache, dass einzelne Finanzgerichte den Weg in die Moderne gehen, nicht hinwegtäuschen.

Zum Thema Rechtsschutz in Steuerangelegenheiten war im DATEV magazin 06/2020 vor Kurzem über die Vorzüge der Digitalisierung in der Finanzgerichtsbarkeit zu lesen. Darüber hinaus wurde der Rechtsschutz des Steuerbürgers in höchsten Tönen gelobt. Doch die Wahrheit sieht leider anders aus, meine Erfahrungen sind ernüchternd. Denn der fiskalische Rechtsschutz besteht faktisch nur aus drei Stufen. Anders als bei dem sonst üblichen fünfstufigen Rechtsschutz ist das allein schon eine gewaltige Einschränkung. Prozentual gesehen beträgt der Steuerrechtsschutz damit nur 60 Prozent des üblichen Rechtsschutzes, etwa im Zivilrecht. Zunächst einmal gibt es den formalen Rechtsbehelf in Form des Einspruchs oder der Erinnerung (erste Stufe). Danach folgt als zweite Stufe das Verfahren am Finanzgericht (FG) und schließlich die dritte Stufe mit dem Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH).

Entscheidung durch Einzelrichter

Vor einigen Jahren war zudem in einer Statistik zu lesen, dass zwei Drittel aller Finanzgerichtsentscheidungen vor einem Einzelrichter fallen, obwohl hier eigentlich gemäß § 5 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) ein Fünfergremium aus drei hauptamtlichen Richtern und zwei ehrenamtlichen Beisitzern vorgesehen ist. Und auch bei Erinnerungen gegen Kostenrechnungen des Finanzgerichts ist der Steuerrechtsschutz nur einstufig. In derartigen Fällen entscheidet lediglich ein Finanzrichter allein und zudem endgültig über die Erinnerung, denn es wird kein weiteres Rechtsmittel zugelassen. Das habe ich selbst mehrfach erleben müssen.

Fehlende Unabhängigkeit

Wenn man schließlich berücksichtigt, dass die erste Stufe des steuerlichen Rechtsschutzes die Rechtsbehelfsstelle im Finanzamt ist, der Institution also, gegen die sich der Einspruch richtet, kann es mit dem Rechtsschutz für den Steuerbürger nicht weit her sein. Er geht meiner Erfahrung nach praktisch gegen Null. Diese erste Stufe kann man, was die Intention eines tatsächlichen Rechtsschutzes betrifft, getrost vernachlässigen. Ich habe es selbst erlebt, dass ein Betriebsprüfer im Rahmen der Schlussbesprechung zu mir sagte, „da hole ich mir gleich den Kollegen von der Rechtsbehelfsstelle und werde den entsprechend impfen“. Es sind nun einmal Kollegen im gleichen Haus, in der gleichen Kantine oder die sich beim gemeinsamen Betriebsausflug kollegial treffen. Unabhängigkeit kann da nicht gewährleistet sein, denn auch Finanzbeamte sind nur Menschen.

Die Mär von der hohen Belastung

Und wegen der angeblich zu hohen Belastung wird der ohnehin schon geringe dreistufige Rechtsschutz durch Entlastungsgesetze für die Finanzgerichtsbarkeit sowie das wie vor einigen Jahren umstrittene Präklusionsgesetz ständig weiter eingeschränkt.

Gang zum Bundesfinanzhof

So ergab sich zudem aus der bereits oben angesprochenen Statistik, dass der Gang zum Bundesfinanzhof, also zur dritten und letzten Stufe des Rechtschutzes, lediglich in rund fünf Prozent der Fälle zugelassen wird, die vor den Finanzgerichten verhandelt werden. Und wenn der Bundesfinanzhof einmal entscheidet, kommt es zuweilen zu besonders krassen Fällen, wie etwa dem, wo es um die Feststellung eines Verlustvortrags ging, weil die veranlagte Einkommensteuer Null war. Hier hat der Bundesfinanzhof den Streitwert auf den Mindestwert festgesetzt, weil die Klage mangels sogenannter Beschwer korrekt abgelehnt worden war. Das Finanzgericht aber legte einen fiktiven Steuerersparniswert von 240.000 Euro zugrunde, was zu einer um 7.500 Euro höheren Kostenrechnung als die beim Bundesfinanzhof führte. Die Erinnerung wurde von einer allein entscheidenden Richterin am Finanzgericht München abgelehnt, und zwar mit der Begründung, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Steuerpflichtige – ein fast 70-jähriger Rentner – die 240.000 Euro nicht doch noch verdienen würde. Ein weiteres Rechtsmittel hatte man nicht zugelassen. Schon allein an diesem Beispiel ist zu erkennen, welche unsäglichen und negativen Folgen die ständige Erosion des Rechtsschutzes für die Steuerpflichtigen in Deutschland hat, ein Rechtsschutz, der auf dem Altar „Entlastung der Finanzgerichte“ geopfert wird.

Fazit

Abschließend kann daher nur festgestellt werden, dass es einen Rechtsschutz im Steuerrecht hierzulande eigentlich nicht gibt. Die tatsächlichen Gegebenheiten jedenfalls sind eines Rechtsstaats nicht würdig. Denn es kann und darf nicht sein, dass die Entlastung von Behörden und Gerichten über dem im Grundgesetz verankerten Rechtsschutz des Bürgers steht.

Mehr dazu

Lesen Sie dazu das Titelthema „Neue Zeiten – Rechtsschutz in Steuerangelegenheiten“ im DATEV magazin 06/2020.

Zum Autor

JM
Dr. Jürgen C. Müller

Steuerberater in eigener Kanzlei in Diedorf (Landkreis Augsburg)

Weitere Artikel des Autors