Grundsteuer - 28. November 2024

Weiterhin fraglich

Trotz zahlreicher anhängiger Klagen wird ab dem kommenden Jahr eine Neuveranlagung der Grundsteuer erfolgen. Beim sogenannten Bundesmodell besteht jedoch die Möglichkeit, für Grundvermögen einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.

Die Grundsteuerneuveranlagung befindet sich auf der Zielgeraden. Zum 1. Januar 2025 wird die Grundsteuer erstmalig auf Basis der neuen Bemessungsgrundlagen festgesetzt. Zahlreiche Klagen sind zum Bundes- und auch zu den Landesmodellen anhängig. Insbesondere um die Verfassungsmäßigkeit der Modelle wird aktuell gestritten. Mit einer abschließenden Klärung ist hier wohl nicht mehr bis zur Umsetzung der Reform zum 1. Januar 2025 zu rechnen. Immerhin kommt nun Bewegung in die Frage, ob die von den Gutachterausschüssen veröffentlichten Bodenrichtwerte immer zwingend zu übernehmen sind oder ob hier vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots Einschränkungen zu beachten sind.

Nachweis des gemeinen Werts

Baden-Württemberg zum Beispiel lässt für sein Modell den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zu [§ 38 Landesgrundsteuergesetz (LGrStG BW)]. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun für alle Bundesländer nachgelegt, die das Bundesmodell anwenden, und das sind die meisten, wobei hier grundsätzlich auch Sachsen und das Saarland wegen des identischen Bewertungsrechts mitzuzählen sind. Mit Beschlüssen vom 27. Mai 2024 [II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV)] hat der BFH in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des Grundsteuer- Reformgesetzes im sogenannten Bundesmodell Stellung genommen. Danach haben Steuerpflichtige im Einzelfall unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden gemeinen Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Da aufgrund dessen bereits berechtigte Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war vom BFH nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln zu den zugrunde liegenden Bewertungsregeln unterliegt. In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die angefochtenen Bescheide waren auf der Grundlage der Neuregelung des Grundsteuer- und Bewertungsrechts durch das Grundsteuer-Reformgesetz vom 26. November 2019 ergangen (sogenanntes Bundesmodell), das in der Mehrzahl der Bundesländer Anwendung findet. Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab dem 1. Januar 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1. Januar 2022 als einheitlichen Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften enthalten nach der gesetzgeberischen Konzeption aus Gründen der Automatisierung und Bewältigung der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten eine Vielzahl von Typisierungen und Pauschalierungen. Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die gegen die Entscheidungen des FG erhobenen Beschwerden des Finanzamts (FA) hat der BFH nun in seinen Beschlüssen als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften muss den Steuerpflichtigen bereits auf Ebene der Grundsteuerwertfeststellung die Möglichkeit eingeräumt werden, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachweisen zu können – und zwar auch dann, wenn der Gesetzgeber eine solche Nachweismöglichkeit nicht ausdrücklich geregelt habe. Der Gesetzgeber verfüge gerade in Massenverfahren der vorliegenden Art über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot könne jedoch verletzt sein, wenn sich der festgestellte Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweise. Dies setze nach der bisherigen Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 Prozent oder mehr übersteige. In beiden Streitfällen, einmal ein Einfamilienhaus von 1880 ohne nennenswerte Renovierungen und zum anderen ein Hanglagen-Grundstück in zweiter Reihe mit Erschließung über Privatweg, kam der BFH zu dem Ergebnis, dass es bei summarischer Prüfung nicht auszuschließen sei, dass die Antragsteller jeweils aufgrund einzelfallbezogener Besonderheiten den erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ihrer Grundstücke mit der erforderlichen Abweichung zu den festgestellten Grundsteuerwerten führen könnten. Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden.

Sicht der Finanzverwaltung

Die Finanzverwaltung (FV) hat mit gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 24. Juni 2024 hierauf reagiert und sich im Ergebnis der BFH-Rechtsprechung angeschlossen. Da im Bereich des Bewertungsrechts Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Abgabenordnung (AO) grundsätzlich ausgeschlossen sind [§ 220 S. 2 Bewertungsgesetz (BewG)], ist zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot eine verfassungskonforme Auslegung der angewendeten Bewertungsvorschriften vorzunehmen. Hierzu ist in allen offenen Fällen ein für die gesamte wirtschaftliche Einheit nachgewiesener niedrigerer gemeiner Wert anzusetzen, wenn der nach den §§ 218 ff. BewG ermittelte Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse vom Hauptfeststellungszeitpunkt (§ 227 BewG) um mindestens 40 Prozent übersteigt.

Nachweispflicht

Die Steuerpflichtige beziehungsweise den Steuerpflichtigen trifft die Nachweislast für einen niedrigeren gemeinen Wert und nicht eine bloße Darlegungslast. In entsprechender Anwendung des § 198 BewG kann der Nachweis entweder mittels Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses nach §§ 192 ff. Baugesetzbuch beziehungsweise durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken oder einen nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Sachverständigen erbracht werden. Zudem gilt als Nachweis auch ein im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs ermittelter Kaufpreis, wenn sich die maßgeblichen Verhältnisse der wirtschaftlichen Einheit zwischen Zustandekommen des Kaufpreises und Hauptfeststellungszeitpunkt nicht verändert haben. Der Kaufpreis muss innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt zustande gekommen sein. Die Grundsätze gelten analog für erbbaurechtsbelastete Grundstücke sowie Gebäude auf fremdem Grund und Boden. Für den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ist jeweils ein Gesamtwert für das Erbbaurecht und das Erbbaugrundstück beziehungsweise für den Grund und Boden und das Gebäude so zu ermitteln, als wenn die Belastung mit dem Erbbaurecht nicht bestünde oder das Gebäude nicht im Eigentum eines Dritten stünde. In Fällen, in denen der Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert um mindestens 40 Prozent übersteigt, der Grundsteuerwert bestandskräftig festgestellt wurde und die Feststellung nicht mehr nach den Korrekturvorschriften der AO änderbar ist, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung (§ 222 Abs. 3 BewG) vorliegen. Bei Durchführung der fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung ist die Wertfortschreibungsgrenze (§ 222 Abs. 1 BewG) zu beachten.

Aussetzung der Vollziehung

Zudem ist Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) von Bescheiden über die Feststellung des Grundsteuerwerts ab sofort zu entsprechen, wenn und soweit schlüssig dargelegt wird, dass der Grundsteuerwert den Verkehrswert um mindestens 40 Prozent übersteigt. Ein Verkehrswertgutachten ist zum Zeitpunkt des AdV-Antrags noch nicht vorzulegen. Substanziierten Angaben des Steuerpflichtigen zur Höhe des Verkehrswerts ist zu folgen. Es bestehen keine Bedenken, als Ergebnis der summarischen Prüfung vorbehaltlich anderweitiger Erkenntnisse 50 Prozent des Grundsteuerwerts von der Vollziehung auszusetzen. Die AdV soll angemessen befristet und der Steuerpflichtige zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts, etwa durch Vorlage eines Gutachtens, innerhalb dieser Frist aufgefordert werden. Infolge der Aussetzung der Vollziehung des Grundsteuerwertbescheids ist auch die Vollziehung des hierauf beruhenden Grundsteuermessbescheids, gegebenenfalls anteilig, auszusetzen (§ 361 Abs. 3 S. 1 AO), unabhängig davon, ob auch gegen diesen Grundsteuermessbescheid ein Einspruch mit Antrag auf AdV anhängig ist. Die betroffenen Kommunen sind auf geeignete Art und Weise über die Aussetzung zu unterrichten. Durch die nunmehr vorhandene Öffnungsklausel können die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zwischen den Jahren 2021 und 2023 zustande gekommenen Kaufpreise dahin gehend überprüft werden, ob mit den festgestellten Grundsteuerwerten auf Basis der Wertverhältnisse zum 1. Januar 2022 das Übermaßverbot eingehalten wird. Gleiches gilt für die Nachweismöglichkeit über Gutachten für Grundstücke mit extremen Abweichungen vom durchschnittlichen Sachverhalt, die in der Grundsteuerbewertung regelmäßig nicht berücksichtigt werden. Entsprechende Anträge bei Wertabweichungen um mindestens 40 Prozent werden bei allen offenen Verfahren auf den betroffenen Stichtag berücksichtigt, im Übrigen auf den 1. Januar des Folgejahres nach Antragstellung.

Steuermesszahlen

Die Steuermesszahlen sind ein Instrument, um die Bewertungsergebnisse auf der Steuermessbetragsebene nachzujustieren. Als Instrument zur gezielten Förderung des Gemeinwohls liegt die Steuermesszahl für Wohnnutzung in allen Bundesländern unter derjenigen für Nichtwohnnutzung. Die Bundesländer Sachsen und Saarland haben sich dem wertorientierten Bundesbewertungsmodell angeschlossen, gleichzeitig aber von der grundgesetzlich eingeräumten Abweichungsbefugnis punktuell Gebrauch gemacht, um eigene landesspezifische Steuermesszahlen festzulegen. Im Gegensatz zum Bundesgesetz mit einer für Wohnnutzung um 3 Punkte geringeren Steuermesszahl als für Nichtwohnnutzung beträgt diese Differenz im Saarland 30, in Sachsen sogar 36 Punkte. Zuletzt hat das Bundesland Berlin mit seinem Grundsteuermesszahlengesetz vom 27. Juni 2024 eigene Steuermesszahlen festgelegt mit dem Ergebnis, dass die Steuermesszahl für Wohnnutzung um 14 Punkte unter derjenigen für Nichtwohnnutzung liegt.

Hebesätze

Ausweislich einer Pressemitteilung des Hamburger Senats vom 1. Juli 2024 soll die Grundsteuer B in der Hansestadt insgesamt sowie in den Bereichen Wohnen und Nichtwohnen mit den folgenden Parametern aufkommensneutral bleiben: Steuermesszahl für Nutzflächen in Höhe von 87 Prozent, Hebesatz Grundsteuer A in Höhe von 100 Prozent, Hebesatz Grundsteuer B in Höhe von 975 Prozent, Hebesatz Grundsteuer C in Höhe von 8.000 Prozent. Im Bundesland Bremen (Bundesmodell) soll laut Pressemitteilung vom 6. August 2024 die Messzahl für Nichtwohngrundstücke sowie unbebaute Grundstücke von 0,34 vom Tausend auf 0,75 vom Tausend hochgesetzt werden. Damit wäre Bremen mit 44 Punkten Spitzenreiter in der Differenz der Messzahl Nichtwohnnutzung zu Wohnnutzung. Der aufkommensneutrale Hebesatz müsste auf 755 Prozent festgelegt werden. Auch in anderen Bundesländern ist im Bereich der Hebesätze eine hohe Dynamik festzustellen. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat am 5. Juli 2024 ein Gesetz beschlossen, das den Kommunen ermöglicht, vom bundesrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit der Hebesätze [§ 25 Abs. 4 Grundsteuergesetz (GrStG)] abzuweichen. Das Grundsteuerhebesatzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (NWGrStHsG) ermöglicht es, differenzierende Hebesätze im Bereich der Grundsteuer B einzuführen mit der Maßgabe, dass der Hebesatz für Nichtwohngrundstücke nicht niedriger sein darf als derjenige für Wohngrundstücke. In Brandenburg liegt ein entsprechender Gesetzentwurf vor (Drucksache 7/9729). Das Bundesland Schleswig-Holstein beabsichtigt laut Pressemitteilung vom 4. Juni 2024, ein am Bundesland Nordrhein- Westfalen ausgerichtetes Grundsteuerhebesatzgesetz einzuführen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Dynamik anhält und weitere Bundesländer auf Ebene der Steuermessbetragsfestsetzung nachjustieren und den Kommunen einen erweiterten Spielraum im Bereich der Hebesätze ermöglichen.

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Zu den Autoren

AB
Dr. Andreas Bock

Rechtsanwalt und Steuerberater sowie Partner bei der WTS Group am Standort in München

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PW
Peter Weiss

Diplom-Bauingenieur Univ. / Diplom-Wirtschaftsingenieur Univ.
und Director bei der WTS GmbH sowie Experte im Bereich der
steuerlichen Immobilienbewertung

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