Die Interaktion mit generativer KI wird durch agentenbasierte Systeme auf eine neue Ebene gehoben, da der Mensch in der zentralen Koordinationsrolle nicht mehr benötigt wird. Diese Systeme haben zudem das Potenzial, die Produktivität auch im Steuerbereich noch weiter zu steigern.
Künstliche Intelligenz (KI) und insbesondere generative KI in Form von großen Sprachmodellen haben in den vergangenen Monaten stark an Bedeutung gewonnen. Ausgelöst durch die Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 sind zwischenzeitlich eine große Zahl weiterer Sprachmodelle wie Google Gemini, Metas Llama oder Aleph Alpha Luminous erschienen, die vergleichbare oder in Teilen sogar bessere Leistung zeigen. Durch die Integration von KI in immer mehr Produkte werden deren Fähigkeiten erweitert, um eine Produktivitätssteigerung für Nutzerinnen und Nutzer zu erzielen. Im Konsumentenbereich ist beispielsweise Apple Intelligence eine KI-Anwendung, die Funktionen zur Generierung von Texten oder natürlichsprachlicher Interaktion mit Sprachassistenten tief im iPhone- und Mac-Betriebssystem verankert. Im Unternehmensbereich lassen sich ähnliche Entwicklungen beobachten, bei denen die Leistungsfähigkeit der Anwendungen durch KI-Funktionen zur Datenauswertung, Vorklassifizierung von Anfragen oder automatisierten Kundenansprache gesteigert wird.
KI im Steuerbereich
Auch im Steuerbereich werden die Fähigkeiten der KI-Modelle intensiv genutzt, beispielsweise bei der Entwicklung von Chatbots für verschiedene steuerliche Anwendungsgebiete und Steuerdisziplinen. Damit können steuerliche Fragen anhand von umfangreichen Wissensdatenbanken schnell und effizient beantwortet werden, auch wenn die Anfrage nicht von einem Steuerexperten formuliert wurde. Die Interaktion mit steuerlichen KI-Systemen erfolgt heute konversationsorientiert per Chat, also durch das Formulieren sogenannter Prompts an das System. Ein menschlicher Nutzer stellt dabei eine Aufgabe, die KI liefert die Antwort und durch schrittweises Verfeinern nähert man sich dem gewünschten Ergebnis. Durch genaues Fragestellen (Prompt Engineering) lassen sich die Ergebnisse verbessern und in die gewünschte Richtung entwickeln, doch der Mensch bleibt noch der Flaschenhals, da er die Zwischenergebnisse manuell verarbeiten muss. Soll beispielsweise eine steuerliche Stellungnahme in Form eines zusammenhängenden Texts erstellt werden, wird eine gestellte Aufgabe wie etwa „Erstelle eine Stellungnahme zu den Auswirkungen der Reform des Körperschaftsteuergesetzes auf mittelständische Unternehmen“ nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Vielmehr muss das System in verschiedenen Teilschritten instruiert werden, beispielsweise
- zunächst eine Recherche nach relevanten Gesetzesstellen durchzuführen,
- sich mit dem Stand der aktuellen Diskussion dazu vertraut zu machen und
- Auswirkungen auf mittelständische Unternehmen zu identifizieren.
Dieser Vorgang muss möglicherweise bei weiteren Gesetzesstellen wiederholt werden, bevor auf dieser Grundlage mit der eigentlichen Erstellung der Stellungnahme begonnen werden kann.
KI-Agenten als Lösungsansatz
Ein revolutionärer Ansatz zur Überwindung dieser Einschränkungen sind agentenbasierte Systeme. Hierbei wird die Aufgabe automatisiert von der KI in verschiedene Teilaufgaben zerlegt, die von spezialisierten KI-Agenten bearbeitet werden. Anstatt den gesamten Prozess einer Stellungnahme selbst zu managen, übernimmt ein Koordinator-Agent die Planung und delegiert die Aufgaben an spezialisierte Agenten, etwa einen Recherche-, einen Textschreiber- und einen Textkritiker-Agent. Dieser koordinierte Ansatz ermöglicht es, dass die Recherche, das Schreiben und die Überarbeitung effizient und autonom ablaufen. Der menschliche Nutzer interagiert nur mit dem Koordinator-Agenten, der den Fortschritt überwacht und bei Bedarf weitere Recherchen anstößt. Sobald der Textkritiker-Agent die Stellungnahme als zufriedenstellend bewertet, meldet der Koordinator die Fertigstellung zurück. KI-Agenten weisen insbesondere drei Fähigkeiten auf, um die Leistung gegenüber einem konversationsorientierten Ansatz zu steigern.
Planung
KI-Agenten entscheiden autonom, in welcher Reihenfolge Schritte ausgeführt werden, um eine umfassendere Aufgabe zu erfüllen. Beispielsweise kann der KI-Agent eine Online-Recherche in kleinere Teilaufgaben zerlegen, wie das Recherchieren spezifischer Unterthemen sowie eine zusammenfassende Bewertung der Ergebnisse. Diese Fähigkeit erlaubt es dem Agenten, dynamisch Entscheidungen über die nächsten Schritte zu treffen, insbesondere bei komplexen Aufgaben. So könnte das Ergebnis einer Datenbankrecherche sein, dass mehr Themen und Spezialfälle recherchiert werden müssen als ursprünglich gedacht. Der Agent kann auf diesen Umstand flexibel reagieren und die notwendigen Recherchen eigenständig anstoßen.
Reflexion
KI-Agenten führen einen iterativen Prozess der Selbstreflexion ein. Anstatt ein finales Ergebnis direkt zu generieren, wird das Modell zunächst aufgefordert, eine Aufgabe zu erfüllen und seine Arbeit anschließend zu bewerten sowie ein konstruktives Feedback zu geben. Diese Selbstkritik ermöglicht es dem Modell, Probleme zu identifizieren und Vorschläge zur Verbesserung zu entwickeln. Durch die Wiederholung dieses Prozesses wird die Qualität der Ergebnisse erheblich gesteigert.
Werkzeugeinsatz
KI-Agenten haben Zugriff auf Werkzeuge, um Informationen zu sammeln, Aktionen durchzuführen oder Daten zu manipulieren. Anstatt sich ausschließlich auf das Wissen vortrainierter KI-Modelle zu verlassen, können sie beispielsweise Web-Suchen durchführen oder Recherchen in speziellen Steuerdatenbanken ausführen, um präzise Antworten zu erhalten. Zudem können beispielsweise komplexe Berechnungen, wie das Ermitteln des Endbetrags einer Investition, durch den Einsatz von Code-Ausführungs-Tools erfolgen.
Umsetzung im Steuerbereich
Die Umsetzung von agentenbasierten Systemen im Steuerbereich kann auf bestehenden Technologien und deren Integration mit spezifischem Steuerfachwissen aufbauen. Diese Herangehensweise ermöglicht es, bestehende Systeme effizient zu nutzen und gezielt zu erweitern. Bei der Gestaltung spezifischer Agenten ist es jedoch entscheidend, den jeweiligen Anwendungsfall zu berücksichtigen, da die Anforderungen und Herausforderungen in der Steuerberatung stark variieren können. Neue Software-Umgebungen wie AutoGen, CrewAI oder LangGraph bieten das Rahmenwerk, um komplexe Multi-Agenten-Lösungen zu entwickeln, die auf spezifische Probleme zugeschnitten sind. Sie ermöglichen es, KI-Agenten zu erstellen, die nicht nur autonom agieren, sondern auch in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren und Aufgaben zu koordinieren, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Durch die Kombination von bestehendem Fachwissen und innovativen Technologien können maßgeschneiderte Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen im Steuerbereich entwickelt werden.
Potenziale
Agentenbasierte Systeme haben das Potenzial, die Produktivität im Steuerbereich durch die Automatisierung und Delegation von Aufgaben an spezialisierte KI-Agenten erheblich zu steigern. Die Implementierung von agentenbasierten Systemen und deren spezifischen Fähigkeiten hat so einen erheblichen Einfluss auf die Leistung einer KI, der oft größer ist als der Unterschied zwischen den zugrunde liegenden Modellen, wie etwa zwischen GPT-3 und GPT-4. Zudem können die Systeme die Stärken unterschiedlicher Modelle kombinieren, um beispielsweise Quellen im Rahmen einer Recherche mit schnellen und günstigen Modellen zusammenzutragen und mit mächtigeren, aber teuren Modellen umfassend zu bewerten.
Fazit und Ausblick
Viele Aufgaben, für die KI zukünftig eingesetzt werden kann oder bereits heute eingesetzt wird, setzen die drei Fähigkeiten Planung, Reflexion und Werkzeugeinsatz voraus. Der heute verbreitete konversationsorientierte Ansatz zur Interaktion mit KI-Modellen bildet diese Fähigkeiten nur unzureichend ab, sodass der menschliche Nutzer in einer zentralen Koordinationsrolle verbleiben muss. Dadurch ist er nicht nur der Flaschenhals bei der Aufgabenerfüllung des KI-Modells, sondern begrenzt auch dessen Entscheidungsspielraum bei der Festlegung eigener Strategien zur Erfüllung der Aufgabe. Während heute KI-Modelle mit konkreten Aufgabenstellungen gefüttert und mittels Prompt Engineering getunt werden können, werden zukünftig agentenbasierte Systeme anhand eines vorgegebenen Ziels die Aufgaben und den Weg zur Zielerreichung eigenständig bestimmen.

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