Zahlreiche verwaltungsrechtliche Spezialgesetze enthalten ausufernde Prüfungskompetenzen von Aufsichtsbehörden, die häufig zu einem Widerstreit zwischen der Selbstbelastungsfreiheit und weitreichenden Mitwirkungspflichten der Betroffenen führen.
Diese Gesetze lassen den Betroffenen mitunter nur die Wahl, sich entweder durch ein Mitwirken der Gefahr eines Straf- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenverfahrens auszusetzen oder wegen fehlender Mitwirkung Zwangsmaßnahmen der Aufsichtsbehörde oder wiederum die Verhängung von zum Teil hohen Bußgeldern zu provozieren. Fast keines der Gesetze, die Rechtsgrundlagen für solche Prüfungen beinhalten, löst diesen Widerstreit auf, obwohl er in der Praxis häufig vorkommt. Für Betroffene kann es angesichts der Komplexität daher gefährlich sein, sich behördlichen Prüfungen ohne fachliche Beratung zu stellen.
Hehre Grundsätze
Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) besagt, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten. Dieser Grundsatz mag nicht explizit in der Verfassung aufgeführt sein, er besteht gleichwohl unbestritten als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf ein faires Verfahren. Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren besteht dieser Grundsatz uneingeschränkt, auch wenn er als solcher nicht in der Strafprozessordnung (StPO) oder dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) formuliert ist. Er spiegelt sich in verschiedenen Rechten von Beschuldigten und Zeuginnen und Zeugen wider. So steht es einem Beschuldigten frei, jede aktive Mitwirkung an seiner eigenen Überführung zu verweigern, etwa die Herausgabe von Beweismaterial. Auch ein Zeuge hat das Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn oder einen Angehörigen in die Gefahr bringen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Den staatlichen Behörden ist es untersagt, diese Rechte zu umgehen. Im Verwaltungsverfahren gilt der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit dagegen nur ausnahmsweise. Stattdessen sollen öffentlich-rechtliche Mitwirkungspflichten gegenüber (Aufsichts-)Behörden ein effektives Verwaltungshandeln sicherstellen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz liegt nur selten vor, etwa wenn durch die Mitwirkungspflichten die genannten Verweigerungsrechte im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren berührt werden. Bei Überschneidungen gehen die strafprozessualen Rechte also vor, könnte man sagen. Wann ein solcher Fall vorliegt, ist den verwaltungsrechtlichen Spezialgesetzen jedoch regelmäßig nicht zu entnehmen.
Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren
In nahezu allen verwaltungsrechtlichen Spezialgesetzen sind Mitwirkungspflichten gegenüber den jeweiligen (Aufsichts-)Behörden statuiert. Die Behörden können diese mit Zwangsmitteln durchsetzen. Mitunter stellt eine Verweigerung der Mitwirkung sogar eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem empfindlichen Bußgeld geahndet werden kann. Beispielsweise sieht § 17 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ein Besichtigungsrecht der Aufsichtsbehörde sowie Pflichten zur Auskunft und Herausgabe von Dokumenten vor, die mittelbar oder unmittelbar Aufschluss über die Einhaltung des ArbZG geben. Wenn der Betroffene sich weigert, diesen Pflichten nachzukommen, etwa weil er befürchtet, dass ihn dies – und sei es zu Unrecht – in die Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat aufgrund Nichteinhaltung des ArbZG bringen könnte (§§ 22 und 23 ArbZG), kann die Behörde Zwangsmittel anwenden. Außerdem stellt das Nichterfüllen der Mitwirkungspflichten wiederum eine eigene Ordnungswidrigkeit dar (§ 22 Abs. 1 Nr. 10 ArbZG), die mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro geahndet werden kann. Ein weiteres Beispiel bietet das Datenschutzrecht. Dort statuiert Art. 33 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) eine – selbstbelastende – Pflicht zur Mitteilung von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten an die Aufsichtsbehörde. Dieser stehen im Übrigen gemäß Art. 58 DS-GVO und § 40 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) umfangreiche weitere Befugnisse zu. Kommen Betroffene diesen Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten nicht nach, um sich zum Beispiel nicht selbst wegen einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat, etwa nach den §§ 42 und 43 BDSG oder § 201a Strafgesetzbuch (StGB), verdächtig zu machen, sieht die DS-GVO dafür die Verhängung von Bußgeldern von bis zu 20 Millionen Euro oder bei Unternehmen von bis zu 4 Prozent des im Vorjahr erzielten Geschäftsumsatzes vor (Art. 83 Abs. 4 und 5 DS-GVO). So stellt sich die Frage, wie diese und andere verwaltungsrechtliche Spezialgesetze den skizzierten Konflikt zwischen Mitwirkungspflichten und Selbstbelastungsfreiheit auflösen.
Auskunftsverweigerungsrecht
§ 17 Abs. 6 ArbZG bestimmt, dass ein zur Auskunft Verpflichteter die Auskunft auf Fragen verweigern kann, deren Beantwortung ihn selbst oder einen Angehörigen der Gefahr eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens aussetzen würde. Eine solche Regelung ist auch in vielen anderen verwaltungsrechtlichen Spezialgesetzen zu finden, wie etwa in § 29 Abs. 3 der Gewerbeordnung (GewO), § 111 Abs. 3 Handwerkerordnung (HwO), den §§ 44 Abs. 6, 44b Abs. 6 Kreditwesengesetz (KWG) oder § 52 Abs. 4 Geldwäschegesetz (GwG). Diese Vorschriften gewähren allerdings nicht das Recht, die Herausgabe von Dokumenten oder das Betreten und Besichtigen von Räumlichkeiten durch die Aufsichtsbehörde zu verweigern. Denn hiervon soll laut Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht der Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit betroffen sein, der Schutz von Gemeinwohlbelangen sei ebenfalls verfassungsrechtlich geboten und gehe vor (BVerfG-Beschluss vom 25.01.2022 – 2 BvR 2462/18). Zwar ist das Auskunftsverweigerungsrecht schön und gut, doch lässt das Gesetz offen, wann sich der Auskunftspflichtige einer Verfolgungsgefahr aussetzen könnte. Diese Gefahr muss nämlich konkret sein (BVerfG-Beschluss vom 07.09.1984 – 2 BvR 159/84). Zudem kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Betroffenen an, sondern auf die Intention der Behörde (BVerfG-Beschluss vom 25.01.2022 – 2 BvR 2462/18). Den Behörden kommt insofern eine Doppelfunktion zu. Zum einen sollen sie präventiv zur Erreichung des jeweiligen Gesetzesziels tätig werden, zum anderen sollen sie repressiv ermitteln, um etwaige Gesetzesverstöße als Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten verfolgen zu können. Dabei soll das Auskunftsverweigerungsrecht erst dann greifen, wenn die Behörde repressiv agiert, was aber wiederum laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nicht erst mit der offiziellen Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens der Fall ist (EGMR-Urteil vom 03.05.2001 – 31827/96). Indes dürfte die genaue behördliche Intention aufgrund der Doppelfunktion und des fließenden Übergangs des Verwaltungs- ins Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren für den Verpflichteten kaum jemals klar erkennbar sein. Dies gilt erst recht, weil Behörden ihre Intention regelmäßig bewusst nicht offenlegen, um eine Mitwirkung des Verpflichteten zu erreichen beziehungsweise eine Verweigerung zu verhindern – sei sie auch rechtmäßig.
Beweisverwendungsverbot
Die DS-GVO und das BDSG sehen gar kein Auskunftsverweigerungsrecht des Verpflichteten beziehungsweise Auftragsverarbeiters vor. Dafür konstituieren die §§ 42 und 43 BDSG ein Beweisverwendungsverbot, wonach die oben genannte Mitteilung nach Art. 33 DS-GVO in einem Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren gegen den Pflichtigen nur mit dessen Zustimmung verwendet werden darf. Auch andere verwaltungsrechtliche Spezialgesetze machen Gebrauch von einer solchen Regelung – so zum Beispiel § 97 Abs. 3 Insolvenzordnung (InsO), der ebenfalls ein striktes Beweisverwendungsverbot statuiert, oder § 69 Abs. 6 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sowie § 393 Abs. 2 Abgabenordnung (AO), die ein beschränktes Beweisverwendungsverbot enthalten. Der Vorteil solcher Regelungen ist, dass sie den Widerstreit zwischen Selbstbelastungsfreiheit und Mitwirkungspflichten zwar nicht auflösen, aber immerhin noch nicht alles verloren ist, wenn Verpflichtete Letzteren allzu unbesonnen nachkommen.
Keine Auflösung des Widerstreits
Nicht wenige andere verwaltungsrechtliche Spezialgesetze sehen aber überhaupt keine Regelung zur Auflösung des Widerstreits vor. Was in diesen Fällen gelten soll, wurde bislang auch von der Rechtsprechung nicht abschließend entschieden. Zwar hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entschieden, dass gegen einen nach § 26 Abs. 1 S. 2 Seelotsgesetz (SeeLG) Verpflichteten, der seiner Auskunfts- und Berichtspflicht nachkommt und sich hierbei selbst einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezichtigt, die so gewonnenen Erkenntnisse in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht verwertet werden dürfen (Beschluss vom 04.04.2012 – 8 ME 49/12). Inwieweit sich diese Entscheidung auf andere Gesetze übertragen lässt, ist allerdings unklar.
Fazit
Die unbesonnene Erfüllung von Mitwirkungspflichten im Zuge verwaltungsbehördlicher Prüfungen birgt die Gefahr, sich zu Unrecht der Verfolgung wegen angeblicher Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten auszusetzen. Deshalb sollte von einem gesetzlich normierten Verweigerungsrecht stets Gebrauch gemacht werden, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Mitwirken faktisch zu einer Selbstbelastung führt beziehungsweise das vermeintlich präventive aufsichtsbehördliche Handeln auch bereits eine repressive Ermittlungshandlung darstellt. Dies gilt ebenfalls dann, wenn die Behörde vorgibt, lediglich ihrer Aufsichtstätigkeit nachzukommen. Aber auch wenn kein Verweigerungsrecht vorgesehen und ein Verweigern gegebenenfalls wiederum mit Geldbuße bedroht ist, sollte aufgrund der gravierenden (Neben-)Folgen eines Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahrens gewissenhaft geprüft werden, ob nicht lieber das Bußgeld wegen der Verweigerung in Kauf zu nehmen ist. Denn hiergegen lässt sich im Einspruchsverfahren mit einer Verletzung des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit argumentieren. Getreu dem Motto „Besser früher der Anwalt als später der Richter“ haben inzwischen sogar ausgewählte Strafrechtschutzversicherungen die Beratung im Vorfeld aufsichtsbehördlicher Prüfungen beziehungsweise deren anwaltliche Begleitung in ihren Versicherungsschutz aufgenommen. Ein Rechtsanwalt kann in solchen Fällen nicht nur prüfen, ob ein Verweigerungsrecht besteht, sondern auch die behördliche Motivlage beurteilen und nicht zuletzt einschätzen, was höher ist – das Risiko einer Mitwirkung oder die Gefahren einer Weigerung oder die Chancen, sich in deren Folge gegen behördliche Zwangsmittel oder Sanktionen zu wehren. Für den Fall, dass kein Verweigerungsrecht, aber immerhin ein Beweisverwendungsverbot normiert ist, kann der Anwalt erwirken, dass keine Weitergabe an die Strafverfolgungsbehörden erfolgt und eine Sperrerklärung in die Akten aufgenommen wird, die deren Beschlagnahme verhindert.

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