Ergänzungsansprüche - 23. Oktober 2017

Abhilfe schaffen

Hat der Erb­lasser zu Leb­zeiten Teile seines Ver­mögens ver­schenkt, kann das den Pflicht­teil schmälern. Für Be­trof­fene gibt es aber Wege, dies wieder zu revi­dieren.

Nicht selten stellt ein Kind nach dem Tod eines Elternteils fest, dass es nicht nur enterbt ist, sondern dass die Eltern zu Lebzeiten auch Teile ihres Vermögens übertragen oder verschenkt haben. Faktisch hat es der Erblasser sogar in der Hand, den Pflichtteil bis auf null zu schmälern, indem er sein gesamtes Vermögen zu Lebzeiten Dritten zuwendet. Die Gründe für eine solche Vorgehensweise können vielfältig sein. Nicht immer muss sich eine böse Absicht dahinter verbergen, zum Beispiel das sogenannte schwarze Schaf der Familie möglichst leer ausgehen zu lassen. Welche Motivlage der Erblasser auch hatte, für ein pflichtteilsberechtigtes Kind etwa ist diese Feststellung neben der Enterbung oft die zweite Enttäuschung, namentlich der ausgehöhlte Pflichtteil. Das Gesetz bietet allerdings Schutz. Unter gewissen Voraussetzungen wird das bereits Weggeschenkte dem Nachlass wieder hinzugerechnet.

Die Ergänzung des Pflichtteils

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist eine reine Geldforderung und damit eine Nachlassverbindlichkeit.

Um zu verhindern, dass der Pflichtteilsanspruch durch lebzeitige Schenkungen völlig umgangen wird, gewährt das Gesetz dem Pflichtteilsberechtigten bei Schenkungen einen zeitlich und sachlich begrenzten Ergänzungsanspruch gegen den Erben (§ 2325 BGB), hilfsweise gegen den Beschenkten (§ 2329 BGB), den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch. Der Gesamtpflichtteil besteht sodann aus dem ordentlichen Pflichtteil und der Pflichtteilsergänzung. Früher kamen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur die Pflichtteilsberechtigten in den Genuss des Ergänzungsanspruchs, die bereits im Zeitpunkt der Vornahme der Schenkung (und nicht erst bei Eintritt des Erbfalls) pflichtteilsberechtigt waren. Diese umstrittene Theorie der Doppelberechtigung hat der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich aufgegeben; es kommt nur noch auf die Pflichtteilsberechtigung zum Zeitpunkt des Erbfalls an. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist vom Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs unabhängig, weshalb er nach Maßgabe des § 2326 BGB auch dem erbenden Pflichtteilsberechtigten oder dem, der die Erbschaft ausgeschlagen hat (und dadurch nach den allgemeinen Grundsätzen seinen ordentlichen Pflichtteilsanspruch verliert), zusteht. Im Übrigen wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch wie der ordentliche Pflichtteilsanspruch behandelt, zum Beispiel bezüglich des Zeitpunkts der Geltendmachung, der Vererblichkeit, der Auskunftspflicht, dem Wertermittlungsanspruch. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist wie der ordentliche Pflichtteilsanspruch eine reine Geldforderung und damit eine Nachlassverbindlichkeit. Er begründet also keine Anfechtbarkeit der vollzogenen Schenkung und gibt auch keine wertmäßige Beteiligung am Nachlass her. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gewährt dem Pflichtteilsberechtigten einen Bestandsschutz, indem zur Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs das vom Erblasser früher Weggeschenkte dem Nachlass wieder hinzugerechnet wird. Anschließend wird aus dem so ergänzten (fiktiven) Gesamtnachlass der Anspruch errechnet. Neben dem Pflichtteilsergänzungsanspruch bietet das Gesetz lediglich sehr eingeschränkt Schutz gegen lebzeitige Zuwendungen.

Wer bezahlt die Ergänzung?

Primärer Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist der Erbe beziehungsweise bei Bestehen einer Erbengemeinschaft die Miterben als Gesamtschuldner. Wer erfüllt nun den Pflichtteilsergänzungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten, obwohl sich das Weggeschenkte zum Todeszeitpunkt des Erblassers ja gar nicht mehr im Nachlass befindet, der Erbe folglich auch nicht mehr verfügungsberechtigt ist? Weitverbreitet ist die Vorstellung, der Beschenkte müsse den Anspruch erfüllen. Das ist jedoch die Ausnahme, denn grundsätzlich ist der Erbe Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Er hat die Geldforderung zu zahlen. Nur soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist, richtet sich der Anspruch direkt gegen den Beschenkten. Der Beschenkte trägt somit nur das Risiko der sogenannten subsidiären Ausfallhaftung. Der Pflichtteilsberechtigte kann vom Beschenkten dann die Herausgabe des Geschenks zum Zwecke der Befriedigung wegen des fehlenden Betrags verlangen. Diese Ausfallhaftung des Beschenkten beginnt da, wo die des Erben endet. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn feststeht, dass kein Nachlass vorhanden ist oder dass der Nachlass überschuldet ist. Stellt sich in einem laufenden Pflichtteilsergänzungsprozess heraus, dass der Erbe zur Erfüllung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht verpflichtet ist, muss möglicherweise noch der Beschenkte in Anspruch genommen werden. Der Pflichtteilsanspruch wird aber sehr oft erst kurz vor Ablauf der Verjährung gerichtlich gegen den Erben geltend gemacht. Für den sich gegen den Beschenkten richtenden Pflichtteilsergänzungsanspruch gilt jedoch die besondere, kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von drei Jahren ab dem Erbfall. In der Praxis besteht daher die Gefahr, dass der Anspruch gegen den Beschenkten dann bereits verjährt ist.

Die Schenkung als Voraussetzung

Das Bestehen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs setzt eine wirksam vollzogene Schenkung voraus. Das Vermögen des Erblassers muss durch die Schenkung dauerhaft entreichert worden sein. Es müssen somit eine objektive Bereicherung des Beschenkten aus dem Vermögen des Schenkers und subjektiv eine Einigung der Parteien über die zumindest teilweise Unentgeltlichkeit dieser Zuwendung gegeben sein. Gemischte Schenkungen, also solche, die zum Teil eine Gegenleistung darstellen, sind nur hinsichtlich ihres Schenkungsteils ergänzungspflichtig. Auflagen, Rückforderungsrechte und Nutzungsvorbehalte können den Wert der Schenkung beeinflussen. Die Rechtsprechung zur Frage, wann eine ergänzungspflichtige Zuwendung in welcher Höhe vorliegt, ist dementsprechend vielfältig.

Die Zehnjahresfrist

Der Gesetzgeber hat dafür gesorgt, dass die lebzeitigen Schenkungen des Erblassers nicht zeitlich uneingeschränkt Berücksichtigung finden. Das würde die Verfügungsfreiheit zu ­Lebzeiten des Erblassers übermäßig beschränken. Die Schenkung ist nach dem ­Gesetzeswortlaut deshalb nur dann ergänzungspflichtig, wenn zur Zeit des Erbfalls zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstands noch nicht verstrichen sind. Schenkungen an Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner sind ausgenommen, hier beginnt die Frist folglich nicht vor Auflösung der Ehe durch Scheidung oder Tod zu laufen. Es handelt sich um eine der Rechtssicherheit dienende Ausschlussfrist. Der Gesetzgeber hat die Ausschlussfrist unter anderem damit begründet, dass bei derartigen Zuwendungen, die so lange zurückliegen, eine reine Benachteiligungsabsicht ausgeschlossen werden könne, weil auch der Erblasser selbst solange die Folgen seiner Schenkung habe tragen müssen.

Der Genussverzicht

Für alle Beteiligten des Pflichtteilsergänzungsanspruchs (Schenker, Beschenkter und Anspruchsinhaber) ist damit die Frage, ob die Zehnjahresfrist wirksam in Gang gesetzt wurde, von essenzieller Bedeutung. Der Bundesgerichtshof verlangt, dass der Schenker einen Zustand geschaffen hat, dessen Folgen er selbst noch zehn Jahre zu tragen hat und der ihn schon im Hinblick darauf von einer böslichen Schenkung abhalten kann. Die wirtschaftliche Ausgliederung des Geschenks aus dem Vermögen des Erblassers, das heißt der tatsächliche Genussverzicht, ist also erforderlich, um die Zehnjahresfrist in Gang zu setzen. Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Anlaufen der Zehnjahresfrist ist sehr umstritten, weil sie nicht zur Rechtssicherheit beiträgt.

Die Abschmelzungsregelung

Dieses früher (vor der Modernisierung des Erb- und Verjährungsrechts im Jahr 2009) geltende Alles-oder-nichts-Prinzip wurde durch die eingeführte Abschmelzungsregelung ersetzt. Es war bis 2009 egal, ob die Schenkung bereits neun Jahre oder gerade erst wenige Monate zurücklag. Sie wurde entweder voll oder – nach Ablauf der zehn Jahre – gar nicht mehr berücksichtigt. Nun bestimmt das Gesetz, dass die Schenkung innerhalb des ersten Jahrs vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahrs vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt wird. Durch diese Pro-rata-Regelung wird die Ausschlussfrist flexibler gestaltet. Für den Erben, aber auch für den Beschenkten bietet diese Regelung somit mehr Planungssicherheit.

Vorsicht bei Nießbrauch und Wohnungsrecht

Wegen der erwähnten Genussverzichtsrechtsprechung tritt bei einer Zuwendung unter Vorbehalt eines Nießbrauchs oder eines umfangreichen Wohnungsrechts beziehungsweise im Falle einer Ehegattenschenkung keine Abschmelzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ein. Da in älteren Übergabeverträgen vielfach ein Nießbrauchsrecht vereinbart wurde oder sich die Übergeber ein Wohnungsrecht am gesamten Anwesen gesichert haben, wird sich die Abschmelzungsregelung sehr oft gar nicht auswirken. In der Beratungspraxis können diese Altregelungen deshalb gelegentlich zur Verbesserung der Stimmungslage führen, wenn man den enttäuschten Pflichtteilsberechtigten berät.

Auch Erblasser denken voraus

Allerdings wird ein Erblasser oft ein Interesse daran haben, den Erben davor zu bewahren, dass er von enttäuschten Pflichtteilsberechtigten auf Zahlung des Pflichtteils und einer Ergänzung in Anspruch genommen wird. Deshalb wird er zu Lebzeiten schon überlegen, wie er etwaige Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche möglichst minimieren oder gar vermeiden kann. So kann er in seiner letztwilligen Verfügung mit einer sogenannten Pflichtteilsstrafklausel versuchen, den Pflichtteilsberechtigten von der Geltendmachung seines Anspruchs abzuhalten. Diese Hoffnung scheitert aber oft an der Einstellung der Pflichtteilsberechtigten, ganz nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Die gesetzlich geregelte Möglichkeit der Pflichtteilsentziehung als weitere Vermeidungsstrategie dürfte in den seltensten Fällen greifen. Des Weiteren kann der Erblasser zumindest versuchen, den Pflichtteil zu minimieren, indem er den Wert des Nachlasses verringert. Hierzu kann er sich verschiedenster Mechanismen bedienen. In Betracht kommen hauptsächlich lebzeitige Vermögensverschiebungen, wie etwa Schenkungen unter Nutzungs- und/oder Widerrufsvorbehalt, sogenannte Pflicht- und Anstandsschenkungen sowie Ausstattungen. Auch der Abschluss von Verträgen zugunsten Dritter auf den Todesfall kann ein geeignetes Mittel zur Reduzierung des Nachlasswerts sein, weil in diesen Fällen – in der Regel – die Zuwendung dem Nachlass nicht hinzugerechnet wird. Unter Ehegatten kann eine Pflichtteils(ergänzungs)kürzung durch den Abschluss von güterrechtlichen Vereinbarungen erreicht werden. Zu guter Letzt ist denkbar, und zwar öfter, als man gemeinhin annimmt, dass der Erblasser durch Schaffung weiterer Pflichtteilsberechtigter die Quote des Enterbten vermindert, wie zum Beispiel durch eine Adoption von Stief­kindern.

Fazit

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch kann durchaus zur teilweisen Befriedigung eines mit dem ausgehöhlten Pflichtteil konfrontierten Pflichtteilsberechtigten beitragen. Der Weg der Durchsetzung ist allerdings steinig.

Zur Autorin

Solange van Rens

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Erb- und Arbeitsrecht; Partnerin in der Kanzlei Binder & Partner, Passau, sowie Mitglied im Redaktionsbeirat des DATEV magazins

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