Notarielles Nachlassverzeichnis - 30. Januar 2025

Eigene Recherche gefordert

Pflichtteilsberechtigte haben einen Anspruch darauf, dass der Nachlass transparent ermittelt wird. Notare können sich nicht mehr allein auf die Angaben der Erben verlassen, sofern sie beauftragt wurden, ein offizielles Nachlassverzeichnis zu erstellen.

Gute Nachricht für enterbte oder übergangene Verwandte, die den Pflichtteil einfordern: Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm verlangt von Notarinnen und Notaren, das zur Berechnung des Pflichtteils erforderliche Nachlassverzeichnis akribisch zu führen (Az.: I-5 W 94/23). Deshalb dürfen sich Notare nicht länger auf unvollständige Angaben der Erben verlassen, sondern müssen selbst bei der Nachlasssuche zugunsten von Pflichtteilsberechtigten initiativ werden. In der Praxis bedeutet das: Der Notar muss die Kontoauszüge der letzten zehn Jahre von den Erben oder den Banken herausverlangen und diese etwa auf mögliche Schenkungen durchforsten. Wird man dabei fündig, erhöht das die Erbschaftssumme, aus der übergangene Erben ihren Pflichtteil verlangen können. In dieser Deutlichkeit hat dies noch kein Gericht entschieden, dass bei Schenkungen des Erblassers an den Ehegatten die Ermittlungspflicht der Notare sogar ausdrücklich auf die gesamte Dauer der Ehe ausgedehnt wird, auch wenn dies Zeiträume betrifft, die länger als zehn Jahre zurückliegen.

Ausgangsfall

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte ein übergangener Erbe gegen die Ehefrau des 2018 verstorbenen Mannes auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses geklagt, um seine Pflichtteilsansprüche gegen die Alleinerbin geltend machen zu können. Weil die Erbin das notarielle Verzeichnis nicht vorlegte, erging ein Urteil gegen sie. Nachdem die darin festgesetzte Frist ignoriert wurde, setzte das Gericht im Vollstreckungsverfahren ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro gegen die Erbin fest. Erst Anfang 2023 legte die Erbin ein notarielles Nachlassverzeichnis vor. Der übergangene Erbe monierte allerdings, dass das Nachlassverzeichnis seinen Namen nicht wert sei. Das Verzeichnis genüge nicht der Vorgabe, alle lebzeitigen unentgeltlichen oder teilunentgeltlichen Zuwendungen des Erblassers innerhalb von zehn Jahren vor dessen Todestag anzugeben. So fehlten Angaben zu den Konten des Erblassers zwischen den Jahren 2008 bis 2010. Die Angabe des Notars, er habe die Konten des Erblassers im Rahmen eigener Ermittlungen erst ab dem 1. Februar 2012 gesichtet, passe nicht dazu, dass der Notar als mögliche ausgleichspflichtige Schenkung eine Transaktion auf dem Konto des Verstorbenen vom 29. Juni 2011 angegeben hatte. Das sah das OLG Hamm genauso. Ende 2023 verurteilte es die Alleinerbin zu weiteren 500 Euro Zwangsgeld, weil sie ihrer Verpflichtung zur Vorlage eines lückenlosen notariellen Nachlassverzeichnisses nicht nachgekommen war.

Anspruch des Pflichtteilsberechtigten

Der Anspruch auf Vorlage eines notariellen Verzeichnisses soll es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, sich die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Hierbei soll ein notarielles Nachlassverzeichnis eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das private Verzeichnis des Erben bieten. Dementsprechend muss der Notar den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln und klar zum Ausdruck bringen, dass er den Inhalt selbst verantwortet. Der Notar ist in der Ausgestaltung des Verfahrens weitgehend frei. Er muss zunächst von den Angaben des Auskunftspflichtigen ausgehen. Allerdings darf er die Angaben des Erben nicht nur auf Plausibilität prüfen und dann seine Recherchen einfach einstellen. Vielmehr muss er den Nachlass selbst ermitteln und feststellen. Dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde. Ausgehend von diesem Maßstab gehört zu der Ermittlung von Zuwendungen, dass der Notar Einsicht in die vollständigen Kontounterlagen beziehungsweise Kontoauszüge des Erblassers nimmt.

Rechtliche Würdigung

Im zugrunde liegenden Fall monierte das OLG Hamm, dass der Notar es sich zu leicht gemacht habe, indem er sich darauf berufen hatte, dass die Bank keine älteren Kontodaten mehr aufbewahre. Möglich sei nämlich, dass die Alleinerbin die entsprechenden Kontoauszüge noch liefern könne. Zudem monierte das OLG Hamm, dass der Notar die Alleinerbin nicht nach Schenkungen jenseits der Zehnjahresfrist befragt habe. Erst recht fehle es laut dem Gericht an Ermittlungen seitens des Notars, die über die Wiedergabe der Auskunft der Schuldnerin hinausgehen. Unvollständig hielt das Gericht schließlich das vom Notar erstellte Nachlassverzeichnis bezüglich der darin aufgeführten Lebensversicherungen. Hier habe der Notar nicht klar herausgearbeitet, welche Beträge als Schenkungen anzusehen sind – die ausgezahlte Versicherungssumme oder die vorher eingezahlten Prämien.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Hamm ist zu begrüßen. Sie stellt klar, dass sich Notare nicht einfach auf die Vermögensangaben der Erben verlassen dürfen und deren Angaben nach stichprobenartiger Überprüfung einfach übernehmen können. Vielmehr müssen die Notare selbst das Nachlassvermögen umfassend über die letzten zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers ermitteln.

Zum Autor

Dr. Sven Gelbke

Rechtsanwalt in Köln sowie Geschäftsführer des Erbrechtsportals „die erbschützer“ 

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