Bei der Investition in Wertpapiere oder Anteilsscheine ist man hierzulande weiterhin zurückhaltend. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der aktuelle Rechtsrahmen nicht alle Risiken der Aktionäre abdeckt.
Am Ausgangspunkt der industriellen Revolution standen zwei Ereignisse: die Erfindung der Dampfmaschine und die der Aktiengesellschaft. Diese Rechtsform ermöglicht es, das Kapital einer Vielzahl von Anlegern einzusammeln und gleichzeitig die Haftung auszuschließen. Außerdem lassen sich in der inneren Struktur einer Aktiengesellschaft die Gesellschaftsanteile beliebig vieler Anleger kostengünstig und effektiv verwalten. Bedauerlicherweise hat es aber in Deutschland in den letzten Jahren nur wenige erfolgreiche Börsengänge gegeben. Damit entfaltet aber die Aktie hier und heute nicht mehr ihre volkswirtschaftlichen Funktionen: die Beschaffung von Eigenkapital für die Unternehmen und ein jederzeit veräußerbarer Sachwert für Anleger beziehungsweise die Steuerzahler. Der Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland genießt nach wie vor ein hohes Ansehen in der Welt. Deutschland war viele Jahre der Exportweltmeister. Nach wie vor gibt es hier viele Marktführer und Spitzenprodukte. Das verlangt eigentlich nach einem funktionierenden Kapitalmarkt, um die Unternehmen mit Eigenkapital auszustatten und Anlagemöglichkeiten zu schaffen. Zwar gibt es seit Jahren vielfältige Bemühungen, die Akzeptanz der Aktie zu erhöhen. Trotzdem ist die Aktionärsquote in anderen vergleichbaren Volkswirtschaften wesentlich höher.
Verloren gegangenes Vertrauen
Denn auch in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase entdecken die Deutschen die Aktie nur zaghaft, wie Studien des Deutschen Aktieninstituts zeigen. Das überrascht nicht, wenn man sich die Daten der einschlägigen Vertrauensindices ansieht. Der Neue Markt und die Börsengänge der Deutschen Telekom scheinen das Anlegerverhalten auch heute noch zu prägen. Dazu gehört wohl auch, dass es – abgesehen vom Spruchverfahren – gegenwärtig einen funktionierenden Rechtsschutz nur für Aktionärinnen und Aktionäre mit größeren Paketen gibt. Vieles spricht dafür, dass das verlorene Vertrauen erst dann wiedergewonnen wird, wenn sich der Rechtsschutz bessert. Dennoch hat die Aktie wesentliche Vorteile: Sie bietet durch Kurssteigerungen und Dividenden einen regelmäßigen Vermögenszuwachs und kann jederzeit verkauft werden.
Die Daten sprechen für sich

Das wirft auch die Frage auf, ob und inwieweit die deutschen Anleger an den Chancen partizipieren, die der Wirtschaftsstandort Deutschland bietet. Schließlich schaffen sie mit ihren Steuern die Infrastruktur und die weiteren Grundlagen für diese Gesellschaften. Das Deutsche Aktieninstitut erhebt seit Jahren Daten zur Anzahl der Aktionäre in Deutschland. Die gute Kursentwicklung in den letzten Jahren in Verbindung mit den niedrigen Zinsen steigerten im Jahr 2018 das Interesse an Aktien im vierten Jahr in Folge. 10,3 Millionen Bürger, also 16,2 Prozent der Deutschen, halten Aktien oder Aktienfonds. Während die Zahl der Aktienfondsbesitzer zunahm, ging die der Direktanleger in Einzelaktien auf 4,5 Millionen zurück.
Die Daten der Deutschen Bundesbank zur Geldvermögensbildung in Deutschland zeigen deutlich, wie sich die Deutschen arm sparen: Das Geldvermögen nahm im zweiten Quartal 2019 um 1,5 Prozent auf 6.237 Milliarden Euro zu. In der Wahl der Anlageform besteht eine Präferenz für die als risikoarm empfundenen Anlageformen wie Bargeld und Ansprüchen gegenüber Versicherungen. In Aktien werden nur 652 Milliarden Euro investiert. Daher überrascht es nicht, dass vor allem die DAX-Unternehmen heute mehrheitlich Ausländern gehören.
Kein umfassender Schutzanspruch
Aktionärsschutz beginnt mit zutreffenden Informationen zur Geschäftsentwicklung und damit zum inneren Wert der Beteiligung. Aktiengesellschaften haben neben diversen gesetzlichen Informationen auch die Folgepflichten von Börsenzulassungen. Vor allem diese Informationen aus den Gesellschaften sind besonders dazu geeignet, Investitionsentscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Allerdings kennt das Kapitalmarktrecht eine Haftung nur für unterlassene Ad-hoc-Mitteilungen, nicht aber für fehlerhafte Regelinformationen. Hier kann allenfalls eine Beraterhaftung gegenüber der Bank greifen, falls dem Kauf beziehungsweise unterlassenen Verkauf ein Beratungsgespräch vorangegangen ist. Damit gibt es keinen umfassenden Schutzanspruch auf vollständige und richtige Informationen zur Lage einer Aktiengesellschaft.
Beschlussmängelkontrolle
Anders als im Recht der Personengesellschaften oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) hilft eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen Beschlussfassungen einer Hauptversammlung den Aktionären in den meisten Fällen wenig. Zwar lassen sich bei einigen Beschlussgegenständen die Voraussetzungen umfassend überprüfen. Oft gibt es ein summarisches Freigabeverfahren, in dem es vor einer juristischen Überprüfung zunächst auf wesentliche Nachteile ankommt. Dabei handelt es sich im Ergebnis um eine Bewertung der wirtschaftlichen Interessen. Bei den Entlastungsbeschlüssen gibt es ebenfalls nur einen eingeschränkten Prüfungsumfang.
Hauptversammlung
Damit rückt die Hauptversammlung in den Mittelpunkt der Rechtsausübung. Nach § 175 Abs. 1 S. 4 Aktiengesetz (AktG) muss sie innerhalb der ersten acht Monate für das vorangegangene Geschäftsjahr stattfinden. Sie bietet nicht nur die einzige Gelegenheit, in der sich Aktionäre direkt an Vorstand und Aufsichtsrat wenden können. Rund um die Hauptversammlung üben die Aktionäre ihre Verwaltungs- und Vermögensrechte aus. Dazu gehört vor allem die Dividende, die nach der Hauptversammlung fällig wird. Aktionäre, deren Anteile zusammen fünf Prozent vom Grundkapital oder einen anteiligen Betrag von 500.000 Euro erreichen, können nach § 122 Abs. 1 AktG die Einberufung einer Hauptversammlung verlangen. § 122 Abs. 2 AktG ermöglicht es ihnen, weitere Beschlussfassungen auf die Tagesordnung zu setzen. Dazu gehören in der Praxis vor allem das Verlangen, nach § 83 Abs. 1 S. 1 AktG bestimmte Maßnahmen vorzubereiten, sowie die Bestellung eines Sonderprüfers nach § 142 AktG oder eines besonderen Vertreters nach § 147 AktG. Darüber hinaus kann jeder Aktionär zu den einzelnen Tagesordnungspunkten auch einen Gegenantrag stellen. Damit erweitert er die Ansatzpunkte für eine weitere gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns.
Bestellung eines Sonderprüfers
Eine besondere Bedeutung hat der Sonderprüfer nach § 142 AktG. Er prüft Vorgänge der Gründung und Geschäftsführung vor allem auf mögliche Ansprüche wegen Schadenersatz. Auf der Grundlage seines Berichts, der über das Handelsregister einsehbar ist, kann eine werterhöhende Klage auf Schadenersatz vorbereitet werden. Dabei handelt es sich zunächst einmal um Ansprüche zugunsten der Aktiengesellschaft. Diese Ansprüche beziehungsweise Zahlungen erhöhen aber zugleich auch das Vermögen der Gesellschaft, wovon die Aktionäre profitieren.
Geltendmachung von Ersatzansprüchen

Einen Schritt weiter geht der besondere Vertreter. Die Hauptversammlung kann zunächst nach § 147 Abs. 1 AktG beschließen, Ersatzansprüche aus der Gründung oder Geschäftsführung gegen Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats oder weitere Personen mit Einfluss nach § 117 AktG geltend zu machen. In einem nächsten Schritt kann dann nach § 147 Abs. 2 AktG ein besonderer Vertreter damit beauftragt werden, diese Ansprüche geltend zu machen. § 148 AktG ermöglicht auch Aktionären, eine solche Klage zu erheben. Diese Ansprüche stehen der Gesellschaft und nicht den einzelnen Aktionären zu. Indem sie das Vermögen der Gesellschaft vermehren, steigern sie auch den Wert der einzelnen Aktie.
Spruchverfahren
Von besonderem Interesse ist das aktien- und umwandlungsrechtliche Spruchverfahren. Bei verschiedenen Strukturmaßnahmen wie Squeeze-out, Verschmelzung oder Unternehmensvertrag beziehungsweise Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag erhalten die Minderheitsaktionäre eine Kompensation. Meist tritt dabei eine Abfindung an die Stelle der Aktie. Beim Unternehmensvertrag gibt es alternativ eine jährliche Ausgleichszahlung, die wie eine Garantiedividende wirkt. Solche Aktien sind gerade in Niedrigzinsphasen für die Anleger interessant, für die es auf regelmäßige jährliche Zahlungen ankommt. Diese Aktien werden dann faktisch zu sachwertbasierten Anleihen. Aktien in Übernahmesituationen stellen mittlerweile eine eigene Anlageklasse dar. Das liegt nicht nur daran, dass die Gerichte in fast allen Spruchverfahren die Abfindung oder Ausgleichszahlung oft angehoben haben. Häufig schließen kompensationspflichtige Strukturmaßnahmen eine Unternehmensübernahme ab. Empirische Daten zeigen, dass die im Übernahmeangebot enthaltene Gegenleistung häufig deutlich unter der Abfindung liegt.
Fazit und Ausblick
Obgleich die Aktie in den letzten Jahren fast alle anderen Investitionsklassen übertroffen hat, ist die Aktionärsquote hierzulande im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften niedrig. Bei der Ursachensuche findet man überraschende Ergebnisse in den Studien zum Vertrauen. Sie kommen meist zum gleichen Ergebnis: Während kleine und mittlere Unternehmen meist gute Werte haben, sind große Unternehmen häufig am Ende der Skala. Es spricht einiges dafür, dass die Ereignisse am Neuen Markt sowie die Börsengänge der Deutschen Telekom AG auch heute noch über die Generationen fortwirken. Schließlich wird das Anlegerverhalten vielfach über die Generationen tradiert. Gleichwohl ist unbestritten, dass die Aktie eine sinnvolle Investition ist und auch bleibt – gerade in einer lang anhaltenden Phase niedriger Zinsen. Sie ist der Sachwert des kleinen Mannes. Ein Aktionär partizipiert so durch Wertsteigerungen und Dividenden nicht nur an den wirtschaftlichen Chancen des Wirtschaftsstandorts, den er ja mit seinen Steuern eingerichtet hat. Er hält einen Sachwert, was sich schon immer als krisenresistenter als Bargeld erwiesen hat. Zudem lässt sich die Aktie einfacher als eine Immobilie veräußern. Damit ergibt ein solches Investment auch dann Sinn, wenn der Rechtsrahmen nicht alle Risiken abdeckt.
MEHR DAZU
Die Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e. V. (VzfK) hat zwei Studien zur quantitativen empirischen Justizforschung herausgegeben. Sie werten auch Finanzmarktdaten aus, um Investitionsstrategien zu plausibilisieren. Die Datenbestände beider Studien werden laufend aktualisiert.