Grundsteuer - 19. Juni 2019

Heilen oder beerdigen

Kaum eine Steuerart ist so umstritten wie die Grundsteuer, die der Bund nun reformieren will. Sehr viele Bürger jedoch halten dies für überflüssig und plädieren neben zahlreichen Experten dafür, diese Steuer abzuschaffen.

In vielen Rathäusern herrscht über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. April 2018 helle Freude. Denn die seit dem 1. Januar 2002 als verfassungswidrig festgestellte Grundsteuer darf sogar auch noch „ausnahmsweise“ und „ungewöhnlich“ weitere Jahre festgesetzt und erhoben werden. Aber: Das BVerfG hat lediglich Paragrafen des Bewertungsgesetzes geprüft (ab § 19), jedoch nicht einmal die gesetzlichen Vorschriften des Bewertungsrechts für den Bereich der Land- und Fortwirtschaft sowie den Bereich der neuen Bundesländer. Und schon gar nicht die gesetzlichen ­Vorschriften des Grundsteuergesetzes. Dabei ist die Grundsteuer bereits seit Jahrzehnten eine sehr umstrittene Steuer. Streit besteht insbesondere auch darüber, ob die Grundsteuer abzuschaffen ist (siehe dazu Kommentare zum Grundsteuergesetz von Max Troll beziehungsweise Troll/Eisele, 7. Auflage von 1997 beziehungsweise 9. Auflage von 2006). Selbst der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium (BMF) hat in einem Gutachten schon den Ersatz der Grundsteuer in Erwägung gezogen (vgl. Heft 41 der Schriftenreihe des BMF von 02/1989, Seite 35 ff.). Der Beirat kommt darin auch zu dem Ergebnis, dass als Ersatz der Grundsteuer B auf Wohngebäude unter anderem eine höhere Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer in Betracht kommt. Im Zusammenhang mit der Einführung der Einkommensteuer hätte die Grundsteuer eigentlich schon abgeschafft werden müssen. Nur über ihre Zuordnung in den Bereich der Äquivalenz ist dann doch noch eine Rechtfertigung für ihre Beibehaltung gefunden worden. Die Steuerreformkommission hat zu dieser Rechtfertigung in ihrem Gutachten von 1971 (Heft 17 der Schriftenreihe des BMF, S. 713 ff.) ausgeführt, dass die Grundsteuer weitgehend dem Äquivalenzgedanken entspricht, wobei natürlich im Einzelfall kein eindeutiges Verhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht.

Äquivalenzaspekt

Der Wissenschaftliche Beirat der Steuerreformkommission musste sich aber eingestehen, dass der Wert der Grundstücke ein höchst unvollkommener Indikator für die Inanspruchnahme gemeindlicher Leistungen ist. Höchst unvollkommen bedeutet dann allerdings im Klartext: als Indikator ungeeignet. Auch Prof. Dr. Franz Jürgen Marx und Dorothea Eva Hartwig (DStZ 2015, Heft 18, Seite 703 ff.) führen aus, dass ein Einbezug der Gebäudewerte in die Grundsteuer äquivalenztheoretisch nicht zu rechtfertigen ist und dass ein Zusammenhang der gemeindlichen Leistungen mit dem Gesamtwert einer Immobilie einschließlich aufstehender Bauten insoweit nicht hergestellt werden kann. Folglich ist eine Bemessungsgrundlage auf der Basis der Grundstücks- beziehungsweise Einheitswerte nicht dazu in der Lage, den notwendigen Äquivalenzaspekt zu erfüllen. Denn ein Zusammenhang etwa zwischen den Kosten, die einer Gemeinde für die Straßenbeleuchtung entstehen, und dem Wert der Grundstücke ist absolut ausgeschlossen. Besonders gravierend ist die Situation in Niedersachsen im Zusammenhang mit Privatstraßen in den Orten (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz [GG]). Denn hier werden viele der Kosten, die eigentlich die Gemeinde zu tragen hätte, von den Anliegern selbst getragen. Eine Reduzierung der Einheitswerte und damit auch der Grundsteuer erfolgt jedoch nicht. Schließlich gibt es auch hier absolut keinen Zusammenhang zwischen den Kosten, die die Gemeinde eigentlich tragen müsste, und dem Wert der Grundstücke.

Objektsteuer

Da die Grundsteuer eine Objektsteuer ist, knüpft die Besteuerung ausschließlich an das Objekt an, also ohne dabei die persönlichen Verhältnisse des Eigentümers, etwa die Anzahl der Familienmitglieder oder seine Leistungsfähigkeit – daran knüpft die Personensteuer Einkommensteuer an –, zu berücksichtigen (siehe dazu den Beschluss des BVerfG vom 18.02.2009 – 1 BvR 1334/07). Die Grundsteuer lastet somit ausschließlich auf dem jeweiligen Objekt, und zwar unabhängig davon,

  • wie viele Personen in dem Gebäude wohnen sowie
  • ob und wie viele Personen kulturelle und/oder sportliche (Wahl-)Einrichtungen sowie schulische Einrichtungen in Anspruch nehmen.

Daraus ergibt sich, dass nur objektbezogene Leistungen der Gemeinden beziehungsweise Kommunen zu berücksichtigen sind, um die Festsetzung der Grundsteuer zu rechtfertigen; mithin also nur Leistungen, die durch die Grundstücke verursacht werden (siehe dazu das Urteil des Bundesfinanzhofs [BFH] vom 19.07.2006 [II R 81/05]), nicht hingegen personenbezogene Leistungen. Denn die stehen im Zusammenhang mit dem Anteil der Gemeinden an der Einkommensteuer, der mit Abstand größten Steuerquelle der Kommunen. Personenbezogene Leistungen betreffen insbesondere Wohngeldzahlungen, kulturelle und sportliche Einrichtungen, Schulen, Kindergärten, öffentliche Verwaltung sowie Polizei und Justiz. Daher rechtfertigen nur Kosten – und das sind nicht allzu viele –, die durch die Objekte verursacht werden, insoweit eine Festsetzung der Grundsteuer, da nur sie als solche dem Bereich der Äquivalenz zugerechnet werden dürfen. Im Einzelnen handelt es sich weitgehend um folgende Kosten, die den Äquivalenz­effekt auslösen:

  • Straßenreparaturkosten und Straßenverkehrssicherungskosten,
  • Kosten des Straßenhaftungsrisikos für Schäden,
  • Kosten für Brandschutz (aber Entschädigungen durch Versicherungen sind denkbar),
  • Kosten der Gefahrenabwehr,
  • Betriebskosten für die Straßenbeleuchtung,
  • Wartungskosten für die Straßenbeleuchtung,
  • Straßenentwässerungskosten,
  • Kosten für zu pflegende Anlagen sowie
  • Kosten für den Winterdienst.

Nicht dazu gehört selbstverständlich der Kern der objektbezogenen Leistungen, für die bereits gesonderte Bescheide erteilt beziehungsweise Rechnungen gestellt werden (Straßenausbaubeiträge, Erschließungsbeiträge, jährliche Konzessionsabgabe für Strom und Heizung, Straßenreinigungsgebühr, Schmutzwassergebühr, Regenwassergebühr, Müllabfuhrgebühr).

Festsetzung derzeit nicht gerechtfertigt

Die Grundsteuerfestsetzungen erfolgen zurzeit grundsätzlich willkürlich zur Deckung des Haushalts.

Um eine zulässige, also zu rechtfertigende Grundsteuerfestsetzung zu erreichen, sind bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage folgende Fragen zu stellen:

  • Verursachen die Grundstücke überhaupt objektbezogene Lasten (Kosten) für die Gemeinde?
  • Wenn ja, in welcher Höhe?
  • Besteht danach weitgehend ein dem Äquivalenzgedanken entsprechendes Verhältnis zwischen den objektbezogenen Lasten (Kosten) und der eigentlich festzusetzenden Grundsteuer?

Genau dies tun die Gemeinden aber eben grundsätzlich nicht. Damit entfällt hier von vornherein jegliche Rechtfertigung für die Festsetzung von Grundsteuern. Mit anderen Worten: Die Grundsteuerfestsetzungen erfolgen zurzeit grundsätzlich willkürlich (allgemein) zur Deckung des Haushalts (siehe dazu auch das Thüringer Modell). Das widerspricht aber ohne jeden Zweifel jeglichem Äquivalenzaspekt (Hebesatzmissbrauch). Derart erteilte Grundsteuerbescheide sind somit von vornherein gemäß § 125 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) nichtig und damit gemäß § 124 Abs. 3 AO unwirksam. Des Weiteren erfolgt zurzeit die Festsetzung der Grundsteuer nach einer Bemessungsgrundlage auf Basis der Grundstücks- beziehungsweise Einheitswerte, die nicht dazu in der Lage ist, den notwendigen Äquivalenzaspekt zu erfüllen. Das heißt auch, dass das Bewertungsrecht überhaupt nicht dazu geeignet ist, Grundsteuerzwecken zu dienen. Die Festsetzung von Grundsteuern ist auch von hierher seit langer Zeit schon unzulässig, das heißt erteilte Bescheide sind nichtig gemäß § 125 Abs. 1 AO und damit unwirksam gemäß § 124 Abs. 3 AO, weil hier eben eine Rechtfertigung entsprechend dem Äquivalenzgedanken nicht entstehen kann. Nachfolgend sei noch auf zwei besonders krasse Beispiele für eine willkürliche Bemessung der Grundsteuer hingewiesen.

Zuständigkeitsbereich der Finanzämter

Bei Überschreiten einer Wohnfläche von 220 m² in einem Einfamilienhaus wendet die Finanzverwaltung aufgrund Erlass statt des Ertragswertverfahrens das Sachwertverfahren an. Dies kann dann durchaus zu einer Verdoppelung der Einheitswerte führen. Einwände der Bürger, dass die Überschreitung durch die größere Anzahl der Familienmitglieder verursacht worden ist, werden seitens der Gerichte nicht anerkannt. Und zwar mit der Begründung, dass die Grundsteuer eine Objektsteuer sei. Da völlig ausgeschlossen ist, dass dasselbe Einfamilienhaus mit einer geringfügig größeren Wohnfläche als 220 m² (zum Beispiel 225 m²) fast doppelt so viele Kosten für die Gemeinde verursacht, liegt ein besonders eklatanter, in keiner Weise zu rechtfertigender Verstoß gegen den Äquivalenzaspekt vor. Denn als Folgewirkung kann sich die Grundsteuer in einem derartigen Fall (also bei nur 5 m² Wohnfläche mehr) eben durchaus verdoppeln.

Zuständigkeitsbereich der Gemeinden

In zwei Fällen wurde der Grundsteuerhebesatz von der Stadt Siegburg für 2015 von 460 Prozent auf 790 Prozent und von der Stadt Rüsselsheim von 400 Prozent auf 800 Prozent erhöht. Aber selbst diese sehr starken Erhöhungen wurden vom Verwaltungsgericht (VG) Köln (Urteile vom 29.09.2015 – 17 K 704/15, 17 K 706/15) sowie vom VG Darmstadt (Urteil vom 15.09.2015 – 4 K 1659/13), insbesondere mit dem Hinweis auf die defizitäre, laut der Stadt Rüsselsheim besorgniserregende Haushaltslage der Beklagten, für rechtmäßig erachtet. Ein Nachweis für die notwendige Rechtfertigung der Festsetzung der Grundsteuern ist jedoch nicht erfolgt; schließlich müsste hierfür zumindest erst einmal eine drastische Erhöhung der objektbezogenen Kosten vorliegen. Die Grundsteuerbescheide der beiden Städte sind somit in besonders hohem Maße nicht zu rechtfertigen (offensichtlicher Verstoß gegen den Äquivalenzaspekt), also nichtig gemäß § 125 Abs. 1 AO und damit unwirksam gemäß § 124 Abs. 3 AO.

Rechtfertigungsversuche ohne Aussicht auf Erfolg

Die Festsetzung der Grundsteuer kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass angeblich durch Leistungen der Gemeinden Wertsteigerungen für die Grundstücke der Bürger erfolgen. Denn dies würde bestätigen, dass die Grundsteuer zurzeit schon als nicht zu rechtfertigende, unzulässige Sondervermögenssteuer zu beurteilen ist. Auch der Bund der Steuerzahler führt dazu in seiner Pressemitteilung vom 15. Januar 2019 aus, dass die Grundsteuer am Ende keine verkappte Vermögensbesteuerung sein darf und Wertsteigerungen weder Besitzer noch Mieter zum Leben zur Verfügung stehen. Daher würde sich nur bei einer Realisierung der eindeutig durch Leistungen der Gemeinden entstandenen Wertsteigerungen der Grundstücke die Frage nach einer teilweisen Rechtfertigung der Grundsteuer überhaupt stellen – sofern man die Unzulässigkeit einer Sondervermögenssteuer wegdenken würde. Des Weiteren beträfe diese fiktive Rechtfertigung auch nur die Grundstücke, bei denen irgendwann einmal eine Realisierung stattfinden würde. Wobei dann noch zu prüfen wäre, ob die Wertsteigerungen nicht nur inflationsbedingt sind beziehungsweise auf der Flucht der Bürger in Sachwerte beruhen, weil die Bürger kein Vertrauen mehr in das (staatliche) Papiergeld haben, oder durch Leistungen der Bürger selbst bedingt sind, etwa aufgrund kosten- und arbeitsintensiver Gärten. Abgesehen davon würde es in diesem Fall zu einer Doppelbesteuerung mit Grunderwerbsteuer und gegebenenfalls auch Einkommensteuer gemäß § 23 EStG kommen. Nebenbei bemerkt: Der Neubau eines Einfamilienhauses (Herstellungskosten rund 500.000 Euro) spült rund 80.000 Euro an Umsatzsteuer in die Staatskassen. Nach alledem kann darauf verzichtet werden, weitere Gründe anzuführen.

Fazit

Die Gemeinden mögen sich um einen Ausgleich für den Wegfall der Grundsteuer durch die Erhöhung ihres Anteils an der Umsatz- und/oder Einkommensteuer bemühen, wobei aber insbesondere Ausgabendisziplin seitens der Gemeinden zu fordern wäre. Eine etwaige, unbedingt bundeseinheitliche, gesetzliche beziehungsweise grundgesetzliche Neuregelung der Grundsteuer dürfte auf jeden Fall nur ohne Zwischenschaltung eines Einheitswerts- und Grundsteuermessbetragsverfahrens erfolgen (vgl. § 42 GrStG). Diese Grundsteuer wäre dann nur als eine Art pauschaler Kostenersatz anzusehen und würde auch wegen der relativ geringfügigen Belastungen für die Bürger dem Äquivalenzgedanken weitgehend Genüge tun. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre allerdings eine Festlegung der Hebesätze unerlässlich, also auf Dauer in etwa Hebesätze wie aktuell in der Stadt Ingelheim am Rhein (80 Prozent).

Fotos: hocus-focus / Getty Images

MEHR DAZU

Kompaktwissen für Berater „Die Grundsteuerreform 2019“, Art.-Nr. 35455

Zum Autor

HW
Hartmut Wipper

Steuerberater in eigener Kanzlei in Sassenburg (Niedersachsen)

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