Vertrauensschutz für Syndikusanwälte - 18. Dezember 2014

Klärungsbedarf

Die Befreiung an­ge­stell­ter Rechts­an­wälte von der Ver­si­che­rungs­pflicht wirft nicht nur Fragen für die Zukunft auf. Völlig offen ist auch, ob die be­trof­fe­nen Kol­le­gen auf die Be­stands­kraft ihrer Be­scheide aus der Ver­gan­gen­heit vertrauen können.

Nach den spektakulären und mittlerweile mit Verfassungsbeschwerden angefochtenen (1 BvR 2534/14 und 1 BvR 2584/14) Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. April 2014, dass Syndikusanwälte grundsätzlich nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten­ver­si­che­rung befreit werden können, sind so viele Fragen zu beantworten, dass es manchmal schwierig ist, hier den Überblick zu behalten. Mit diesem Beitrag soll versucht werden, den Status quo kurz festzuhalten und einen Ausblick zu wagen.

Aufarbeitung der Vergangenheit

Die Urteile vom 3. April 2014 ergingen zu Fällen, bei denen über einen Erst­an­trag der Rechts­an­wäl­te auf Be­frei­ung zu ent­schei­den war. Doch Syn­di­kus­an­wälte gibt es seit dem 19. Jahr­hun­dert, und sie sind seit den 80er-Jahren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts mit der Schaf­fung der Ver­sor­gungs­werke auch zu Tau­sen­den von der Ver­si­che­rungs­pflicht befreit worden. Das BSG hat also eine 30-jährige Praxis – zumindest vorläufig – beendet, ohne sich Gedanken machen zu müssen, wie die Vergangenheit aufgearbeitet wird. Die Deutsche Ren­ten­ver­si­che­rung (DRV) Bund hat daher – auch aufgrund des großen Drucks – vor Kurzem eine Ver­trauens­schutz- und Über­gangs­re­ge­lung präsentiert, die aber auch viele Antworten schuldig bleibt.
Deshalb sollten schon jetzt sowohl Arbeitgeber wie auch betroffene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte handeln, wenn sie auch mit der Stellung von Anträgen sehr vorsichtig sein sollten. Notwendig ist es allerdings, sich als Arbeitgeber einen Überblick über die Befreiungslage seiner Anwälte (und dabei aller befreiten Freiberufler) zu verschaffen und die Sachlage aufzuarbeiten, um jetzt – nach Veröffentlichung der mit Spannung erwarteten DRV-Regelung – rasch handeln zu können. Und jeder potenziell betroffene Anwalt sollte in seinen Unterlagen nachsehen, ob er alle Be­frei­ungs­unter­lagen griffbereit hat – auch eventuelle alte Korrespondenz.

Die Rasenmähermethode, alles gleichzubehandeln, wird nicht funktionieren, denn die Fall­ge­stal­tun­gen sind unglaublich vielschichtig. Abwarten, bis man weiß, was DRV und Gesetzgeber machen, das war und ist jetzt der richtige Weg. Denn in einem Punkt hat die DRV recht: Wer jetzt einen Antrag stellt, der muss nach den BSG-Entscheidungen einen ablehnenden Bescheid erhalten und Rechtsmittel einlegen. Sinnvoll ist das aber nicht.

Positive Altbescheide

Bewusst offengelassen hat das BSG die Frage, wie mit Befreiungen um­zu­gehen ist, die vor dem 1. Januar 1996 ausgesprochen wurden. Denn erst zum 1. Januar 1996 trat der § 6 Sozialgesetzbuch (SGB) VI in der jetzigen Fassung in Kraft, folgte die Umstellung von der personen- auf die tätigkeitsbezogene Befreiung. Wie ist also mit alten personenbezogenen Befreiungen um­zu­gehen, die für eine anwaltliche Tätigkeit, wo auch immer, erfolgten? Hier kann man sehr gut argumentieren, dass die Befreiung auf Dauer Gültigkeit hat, solange eine Zulassung und eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk besteht (siehe dazu auch Becker, Zeitschrift für Arbeitsrecht [ZfA], 2014, S. 87 ff.). Das geht sehr weit, ist aber der Gesetzeslage geschuldet. Diese Befreiung bleibt auch erhalten, wenn danach etwa weitere Befreiungen ausgesprochen wurden und jetzt ein neuer Wechsel ansteht.

Verwaltungspraxis der DRV

Sehr unterschiedlich waren auch die Bescheide der DRV in der Vergangenheit ausgestaltet. So gab es lange Bescheide, in denen der Arbeitgeber überhaupt nicht benannt wurde, sondern die Befreiung als „Rechtsanwalt“ – gemeint dann als angestellter Rechtsanwalt – ausgesprochen wurde. Durften sich Anwalt und Arbeitgeber, auch bei einem Arbeitgeberwechsel, dann nicht darauf verlassen? Insbesondere auch bis zum 31. Oktober 2012, als das BSG erstmals klar und deutlich feststellte, dass bei einem Arbeitgeberwechsel ein neuer Antrag zu stellen sei. Hier muss die Vergangenheit betrachtet und entsprechend gewürdigt werden.
Und in der Praxis sind die Fälle gar nicht so selten, dass ein Anwalt aus einer Abteilung bei der DRV anrief und fragte, wie er bei einer neuen Tätigkeit mit seiner Befreiung umzugehen habe, und dann erfuhr, dass er eigentlich gar nichts tun müsse, schließlich sei er ja befreit. Will man Kollegen in gleicher Funktion dann wirklich ankreiden, dass sie nicht mehr tätig geworden sind? Daher muss auch die Verwaltungspraxis eine Berücksichtigung finden, hier alles nur an den Urteilen des BSG vom 3. April 2014 zu messen, ist mit einem rechtsstaatlichen Verständnis schwer in Einklang zu bringen.

Wesentlicher Tätigkeitswechsel

Eine Befreiung verliert ihre Wirkung, wenn eine wesentliche Änderung der Tätigkeit erfolgt.

Völlig offen ist die Frage, wie weit eine Be­frei­ung reicht. Ohne eine ge­setz­liche Neu­re­ge­lung ist klar, dass bei einem vom An­walt vor­ge­nom­me­nen Ar­beit­ge­ber­wechsel ein neuer Antrag zu stellen ist – sieht man einmal von den Fällen einer Be­frei­ung vor 1996 ab. Dies umfasst nicht Be­triebs­über­gänge, Um­fir­mie­rungen und so weiter; denn hier geht der Ar­beit­ge­ber­wechsel nicht vom Ar­beit­nehmer, sondern vom Unter­nehmen aus. Das sieht wohl auch die DRV so. Ob das aber auch für Fälle gilt, in denen der Ar­beit­geber die Rechts­ab­tei­lung bei­spiels­weise bei der AG statt bei einer GmbH ansiedelt, all das ist völlig offen.
Eine Befreiung verliert ihre Wirkung für die Zukunft, wenn eine wesentliche Änderung der Tätigkeit erfolgt (siehe § 48 SGB X). Was darunter zu verstehen ist, das wird eine der großen Rechtsfragen in der Zukunft werden. Denn hier betreten alle Neuland, Rechtsprechung gibt es kaum. Eine reine Beförderung dürfte noch nicht wesentlich sein, ein Tätigkeitswechsel in der Rechtsabteilung ebenso. Aber der Wechsel aus der Rechtsabteilung in andere Abteilungen kann schon schwieriger werden. Auch hier wäre es hilfreich, wenn Leitlinien aufgestellt würden.

Tätigkeit für Dritte

Gänzlich offen ist die Beurteilung von Anwälten, die nicht den Arbeit-geber rechtlich beraten, sondern Dritte. Das sind zum Beispiel Rechtsanwälte in Verbänden (Arbeitgeber, Gewerkschaften, Verbraucher-, Eigentümer- und Mietervereine) oder auch in Steuerberater- und Wirt­schafts­prü­fer­kanz­leien, die für den Mandanten tätig werden. Denn hier gibt es ja in der Regel eine Wei­sungs­frei­heit. Gleiches müsste auch gelten für die Rechtsabteilungen einer Holding, in denen Tochter­ge­sell­schaf­ten und so weiter ebenfalls weisungsfrei beraten werden.

Angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien

Nicht entschieden hat das BSG bisher über die Frage, ob angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien noch von der Versicherungspflicht befreit werden können. In dem Terminbericht des Senats vom 4. April 2014 (Bericht Nr. 14/14) war dieser Punkt noch angesprochen und eine Befreiung unter bestimmten Gesichtspunkten für möglich erachtet worden. In den schriftlichen Urteilsgründen findet sich dazu jetzt nichts mehr.
Ich sehe die große Gefahr, dass in der Zukunft auch angestellte Rechtsanwälte nicht mehr befreit werden. Denn der 5. Senat des BSG stellt grundsätzlich fest, dass angestellte Rechtsanwälte nicht befreit werden können, eben weil sie angestellt sind und damit nicht dem freien Anwalt im Sinne der §§ 1, 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) entsprechen. Nimmt man das ernst, dann sehe ich keinen Unterschied zwischen dem Anwalt im Unternehmen beziehungsweise Verband und dem in der Kanzlei. Denn auch der angestellte Rechtsanwalt ist aufgrund des Weisungsrechts des Arbeitgebers nicht „frei“ im – wenn auch unzutreffenden – Verständnis des BSG, weil auch der anwaltliche Arbeitgeber „weisen“ kann und der angestellte Rechtsanwalt in der Regel die Kanzlei auch nicht rechtlich vertritt; dies steht vielmehr nur den Inhabern, Sozien und so weiter zu. Wenn also keine gesetzliche Änderung erfolgt, könnte die DRV hier tätig werden und zumindest die Vorlage der Arbeitsverträge verlangen und auf bestimmte Klauseln (Weisungsfreiheit, Man­dats­an­nahme, genaue Tätigkeit) prüfen.
So abwegig, wie es manche meinen, ist das nicht. Daher rate ich den Kanzleien schon jetzt, ganz genau auf die Ausgestaltung der Arbeitsverträge zu schauen.

Ausblick

Das Thema Befreiung wird noch lange für Diskussionen sorgen, wenn der Gesetzgeber nicht baldmöglichst handelt. Aber es scheint Bewegung in die Sache zu kommen: Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich des Themas angenommen. Er ist ein Verfechter der Syndikustätigkeit, er sieht sie als echte Anwaltstätigkeit an. Daher will das Bundesjustizministerium eine gesetzliche Regelung zum Status des Syndikus entwerfen. Zudem gibt es eine ganz außergewöhnliche Äußerung des Vizepräsidenten des BSG, der die Entscheidungen des 5. Senats vom 31. Oktober 2012 und 4. April 2014 für falsch hält und seine eigenen Kollegen beim BSG rügt.
Das wird sicherlich Auswirkungen auf das verfassungsgerichtliche Verfahren haben und macht Hoffnung, dass sich doch alles zum Guten wenden wird. Und wie bekannt stirbt die Hoffnung ja zuletzt.

Zum Autor

Martin W. Huff

Rechtsanwalt in der Kanzlei LegerlotzLaschet Rechtsanwälte in Köln und Journalist. Er ist zudem Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Sprecher des Ausschusses Syndikusanwälte im Kölner Anwaltverein.

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