Die Bürger und das Bargeld - 24. März 2016

Freie Entscheidung

In letzter Zeit mehren sich Vorschläge, die Bar­geld­nut­zung zu be­gren­zen oder gar zu ver­bie­ten. Neben recht­lichen und öko­no­mi­schen Grün­den gibt es auch prak­tische Hin­der­nisse, die einer Ab­schaf­fung ent­ge­gen­stehen. Daher sollten die Bürger frei über die Wahl des Zah­lungs­mittels ent­schei­den können.

In einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“, zu der sich die Europäische Union (EU) in den Lissabonner Verträgen bekennt, sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass die Bürger und Unternehmen über die Wahl des Zahlungsmittels und -verfahrens nach ihren Präferenzen frei entscheiden können, also, ob sie im Einzelfall eine Transaktion mit Bargeld oder per Überweisung (Buchgeld) durchführen, ob sie mit Kreditkarte, Debitkarte zahlen oder einen Online-Zah­lungs­dienst (Sofortüberweisung, Paydirekt, Paypal) nutzen. Bargeld hat hierbei einen besonderen Rang, weil die von der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgegebenen Banknoten als gesetzliche Zahlungsmittel (Art. 128 Abs. 1 AEUV) im Euroraum besonders hervorgehoben sind. EZB und nationale Notenbanken beziehen einen Großteil ihrer Einnahmen aus der Banknotenemission (Seigniorage); dem entspricht ihre Verpflichtung, eine kostenlose und flächendeckende Ver­sor­gung mit Bargeld zu gewährleisten. Für Deutschland ergibt sich die Verpflichtung aus dem Sor­ge­auf­trag für den Zah­lungs­ver­kehr nach § 3 Bundesbankgesetz (BBankG).

Vorschläge zur Bargeldbegrenzung

In letzter Zeit mehren sich jedoch Vorschläge und Maßnahmen, die Bargeldnutzung zu be­gren­zen, einzuschränken oder ganz zu verbieten. Einmal wird, wie in Finnland oder neuerdings Irland, vorgeblich aus Kostengründen die Ausgabe der kleinen Münzen eingestellt; dann wird eine Abschaffung der großen Banknoten (zum Beispiel die 500-Euro-Note) vorgeblich zur Ein­schrän­kung von Schattenwirtschaft, organisierter Kriminalität und Steuerhinterziehung gefordert (in Deutschland zum Beispiel vom Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Handelsblatt vom 3. Juli 2015) oder die Nutzung von Bargeld wird – wie in Italien – auf Höchstbeträge beschränkt. Dort ist allerdings die ursprüngliche Grenze von 1.000 Euro von Ministerpräsident Renzi wegen der negativen ökonomischen Auswirkungen mittlerweile auf 3.000 Euro angehoben worden. Zuletzt haben Ökonomen aus dem akademischen Bereich (in den USA K. Rogoff, Handelsblatt vom 17. Mai 2015, in Deutschland P. Bofinger, Mitglied des Sach­ver­stän­di­gen­rats, Der Spiegel vom 16. Mai 2015) und teilweise sogar von Notenbanken (A. Haldane, Chefökonom der Bank of England, Deutsche Wirtschaftsnachrichten vom 24. September 2015) nach einem Bargeldverbot gerufen, um die „Handlungsmöglichkeiten der Geldpolitik zu erweitern“. Konkret: Negativzinsen sollen über den Bankensektor hinaus flächendeckend eingeführt werden können.

Konkurrierende Zahlungsverfahren

Geldwäsche wird in großem Stil nicht über Bargeld betrieben.

Hinter vielen dieser Forderungen stehen In­te­res­sen­gruppen, die von kon­kur­rie­ren­den Zah­lungs­ver­fah­ren pro­fi­tie­ren (War on Cash). Je­den­falls sind sie zu­meist in ihrer Be­grün­dung wi­der­legt oder mit Blick auf andere Zah­lungs­ver­fahren stark re­la­ti­viert. So hat es sich he­rum­ge­sprochen, dass die organisierte Kriminalität – bedauerlicherweise – längst unbare oder elektronische Zahlungsverfahren nutzt. Geldwäsche wird in großem Stil nicht über Bargeld, sondern über scheinlegale Unternehmen und Vortäuschung normaler ökonomischer Trans­ak­tio­nen betrieben. Sicher kann auch Bargeld zu illegalen Zwecken, wie zu Steuer­hin­ter­zie­hung genutzt werden; doch der Umkehrschluss, mit der Abschaffung des Bargelds bräche sozusagen eine paradiesische Zeit ohne Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung an, ist unzutreffend. Die großen Steuerhinterziehungsfälle der jüngsten Vergangenheit, die Um­satz­steuer­ka­rus­sel­le in der EU, die sogenannten Cum-ex-Geschäfte mit Dividendenpapieren, die Verlagerung von Bankkonten in Niedrigsteuerländer sind alle nicht oder nur am Rande bargeldgetrieben.

Schattenwirtschaft

Der Bargeldvorwurf erklärt nicht die erheblichen Unterschiede des Anteils der Schattenwirtschaft am Volkseinkommen in einzelnen Ländern (zum Beispiel in Österreich unter zehn Prozent, in Griechenland bei 27 Prozent, vgl. Schneider/Boockmann, Die Größe der Schattenwirtschaft – Methodik und Berechnungen für das Jahr 2015, Linz/Tübingen 2015). Viel entscheidender als das Zahlungsverfahren sind steuerpolitische und ordnungspolitische Rahmenbedingungen: So ist die geschätzte Quote der Schattenwirtschaft in Deutschland nach den Steuersenkungen der Agenda 2010, den Reformen der Minijobs, der Einführung eines – sehr begrenzten – steuerlichen Abzugs von Handwerkerrechnungen (§ 35a EStG) von früher 17 Prozent auf etwa zwölf Prozent zu­rück­ge­gangen. Insgesamt gilt deshalb für die Verwendungsmöglichkeiten von Bargeld der alte Satz des Thomas von Aquin: „Abusus non tollit usum“ – dass eine Sache missbraucht werden kann, spricht noch nicht gegen die Sache selbst.

Sicherheit

Das Bargeld hat schon einige technische Entwicklungen überlebt.

Was die Sicherheit angeht, besteht bei Bargeld ein auf den jeweiligen Betrag beschränktes Diebstahls- und Verlustrisiko, das Fälschungsrisiko ist durch die Aufmerksamkeit der Notenbanken, der Kredit­wirt­schaft und durch neue technische Sicher­heits­merk­male im Lauf der Jahre deutlich gesunken. Bei Kartenzahlungen zum Beispiel erscheinen trotz technischer Nachrüstungen immer wieder Presseberichte über neue Betrugsverfahren von Hackern, die damit oft ganze Konten räumen. Nachdem selbst das Intranet des Deutschen Bundestags von unbekannten Stellen ausgespäht und das Handy der Kanzlerin abgehört wurde, ist davon auszugehen, dass selbst modernste Zahlungsverfahren (Netzgeld), die auf Algorithmen oder der Blockchain-Technologie beruhen, nicht gegen systemische Angriffe gefeit sind. Das Bargeld wiederum hat schon einige technische Entwicklungen überlebt, bei deren Einführung von manchen der „Tod des Bargelds“ vorhergesagt wurde; so den garantierten Euroscheck, den die Kreditwirtschaft zum 1. Januar 2002 wieder eingestellt hat, oder die Geldkarte, die gerade bei kleinen Beträgen das Bargeld ersetzen sollte, aber nie richtig populär wurde. Das Bargeldvolumen im Euroraum ist demgegenüber nach Angaben der Europäischen Zentralbank (EZB) wertmäßig von etwa. 220 Mrd. Euro (2002) auf über 1 Bill. Euro (2015) gestiegen.

Nutzen und Vertrauen

Wechselt man die Perspektive und fragt die Adressaten, auf die es eigentlich ankommen sollte, nämlich die Bürger und Marktteilnehmer, so wollen diese in erster Linie Zahlungssouveränität, also nach ihren eigenen Präferenzen im Einzelfall entscheiden, ob sie bar, mit Kreditkarte, per Über­wei­sungsträger oder online bezahlen. Mit Bargeld verbinden sie zwei Hauptvorteile, nämlich:

  • den praktischen Nutzen: hohe Sicherheit; die Übersicht über das eigene Ausgabeverhalten und somit ein einfaches Instrument der finanziellen Selbstkontrolle; oft auch das emotionale, haptische Erlebnis, den Gegenwert für erbrachte Arbeitsleistung in den Händen halten zu können
  • das Vertrauensargument: Bargeld ist entsprechend seiner Tauschfunktion anonym, trägt dem vom Bundesverfassungsgericht betonten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung; es hängt nicht von der Bestätigung oder Solvenz eines Dritten (Bank, Zah­lungs­dienst­leister) ab. Es gibt dem Bürger selbst in Finanzkrisen eine gewisse finanzielle Sicherheit, wenn es als Vorkehrung gegen „Bank Runs“ zu Bankschließungen (Moratorien, Bank­feier­tage) kommen sollte. Besondere Bedeutung hat das Vertrauensargument ge­gen­über den ak­tu­ellen Bestrebungen gewonnen, nicht nur im Verhältnis von Notenbank (EZB) und Kre­dit­ins­ti­tut, sondern auch im Verhältnis von Bürgern und Unternehmen zu ihrem Kredit­ins­ti­tut, Negativ­zinsen durchzusetzen.

Negativzinsen

Legt ein Kreditinstitut Überschussliquidität bei einer Notenbank des Eurosystems an, muss es hierfür (Stand Januar 2016) Negativzinsen von 0,3 Prozent entrichten. Die Kreditwirtschaft kann diesen faktischen negativen Leitzins aber nicht an ihre Kunden weitergeben, soweit diese in Bargeld ausweichen können. Ökonomisch begrenzen deshalb die Kosten der Bargeldhaltung (zum Beispiel Tresorkosten, Versicherungsprämien) das Ausmaß von Negativzinsen, die das Spar­ver­mögen der Bevölkerung teilweise entwerten würden. Hier wird deutlich, dass ein Bar­geld­ver­bot nicht nur eine Einschränkung von Zahlungsmitteln wäre, sondern auch eine Min­de­rung der Schuld­ner­bo­ni­tät bedeuten würde: An die Stelle des stets 100-prozentig validen und be­lei­hungs­fähigen Bar­gelds (rechtlich eine Forderung gegen die stets solvente Notenbank) träte eine Forderung gegen ein Kreditinstitut, deren Wert und Beleihbarkeit nicht nur von dessen Solvenz, sondern auch von möglichen Eingriffen Dritter (Staat, Notenbank) abhängt. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich und europarechtlich (Art. 17 Grundrechtscharta) ge­schütz­ten Eigentumsgarantie wäre deshalb ein Bargeldverbot nur möglich, wenn Bürgern und Unternehmen ein gleichwertiger unmittelbarer Zugang zu Notenbankgeld eröffnet würde. Die Bargeldoption trägt deshalb letzten Endes ökonomisch und ordnungspolitisch dazu bei, die von der EZB adressierten Ziele (Belebung des Kreditmechanismus, Revitalisierung des Bankensystems, Verhinderung einer behaupteten Deflationsgefahr, Stärkung des Wirtschaftswachstums) nicht über den scheinbar politisch schmerzlosen Weg der finanziellen Repression (Entlastung der Schuldner, Belastung der Gläubiger) zu erreichen, sondern über die Behebung der ordnungs- und strukturpolitischen Ursachen, also der hohen Staatsverschuldung, des Ausmaßes fauler Kredite (Bad Loans) in vielen Ländern, der geringen Effizienz öffentlicher Institutionen, der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit. Der Satz Dostojewskis: „Bargeld ist geprägte Freiheit“ ist nach wie vor aktuell.

Praktische Hindernisse

Nach den rechtlichen und ökonomischen Problemen noch ein Blick auf praktische Hindernisse, die einer Abschaffung des Bargelds entgegenstehen: Aus ökonomischer Sicht lässt sich bekanntlich jede Regulierung als Prämie für Ausweichreaktionen begreifen. Im Falle des Bargelds heißt dies: Bargeldsubstitute wie Edelmetalle, Gold(münzen), private Bonus- und Gutscheinsysteme, wie sie heute mancherorts als sogenannte Regionalwährungen zu Recht nur ein Schattendasein führen, würden an Attraktivität gewinnen. Dies gilt auch für die Flucht in andere Währungen, vor allem den Dollar. Der mögliche Einwand, durch internationale Beschlüsse müsste dann eben auch Bargeld anderer Währungen, vor allem des Dollars, abgeschafft werden (sogenannter Nirwana Approach), erscheint von vornherein unrealistisch. Denn die USA sehen seit jeher in der Dollar­nut­zung im Ausland einen Türöffner für ihre Kultur, ihre Unternehmen, Dienstleistungen und Waren, eine Unterstützung, von der bisher über die Nutzung des Euro auch europäische Unternehmen profitierten. Bargeldsubstitute sind zudem in der Regel ökonomisch und damit wachs­tums­po­li­tisch weniger effizient und hoheitlich schwieriger zu kontrollieren als die Nutzung von Euro­bar­geld. So würde bei einem zunehmenden Gebrauch von Dollarnoten das interne Wechsel­kurs­ri­si­ko wieder in den Euroraum zurückkehren, dessen Abschaffung und die damit verbundenen Effizienzgewinne ein wichtiger Grund für die Einführung des Euro waren. Für das Bargeld gilt deshalb der Erfahrungssatz: „Totgesagte leben länger.“

Stand: 10. Januar 2016

Video: Bargeld – die Zukunft des Euro

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Unter König Krösus wurden im 7. Jahrhundert vor Christus die ersten Münzen geprägt. Heute wird der Tod des Bargelds vorhergesagt. Was ist dran an der Prognose?

Zum Autor

FZ
Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler

war von 2006 bis 2011 Vizepräsident der Deutschen Bundesbank und Vertreter des Präsidenten im EZB-Rat.

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