Finanzgerichtliche Verfahren - 3. März 2022

Modernisierung im Steuerrecht

Der Wandel von Papierakten zur vollständig elektronischen Aktenbearbeitung wurde bei den drei Finanzgerichten in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von 2015 bis Oktober 2019 durchgängig vollzogen.

Die elektronische Akte (E-Akte) bewirkt durch effektivere Kommunikations­wege und eine ständige Verfügbarkeit in den gesamten Senats-Teams ein effektiveres Arbeiten, was nicht zuletzt den Beteiligten zugutekommt. Aus der digitalen Aktenführung ergeben sich zudem perspektivisch weitere Erleichte­rungen bei der Akteneinsicht. Derzeit werden E-Akten als Datenkopie im PDF-Format via USB-Stick zur Verfügung gestellt. Zukünftig wird die Justiz die elekt­ronischen Gerichtsakten noch komfortabler über ein digitales Akteneinsicht­sportal zum elektronischen Abruf gemäß § 78 Abs. 2 S. 1 Finanzgerichtsord­nung (FGO) bereitstellen.

Technische Ausstattung auf der Höhe der Zeit

Mit Einführung der E-Akte ging eine zeitgemäße technische Ausstattung der Gerichte einher. Großbildschirme in den Sitzungssälen ermöglichen es, digita­le Akteninhalte, Rechercheergebnisse und Berechnungen mit den Verfah­rensbeteiligten unkompliziert zu teilen. Dank des kostenlosen WLAN im Gerichtsgebäude haben auch die Verfahrensbeteiligten einen Zugriff auf ihren digitalen Aktenbestand. Die Richterschaft ist mit dienstlichen Lap­tops ausgestattet, mit denen von jedem Ort mit Internetzugang über eine gesicherte Verbindung aus auf das richterliche Dezernat zuge­griffen werden kann. Dies ist vor allem in den im Finanzgericht Münster häufig praktizierten Erörterungsterminen von Bedeu­tung, wenn diese vor Ort im jeweiligen Finanzamt angesetzt werden, um den Beteiligten Zeit- und Reiseaufwand zu erspa­ren. Während der Lockdown-Phasen in der Corona-Pandemie hat sich die technische Ausstattung in besonderem Maße be­währt, da in sämtlichen Dienstzweigen flexibel Heimarbeit ermöglicht und gleichzeitig eine ständige Erreichbarkeit der Senate sowie eine unein­geschränkte Rechtsschutzgewährung sichergestellt werden konnten. Seit Anfang 2021 verfügen die Finanzgerichte in Nordrhein-Westfalen (NRW) über moderne Videokonferenztechnik, die es Beraterinnen und Beratern und Behördenvertretern ermöglicht, an Erörterungsterminen und mündli­chen Verhandlungen mit Standardtechnik (PC oder Tablet mit aktuellem Browser, Webcam und Mikrofon sowie Lautsprecher) vom ei­genen Büro aus teilzunehmen. Im Digitalisie­rungsprozess wird selbstverständ­ein Hauptaugenmerk auf den Datenschutz, die Informati­onssicherheit und Hochverfügbarkeit der IT-Systeme gelegt. Die Justiz Nordrhein-Westfalens (NRW) betreibt ein landeseigenes Rechenzentrum mit höchsten Sicherheitsstandards.

Digitale Kommunikation – aktueller Stand und Ausblick

Seit 2018 besteht für Verfahrensbeteiligte ein Wahlrecht, Schriftsätze und Dokumente bei Gericht elektronisch einzurei­chen. Bei Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs gemäß § 52a Abs. 4 FGO via besonderem Anwaltspostfach (beA), be­sonderem Notarpostfach (beN), absenderbe­stätigtem De-Mail-Postfach beziehungswei­se künftig dem besonderen Steuerberater­postfach (beSt) sowie dem besonderen Behördenpostfach (beBPo) müssen un­terschriftsbedürftige, bestimmende Schriftsätze selbst nicht mit einer quali­fizierten elektronischen Signatur verse­hen sein, da sich der Einsender bereits durch den sicheren Übermittlungsweg ein­deutig authentifiziert. Ab 2022 sind Rechtsanwälte und Behör­den (Finanzämter und Familienkassen) nach § 52d S. 1 FGO ver­pflichtet, im elektronischen Rechtsverkehr zu übersenden – so­genannte aktive Nutzungspflicht. Eine Übersendung per Telefax/Computerfax ist dann nicht mehr zulässig. Verfahrensrechtlich unzulässig war und ist be­reits seit 2018 die Einreichung von Klagen oder Anträgen per einfacher E-Mail. Dies erscheint in­soweit gerechtfertigt, als den praktischen Vortei­len der E-Mail-Kommunikation im Arbeitsalltag ein vergleichsweise niedriges Sicherheitsniveau gegenübersteht. Einen Sonderstatus beim ak­tiven elektronischen Rechtsverkehr (ERV) behielten zunächst die Steuerberater. Für sie war vom Gesetzgeber anfänglich die absen­derbestätigte De-Mail (§ 52a Abs. 4 Nr. 1 FGO) vorgesehen, die sich in der Praxis nicht durchgesetzt hat, da via De-Mail nicht mit den Finanzämtern kommuniziert werden konnte. Insoweit warten die steuerlichen Be­rater auf das geplante beSt als Bestandteil ei­ner Steuerberaterplattform. Das beSt wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung des Berufs­rechts sowie weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 7. Juli 2021 in § 86d Steuerberatungsgesetz (StBerG) n. F. gere­gelt und soll mit Wirkung ab 2023 (§ 157e StBerG) eine aktive Nutzungs­pflicht auslösen. Eine Voraus­setzung dafür ist allerdings die fristgerechte Inbetrieb­nahme des geplanten beSt im Jahr 2022, da nur dann sämtli­chen Steuerberatern ein sicherer Übermittlungsweg gemäß § 52a Abs. 4 Nr. 2 Var. 2 FGO zur Verfügung steht (§ 52d S. 2 FGO). Bereits seit 2018 besteht für Behörden, Rechtsanwälte und Steuerberater die Pflicht, etwaige Zustellungen durch das Gericht im ERV zu ermöglichen – sogenannte passive Nutzungs­pflicht [vgl. § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 174 Abs. 3 S. 4 Zivilpro­zessordnung (ZPO) a. F. (bis Ende 2021 Mussvorschrift) bezie­hungsweise § 173 Abs. 2 S. 2 ZPO 2022 (Sollvorschrift) bezie­hungsweise § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO 2023 (Mussvorschrift) i. d. F. des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsver­kehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozess­rechtlicher Vorschriften, BGBl. I 2021, S. 4607)]. ZPO und FGO sehen insoweit al­lerdings keine Sanktionen bei einer Miss­achtung vor. Anders das Berufsrecht: Verstö­ße gegen die passive Nutzungspflicht gemäß § 31a Abs. 6 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) beziehungsweise § 86d Abs. 6 StBerG n. F. können berufsrechtlich sanktio­niert werden. Abgesehen davon droht auch eine Beraterhaftung, wenn Rechtsmittelfris­ten bei gerichtlichen Zustellungen versäumt werden, weil das elektronische Postfach nicht regelmäßig gesichtet wurde.

Vorteile der Digitalisierung

Somit kann festgehalten werden, dass die Digitalisierung neben den Herausforderungen, die jeder Umstellungsprozess mit sich bringt, vielfältige Vorteile bietet. Dazu zählen eine effizientere, transparente Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteilig­ten und den Finanzgerichten, sei es beim Schriftsatzwechsel im ERV, durch eine Verbesserung der Lesbarkeit und Durchdring­barkeit von Schriftsätzen und Anlagen oder durch moderne Vi­deokonferenztechnik und Telefonkonferenzlösungen, die bereits im vorbereitenden Verfahren einen zeitgemäßen und ressour­censchonenden Informationsaustausch mit den Verfahrensbe­teiligten fördern. Im Sitzungsbetrieb können elektronische Do­kumente aus den Akten, Entscheidungen und Fachaufsätze aus juristischen Datenbanken sowie Berechnungen zu den steuerli­chen Auswirkungen strittiger Besteuerungsgrundlagen visuali­siert und mit den Beteiligten transparent diskutiert und eine ge­meinsame Lösung erarbeitet werden. Hinzu kommen erste Er­leichterungen bei der Akteneinsicht mit Ausblick auf ein digita­les Akteneinsichtsportal. Für die Arbeitsorganisation im Gericht bietet die Digitalisierung Vorteile, indem Kommunikationswege beschleunigt werden und die elektronischen Gerichtsakten in der Senatsarbeit für die Berufsrichter bei der Bearbeitung des Falls stets parallel verfügbar bleiben.

Zum Autor

MC
Dr. Martin Coenen

Vizepräsident des Finanzgerichts Münster und Vorsitzender des dortigen 7. Senats

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