Auslegungssache - 30. Juni 2016

Grenzen überschreiten

Der Betriebsübergang im inter­na­tio­na­len Kontext wirft viele Fragen auf. Mal dürfen deut­sche Ge­setze an­ge­wendet werden, mal wiede­rum nicht. Der Grund: Weder das nationale Recht noch die ein­schlä­gige EU-Richt­linie treffen dazu klare Aussagen.

Die maßgeblichen Kriterien darüber, wann ein Betriebsübergang im Inland vorliegt, wurden durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitgehend geklärt. Weder die EU-Betriebsübergangsrichtlinie noch § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) beantworten jedoch die Frage, nach welchem Recht sich ein grenzüberschreitender Be­triebs­über­gang vollzieht und welche Konsequenzen sich daraus für Arbeitnehmer und die beteiligten Rechtsträger ergeben. Daher muss anhand verschiedener Lösungsansätze untersucht werden, ob § 613a BGB auf grenzüberschreitende Sachverhalte Anwendung finden kann. Eine Kollisionsnorm, die bei grenzüberschreitenden Betriebsübergängen regelt, welches Recht des jeweils betroffenen Staats Anwendung findet, existiert nicht. Insbesondere enthält auch die Richtlinie 2001/23/EG keine entsprechende Regelung. Zwar hatte der ursprüngliche Entwurf der Betriebs­über­gangs­richt­linie noch eine entsprechende Kollisionsnorm vorgesehen, diese wurde aber nicht in die endgültige Fassung übernommen.

Territorialitätsprinzip

Denkbar wäre die Anwendung des im öffentlichen Recht geltenden Territorialitätsprinzips. Demnach finden bei einer Betriebsverlagerung ins Ausland die dort geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften Anwendung. Seit dem 17. Dezember 2009 gilt für grenzüberschreitend tätige Unternehmen und deren Vertragsgestaltung die Verordnung 593/2008, die sogenannte Rom-I-Verordnung (Rom-I-VO). Sie bestimmt, welches Recht innerhalb der Europä-ischen Union auf internationale Verträge anwendbar ist. Das Territorialitätsprinzip baut auf dem Grundsatz der freien Rechtswahl auf, das auch in Art. 3 Rom-I-VO normiert ist. Danach dürfen die Partner eines Vertrags grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob sie ihre Vereinbarungen dem deutschen Recht oder einer ausländischen Rechtsordnung unterwerfen. Diese unternehmerische Freiheit gilt jedoch nicht unbeschränkt.
Gerade im Arbeitsrecht sind ihr zur Gewährleistung eines Mindestschutzes der Arbeitnehmer Grenzen zu setzen. So gebietet Art. 8 Rom-I-VO, dass die freie Rechtswahl nicht dazu führen darf, dass dem Arbeitnehmer zwingende Rechte entzogen werden können. Deshalb findet das Recht des Lands Anwendung, in dem sich die wesentliche Hauptleistung aus dem Arbeitsvertrag vollzieht. Ergo findet das Territorialitätsprinzip keine Anwendung, es wird im grenz­über­schrei­ten­den Zivilrechtsverkehr durch die Regelungen des internationalen Privatrechts (IPR) verdrängt. Die Anwendbarkeit des § 613a BGB auf grenzüberschreitende Betriebsübergänge ist also anhand der Rom-I-VO zu bestimmen. Dabei kommen verschiedene Begründungsansätze in Betracht.

Anknüpfung an das Statut des Übernahmevertrags

Denkbar wäre eine Anknüpfung an das Statut des Übernahmevertrags. Nach herrschender Meinung kann auch die Anwendung ausländischen Rechts in dem im deutschen IPR zulässigen Rahmen vereinbart werden. Allerdings ist die Grenze des Art. 8 Rom-II-VO zu beachten. Bietet danach der durch das ausländische Recht gewährte Mindestschutz weniger Schutz als das deutsche Recht, finden grundsätzlich die für den Arbeitnehmer günstigeren deutschen Bestimmungen Anwendung. Eine Anknüpfung an das Statut des Übernahmevertrags erscheint deshalb zweifelhaft.

Anknüpfung an den Betriebssitz

Die Interessen des Arbeitnehmers sind schutzwürdig, denn er hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Betriebsveräußerung.

Es könnte aber nach IPR auch eine Anknüpfung an den Betriebssitz nach Art. 43 des Einführungsgesetzes zum BGB (EGBGB) Anwendung finden. Dafür könnte sprechen, dass ein ausländischer Betriebserwerber nicht dazu gezwungen werden könnte, deutsches Recht anzuwenden. Diese Argumentation vermengt jedoch die Frage der Anwendbarkeit mit der Frage nach deren Durchsetzbarkeit im Ausland. Auch die Ansicht, dass das Recht am neuen Betriebsort den Betriebsübergang überhaupt kennen müsse, ansonsten sei ein grenzüberschreitender Sachverhalt gar nicht anzuerkennen, ist abzulehnen. Dem deutschen Sachenrecht ist eine solche Einschränkung fremd. Auch kollisionsrechtlich vermag dieser Ansatz nicht zu überzeugen, da nur ein Statut einen Sachverhalt beherrschen kann. Eine Anknüpfung an den Ort des Betriebssitzes vermögen auch Praktikabilitätsgründe nicht zu begründen, denn dann würden Erwerber und Veräußerer durch geschickte Rechtswahl den Arbeitnehmer weitgehend schutzlos stellen können. Nach dem Betriebsübergang liegt zwar eine engere Verbindung des Vertrags zum ausländischen Staat vor, sodass insofern ein Sta­tu­ten­wechsel in Betracht kommt und ausländisches Recht Anwendung finden kann. Dieser Umstand tritt jedoch erst nach Betriebsübergang ein und steht der Anwendbarkeit des § 613a BGB nicht entgegen.
Die Anknüpfung an das Arbeitsvertragsstatut erscheint vorzugswürdig. So erklärt schon Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom-I-VO das Recht desjenigen Staats für einschlägig, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung seines Arbeitsvertrags die Arbeitsleistung erbringt. Geschützt werden soll so vor allem das Vertrauen des Arbeitnehmers in die Fortführung seines Arbeitsverhältnisses. Durch die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses hat er eine Rechtsstellung, die eine Anwartschaft auf die Übernahme umfasst. In Konstellationen der Betriebsübernahme stehen sich die Interessen des Arbeitnehmers an Erhaltung dieser Rechtsstellung und die des Übernehmers am Schutz vor unvorhergesehenen Verpflichtungen gegenüber. Hier sind die Interessen des Arbeitnehmers als schutzwürdiger zu betrachten, denn er hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Betriebsveräußerung. Der Über­neh­mende hingegen kann prüfen, welche Arbeitsverhältnisse mit welchen Rechtsinhalten von dem Betriebsübergang betroffen sind. Diese Ansicht argumentiert mit dem Fortbestand des Arbeits­ver­hält­nisses und wendet § 613a BGB deshalb auf die fortbestehenden Arbeitsverträge an. Der Sinn und Zweck des § 613a BGB besteht darin, Arbeitnehmer bei Umstrukturierungen vor dem Verlust ihrer erworbenen Besitzstände zu schützen. Dieser Zweck spielt gerade bei der Be­triebs­ver­la­ge­rung in das Ausland eine entscheidende Rolle. Betriebsveräußerer und -erwerber können damit durch Rechtswahl beim Betriebsübertragungsvertrag und der Wahl eines neuen Betriebsorts die arbeitsvertragliche Rechtsstellung des Arbeitnehmers nicht modifizieren.

Zwischenergebnis

Dem BAG ist darin zuzustimmen, dass § 613a BGB bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Anwendung findet. Das Gericht trifft dabei folgende Feststellung: Verrichtet der Arbeitnehmer in Erfüllung seines Vertrags seine Arbeit gewöhnlich in einem bestimmten Staat, so unterliegt sein Arbeitsverhältnis nach Art. 8 Satz 2 Rom-I-VO 593/2008 dem Recht dieses Staats, im Falle einer grenzüberschreitenden Betriebsverlagerung also dem Auslandsrecht. Allerdings sind dann Ausnahmen davon zu machen, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände eine engere Verbindung zu einem anderen Staat ergibt. Ein solcher Ausnahmefall liegt nach Auflassung des BAG bei Arbeitsverträgen vor. Unter der Annahme der Anwendbarkeit des § 613a BGB auf grenzüberschreitende Sachverhalte stellt sich die Frage nach den konkreten Rechtsfolgen. Hier sind dann die Auswirkungen auf die Unterrichtungspflicht, den Betriebsrat und Betriebs­ver­ein­ba­rungen sowie die Änderungskündigung zu untersuchen.

Unterrichtungspflicht und Widerspruch

Um einen umfassenden Schutz des Arbeitnehmers zu gewährleisten, müssen sich auch die Rechtsfolgen eines grenzüberschreitenden Betriebsübergangs nach § 613a BGB richten. Demnach sind die Vorgaben des § 613a Abs. 5 BGB auf die Unterrichtungspflicht der am grenz­über­schrei­ten­den Betriebsübergang beteiligten Rechtsträger anzuwenden. Soweit das Arbeitsverhältnis einem ausländischen Vertragsstatut unterliegt, das selbst keine Unter­rich­tungs­pflicht oder ein Widerspruchsrecht kennt, spielt das aufgrund der Qualifikation des § 613a BGB als Schutz­vor­schrift des Art. 8 Satz 2 Rom-I-VO 593/2008 keine Rolle.
Damit steht den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern auch das Wider­spruchs­recht gemäß § 613a Abs. 6 BGB zu.

Betriebsrat und Betriebsvereinbarung

Im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist keine Regelung enthalten, die das Fortbestehen eines Betriebsrats bei einer Betriebsverlagerung ins Ausland betrifft. Eine kollisionsrechtliche Regelung im internationalen Privatrecht ist ebenfalls nicht ersichtlich. Vielmehr kommt in diesem Fall das Territorialitätsprinzip zur Anwendung. Das Vertragsstatut bietet mangels Abhängigkeit des BetrVG von diesem keinen Anhaltspunkt zur räumlichen Abgrenzung. Das deutsche BetrVG gilt deshalb nur innerhalb der Ländergrenzen. Auch das Übergangsmandat gemäß § 21a BetrVG­ für den ins Ausland verlagerten Betrieb findet keine Anwendung, denn es setzt seinerseits voraus, dass die aus der Umstrukturierung entstehende betriebliche Einheit betriebsfähig ist. Problematisch ist die kollektive Fortwirkung einer Betriebsvereinbarung. Grundsätzlich führt ein Ausscheiden aus dem Geltungsbereich des BetrVG zu einer Beendigung dieser Fortwirkung. Allerdings ist § 613a Abs.1 S. 2 BGB als Auffangnorm dann analog zu beachten, wenn die normative Wirkung einer Betriebsvereinbarung aufgrund der Auslandsverlagerung endet. Es gelten die arbeitsrechtlichen Regelungen als Inhalt des Arbeitsverhältnisses fort. Dies entspricht der Feststellung des BAG für die Fortgeltung von Tarifverträgen.

Änderungskündigung

Nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass des Betriebs­über­gangs verboten. Dieses Verbot bindet auch den ausländischen Erwerber. Das findet seinen Grund in Art. 32 Abs. I Nr. 4 EGBGB, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung dem Bereich des Vertragsstatus zuordnet. Somit ist auch die Anwendbarkeit des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB von dem für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Recht abhängig. Aufgrund des Güns­tig­keits­prin­zips ist es auch nicht durch Rechts­wahl zu um­gehen, da es gemäß Art. 30 Abs. 1 EGBGB als zwin­gende Norm dann zur An­wen­dung kommt, wenn ein ver­gleich­bares Verbot nach dem für den Ar­beits­vertrag ge­wähl­ten Recht nicht besteht.

Fazit

Festzustellen ist, dass § 613a BGB selbst bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Anwendung finden kann. Begründet wird das mit dem Arbeitsvertragsstatut als maßgeblichem An­knüp­fungs­punkt. Auch die in Europa sehr uneinheitlichen Regelungen zum Betriebsübergang gebieten die Anwendung des § 613a BGB zum Schutz der deutschen Arbeitnehmer. Die Anwendung des § 613a BGB führt durch die Qualifikation als Schutzvorschrift im Sinne des Art. 8 Satz 2 Rom-I-VO 593/2008 zu keinen wesentlichen Besonderheiten gegenüber Betriebsübergängen im Inland. Zu beachten ist jedoch, dass das deutsche Betriebsverfassungsgesetz für die übergegangenen Betriebe keine Geltung mehr entfaltet.

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Zum Autor

SH
Dr. Steffen Huber

Rechtsanwalt und Steuerberater bei der PricewaterhouseCoopers Legal AG Rechtsanwaltsgesellschaft in Stuttgart

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