Der Wandel von Papierakten zur vollständig elektronischen Aktenbearbeitung wurde bei den drei Finanzgerichten in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von 2015 bis Oktober 2019 durchgängig vollzogen.
Die elektronische Akte (E-Akte) bewirkt durch effektivere Kommunikationswege und eine ständige Verfügbarkeit in den gesamten Senats-Teams ein effektiveres Arbeiten, was nicht zuletzt den Beteiligten zugutekommt. Aus der digitalen Aktenführung ergeben sich zudem perspektivisch weitere Erleichterungen bei der Akteneinsicht. Derzeit werden E-Akten als Datenkopie im PDF-Format via USB-Stick zur Verfügung gestellt. Zukünftig wird die Justiz die elektronischen Gerichtsakten noch komfortabler über ein digitales Akteneinsichtsportal zum elektronischen Abruf gemäß § 78 Abs. 2 S. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) bereitstellen.
Technische Ausstattung auf der Höhe der Zeit
Mit Einführung der E-Akte ging eine zeitgemäße technische Ausstattung der Gerichte einher. Großbildschirme in den Sitzungssälen ermöglichen es, digitale Akteninhalte, Rechercheergebnisse und Berechnungen mit den Verfahrensbeteiligten unkompliziert zu teilen. Dank des kostenlosen WLAN im Gerichtsgebäude haben auch die Verfahrensbeteiligten einen Zugriff auf ihren digitalen Aktenbestand. Die Richterschaft ist mit dienstlichen Laptops ausgestattet, mit denen von jedem Ort mit Internetzugang über eine gesicherte Verbindung aus auf das richterliche Dezernat zugegriffen werden kann. Dies ist vor allem in den im Finanzgericht Münster häufig praktizierten Erörterungsterminen von Bedeutung, wenn diese vor Ort im jeweiligen Finanzamt angesetzt werden, um den Beteiligten Zeit- und Reiseaufwand zu ersparen. Während der Lockdown-Phasen in der Corona-Pandemie hat sich die technische Ausstattung in besonderem Maße bewährt, da in sämtlichen Dienstzweigen flexibel Heimarbeit ermöglicht und gleichzeitig eine ständige Erreichbarkeit der Senate sowie eine uneingeschränkte Rechtsschutzgewährung sichergestellt werden konnten. Seit Anfang 2021 verfügen die Finanzgerichte in Nordrhein-Westfalen (NRW) über moderne Videokonferenztechnik, die es Beraterinnen und Beratern und Behördenvertretern ermöglicht, an Erörterungsterminen und mündlichen Verhandlungen mit Standardtechnik (PC oder Tablet mit aktuellem Browser, Webcam und Mikrofon sowie Lautsprecher) vom eigenen Büro aus teilzunehmen. Im Digitalisierungsprozess wird selbstverständein Hauptaugenmerk auf den Datenschutz, die Informationssicherheit und Hochverfügbarkeit der IT-Systeme gelegt. Die Justiz Nordrhein-Westfalens (NRW) betreibt ein landeseigenes Rechenzentrum mit höchsten Sicherheitsstandards.
Digitale Kommunikation – aktueller Stand und Ausblick
Seit 2018 besteht für Verfahrensbeteiligte ein Wahlrecht, Schriftsätze und Dokumente bei Gericht elektronisch einzureichen. Bei Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs gemäß § 52a Abs. 4 FGO via besonderem Anwaltspostfach (beA), besonderem Notarpostfach (beN), absenderbestätigtem De-Mail-Postfach beziehungsweise künftig dem besonderen Steuerberaterpostfach (beSt) sowie dem besonderen Behördenpostfach (beBPo) müssen unterschriftsbedürftige, bestimmende Schriftsätze selbst nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein, da sich der Einsender bereits durch den sicheren Übermittlungsweg eindeutig authentifiziert. Ab 2022 sind Rechtsanwälte und Behörden (Finanzämter und Familienkassen) nach § 52d S. 1 FGO verpflichtet, im elektronischen Rechtsverkehr zu übersenden – sogenannte aktive Nutzungspflicht. Eine Übersendung per Telefax/Computerfax ist dann nicht mehr zulässig. Verfahrensrechtlich unzulässig war und ist bereits seit 2018 die Einreichung von Klagen oder Anträgen per einfacher E-Mail. Dies erscheint insoweit gerechtfertigt, als den praktischen Vorteilen der E-Mail-Kommunikation im Arbeitsalltag ein vergleichsweise niedriges Sicherheitsniveau gegenübersteht. Einen Sonderstatus beim aktiven elektronischen Rechtsverkehr (ERV) behielten zunächst die Steuerberater. Für sie war vom Gesetzgeber anfänglich die absenderbestätigte De-Mail (§ 52a Abs. 4 Nr. 1 FGO) vorgesehen, die sich in der Praxis nicht durchgesetzt hat, da via De-Mail nicht mit den Finanzämtern kommuniziert werden konnte. Insoweit warten die steuerlichen Berater auf das geplante beSt als Bestandteil einer Steuerberaterplattform. Das beSt wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts sowie weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 7. Juli 2021 in § 86d Steuerberatungsgesetz (StBerG) n. F. geregelt und soll mit Wirkung ab 2023 (§ 157e StBerG) eine aktive Nutzungspflicht auslösen. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings die fristgerechte Inbetriebnahme des geplanten beSt im Jahr 2022, da nur dann sämtlichen Steuerberatern ein sicherer Übermittlungsweg gemäß § 52a Abs. 4 Nr. 2 Var. 2 FGO zur Verfügung steht (§ 52d S. 2 FGO). Bereits seit 2018 besteht für Behörden, Rechtsanwälte und Steuerberater die Pflicht, etwaige Zustellungen durch das Gericht im ERV zu ermöglichen – sogenannte passive Nutzungspflicht [vgl. § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 174 Abs. 3 S. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) a. F. (bis Ende 2021 Mussvorschrift) beziehungsweise § 173 Abs. 2 S. 2 ZPO 2022 (Sollvorschrift) beziehungsweise § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO 2023 (Mussvorschrift) i. d. F. des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften, BGBl. I 2021, S. 4607)]. ZPO und FGO sehen insoweit allerdings keine Sanktionen bei einer Missachtung vor. Anders das Berufsrecht: Verstöße gegen die passive Nutzungspflicht gemäß § 31a Abs. 6 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) beziehungsweise § 86d Abs. 6 StBerG n. F. können berufsrechtlich sanktioniert werden. Abgesehen davon droht auch eine Beraterhaftung, wenn Rechtsmittelfristen bei gerichtlichen Zustellungen versäumt werden, weil das elektronische Postfach nicht regelmäßig gesichtet wurde.
Vorteile der Digitalisierung
Somit kann festgehalten werden, dass die Digitalisierung neben den Herausforderungen, die jeder Umstellungsprozess mit sich bringt, vielfältige Vorteile bietet. Dazu zählen eine effizientere, transparente Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten und den Finanzgerichten, sei es beim Schriftsatzwechsel im ERV, durch eine Verbesserung der Lesbarkeit und Durchdringbarkeit von Schriftsätzen und Anlagen oder durch moderne Videokonferenztechnik und Telefonkonferenzlösungen, die bereits im vorbereitenden Verfahren einen zeitgemäßen und ressourcenschonenden Informationsaustausch mit den Verfahrensbeteiligten fördern. Im Sitzungsbetrieb können elektronische Dokumente aus den Akten, Entscheidungen und Fachaufsätze aus juristischen Datenbanken sowie Berechnungen zu den steuerlichen Auswirkungen strittiger Besteuerungsgrundlagen visualisiert und mit den Beteiligten transparent diskutiert und eine gemeinsame Lösung erarbeitet werden. Hinzu kommen erste Erleichterungen bei der Akteneinsicht mit Ausblick auf ein digitales Akteneinsichtsportal. Für die Arbeitsorganisation im Gericht bietet die Digitalisierung Vorteile, indem Kommunikationswege beschleunigt werden und die elektronischen Gerichtsakten in der Senatsarbeit für die Berufsrichter bei der Bearbeitung des Falls stets parallel verfügbar bleiben.