Nach vier Jahren passiver Verpflichtung besteht für die Anwaltschaft seit Jahresbeginn 2022 nun auch eine aktive Nutzungspflicht, Schriftsätze sowie Anträge und Erklärungen auf elektronischem Weg zu übermitteln. Zu wünschen ist, dass die Gerichte nachziehen und ihre Mitteilungen ebenfalls flächendeckend digital versenden.
Seit dem 28. November 2016 ist das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) für alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Betrieb. Ab dem 1. Januar 2018 wurde die berufsrechtliche Verpflichtung eingeführt, die für die Nutzung des beA notwendigen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beA zur Kenntnis zu nehmen. Sukzessive kamen weitere Pflichten einer aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs hinzu: die Einreichung elektronischer Dokumente zum zentralen Schutzschriftenregister, der verpflichtende elektronische Rechtsverkehr in der Arbeitsgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein, die Pflicht zur Rückgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse sowie die zwingende Übermittlung elektronischer Dokumente in den Fachgerichtsbarkeiten im Land Bremen. Seit dem 1. Januar 2022 ist die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte flächendeckend und über nahezu alle Verfahrensordnungen hinweg verpflichtend. Anlass genug, einen Rückblick auf die vergangenen Jahre seit Einführung des beA vorzunehmen sowie einen Ausblick auf die Phase der aktiven Nutzung durch alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu wagen.
Einführung des beA
Der Inbetriebnahme des beA am 28. November 2016 ging eine über zwei Jahre dauernde Konzeptions- und Umsetzungsphase voraus. In dieser Zeit wurden die Anforderungen an das beA aus der Anwaltschaft heraus festgelegt und technisch umgesetzt sowie der Betrieb in georedundanten Rechenzentren aufgebaut. Ein gutes Jahr nach der Produktivsetzung musste die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) das beA vorübergehend wieder außer Betrieb nehmen. Über den Jahreswechsel 2017/2018 sorgte eine durch Verwendung eines fehlerhaften Zertifikats verursachte potenziell ausnutzbare Sicherheitslücke für die Außerbetriebnahme und sorgfältige sicherheitstechnische Überprüfung des beA-Systems. Anfang Juli 2018 ging das beA gehärtet wieder in Betrieb. Ab sofort galt für alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die sogenannte passive Nutzungspflicht. Sie mussten im beA eingehende Nachrichten zur Kenntnis nehmen und gegen sich gelten lassen. Doch die Kritik ebbte nicht ab. Einige Kollegen wandten sich im Klageweg gegen die im beA vorgesehene Möglichkeit der Postfachinhaber, anderen Personen das Recht einzuräumen, in das beA übermittelte Nachrichten zu entschlüsseln. Wegen dieser Möglichkeit liege keine echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Nachrichten vor, sodass das beA nicht sicher sei und die Anwaltschaft ihre Verschwiegenheitsverpflichtung nicht einhalten könne. Die BRAK sieht in ihrer technischen Lösung ein Rechtemanagement vor, um die gesetzlichen Anforderungen an die Berufsträger zur Bestellung von Vertretungen für den Fall ihrer Kanzleiabwesenheit umsetzen zu können und ihnen in den Kanzleien ein von der Praxis gefordertes arbeitsteiliges Arbeiten zu ermöglichen. Dazu erfolgt in einer sichereren Umgebung, den sogenannten Hardware Security Modulen (HSM), eine Umschlüsselung des Schlüssels, nicht indes der Nachrichten selbst. Der Postfachinhaber kann unter Verwendung seiner beA-Karte und einer dazugehörigen PIN anderen Personen die Berechtigung einräumen, Nachrichten zu entschlüsseln. Diese können die Nachrichten dann lesen und bearbeiten, ohne dass der Postfachinhaber daran in jedem Einzelfall mitwirken muss. Die Nachricht selbst liegt bis zu ihrer Entschlüsselung durch die jeweils berechtigte Person zu keiner Zeit in unverschlüsselter Form vor und kann auch nicht von der BRAK oder Dritten gelesen werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte schließlich am 22. März 2021 die Lösung der BRAK als sicher und wies die Klage auf Herstellung einer echten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung im beA ab.
Integration in den Kanzleialltag
Die BRAK stellt das beA-System als Web-Anwendung zur Verfügung. Zur Nutzung muss eine Client-Software auf den lokalen Rechner heruntergeladen werden. Die Einbindung in spezielle Kanzlei-Software-Lösungen erfolgt über eine Schnittstelle, die die BRAK den Herstellern von Kanzlei-Software zur Verfügung stellt. Über die Mitgliederverwaltung der Rechtsanwaltskammern ist sichergestellt, dass entsprechend der gesetzlichen Anforderung nur zugelassene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte über ein beA verfügen. Die Inbesitznahme des Postfachs erfolgt über die höchstpersönliche beA-Karte, die später auch für die Authentifizierung am Postfach, die Ver- und Entschlüsselung der Nachrichten und – versehen mit einem nachladbaren Zertifikat – zur Anbringung qualifizierter elektronischer Signaturen genutzt werden kann. Das Rechtemanagement stellt ein arbeitsteiliges Wirken in der Kanzlei und den Zugang von Vertretungen, Zustellbevollmächtigten und Abwicklern zum beA und den darin enthaltenen Nachrichten sicher. Das beA ist ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO). Das bedeutet, dass die Justiz Zustellungen in das beA bewirken kann. Das heißt aber auch, dass der Rechtsanwalt aus seinem beA heraus bei eigener Anmeldung am System Nachrichten unterschriftersetzend versenden kann. Er muss die Nachricht, die er bei eigener Anmeldung am System selbst verschickt, nicht mehr qualifiziert elektronisch signieren. Die Signatur erfolgt systemseitig durch Anbringen des sogenannten vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises (VHN). Da das beA aber ein arbeitsteiliges Arbeiten und damit auch den Versand von Nachrichten durch andere Personen als den Postfachinhaber ermöglichen möchte, sieht die Anwendung vor, dass alternativ zum sicheren Übermittlungsweg der Rechtsanwalt seine Schriftstücke qualifiziert elektronisch signieren kann. Somit sind beide im Gesetz vorgesehenen Wege zum Einreichen elektronischer Dokumente abgebildet.
Aktive Nutzungspflicht
Seit dem 1. Januar 2022 sind nach § 130d ZPO vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleichlautende Vorschriften sehen die übrigen Verfahrensordnungen vor. Die Einreichung der Dokumente auf elektronischem Weg ist seitdem die Regel. Gerichte nehmen auf herkömmlichem Weg eingereichte Dokumente nicht mehr entgegen. Das beA-System ist auf den zu erwartenden Anstieg der übermittelten Nachrichten vorbereitet. Die notwendige Hardware steht zur Verfügung. Durch ein engmaschiges Monitoring und leicht skalierbare Komponenten kann außerdem schnell auf die weiter zunehmende Last reagiert werden. Auch die Anwaltschaft ist gut auf die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs vorbereitet. Der BRAK-Newsletter und regelmäßige Artikel im BRAK-Magazin informieren die Nutzer über den Umgang mit dem beA, liefern Schritt-für-Schritt-Anleitungen zu den verschiedenen Funktionalitäten und weisen auf die wichtigste Rechtsprechung hin. Schulungsanbieter, Rechtsanwaltskammern und Anwaltvereine bieten online oder in Präsenz Schulungen für Rechtsanwälte und deren Mitarbeiter an, die gerne genutzt werden. Der beA-Anwendersupport steht allen Nutzern zur Verfügung. Über das Service-Portal des Supports werden die wichtigsten Informationen veröffentlicht. Ein telefonischer Support gibt in Einzelfragen Hinweise und leistet Unterstützung bei technischen und manchmal auch rechtlich-organisatorischen Problemen. Wenn doch einmal unüberwindbare technische Schwierigkeiten auftreten sollten, ermöglichen § 130d ZPO sowie die Parallelvorschriften in den anderen Verfahrensordnungen die Ersatzeinreichung auf herkömmlichem Weg. Die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt kann in den Fällen vorübergehender technischer Unmöglichkeit den Schriftsatz per Post oder per Telefax übermitteln, muss dann aber glaubhaft machen, dass die elektronische Übermittlung vorübergehend technisch unmöglich ist, und darlegen, wie sich diese technische Unmöglichkeit geäußert hat.
Probleme in der Praxis
Als in der Praxis problematisch dürften sich Medienbrüche erweisen. Nicht alle Gerichte sind aktuell darauf vorbereitet, ihrerseits elektronische Dokumente an die Anwaltschaft zu versenden. Dies bedeutet, dass dort elektronisch eingehende Dokumente ausgedruckt und in Papierform der Gegenseite zugestellt werden. Dort wird das mitgeschickte Empfangsbekenntnis gescannt und über das beA entweder über den sicheren Übermittlungsweg oder qualifiziert elektronisch signiert an das Gericht zurückgeschickt. Nachdem die Anwaltschaft mit Einrichtung des elektronischen Rechtsverkehrs erheblich in Vorleistung getreten war und die elektronischen Kommunikationswege über das beA flächendeckend zur Verfügung stehen, ist zu hoffen, dass auch die Gerichte schnellstmöglich auf den elektronischen Rechtsverkehr umstellen und Dokumente künftig elektronisch übersenden werden. Denn erst dann wird das Ziel des elektronischen Rechtsverkehrs erreicht, die Abläufe zu vereinfachen und zu beschleunigen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die direkte Erreichbarkeit der Geschäftsstelle oder des zuständigen Richters. Vielfach vergeht derzeit noch erhebliche Zeit zwischen dem Eingang des elektronischen Dokuments auf dem Intermediär und dessen Abholung dort durch das zuständige Gericht. Weitere Zeit vergeht bei der Weiterleitung an die Geschäftsstelle beziehungsweise den Richter. Die Anwaltschaft erwartet deshalb, dass die in den Gerichten genutzte Fach-Software erweitert wird, damit eine direkte Erreichbarkeit der zuständigen Stelle innerhalb des Gerichts gewährleistet ist.
Weitere Ausbaustufen
Für das Jahr 2022 stehen jenseits des Übergangs zur aktiven Nutzungspflicht weitere Weiterentwicklungen des beA-Systems an: Der Gesetzgeber hat den Weg dafür frei gemacht, dass für zugelassene Berufsausübungsgesellschaften besondere elektronische Anwaltspostfächer eingerichtet werden. Dies dürfte gerade in größeren Zusammenschlüssen die Bearbeitung elektronischer Postein-und -ausgänge erheblich erleichtern. Darüber hinaus stehen Weiterentwicklungen wie die nutzerfreundliche Verbesserung der beA-Oberfläche, die Anbindung an das Akteneinsichtsportal der Justiz, die Einbindung der Fernsignatur sowie kleinere Projekte zur Verbesserung des beA-Systems an. Das System läuft insgesamt stabil, die Abläufe sind eingespielt und die Anwaltschaft ist vorbereitet, sodass die BRAK als Betreiberin des beA den Herausforderungen des Jahres 2022 mit Optimismus entgegensieht.
MEHR DAZU
Lernvideo online: „Einrichtung Anwaltspostfach mit beA-Schnittstelle in DATEV Anwalt classic“