Ein Aufsichtsratsmandat war bisher Ehre und Berufung. Nun werden zunehmend fachliche Expertise und berufliche Erfahrung gefordert.
Die Tätigkeit eines Aufsichtsrats und damit die Herausforderungen an ein Aufsichtsratsmitglied haben sich in den letzten zehn Jahren deutlich verändert: organisatorisch, funktionell, personell und in den meisten Fällen auch finanziell. So war seinerzeit, zumindest bei den nicht am Kapitalmarkt orientierten Gesellschaften, ein Aufsichtsratsmandat mehr eine Ehre und Berufung als ein Beruf. Die Besetzung erfolgte nicht selten weniger nach fachlichen Eignungsgesichtspunkten als nach persönlicher Nähe, Vertrautheit und gegebenenfalls auch Nützlichkeit aus der Sicht der Gesellschaft.
Eignung statt Ehre
Die neue Generation Aufsichtsrat ist dagegen nicht nur professioneller aufgestellt. Sie nimmt ihre organisatorische Stellung im Rahmen der jeweiligen Corporate Governance deutlich bewusster wahr und wird dafür zunehmend auch, zumindest annähernd, adäquat vergütet. Eignung statt Ehre kann man als Kriterium formulieren. Konsequenterweise ist damit auch der Wechsel von Berufung zu Bezahlung verbunden.
Die Steuerberater waren seit jeher zumindest im Mittelstand und in Familienunternehmen, unabhängig von deren Größe, gefragte Kandidaten für Aufsichtsrats- und Beiratsmandate. Neben der Vertrautheit mit der Gesellschaft und dem Vertrauen der Gesellschafter können dabei immer schon auch Nützlichkeitsüberlegungen eine Rolle gespielt haben, wenn der eigene Steuerberater in den Aufsichtsrat berufen wurde. Diese Einstellung war richtig und zukunftsgerichtet. Dies wird nicht zuletzt durch die nunmehr durch europäisches Recht angeregte, in das deutsche Gesetz aufgenommene Bestellungsverpflichtung von Financial Experts bestätigt. Von diesen wird „Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung“ (§ 100 Abs. 5 Aktiengesetz) verlangt. Gleichzeitig aber werden in der nationalen wie internationalen Corporate-Governance-Diskussion zunehmend auch unabhängige Aufsichtsratsmitglieder gefordert: Unabhängigkeit im Sinne dieser Aufsichtsratsqualifikation liegt vor, wenn keine aktuellen und vergangenen vertraglichen Beziehungen zur Gesellschaft bestehen.
Herausforderung
Die Kombination aus fachlicher Qualifikation und Unabhängigkeit ist damit die Herausforderung für Berufsträger, die sich mit der Übernahme eines Aufsichtsratsmandats beschäftigen.
Diese Auseinandersetzung in eigener Sache ist nicht neu, war sie doch schon immer von der Beantwortung einer bilateralen Gewissensfrage abhängig: Bekomme ich das Mandat wegen meiner gleichzeitigen Tätigkeit als Steuerberater der Gesellschaft angeboten? Und: Übernehme ich das Aufsichtsratsmandat (auch), um mein Mandat mit der Gesellschaft langfristig abzusichern? Unstreitig sind daher Mandate, die von und für Gesellschaften angetragen werden, mit denen keinerlei Beratervertrag beziehungsweise -verhältnis besteht und zukünftig auch nicht eingegangen werden soll. Derartige Anfragen werden unter Berücksichtigung der angesprochenen Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit zumindest in Zukunft steigen. Der Berufsstand kann und sollte sich dieser Herausforderung stellen und die Bemühungen unterstützen, die Aufsichtsräte gerade auch in mittelständischen und kleineren Kapitalgesellschaften zu einem Sparringspartner der Geschäftsführung beziehungsweise des Vorstands werden zu lassen. Allerdings bedarf es insoweit einer klaren Abkoppelung von den ureigenen beruflichen Interessen. Ein solches Mandat und dessen Annahme sind nicht als Add-on sondern als Aliud zu sehen und zu verantworten.
Gewissensfrage
Deutlich schwieriger war und ist die Entscheidung über die Beibehaltung beziehungsweise Annahme eines Aufsichtsrats- oder Beiratspostens in einer Gesellschaft, für die der Mandatsträger auch und häufig vorrangig beruflich tätig ist. Die Zweiseitigkeit der aufgeworfenen Gewissensfrage kehrt sich außerhalb von Schönwetterperioden, namentlich in der Krise des Unternehmens, sehr schnell in eine möglicherweise existenzielle Prüfung um – sei es für die Gesellschaft, sei es für den Steuerberater in seiner Doppelfunktion. Die durchgängig von jedem Aufsichtsratsmitglied geforderte uneingeschränkte Verpflichtung, bei all seinem Handeln zum Wohle der von ihm überwachten und damit mit überantworteten Gesellschaft zu handeln, zeigt in diesen Situationen die beiden Seiten der Medaille. Im laufenden Geschäft einer Gesellschaft lassen sich potenzielle, begrenzte Interessenkonflikte einvernehmlich regeln beziehungsweise durch den jeweils verantwortungsvoll handelnden Mandatsträger gestalten: Eine gewisse Schizophrenie, wie die Mediziner eine entsprechende Geistesspaltung bezeichnen, ist dem Amt jedes Aufsichtsratsmitglieds inhärent, soweit er in seinem Hauptberuf zumindest eine gewisse Affinität oder sogar eine vertragliche Bindung zur überwachten Gesellschaft hat. Unter Berücksichtigung der berufs- wie aktienrechtlich bestehenden Grenzen wird jeder Steuerberater und Wirtschaftsprüfer höchst sorgfältig nicht nur auf deren Einhaltung, sondern darüber hinaus schon auf die Vermeidung jedes Verdachts einer entsprechenden Interessenkollision achten.
Die persönlichen Herausforderungen, die vor der Übernahme eines Aufsichtsratsmandats durch einen Berufsträger zu berücksichtigen sind, haben sich im Einzelnen nicht so sehr gewandelt. Gewandelt aber hat sich die deutlich kritischere Haltung und Einschätzung der eigenen und unabhängigen Leistung, welche heute im Interesse und zum Wohle der beauftragenden Gesellschaft geleistet werden soll beziehungsweise muss.
Innere Unabhängigkeit
Wer sich die aufgeworfenen Gewissensfragen nicht immer wieder selbst stellt, der sollte sich vom Amt verabschieden.
Dennoch bleibt neben der hier vorrangig thematisierten äußeren Unabhängigkeit die innere Unabhängigkeit das bei Weitem bedeutsamste Eignungskriterium für verantwortungsbewusste Aufsichtsratsmitglieder. Wer sich die aufgeworfenen Gewissensfragen nicht immer wieder selbst stellt und, weit wichtiger, offen und ehrlich sich selbst beantwortet, der sollte sich vom Amt verabschieden beziehungsweise der Übernahme eines solchen fernbleiben, und zwar zum Selbstschutz wie Fremdnutzen.
Fazit
Die Übernahme eines Aufsichts- oder Beiratsmandats sollte zukünftig – wie schon in der Vergangenheit – (auch) zu den üblichen und erwünschten Tätigkeiten jedes Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers zählen. Deren fachliche Expertise und die berufliche Erfahrung werden zunehmend von den Trägern solcher Überwachungsmandate nicht nur gefordert, sondern auch von den zu Überwachenden sowie deren Prinzipalen verlangt, um auf Augenhöhe zu diskutieren und die Gesellschaft beraten zu können. Dabei sollte auf beiden Seiten aber nicht der Beratungsnutzen im Sinne anderweitig ersparter respektive zusätzlicher betrieblicher Aufwendungen gesehen werden, sondern die angemessen zu vergütende, fachlich qualifizierte Zusammenarbeit und kritische Kontrolle nach dem Fremdvergleichsgrundsatz ,at arm’s length’.