Herstellungskosten in Handels- und Steuerbilanz - 15. April 2013

Gemeinsam ins Ziel

Verwaltungsgemeinkosten und bestimmte Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs sind nach Auffassung der Finanzverwaltung derzeit nicht mehr zwingend Herstellungskosten.

Mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) wurde der Herstellungskostenbegriff gemäß § 255 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) erweitert. Aus dem Aktivierungswahlrecht bis zum 31. Dezember 2009 für die herstellungsbezogenen, notwendigen Material- und Fertigungsgemeinkosten sowie des durch die Fertigung veranlassten Werteverzehrs des Anlagevermögens (Abschreibungen) wird durch die Änderungen des § 255 Abs. 2 HGB für die Geschäftsjahre nach dem 31. Dezember 2009 eine Einbeziehungspflicht.

Herstellungskosten im Steuerrecht

Die Steuergesetze enthalten keine Definition des Begriffs Herstellungskosten, der in den §§ 6 und 7 Einkommensteuergesetz (EStG) verwendet wird. In den Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 2008 wird unter R 6.3 eine Begriffsbestimmung verwendet, die mit dem HGB nach BilMoG übereinstimmt.
Durch das BilMoG wurde auch die sogenannte umgekehrte Maßgeblichkeit geändert (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Zu den bilanzsteuerrechtlichen Konsequenzen hat der Bundesminister der Finanzen (BMF) mit dem Schreiben vom 12. März 2010 (LEXinform 5232579) Stellung genommen. Danach gilt: Handelsrechtliche Aktivierungsgebote und Aktivierungswahlrechte führen grundsätzlich zu Aktivierungsgeboten in der Steuerbilanz. Der von der Verwaltung so interpretierte „neue“ Herstellungskostenbegriff stand damit im Widerspruch zu den Regelungen in R 6.3 der Einkommensteuer-Richtlinien 2008. Unter dem Druck der fachlichen Meinung und dem verwaltungsinternen Widerstreit sah sich die Verwaltung veranlasst, in einem weiteren Schreiben vom 22. Juni 2010 (LEXinform 5232293) eine Übergangsregelung zu erlassen, wonach es nicht zu beanstanden ist, wenn für Wirtschaftsjahre, die vor der Veröffentlichung einer geänderten Richtlinienfassung enden, noch nach R 6.3 Absatz 4 EStR 2008 verfahren wird.

Einkommensteuer-Richtlinien 2012

Der steuerrechtliche Herstellungs­kosten­begriff umfasst nun auch die Kosten für die allgemeine Verwaltung.

Der in den Einkommensteuer-Richtlinien 2012 enthaltene steuerliche Herstellungskostenbegriff umfasst nun auch die angemessenen Kosten der allgemeinen Verwaltung, der angemessenen Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersversorgung. Das bisherige Wahlrecht entfällt. Damit geht eine zweijährige Übergangsregelung zu Ende. Verwaltung und Steuerpflichtige müssen den erweiterten Herstellungskostenbegriff anwenden, sobald die Richtlinien in Kraft getreten sind.

Auswirkungen für die Praxis

Um den neuen Bilanzierungserfordernissen der Verwaltung gerecht zu werden, sind grundlegende Vorkehrungen innerhalb des Rechnungswesens zu treffen. Während in mittleren und großen Unternehmen meist eine Kostenrechnung anzutreffen ist, fehlt diese in kleinen Unternehmen regelmäßig. Mit der dort vorhandenen Buchführung können keine Gemeinkosten gleich welcher Art ermittelt werden. Abhilfe kann der Betriebsabrechnungsbogen (BAB) schaffen. Im BAB wird in statistisch tabellarischer Form außerhalb der Buchhaltung die Kostenstellenrechnung durchgeführt.

Betriebsbezogener Aufbau des BAB

In den typischen Lehrbuchbeispielen werden nur wenige ausgewählte Gemeinkosten verteilt. In der Praxis muss der Unternehmer sämtliche Aufwendungen der Gewinn- und Verlustrechnung entweder als Einzelkosten oder als Gemeinkosten in seinem BAB berücksichtigen. Die Verteilung der Kosten sollte nach dem Prinzip der Kostenverursachung durch direkte Zurechnung zu den einzelnen Kostenstellen erfolgen. Damit wird das genaueste Ergebnis erzielt. Wenn die direkte Zurechnung der Kosten auf die entsprechenden Kostenstellen nicht möglich ist, muss die Zurechnung mithilfe von Verteilungsschlüsseln erfolgen. Von der Wahl des zutreffenden Verteilungsschlüssels ist die sachgerechte Verteilung der Kosten abhängig. So sollte beispielsweise für die Verteilung der Gebäudeabschreibung die Quadratmeter-Fläche verwendet werden, keinesfalls die Zahl der in dem jeweiligen Gebäudeteil tätigen Mitarbeiter.

Anwendungsfall der Praxis

Eine nach Handelsgesetzbuch (HGB) kleine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform der GmbH betreibt eine Kunststoffspritzgießerei. Im eigenen Unternehmen wird eine kleine Abteilung Werkzeugbau unterhalten. Dort werden Spritz­gießwerkzeuge im Eigenbau für die Produktion hergestellt. Da die Werkzeuge eine Nutzungsdauer von fünf Jahren haben, muss die Aktivierung als selbst erstelltes Werkzeug mit den Herstellungskosten erfolgen. Dazu gehören nun auch die angemessenen Teile der Kosten der Verwaltung. Bei kleinen inhabergeführten Unternehmen ist in der Regel von einer schlanken Verwaltung auszugehen, die zu Verwaltungskostenzuschlagssätzen von weniger als fünf Prozent führt. Unterstellt man als Wertuntergrenze die nach den alten Einkommensteuer-Richtlinien ermittelten Herstellungskosten mit 5.000 Euro, so erhöht sich dieser Betrag nach den neuen Bilanzierungsvorschriften um 250 Euro (fünf Prozent von 5.000 Euro). Dieser Mehrbetrag kann dann selbstverständlich auf die Nutzungsdauer von fünf Jahren abgeschrieben werden. Gegenüber der alten Regelung ergibt sich jetzt eine Gewinnerhöhung um 200 Euro, die in den folgenden vier Jahren wieder durch die erhöhte Abschreibung ausgeglichen wird. Im vorliegenden Beispiel ergibt sich für den Staat ein Zinsgewinn in Höhe von etwa acht bis neun Prozent (bei fünf Prozent Jahreszinsen, bedingt durch die vorgezogene Steuereinnahme wegen der Aktivierung) während der Laufzeit der Abschreibung. Bei der Bewertung der fertigen und unfertigen Erzeugnisse ergibt sich unter Einbeziehung der angemessenen Verwaltungskosten in die Herstellungskosten ein ähnlicher Effekt – nur ist die Zeitverschiebung der Gewinnänderung kürzer als zwölf Monate (zwischen zwei Bilanzstichtagen) und damit der Zinsgewinn des Staates äußerst gering.

Künftige Probleme in der Praxis

Die steuerliche Herstellungs­kosten­untergrenze wird zum ergiebigen Prüfungsfeld.

Im Rahmen von zukünftigen Betriebsprüfungen durch die Finanzverwaltung wird die steuerliche Herstellungskostenuntergrenze immer dann ein ergiebiges Prüfungsfeld darstellen, wenn der Steuerpflichtige keine aussagefähige Ermittlung der angemessenen Kostenbestandteile vorlegen kann. Für Betriebsprüfer öffnet sich hier ein dankbarer Bereich für Schätzungen, die im Ergebnis zwar nur zu Gewinnverschiebungen führen, aber dennoch die Liquidität der Steuerpflichtigen belasten.
Der steuerlich korrekt agierende Steuerpflichtige kann seinen eigenen Ansprüchen nur dann gerecht werden, wenn er in sein Rechnungswesen ein Kostenrechnungssystem integriert. In vielen Fällen wird dies jedoch in kleinen Unternehmen an den finanziellen und personellen Voraussetzungen scheitern. Der steuerberatende Beruf kann hier helfen – ein gezielter Einsatz der DATEV-Software trägt zu Problemlösungen bei.

Fazit

Die Belastungen treffen den kleinen Mittelstand, der ohnehin schon durch die bestehende Bürokratie hoch belastet ist. Noch ist die Chance des Gleichlaufs zwischen handelsrechtlicher und steuerrechtlicher Gewinnermittlung im Bereich der Herstellungskosten nicht vergeben. Die Spitzenverbände des Berufsstands haben mit ihren Eingaben im Bundesministerium der Finanzen ein Umdenken erreicht. Mit BMF-Schreiben vom 25. März 2013 (IV C6 – S2133/09/10001 :004); LEXinform 5234425) wurde eine weitere Übergangsregelung zum Herstellungskostenbegriff nach R 6.3 EStR veröffentlicht. Danach kann bis zu einer Neufassung der Einkommensteuerrichtlinien bei der Ermittlung der Herstellungskosten nach der Richtlinie R 6.3 Absatz 4 EStR 2008 verfahren werden. Die weitere Entwicklung muss genau beobachtet werden. Zurzeit jedenfalls ist in diesem Punkt der Gleichlauf zwischen Handels- und Steuerbilanz wieder hergestellt.

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Zum Autor

Frank Seiler

Diplom-Kaufmann, Steuerberater, vereidigter Buchprüfer, seit 1973 in eigener Praxis tätig. Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Deutschen Steuerberater-verbandes e.V. Berlin und im Steuerausschuss des Steuer-beraterverbandes Düsseldorf e.V.

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