Die Reform der Arbeitnehmerüberlassung führt nicht nur zu neuen Bußgeldtatbeständen. Dringender Handlungsbedarf ergibt sich vor allem aus der Entstehung ungewollter Arbeitsverhältnisse.
Mit Wirkung zum 1. April 2017 sind auf die Praxis erhebliche Änderungen, insbesondere auf der Rechtsfolgenseite zugekommen. Die Gesetzesanpassungen müssen jetzt in die verwendeten Verträge und vorhandenen Prozesse integriert werden. Rechtsfolge bei der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses ist nicht etwa, dass der Arbeitsvertrag mit dem Verleiher durch ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher ersetzt wird. Vielmehr kann der Leiharbeitnehmer binnen eines Monats schriftlich gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklären, dass er am Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält. Diese Festhaltenserklärung – auch Widerspruchsrecht genannt – wurde aus verfassungsrechtlichen Gründen eingeführt und orientiert sich grob am Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei einem Betriebsübergang nach § 613a Abs. 6 BGB. Denn es widerspreche der Berufsfreiheit des Art. 12 GG, wenn dem Leiharbeitnehmer durch gesetzliche Regelungen ein Vertragspartner „aufgezwungen“ werde.
Festhaltenserklärung im Überblick
Problematisch ist, dass der jeweilige Beginn der Monatsfrist an die genannten Verbots- und Benennungstatbestände und damit an Zeitpunkte anknüpft, von denen der Leiharbeitnehmer gegebenenfalls keine Kenntnis hat beziehungsweise nicht haben kann. In Fällen erlaubniswidriger Überlassung oder der Benennungspflichtverletzung nach § 1 Abs. 1 Sätze 5 und 6 AÜG beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, den Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehen haben (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1a. AÜG). Im Fall der Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer nach § 1 Abs. 1 Satz 3, Abs. 1b AÜG beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt dieser Überschreitung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG). Die Ausübung der Festhaltenserklärung bedarf der Schriftform (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1a, 1b AÜG). Adressat der Willenserklärung des Leiharbeitnehmers ist nach seiner Wahl der Verleiher oder der Entleiher (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1a, 1b AÜG).
Fallbeispiel
Arbeitnehmer A wird von Verleiher V 1 für zehn Monate an Entleiher E überlassen. E firmiert um in Z. A ist inzwischen bei Verleiher V 2 angestellt und wird an Z für 15 Monate überlassen. Die Überlassungshöchstdauer ist um sieben Monate überschritten. Die Frist für die Abgabe der Festhaltenserklärung hat vor Monaten begonnen, ohne dass A dies wusste beziehungsweise wissen konnte.
Vorlagepflicht bei der Agentur für Arbeit
Wirksamkeitsvoraussetzung der Festhaltenserklärung ist nach § 9 Abs. 2 AÜG, dass der Leiharbeitnehmer diese vor ihrer Abgabe, also vor der Übergabe oder Versendung an den Verleiher oder Entleiher persönlich in einer Agentur für Arbeit vorlegt. Insoweit genügt die Vorlage bei irgendeiner Agentur für Arbeit im Bundesgebiet. Die Agentur für Arbeit muss die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tags der Vorlage sowie dem Hinweis versehen, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat. Dadurch sollen vorsorgliche Festhaltenserklärungen noch vor Arbeitsantritt ausgeschlossen werden. Diese Erklärung muss dem Ver- oder Entleiher spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit zugehen. Erfolgt der Zugang später, ist die Erklärung unwirksam. Der Zweck dieser besonderen Zugangsfrist ist es, eine Vorlage der Erklärung auf Vorrat zu Beginn der Überlassung zu vermeiden. Wird die illegale Überlassung nach einer Festhaltenserklärung trotzdem fortgesetzt, ist eine erneute Festhaltenserklärung (§ 9 Abs. 3 Satz 3 AÜG) unwirksam. Es entsteht endgültig ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer.
Rechtsfolgen
Es muss ein rechtskonformer Zustand geschaffen werden.
Gibt der Leiharbeitnehmer eine form- und fristgerechte Festhaltenserklärung ab, hat dies zur Folge, dass „der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nicht unwirksam wird“ (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1a, 1b AÜG). Wichtig, aber noch ungeklärt ist, ob diese Rechtsfolge ex tunc oder ex nunc, also rückwirkend oder ab Abgabe der Erklärung eintritt. Davon hängt nämlich das Schicksal der Ansprüche ab, die durch die illegale Arbeitnehmerüberlassung bereits entstanden sind, wie etwa arbeitsrechtliche Ansprüche des Leiharbeitnehmers gegen den Entleiher oder sozialversicherungsrechtliche Beiträge. Neben der praktisch unklaren Fristenregelung, wann eine Festhaltenserklärung überhaupt abgegeben werden kann, wird die weitere bürokratische Hürde des Gangs zur Agentur für Arbeit ein Festhalten am bisherigen Arbeitsverhältnis eher vermeiden als fördern. Ferner wird den Agenturen für Arbeit ein neuer Aufgabenbereich zugewiesen, auf den diese aktuell wohl nicht vorbereitet sind. Schließlich heilt die Festhaltenserklärung nicht den eigentlichen Rechtsverstoß. Entleiher, Verleiher und Leiharbeitnehmer sind weiter gehalten, unverzüglich einen rechtskonformen Zustand zu schaffen.
Fazit
Vom Gesetzgeber war gewollt, Zeitarbeit komplexer, teurer und damit unattraktiver zu machen. Ergebnis der AÜG-Reform sind teilweise nur schwer handhabbare Regelungen, wie etwa die Festhaltenserklärung. Man darf gespannt sein, wie die Praxis diese Herausforderung annimmt.
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