European Green Deal - 24. März 2022

Unternehmen vor dem nächsten Wandel

Die Maßnahmen zur Umgestaltung der Wirtschaft in der Europäischen Union laufen auf Hochtouren. Man sollte keine Zeit mehr verlieren, sich damit auseinanderzusetzen, da die neuen Regelungen alle Branchen betreffen werden.

Der European Green Deal, den die Europäische Kommissi­on Ende 2019 erstmals vorgestellt hat [Mitteilung KOM (2019) 640 endg], ist ein Teil eines größeren und globalen Trends, der zunehmend Wert auf nachhaltige Wirtschaftsakti­vitäten legt. Nachhaltigkeit wird mit den Begriffen Environ­mental (E), Social (S) und Governance (G), zusammen kurz: ESG, umschrieben. Beispiele für die wachsende Bedeutung des S sind auf europäischer Ebene die Konfliktmineralien-Ver­ordnung sowie auf deutscher Ebene das Lieferkettensorgfalts­pflichtengesetz. Aktuelle Beispiele für eine größere Gewich­tung des G sind auf europäischer Ebene die EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern und auf nationaler Ebene unter an­derem das Zweite Führungspositionen-Gesetz. Fahrt aufge­nommen hat aber vor allem – auf globaler Ebene das E. In der EU hat die umweltbezogene Nachhaltigkeit durch den EU-Ak­tionsplan Finanzierung nachhaltigen Wachstums 2018, die EU-Taxonomie-Verordnung sowie der European Green Deal aus dem Jahr 2020 und das darauf aufbauende Maßnahmen­paket Fit for 55 an Bedeutung gewonnen. In Deutschland ist die Neuauflage des Bundes-Klimaschutzgesetzes als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Ap­ril 2021, das in Bezug auf das Bundesklimaschutzgesetz die fehlenden Emissionsminderungsvorgaben ab 2031 bemängel­te, herauszuheben.

Grundlagen des European Green Deal

Herzstück der EU-Maßnahmen ist der European Green Deal, dessen Hauptziel es ist, dass Europa im Jahr 2050 der erste kli­maneutrale Kontinent ist. Er bildet gleichzeitig einen zentralen Bestandteil der EU-Strategie zur Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für eine nachhalti­ge Entwicklung (A/RES/70/1). Der Green Deal soll eine Antwort auf die entscheiden­den klima- sowie umweltbedingten Heraus­forderungen – insbesondere Klimawandel, Artensterben und Meeresverschmutzung – geben und Europa auf einen neuen Weg zu nachhaltigem und integrativem Wachstum bringen. Er sieht eine Umgestaltung der EU-Wirtschaft sowie einen Europäischen Klimapakt vor, womit sich die EU als welt­weiter Vorreiter positionieren möchte. Alle gesetzgeberischen Maßnahmen und Strategien der EU sollen künftig zur Verwirk­lichung des European Green Deal beitragen und sich in ihren Auswirkungen daran messen lassen.

Erklärte Ziele

Die Kommission versteht den European Green Deal als Wachstumsstrategie, mit der folgende Ziele in der EU er­reicht werden sollen:

  • ambitioniertere Klimaschutzziele bis 2030 und 2050
  • Versorgung mit sauberer, erschwinglicher und sicherer Energie
  • Mobilisierung der Industrie für eine saubere und kreislauforientierte Wirtschaft
  • energie- und ressourcenschonendes Bauen und Renovieren
  • Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstofffreie Umwelt
  • Ökosysteme und Biodiversität erhalten und wiederherstellen
  • faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsys­tem
  • raschere Umstellung auf eine nachhaltige und intelligente Mobilität

Das zentrale Element des European Green Deal ist die Redu­zierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent anstatt der bisherigen 40 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 und erreichte Klimaneutralität bis 2050.

EU-Taxonomie-Verordnung

Der Green Deal berücksichtigt, dass neben gesetzgeberischen und regulatorischen Maßnahmen große finanzielle Mittel be­nötigt werden. Für die Umsetzung des European Green Deal veranschlagt die EU-Kommission einen Bedarf von 1,8 Billio­nen Euro. Der Finanzbedarf für den Umbau der EU-Wirtschaft soll auf zwei wesentlichen Säulen beruhen. Zum einen ist dies die Bereitstellung finanzieller Mittel durch die EU beziehungs­weise durch nationale Stellen sowie auf der anderen Seite – quasi als Ergänzung dieser staatlichen Aufwendungen – die Umlenkung von privatem Kapital in nachhaltige Geschäftsakti­vitäten sowie Investitionen in Klima- und Umweltmaßnahmen. Zu diesem Zweck führt die EU-Taxonomie-Verordnung (EU 2020/852) als Teil des EU-Aktionsplans Finanzierung nachhaltigen Wachstums ein EU-weites Klassifizierungssystem ein, um die ökologische Nachhaltigkeit von Wirt­schaftstätigkeiten zu bestimmen, mit dem Ziel, die Bereitstellung von Finanzmitteln in die als nachhaltig definierten Aktivitäten zu steuern. Die Wechselwirkung zwischen der EU-Taxonomie-Verordnung und dem Euro­pean Green Deal war zuletzt an dem stark diskutierten Vorschlag der EU-Kommissi­on, wonach Investitionen in Kernkraft und Gaskraftwerke als nachhaltig gelten können, zu erkennen. Während die EU-Taxo­nomie-Verordnung bezogen auf das Geschäftsjahr 2021, be­reits erste Offenlegungspflichten vorsieht, befindet sich die konkrete Umsetzung des Green Deal noch auf dem Weg.

Umsetzung der Ziele und Schwerpunkte

Die EU-Kommission hat nach der Veröffentlichung verschie­dener Einzelstrategien (Offshore Renewable Energy, Industry Strategy, Hydrogen Strategy) erst mit dem Europäischen Kli­magesetz (EU 2021/1119), das am 30. Juni 2021 in Kraft trat und die Verringerung der Netto-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent festschreibt, den relevanten Start­schuss für die Realisierung des Green Deal gegeben. Zur Umsetzung hat am 14. Juli 2021 die EU-Kommission das Maßnahmenpaket Fit for 55 vorgestellt. Der Übergang zu einem kli­maneutralen Kontinent soll fair und sozial gerecht erfolgen, gleichzeitig sollen Inno­vation und Wettbewerbsfähigkeit der In­dustrie in den EU-Ländern geschützt und gestärkt werden; dies zudem unter Ge­währleistung gleicher Wettbewerbsbedin­gungen gegenüber den Akteurinnen und Akteuren aus Drittländern. Erreicht werden sollen die ver­schärften Klimaziele durch marktorientierte und ordnungs­rechtliche Maßnahmen sowie der bereits erwähnten Steue­rung privater Gelder in nachhaltige Investitionen.

Eine Fülle an Vorhaben

Von den im Paket Fit für 55 des Rats der EU enthaltenen Ge­setzgebungsvorschlägen und politischen Initiativen sind be­sonders hervorzuheben:

  • die Festlegung neuer Emissionsreduktionsziele (Sektorziele) der Mitgliedstaaten
  • die grundlegende Überarbeitung des Emissionshandelssys­tems als Kernsteuerungselement (unter anderem Aufnahme der Sektoren Wärme und Verkehr)
  • die grundlegende Überarbeitung der Erneuerbare-Energi­en-Richtlinie sowie der Energieeffizienzrichtlinie und des Gasbinnenmarktpakets
  • die Einführung spezifischer Regelungen für Wasserstoff
  • die Förderung des Ausbaus von CO2-Senken durch die EU-Waldstrategie
  • die Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alter­native Kraftstoffe

Große Wirkung für den Handel hat das CO2-Grenzausgleichs­system (Carbon Border Adjustment Mechanism), das zur Ver­hinderung von Carbon Leakage Produkte im Fokus hat, die in die EU eingeführt werden. Abgefedert werden sollen die zu er­wartenden Mehrkosten für sozial schwächere Haushalte, Kleinunternehmen und Verkehrsteilnehmer durch einen Kli­masozialfonds, in den Einnahmen aus dem erweiterten Emissi­onshandel einfließen sollen.

Besonders betroffene Branchen

Die zur Umsetzung des Green Deals überarbeiteten bezie­hungsweise neu erlassenen Regelungen werden sich auf alle Branchen auswirken. Es ist kaum eine Branche zu verzeich­nen, für die das Maßnahmenpaket keine Auswirkungen ha­ben wird. Zu erwarten ist jedoch eine besonders starke Be­troffenheit des Verkehrssektors (Straße, See, Flug), des Im­mobilien-, Bau- und Wärmesektors, der Land- und Forstwirt­schaft und natürlich erwartungsgemäß der Energiewirtschaft.

Umsetzungsstand Die Umsetzung des European Green Deal durch das Fit-for-55-Maßnahmenpaket läuft auf Hochtouren. Erste konkrete Vor­schläge sind auf dem Weg. Bis die Vor­schläge der EU-Kommission den legislati­ven Prozess durchlaufen haben bezie­hungsweise umgesetzt werden, vergehen im Regelfall 18 bis 24 Monate. Allerdings stehen die zu errei­chenden Nettotreibhausgasemissionen der EU bereits fest. Wie der Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Ha­beck in seiner Eröffnungsbilanz Klimaschutz feststellte, müs­se Deutschland die Geschwindigkeit der Emissionsminde­rung verdreifachen, was für unser industriell geprägtes Land eine sehr große Herausforderung ist.

Zum Autor

GH
Dr. Gabriele Haas

Rechtsanwältin und Partnerin bei Dentons Europe LLP am Standort in Frankfurt/Main. Sie ist Mitglied der Praxisgruppe Corporate und konzentriert sich auf Compliance und Regulie­rung sowie Energierecht. Zudem ist sie Mitglied des Beirats beim Institut für Energierecht in Düsseldorf.

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