Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit - 26. November 2020

Eine Gratwanderung

Mit Blick auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht differenziert der Gesetzgeber nun zwischen überschuldeten und zahlungsunfähigen Betrieben. Dem Unternehmen stellt sich nun die Frage, wann Insolvenzantrag zu stellen ist und wann nicht.

Der Bundestag hat kürzlich beschlossen, dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht noch mal bis zum 31. Dezember 2020 verlängert wird, allerdings nur für die Überschuldung. Für zahlungsunfähige Unternehmen gilt also seit dem 1. Oktober 2020 wieder altes Recht, für überschuldete Unternehmen ab dem 1. Januar 2021. Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist nach § 15a Insolvenzordnung (InsO) binnen einer Höchstfrist von drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen. Doch wann liegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eigentlich vor? Wir klären die Unterschiede anhand der gesetzlichen Definitionen und anhand von Fallbeispielen. Wir zeigen zugleich auf, was zu tun ist, um eine Insolvenzantragspflicht zu vermeiden.

Zahlungsunfähigkeit

Ein Schuldner ist nach § 17 Abs. 2 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Zur Beurteilung, ob Zahlungsunfähigkeit oder nur bloße Zahlungsstockung vorliegt, wird in der Praxis die sogenannte betriebswirtschaftliche Methode angewandt. Im ersten Schritt wird dafür ein stichtagsbezogener Finanzstatus aufgemacht, im Anschluss daran ein dreiwöchiger Finanzplan (Liquiditätsplan).

Stichtagsbezogener Finanzstatus

Weist der Finanzstatus aus, dass der Schuldner mit der am Stichtag vorhandenen Liquidität aus Bankguthaben, Kasse und offenen Kreditlinien alle am Stichtag fälligen Zahlungsverpflichtungen erfüllen kann, ist keine Zahlungsunfähigkeit gegeben. Dann ist die Erstellung eines Dreiwochenfinanzplans nicht erforderlich. Dagegen sind kurzfristig verfügbare Finanzmittel, wie etwa Zahlungsflüsse aus Kundenforderungen, beantragte Soforthilfen oder Darlehenszusagen, nicht im Finanzstatus, sondern erst im Dreiwochenfinanzplan zu berücksichtigen. So ist beispielsweise keine Zahlungsunfähigkeit gegeben, wenn sich die fälligen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen am 1. November 2020 auf 100.000 Euro belaufen, jedoch bei der einen Geschäftsbank ein Guthaben von 50.000 Euro besteht und in der Kreditlinie der anderen Hausbank noch Luft von ebenfalls 50.000 Euro gegeben ist sowie sich 5.000 Euro in der Barkasse befinden. Wäre die Kreditlinie jedoch bereits voll ausgeschöpft, ergäbe der Finanzstatus eine Liquiditätslücke.

Finanzplan für drei Wochen

Dann ist in einem zweiten Schritt zwingend ein Finanzplan für den Zeitraum von drei Wochen ab dem Stichtag aufzustellen. Dabei werden die Liquidität sowie die Mittelzuflüsse aus den geplanten Umsatzgeschäften der nächsten drei Wochen den bereits fälligen und den innerhalb der drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) gegenübergestellt. Zu den Mittelzuflüssen können auch Maßnahmen der Kapitalbeschaffung durch Fremdkapitalaufnahme (Kreditaufnahmen) oder durch  Zuführungen der Gesellschafter (Gesellschafterdarlehen, Kapitalerhöhungen, Zuzahlungen in das Eigenkapital oder Ertragszuschüsse) gehören – ebenso wie Sale-and-lease-back-Geschäfte, Factoring oder der kurzfristige Verkauf von Teilen des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. Gibt es am Ende der drei Wochen eine Liquiditätslücke, so ist Zahlungsfähigkeit zu bejahen. Im oben skizzierten Beispiel existierten am Stichtag fällige Verbindlichkeiten von 100.000 Euro, ein Bankguthaben von 50.000 Euro und Kassenbestand von 5.000 Euro bei voll ausgeschöpfter Kreditlinie. Kommen in den nächsten drei Wochen 50.000 Euro weitere Verbindlichkeiten aus Lieferungen hinzu, kann der Schuldner aber aus Ausgangsrechnungen mit einem Eingang von 100.000 Euro rechnen, so stehen Passiva von 150.000 Euro Aktiva von 155.000 Euro gegenüber, was Zahlungsfähigkeit bedeuten würde.

Beträgt die Liquiditätslücke am Ende dieses Dreiwochenzeitraums dagegen zehn Prozent der fälligen Gesamtverbindlichkeiten oder mehr, so ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Würde im voranstehenden Beispiel nicht mit Debitoren von 100.000 Euro gerechnet werden können, sondern nur mit 70.0000 Euro, so wären die fälligen Gesamtverbindlichkeiten von 150.000 Euro nur in Höhe von 125.000 Euro (83,33 Prozent) gedeckt. Die Liquiditätslücke von 16,66 Prozent würde dann Zahlungsunfähigkeit bedeuten.

Beträgt die Liquiditätslücke am Ende des Dreiwochenzeitraums jedoch weniger als zehn Prozent, ist regelmäßig von Zahlungsstockung auszugehen. Dennoch ist ein Liquiditätsplan zu erstellen, aus dem sich die Weiterentwicklung der Liquiditätslücke ergibt. Zeigt sich, dass die Lücke demnächst mehr als zehn Prozent betragen wird, liegt Zahlungsunfähigkeit vor. Ergibt sich jedoch, dass sie in überschaubarer Zeit geschlossen werden kann, ist Zahlungsfähigkeit gegeben. Im obigen Beispiel standen binnen dreier Wochen fälligen Verbindlichkeiten von 150.000 Euro lediglich Aktiva von 125.000 Euro gegenüber. Würde jedoch zusätzlich noch eine offene Kreditlinie von 20.000 Euro existieren, so würde die Liquiditätslücke nur noch 5.000 Euro (3,33 Prozent) betragen, was aus der weiteren Liquiditätsplanung der nächsten Wochen, dass beispielsweise die Debitoren die Kreditoren überwiegen sowie die Liquiditätslücke binnen Monatsfrist wieder geschlossen wird, ist Zahlungsfähigkeit anzunehmen. Würde sich nach diesem Liquiditätsplan jedoch die Lücke auf zehn Prozent und mehr erhöhen, so ist wiederum Zahlungsunfähigkeit zu bejahen.

Überschuldung

Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist von der handelsrechtlichen, bilanziellen Überschuldung in Form des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags abzugrenzen. Ein Fehlbetrag in der Bilanz bedeutet gerade nicht zugleich Überschuldung im Sinne von § 19 InsO. Sie ist aber ein Hinweis darauf, Letztere zu prüfen. Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Sofern aber eine positive Fortbestehensprognose gegeben ist, also die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist und keine Zahlungsunfähigkeit droht, liegt keine Überschuldung vor.

Positive Fortbestehensprognose

Die Überschuldungsprüfung erfordert ein zweistufiges Vorgehen. Auf der ersten Stufe sind die Überlebenschancen des Unternehmens in einer sogenannten Fortbestehensprognose zu beurteilen. Die Prognose wird auf Grundlage des Unternehmenskonzepts, der Ertragsplanung sowie der Finanzplanung getroffen. Sie soll eine Aussage dazu ermöglichen, ob ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um die im Planungshorizont jeweils fälligen Verbindlichkeiten bedienen zu können. Der Planungszeitraum umfasst das laufende und das folgende Geschäftsjahr, in der Regel 16 bis 18 Monate. Es handelt sich um eine reine Zahlungsfähigkeitsprognose. Mit anderen Worten: Im Planungszeitraum darf keine Zahlungsunfähigkeit drohen. Wenn also beispielsweise die Liquiditätsplanung bis Ende 2021 zeigt, dass die Einnahmen die Ausgaben decken, so besteht durchgehend Zahlungsfähigkeit, die Fortbestehensprognose ist positiv.

Für die Beurteilung ist unerheblich, ob das betroffene Unternehmen in dieser Zeit Verluste schreibt, also nicht ertragsfähig ist, sofern die Liquidität erhalten bleibt. Wenn Liquidität zugeführt werden soll, können auch beabsichtigte Maßnahmen, wie etwa Gesellschafterdarlehen, Kapitalerhöhungen, Aufnahme von (Sanierungs-)Krediten oder staatliche Hilfen, mit ihren erwarteten Auswirkungen in den Finanzplan einbezogen werden. Ist danach die Fortbestehensprognose positiv, liegt keine Überschuldung vor. Die weitere Prüfung kann eingestellt werden. Die Fortbestehensprognose ist jedoch negativ, wenn zum Beispiel im kommenden Geschäftsjahr ein Darlehen über eine Million Euro bei der Hausbank fällig wird und diese angekündigt hat, das Darlehen nicht zu prolongieren, und bereits klar ist, dass niemand bereit ist, diesen Kredit zu übernehmen. Eine negative Fortbestehensprognose wäre auch anzunehmen, wenn etwa berechtigte Steuerforderungen nur bis Jahresende gestundet sind, aber nach der Liquiditätsplanung keine Mittel vorhanden sind, die zum Jahresanfang fälligen Steuern zu bedienen.

Überschuldungsbilanz

Im Falle einer negativen Fortbestehensprognose sind auf einer zweiten Stufe Vermögen und Schulden des Unternehmens in einem stichtagsbezogenen Status zu Liquidationswerten gegenüberzustellen, die sogenannte Überschuldungsbilanz. Ist das sich aus dem Überschuldungsstatus ergebende Reinvermögen negativ, liegt Überschuldung vor. Ausgangspunkt ist regelmäßig ein zeitnaher handelsrechtlicher Jahres- oder Zwischenabschluss. Dabei sind gegebenenfalls vorhandene stille Reserven aufzudecken, wie etwa bei Grundstücken. Besitzt beispielsweise der Schuldner noch Vorräte, Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, Bankguthaben sowie ein Grundstück in Höhe von einer Million Euro, stehen diesen aber Verbindlichkeiten bei Kreditinstituten von zwei Millionen Euro gegenüber, würde das Reinvermögen minus eine Million Euro betragen und wäre negativ. Würde das Grundstück aber 1,5 Millionen Euro mehr wert sein, als bislang in der Bilanz dargestellt, so wäre das Reinvermögen mit 500.000 Euro positiv.

Was empfiehlt der Sanierungsberater?

Die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung sollte von jedem Geschäftsleiter bereits jetzt ernst genommen werden, auch wenn eine Antragspflicht aktuell noch ausgesetzt ist. Es sollten frühzeitig Vorkehrungen getroffen werden, um eine Überschuldung bis zum 31. Dezember 2020 zu beseitigen. Andernfalls riskiert jeder Geschäftsleiter, in einem späteren Insolvenzverfahren persönlich in Haftung genommen zu werden für alle Zahlungen, die von seinem Unternehmen noch nach Eintritt der Insolvenzreife, also nach Eintritt der Überschuldung (ab dem 1. Januar 2021) geleistet werden. Strafrechtliche Ermittlungen im Falle einer verspäteten Antragstellung sind ebenfalls regelmäßige Folge einer verspäteten Antragstellung, etwa wegen Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO, Bankrott gemäß §§ 283 ff. Strafgesetzbuch (StGB) oder wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelten nach § 266a StGB. Wird Überschuldung festgestellt, hat jeder Berater das Unternehmen aus Haftungsgründen schriftlich auf die Insolvenzantragspflicht ab dem 1. Januar 2021 hinzuweisen. Weiter ist zu empfehlen, einen Finanzstatus erstellen zu lassen, um eine etwaige Zahlungsunfähigkeit auszuschließen. Die Erfahrung zeigt, dass überschuldete Unternehmen regelmäßig auch zahlungsunfähig sind. Nur wenn eine Zahlungsunfähigkeit verneint wird, hat das Unternehmen noch bis zum 31. Dezember 2020 Zeit, um die festgestellte Überschuldung zu beseitigen.

Da eine rechnerische  Überschuldung nur dann relevant ist, wenn die oben skizzierte Fortbestehensprognose negativ ist, kann bereits an der Fortführungsprognose angesetzt werden. Eine Überschuldung im Sinne des § 19 InsO liegt nicht (mehr) vor, wenn eine positive Fortführungsprognose belastbar aufgestellt werden kann. Aus der Liquiditätsplanung muss also die Bedienung der geplanten Ausgabenersichtlich sein. Sollte das nicht gelingen, kann eine Überschuldung etwa dadurch beseitigt werden, dass die Aktivseite gemehrt wird, indem man dem Unternehmen Eigenkapital durch die eigenen Gesellschafter zuführt, oder die Passivseite reduziert, beispielsweise durch die Vereinbarung eines Rangrücktritts mit den Gesellschaftern. Sollte das nicht umsetzbar sein, kann die Bereinigung der Bilanz mittels eines Schutzschirmverfahrens eine weitere Option darstellen. Dieses spezielle in §§ 270, 270b InsO geregelte gerichtliche Sanierungsverfahren kann bereits bei Überschuldung beantragt werden. Es hat unter anderem folgende Sanierungseffekte:

  • Das Unternehmen hat die Möglichkeit, sich von Altverbindlichkeiten (zum Beispiel Darlehen/Krediten oder gestundeten Forderungen) mithilfe eines Sanierungsplans nahezu vollständig zu lösen
  • Löhne/Gehälter müssen für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten vom Unternehmen nicht bezahlt werden, was regelmäßig einen sehr großen Liquiditätseffekt zur Folge hat
  • Langjährige Dauerschuldverhältnisse (etwa Miet- und Leasing- Verträge) können mit kurzen Fristen gekündigt werden
  • Steuern (Umsatzsteuer, Lohnsteuer) und Sozialversicherungsbeiträge müssen in einem Zeitraum von mehreren Monaten nicht abgeführt werden
  • Die Geschäftsleitung bleibt während des gesamten Sanierungsverfahrens im Amt und kann die Sanierung des Unternehmens, zusammen mit den Beratern selbst (mit)gestalten
  • Umstrukturierungen im Personalbereich sind unter vereinfachten Bedingungen möglich.

Mehr dazu

finden Sie unter www.datev.de/chance-liquiditaet

Zu den Autoren

Dr. Volker Hees

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht; Partner bei ­Hoffmann Liebs Fritsch & Partner Rechtsanwälte mbB in Düsseldorf

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BZ
Bartosz Zdanowicz

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht sowie Partner der Sozietät Hoffmann Liebs Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Düsseldorf

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