Sustainable Finance - 24. März 2022

Für eine bessere Welt

Nicht zuletzt aufgrund der Impulse aus der Europäischen Union ist im Bereich nachhaltiger Finanzprodukte eine dynamische Entwicklung zu bemerken, die auf eine bessere und nachhaltigere Ausrichtung unserer Welt hoffen lässt.

Seit einigen Jahren ist ein exponentiell wachsendes Inter­esse an Sustainable Finance zu verzeichnen, sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in der finanzwissen­schaftlichen Literatur. Vor allem die Aktivitäten der Europäi­schen Kommission, die versucht, durch Regulierungen – auch für die Kapitalmärkte – die Grundlage für die Zielerrei­chung des Pariser Klimaschutzabkommens zu schaffen, ha­ben zu diesem Interesse beigetragen. Um die internationalen Klimaziele sowie die von den Vereinten Nationen entwickel­ten Sustainable Development Goals zu erreichen, müssen Ka­pital von nicht nachhaltigen zu nachhaltigen Geschäftsaktivi­täten umgeschichtet und zusätzliche Mittel mobilisiert wer­den, auch aus dem privaten Sektor. Ich beschäftige mich seit über zehn Jahren in meiner Forschung ausschließlich mit Sustainable Finance, also der Schnittstelle zwischen Nach­haltigkeit und Finanzwirtschaft. Bis vor circa drei Jahren be­stand ein Teil meiner Tätigkeit darin, Menschen zu erklären, was darunter zu verstehen ist und dass eine nachhaltige Fi­nanzwirtschaft nichts damit zu tun hat, Spenden zu sammeln. Das hat sich inzwischen deutlich geändert.

Was ist überhaupt Sustainable Finance?

Die Deutsche Bundesbank definiert Sustainable Finance auf ih­rer Homepage wie folgt: „Sustainable Finance beziehungswei­se Nachhaltigkeit im Finanzsystem bezeichnet den Einbezug von Umwelt-, sozialen sowie Unternehmensführungsaspekten in die Entscheidungen von Finanzakteuren.“ Diese Definition wirkt auf den ersten Blick schlüssig. Es sind auf Basis dieser Definition allerdings zwei grundverschiedene Interpretationen möglich, die beide unter dem Begriff Sustainable Finance sub­sumiert werden, jedoch völlig unterschiedliche Ansätze be­schreiben. Der erste Ansatz beschäftigt sich mit der Frage, wel­che Auswirkungen die Transformation unserer Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit etwa bei Investitionsentscheidungen hat. Ein konkretes Beispiel: Eine Fondsmanagerin beziehungsweise ein Fondsmanager berücksichtigt bei der Aktienauswahl die Konsequenzen des Pariser Klimaschutzabkommens auf die je­weiligen Geschäftsmodelle und kommt zu dem Ergebnis, in So­larenergie, Windräder sowie Tesla-Aktien zu investieren und fossile Brennstoffe lieber zu meiden. Ob er dies aus Gründen der Zielerreichung des Pariser Klimaschutzabkommens unter­nimmt oder ob er diese Entscheidung trifft, da er als Spekulant auf einen Erfolg des Pariser Klimaschutzabkommens wettet, ist dabei eigentlich unerheblich. Der zweite Ansatz in Sustainable Finance beschäftigt sich damit, ob und wie die Möglichkeiten der Finanzwirtschaft beziehungsweise die Hebel der Kapitalmärkte genutzt werden können, um Nachhaltigkeitsziele zu errei­chen. In unserem Beispiel bedeutet dies, dass der Fondsmanager wünscht, dass sei­ne Investition direkt dazu führt, dass weni­ger CO2 emittiert wird und dadurch das Er­reichen der Pariser Klimaziele wahrscheinli­cher wird. Hier wird er wohl zu dem Ergeb­nis kommen, dass dies mit dem Kauf einer Tesla-Aktie auf dem Sekundärmarkt schwer zu verargumentieren sein wird. Ich würde den ersten Ansatz daher als ESG-Investing (Environ­mental, Social, Governance oder Umwelt, Soziales und Unter­nehmensführung) bezeichnen und dem Risikomanagement zu­ordnen. Der zweite Ansatz ist für mich Impact. Wichtig ist aus meiner Sicht bei dieser Differenzierung, dass beide Interpreta­tionen ihre Existenzberechtigung haben. Man sollte bei den Diskussionen über Sustainable Finance nur sichergehen, dass alle Beteiligten auch von demselben sprechen.

Die Evolution von Sustainable Finance

Sustainable Finance war bisher eher ein Nischenphänomen, ein Spezialthema beispielsweise der Kirchen- und Nachhal­tigkeitsbanken. Der Grund dafür liegt vermutlich darin, dass die Aktivitäten der Investoren auf freiwilliger Basis stattfan­den. Dass Sustainable Finance in den letzten drei Jahren so populär geworden und aus seinem Nischendasein in den Mainstream gerutscht ist, hat hauptsächlich mit politischen Maßnahmen der EU-Kommission zu tun. Hier wurden zahl­reiche regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen, die die Ziele von Sustainable Finance für Unternehmen ver­pflichtend machen. Daher wird es für Unternehmen immer relevanter, sich mit den aktuellen Entwicklungen auf diesem Gebiet zu beschäftigen. Spannend dabei ist, dass sich bei der Entwicklung drei Stufen beobachten ließen, die die Sustaina­ble-Finance-Community in einer Art Lernprozess durchlau­fen hat. In einem gemeinsamen Aufsatz haben mein Kollege von der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance, Timo Busch, neun weitere europäische Kollegen und ich dies als Sustainable Finance 1.0, 2.0 und 3.0 bezeichnet.

Sustainable Finance 1.0

Dabei verstehen wir unter Sustainable Finance 1.0 die An­fangsphase, in der Finanzakteure begannen, Finanzmärkte und Investitionen mit sozialen und ökologischen Herausfor­derungen in Verbindung zu bringen. Dies führt meist zu der Einführung von Ausschlusskriterien mit dem Ziel, nicht in Unternehmen zu investieren, die weder nachhaltig noch ethisch agieren. Die Idee ist, unerwünsch­te Geschäftsaktivitäten nicht finanziell zu unterstützen. Dabei war eine Änderung der fraglichen Unternehmenstätigkeiten nicht das Hauptziel dieses Ansatzes.

Sustainable Finance 2.0

Während der nächsten Stufe, Sustainable Finance 2.0, wurde der Begriff ESG ge­prägt. Anstatt ganze Branchen aus dem In­vestmentuniversum auszuschließen, kam die Idee auf, gezielt in die nachhaltigsten Unternehmen jeder Branche zu investieren. Voraussetzung dafür war allerdings, Nachhaltigkeit messbar zu machen. Spezialisierte Rating­agenturen begannen, die Umwelt-, Sozial- und Governance- Leistung börsennotierter Unternehmen zu quantifizieren. Der Bereich der nachhaltigen Investments beendete sein Ni­schendasein, als sich bei den Portfoliomanagern der Ver­dacht erhärtete, dass ESG-Daten nicht nur aus ethischer, sondern auch aus finanzieller Sicht relevant sind. Die oben angesprochenen Auswirkungen der Transformation unserer Wirtschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit bieten für Unter­nehmen bestimmte Risiken (und Chancen); viele Akteure auf den Finanzmärkten bekamen den Eindruck, dass ESG-Daten dabei helfen, diese Risiken zu berücksichtigen. Das Main­streaming von Sustainable Finance hatte begonnen. Meine Interpretation ist, dass bis zu diesem Punkt mein erster Vor­schlag einer Definition von Sustainable Finance der tragende war: Welche Auswirkungen hat die Transformation unserer Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen?

Sustainable Finance 3.0

Momentan beobachten wir in der Sustainable-Finance- Community ein substanzielles Weiterdenken. Es stellt sich die Frage nach dem Sinn. Tragen nachhaltige Investments zu einer besseren Welt bei? Diese Überlegungen, die Frage nach dem Impact, bezeichnen wir als Sustainable Finance 3.0 und führen zu meiner zweiten Definition von Sustainab­le Finance: Wie können die Möglichkeiten der Finanzwirt­schaft genutzt werden, um Nachhaltigkeitsziele zu errei­chen?

Wie hellgrün ist Greenwashing?

Dass Sustainable Finance mittlerweile selbstverständlich ist, ist absolut begrüßenswert. Ich gehe aber davon aus, dass wir in nächster Zeit zahlreiche, durchaus auch kontroverse Dis­kussionen führen werden. Ein Umstand, der uns mit Sicher­heit in nächster Zeit öfter begegnen wird, ist Greenwashing. Was darf sich nachhaltig nennen und was nicht? Wo hört hellgrün auf und wo fängt Greenwashing an? Einen Vorge­schmack darauf haben wir in den letzten Wochen bereits er­halten: Die Diskussion um Atomkraft und Gas in der EU-Ta­xonomie hat zu einem enormen Medienecho geführt. Auch nachhaltige Geldanlagen sind gerade immer wieder in der Kritik: Eine Studie der Nichtregierungsorganisation (NGO) Finanzwende sowie eine weitere Studie der NGO Facing Fi­nance untersuchten die Nachhaltigkeit von Investmentfonds und verwiesen auf vermeintliches Greenwashing im großen Stil. Der Begriff Greenwashing, der bis jetzt noch gar nicht definiert ist, wird derzeit inflationär verwendet. Ein zentrales Problem bei diesen Diskussionen ist, dass oft die beiden oben dargestellten Definitionen von Sustainable Finance ver­wechselt oder in einen Topf geworfen werden. Die meisten Fonds, die das Label der Nachhaltigkeit tragen, berücksichti­gen Nachhaltigkeitsrisiken bei der Portfoliooptimierung und investieren dann eben in die vermeintlich nachhaltigsten Un­ternehmen einer Branche, beispielsweise der Autobranche. Und dies ist das, was beide Studien kritisieren: Dass Bran­chen in den Fonds berücksichtigt werden, die aus Sicht der Autoren nicht nachhaltig sind. Die implizite Forderung der Autoren ist also, dass Nachhaltigkeitsfonds den Anspruch haben müssen, Impact zu erzeugen, während die meisten Fonds lediglich Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen. Die Diskussion über Greenwashing ist wichtig. Schließlich geht es um die Frage, was wir unter Sustainable Finance verste­hen, und vor allem, was wir von Sustainable Finance erwar­ten dürfen.

Regulierungen stehen vor der Tür

Natürlich werden die kommenden Monate auch von der Re­gulierung geprägt werden, die für Sustainable Finance gül­tig wird. Im Privatkundengeschäft wird MiFID II (Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 21.04.2004 über Märkte für Finanzinstrumente) sicher gro­ße Auswirkungen haben. Spätestens ab August 2022 müssen die Kundenberater ihre Kunden fragen, wie es um ihre Nach­haltigkeitspräferenzen bestellt ist. Auf der Basis unserer For­schung gehen wir davon aus, dass dies zu deutlichen Zu­wächsen bei der Nachfrage für nachhaltige Finanzprodukte führen wird. So konnten wir in einer Studie zeigen, dass bis­her nachhaltige Finanzprodukte bei Beratungsgesprächen eher selten angeboten werden, da die Berater unter ande­rem keine Nachfrage ihrer Kunden wahrnehmen. Gleichzei­tig wissen wir jedoch aus einer anderen repräsentativen Stu­die, dass rund 50 Prozent der privaten Haushalte in Deutsch­land Interesse an nachhaltigen Finanzprodukten haben und viele bedauern, noch kein entsprechendes Angebot von ihrer Bank erhalten zu haben. Offenbar haben also Kunden Inter­esse an nachhaltigen Geldanlagen, die Kundenberater haben die passenden Produkte dazu, aber es wurde bisher bei den Beratungsgesprächen kaum thematisiert. Dies wird sich spä­testens ab August ändern.

Weiterentwicklung der Taxonomie

Für die Finanz- und Realwirtschaft wird die Weiterentwick­lung und das Inkrafttreten der Taxonomie die größte Bedeu­tung haben. Die kontroverse Diskussion, die wir gerade über die Einstufung von Gas- und Atomenergie als klimafreundlich in der Taxonomie erleben, ist nur ein Vorbote für weitere spannende Debatten. 2022 werden weitere Entwicklungen der Taxonomie diskutiert werden. Es wird eine soziale Taxo­nomie entwickelt, außerdem werden weitere Umweltziele wie Biodiversität und Kreislaufwirtschaft adressiert. Auch hier wird es sicher noch viele kontroverse Verhandlungen ge­ben. Gleichzeitig wird die Realwirtschaft versuchen, die Da­ten, die die Taxonomie fordert, zu liefern. Aus Gesprächen mit DAX-Unternehmen weiß ich, dass der Aufwand, der für die Datengenerierung entsteht, enorm sein kann. Außerdem fürchte ich, dass viele kleine und mittelständische Unterneh­men in Deutschland noch gar nicht erkannt haben, dass sie auch betroffen sind. Falls sie nicht direkt Daten publizieren müssen, wird vielleicht ihre Hausbank nach der Taxonomie­konformität fragen.

Fazit

Zusammenfassend ist die dynamische Entwicklung in Sustai­nable Finance erfreulich, auch für diejenigen unter uns, die sich dadurch eine nachhaltige Ausrichtung unserer Welt er­hoffen. Ich bin weiterhin der Auffassung, dass beispielsweise die Taxonomie das Potenzial hat, einen großen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu leisten.

Zum Autor

CK
Prof. Dr. Christian Klein

Professor am Lehrstuhl für Sustainable Finance an der Universität Kassel

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