Nicht zuletzt aufgrund der Impulse aus der Europäischen Union ist im Bereich nachhaltiger Finanzprodukte eine dynamische Entwicklung zu bemerken, die auf eine bessere und nachhaltigere Ausrichtung unserer Welt hoffen lässt.
Seit einigen Jahren ist ein exponentiell wachsendes Interesse an Sustainable Finance zu verzeichnen, sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in der finanzwissenschaftlichen Literatur. Vor allem die Aktivitäten der Europäischen Kommission, die versucht, durch Regulierungen – auch für die Kapitalmärkte – die Grundlage für die Zielerreichung des Pariser Klimaschutzabkommens zu schaffen, haben zu diesem Interesse beigetragen. Um die internationalen Klimaziele sowie die von den Vereinten Nationen entwickelten Sustainable Development Goals zu erreichen, müssen Kapital von nicht nachhaltigen zu nachhaltigen Geschäftsaktivitäten umgeschichtet und zusätzliche Mittel mobilisiert werden, auch aus dem privaten Sektor. Ich beschäftige mich seit über zehn Jahren in meiner Forschung ausschließlich mit Sustainable Finance, also der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit und Finanzwirtschaft. Bis vor circa drei Jahren bestand ein Teil meiner Tätigkeit darin, Menschen zu erklären, was darunter zu verstehen ist und dass eine nachhaltige Finanzwirtschaft nichts damit zu tun hat, Spenden zu sammeln. Das hat sich inzwischen deutlich geändert.
Was ist überhaupt Sustainable Finance?
Die Deutsche Bundesbank definiert Sustainable Finance auf ihrer Homepage wie folgt: „Sustainable Finance beziehungsweise Nachhaltigkeit im Finanzsystem bezeichnet den Einbezug von Umwelt-, sozialen sowie Unternehmensführungsaspekten in die Entscheidungen von Finanzakteuren.“ Diese Definition wirkt auf den ersten Blick schlüssig. Es sind auf Basis dieser Definition allerdings zwei grundverschiedene Interpretationen möglich, die beide unter dem Begriff Sustainable Finance subsumiert werden, jedoch völlig unterschiedliche Ansätze beschreiben. Der erste Ansatz beschäftigt sich mit der Frage, welche Auswirkungen die Transformation unserer Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit etwa bei Investitionsentscheidungen hat. Ein konkretes Beispiel: Eine Fondsmanagerin beziehungsweise ein Fondsmanager berücksichtigt bei der Aktienauswahl die Konsequenzen des Pariser Klimaschutzabkommens auf die jeweiligen Geschäftsmodelle und kommt zu dem Ergebnis, in Solarenergie, Windräder sowie Tesla-Aktien zu investieren und fossile Brennstoffe lieber zu meiden. Ob er dies aus Gründen der Zielerreichung des Pariser Klimaschutzabkommens unternimmt oder ob er diese Entscheidung trifft, da er als Spekulant auf einen Erfolg des Pariser Klimaschutzabkommens wettet, ist dabei eigentlich unerheblich. Der zweite Ansatz in Sustainable Finance beschäftigt sich damit, ob und wie die Möglichkeiten der Finanzwirtschaft beziehungsweise die Hebel der Kapitalmärkte genutzt werden können, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. In unserem Beispiel bedeutet dies, dass der Fondsmanager wünscht, dass seine Investition direkt dazu führt, dass weniger CO2 emittiert wird und dadurch das Erreichen der Pariser Klimaziele wahrscheinlicher wird. Hier wird er wohl zu dem Ergebnis kommen, dass dies mit dem Kauf einer Tesla-Aktie auf dem Sekundärmarkt schwer zu verargumentieren sein wird. Ich würde den ersten Ansatz daher als ESG-Investing (Environmental, Social, Governance oder Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) bezeichnen und dem Risikomanagement zuordnen. Der zweite Ansatz ist für mich Impact. Wichtig ist aus meiner Sicht bei dieser Differenzierung, dass beide Interpretationen ihre Existenzberechtigung haben. Man sollte bei den Diskussionen über Sustainable Finance nur sichergehen, dass alle Beteiligten auch von demselben sprechen.
Die Evolution von Sustainable Finance
Sustainable Finance war bisher eher ein Nischenphänomen, ein Spezialthema beispielsweise der Kirchen- und Nachhaltigkeitsbanken. Der Grund dafür liegt vermutlich darin, dass die Aktivitäten der Investoren auf freiwilliger Basis stattfanden. Dass Sustainable Finance in den letzten drei Jahren so populär geworden und aus seinem Nischendasein in den Mainstream gerutscht ist, hat hauptsächlich mit politischen Maßnahmen der EU-Kommission zu tun. Hier wurden zahlreiche regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen, die die Ziele von Sustainable Finance für Unternehmen verpflichtend machen. Daher wird es für Unternehmen immer relevanter, sich mit den aktuellen Entwicklungen auf diesem Gebiet zu beschäftigen. Spannend dabei ist, dass sich bei der Entwicklung drei Stufen beobachten ließen, die die Sustainable-Finance-Community in einer Art Lernprozess durchlaufen hat. In einem gemeinsamen Aufsatz haben mein Kollege von der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance, Timo Busch, neun weitere europäische Kollegen und ich dies als Sustainable Finance 1.0, 2.0 und 3.0 bezeichnet.
Sustainable Finance 1.0
Dabei verstehen wir unter Sustainable Finance 1.0 die Anfangsphase, in der Finanzakteure begannen, Finanzmärkte und Investitionen mit sozialen und ökologischen Herausforderungen in Verbindung zu bringen. Dies führt meist zu der Einführung von Ausschlusskriterien mit dem Ziel, nicht in Unternehmen zu investieren, die weder nachhaltig noch ethisch agieren. Die Idee ist, unerwünschte Geschäftsaktivitäten nicht finanziell zu unterstützen. Dabei war eine Änderung der fraglichen Unternehmenstätigkeiten nicht das Hauptziel dieses Ansatzes.
Sustainable Finance 2.0
Während der nächsten Stufe, Sustainable Finance 2.0, wurde der Begriff ESG geprägt. Anstatt ganze Branchen aus dem Investmentuniversum auszuschließen, kam die Idee auf, gezielt in die nachhaltigsten Unternehmen jeder Branche zu investieren. Voraussetzung dafür war allerdings, Nachhaltigkeit messbar zu machen. Spezialisierte Ratingagenturen begannen, die Umwelt-, Sozial- und Governance- Leistung börsennotierter Unternehmen zu quantifizieren. Der Bereich der nachhaltigen Investments beendete sein Nischendasein, als sich bei den Portfoliomanagern der Verdacht erhärtete, dass ESG-Daten nicht nur aus ethischer, sondern auch aus finanzieller Sicht relevant sind. Die oben angesprochenen Auswirkungen der Transformation unserer Wirtschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit bieten für Unternehmen bestimmte Risiken (und Chancen); viele Akteure auf den Finanzmärkten bekamen den Eindruck, dass ESG-Daten dabei helfen, diese Risiken zu berücksichtigen. Das Mainstreaming von Sustainable Finance hatte begonnen. Meine Interpretation ist, dass bis zu diesem Punkt mein erster Vorschlag einer Definition von Sustainable Finance der tragende war: Welche Auswirkungen hat die Transformation unserer Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen?
Sustainable Finance 3.0
Momentan beobachten wir in der Sustainable-Finance- Community ein substanzielles Weiterdenken. Es stellt sich die Frage nach dem Sinn. Tragen nachhaltige Investments zu einer besseren Welt bei? Diese Überlegungen, die Frage nach dem Impact, bezeichnen wir als Sustainable Finance 3.0 und führen zu meiner zweiten Definition von Sustainable Finance: Wie können die Möglichkeiten der Finanzwirtschaft genutzt werden, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?
Wie hellgrün ist Greenwashing?
Dass Sustainable Finance mittlerweile selbstverständlich ist, ist absolut begrüßenswert. Ich gehe aber davon aus, dass wir in nächster Zeit zahlreiche, durchaus auch kontroverse Diskussionen führen werden. Ein Umstand, der uns mit Sicherheit in nächster Zeit öfter begegnen wird, ist Greenwashing. Was darf sich nachhaltig nennen und was nicht? Wo hört hellgrün auf und wo fängt Greenwashing an? Einen Vorgeschmack darauf haben wir in den letzten Wochen bereits erhalten: Die Diskussion um Atomkraft und Gas in der EU-Taxonomie hat zu einem enormen Medienecho geführt. Auch nachhaltige Geldanlagen sind gerade immer wieder in der Kritik: Eine Studie der Nichtregierungsorganisation (NGO) Finanzwende sowie eine weitere Studie der NGO Facing Finance untersuchten die Nachhaltigkeit von Investmentfonds und verwiesen auf vermeintliches Greenwashing im großen Stil. Der Begriff Greenwashing, der bis jetzt noch gar nicht definiert ist, wird derzeit inflationär verwendet. Ein zentrales Problem bei diesen Diskussionen ist, dass oft die beiden oben dargestellten Definitionen von Sustainable Finance verwechselt oder in einen Topf geworfen werden. Die meisten Fonds, die das Label der Nachhaltigkeit tragen, berücksichtigen Nachhaltigkeitsrisiken bei der Portfoliooptimierung und investieren dann eben in die vermeintlich nachhaltigsten Unternehmen einer Branche, beispielsweise der Autobranche. Und dies ist das, was beide Studien kritisieren: Dass Branchen in den Fonds berücksichtigt werden, die aus Sicht der Autoren nicht nachhaltig sind. Die implizite Forderung der Autoren ist also, dass Nachhaltigkeitsfonds den Anspruch haben müssen, Impact zu erzeugen, während die meisten Fonds lediglich Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen. Die Diskussion über Greenwashing ist wichtig. Schließlich geht es um die Frage, was wir unter Sustainable Finance verstehen, und vor allem, was wir von Sustainable Finance erwarten dürfen.
Regulierungen stehen vor der Tür
Natürlich werden die kommenden Monate auch von der Regulierung geprägt werden, die für Sustainable Finance gültig wird. Im Privatkundengeschäft wird MiFID II (Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 21.04.2004 über Märkte für Finanzinstrumente) sicher große Auswirkungen haben. Spätestens ab August 2022 müssen die Kundenberater ihre Kunden fragen, wie es um ihre Nachhaltigkeitspräferenzen bestellt ist. Auf der Basis unserer Forschung gehen wir davon aus, dass dies zu deutlichen Zuwächsen bei der Nachfrage für nachhaltige Finanzprodukte führen wird. So konnten wir in einer Studie zeigen, dass bisher nachhaltige Finanzprodukte bei Beratungsgesprächen eher selten angeboten werden, da die Berater unter anderem keine Nachfrage ihrer Kunden wahrnehmen. Gleichzeitig wissen wir jedoch aus einer anderen repräsentativen Studie, dass rund 50 Prozent der privaten Haushalte in Deutschland Interesse an nachhaltigen Finanzprodukten haben und viele bedauern, noch kein entsprechendes Angebot von ihrer Bank erhalten zu haben. Offenbar haben also Kunden Interesse an nachhaltigen Geldanlagen, die Kundenberater haben die passenden Produkte dazu, aber es wurde bisher bei den Beratungsgesprächen kaum thematisiert. Dies wird sich spätestens ab August ändern.
Weiterentwicklung der Taxonomie
Für die Finanz- und Realwirtschaft wird die Weiterentwicklung und das Inkrafttreten der Taxonomie die größte Bedeutung haben. Die kontroverse Diskussion, die wir gerade über die Einstufung von Gas- und Atomenergie als klimafreundlich in der Taxonomie erleben, ist nur ein Vorbote für weitere spannende Debatten. 2022 werden weitere Entwicklungen der Taxonomie diskutiert werden. Es wird eine soziale Taxonomie entwickelt, außerdem werden weitere Umweltziele wie Biodiversität und Kreislaufwirtschaft adressiert. Auch hier wird es sicher noch viele kontroverse Verhandlungen geben. Gleichzeitig wird die Realwirtschaft versuchen, die Daten, die die Taxonomie fordert, zu liefern. Aus Gesprächen mit DAX-Unternehmen weiß ich, dass der Aufwand, der für die Datengenerierung entsteht, enorm sein kann. Außerdem fürchte ich, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland noch gar nicht erkannt haben, dass sie auch betroffen sind. Falls sie nicht direkt Daten publizieren müssen, wird vielleicht ihre Hausbank nach der Taxonomiekonformität fragen.
Fazit
Zusammenfassend ist die dynamische Entwicklung in Sustainable Finance erfreulich, auch für diejenigen unter uns, die sich dadurch eine nachhaltige Ausrichtung unserer Welt erhoffen. Ich bin weiterhin der Auffassung, dass beispielsweise die Taxonomie das Potenzial hat, einen großen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu leisten.