Wenn der Betriebsprüfer kommt - 3. Juli 2018

„Eine eingehende Untersuchung der Prüfergebnisse ist Pflicht“

Betriebsprüfungen gehören zu den weniger schönen Momenten im Leben von Unternehmern. Doch die Rechtslage ist kompliziert und digitale Prüfmethoden machen es nicht einfacher, die Zusammenhänge zu verstehen.

Im Interview erklärt Dr. Sascha Bleschick, Richter am Finanzgericht Münster, welche Möglichkeiten es für Unternehmen und Berater gibt, auf die Betriebsprüfung und digitale Prüfungsmethoden zu reagieren.

Herr Dr. Bleschick, stellen wir uns folgendes Szenario vor: Die Betriebsprüfung ist vor Ort und nutzt digitale Prüfungsmethoden. Welche Risiken bestehen dann für Unternehmen und Berater?

Die Betroffenen sind Gegenstand einer groß angelegten „digitalen Offensive“ der Finanzverwaltung. Dieser sollten sie nicht hilflos ausgeliefert sein. Vielmehr müssen sie verstehen, was hinter den modernen Prüfungsmethoden steht. Nur so können sie ihre Rechte wahren und angemessen auf die Begehrlichkeiten eines Außenprüfers reagieren.

Konkret gefragt: Wie bereitet man sich vor, damit Daten vor dem unbegrenzten Zugriff auf Vor- und Nebensysteme geschützt sind?

Die Vorbereitung auf den Datenzugriff sollte schon lange vor einer möglichen Außenprüfung beginnen. Im Rahmen einer Außenprüfung ist der Außenprüfer nämlich bestrebt, sämtliche Unternehmensdaten eines Betroffenen mittels Datenzugriffs einzusehen. Hier sollte der Betroffene Vorsorge treffen, damit der Außenprüfer nicht den gesamte E-Mail- und Schriftverkehr eines Unternehmens lesen kann und von seinem Erstqualifikationsrecht Gebrauch machen. Hiernach steht ihm das Recht zu, die nicht steuerrelevanten Daten vor dem Datenzugriff zu schützen.

Die Erstqualifizierung kann der Betroffene auch automatisiert durch so genannte Extraktionsprogramme vornehmen lassen. Jedenfalls darf der Außenprüfer die vorgenommene Auswahl nicht ohne Anlass hinterfragen und Hinzuschätzungen vornehmen. Greift der Außenprüfer gleichwohl zu, können die so erlangten Daten einem steuerrechtlichen Verwertungsverbot unterliegen. In diesem Zusammenhang ist noch auf einen anderen Punkt hinzuweisen. In der Praxis ist häufig davon zu hören, der Außenprüfer dürfe seinen Datenzugriff auf die so genannten Vor- und Nebensysteme erstrecken. Dies birgt die Gefahr, dass der Datenzugriff unzulässig ausgeweitet wird. Denn was ein „Vor- oder Nebensystem“ ist, ist gesetzlich gar nicht festgelegt. Die fehlende Definition darf jedoch nicht dazu führen, die gesetzlich normierten Voraussetzungen des Datenzugriffs zu umgehen. Ansonsten würde das Datenschutzrecht des Betroffenen unzulässig ausgehöhlt. Der Datenzugriff darf sich nur auf steuerrelevante Daten erstrecken.

Streitthema sind oft Verstöße gegen Dokumentationspflichten und daraus möglicherweise resultierende Hinzuschätzungen. Wie kann der Berater hierbei seinen Mandanten unterstützen?

Zunächst einmal sollte der Berater dafür sorgen, dass sein Mandant eine Verfahrensdokumentation erstellt, vorhält und laufend aktualisiert. Dies dient dazu, dem Außenprüfer die im Unternehmen eingesetzten Datenverarbeitungssysteme zu erläutern. Aber: Selbst die Finanzverwaltung hat ihre Außenprüfer angewiesen, auf eine fehlende oder ungenügende Verfahrensdokumentation keine Hinzuschätzung zu stützen, wenn die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit nicht beeinträchtigt ist. Überhaupt sollte stets genau geprüft werden, ob etwa eine vom Außenprüfer auf die GoBD gestützte Dokumentationspflicht tatsächlich gesetzlich verankert ist. Mit anderen Worten: Nicht alles, was unter Hinweis auf die GoBD verlangt wird, beruht auf gesetzlichen Grundlagen. Allerdings darf der Außenprüfer gerade bei bargeldintensiven Betrieben aufgrund von Verstößen gegen Dokumentationspflichten grundsätzlich Hinzuschätzungen vornehmen.

Das Stichwort in diesem Zusammenhang lautet „Programmierprotokoll“. Die Rechtsprechung hat hierzu klargestellt, dass der Außenprüfer bei Nichtvorlage eines Programmierprotokolls nicht automatisch eine Hinzuschätzung vornehmen darf. Der Unternehmer oder dessen Berater können nämlich eine Schätzungsbefugnis verhindern, indem sie im Einzelnen genau darlegen, der Steuerpflichtige habe nicht manipuliert. Und selbst wenn eine Schätzungsbefugnis eröffnet sein sollte, ist nicht alles verloren. Denn immer wieder betont die Rechtsprechung, dass Hinzuschätzungen trotz der Eröffnung einer Schätzungsbefugnis gleichwohl realistisch sein müssen. Beispielsweise ist es heute nicht mehr möglich, einfach so einen Sicherheitszuschlag von zehn Prozent vorzunehmen. Die Finanzgerichte schauen jetzt genauer hin. Hier schlägt die Stunde des Beraters: Er kann zu realistischen Besteuerungsgrundlagen vortragen und damit die Hinzuschätzungsbeträge mindern. Überdies eröffnet die Rechtsprechung gerade im Zusammenhang mit modernen Prüfungsmethoden mehrere Strategien. So können etwa die vom Außenprüfer zur Errechnung der Hinzuschätzung erstellten elektronischen Dateien herausverlangt werden. Auf diese Weise kann die mithilfe einer immensen Datenmenge erstellte Hinzuschätzung transparent gemacht und computergestützt überprüft werden.

Wie lautet Ihr Fazit? Sollten Ergebnisse digitaler Prüfungsmethoden hinterfragt werden?

Eine eingehende Untersuchung der Prüfungsergebnisse ist Pflicht! Für den Außenprüfer liegt der Vorteil der modernen Prüfungsmethoden darin, dass er schnell Prüfungsschwerpunkte auffinden kann. Dabei hilft ihm die Visualisierung, mit der er nach Auffälligkeiten sucht. Sicherlich sind vielen die Graphen eines Zeitreihenvergleichs und einer logarithmischen Normalverteilung bekannt. Hier lauert aber eine Gefahr, der man auf keinem Fall erliegen darf. Denn jeder Graph beruht auf einer Vielzahl von Annahmen, von denen jede einzelne zu hinterfragen ist. Dass etwa die Zahlen einer Buch- oder Kassenführung in jedem Fall bestimmten Verteilungsidealen entsprechen müssen, ist nicht nachgewiesen. Argumentiert der Außenprüfer also mit dem „Newcomb/Benford-Gesetz“ oder meint, die Kasseneinnahmen müssten der „Gauß´schen Glocke“ entsprechen, muss er dies auch beweisen. Meines Wissens ist das bisher noch nicht gelungen.

Entspricht die Buch- oder Kassenführung eines Unternehmers also nicht den Verteilungsidealen des Außenprüfers, dürfen sich Unternehmer und Berater nicht in die Enge getrieben fühlen. Auch hat die Rechtsprechung herausgestellt, dass die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs oder einer Quantilsschätzung vorsichtig zu interpretieren sind. Liegen also keine oder nur geringe formelle Mängel vor, besteht auch bei einem „auffälligen“ Zeitreihenvergleich und selbst bei „signifikanten“ Chi-Quadrat-Werten keine Schätzungsbefugnis. Und selbst wenn gravierende formelle oder gar materielle Mängel vorliegen, muss der Zeitreihenvergleich bzw. die Quantilsschätzung technisch korrekt durchgeführt werden. Hier hat die Rechtsprechung schon mehrere Fälle aufgedeckt, bei denen dies nicht der Fall war. Und wie immer muss eine Hinzuschätzung auch bei groben Mängeln realitätsgerecht sein. Zusammenfassend gilt also: Zwar mag ein Bild mehr als eintausend Worte sagen – es eröffnet aber allein weder eine Schätzungsbefugnis noch begründet es die Höhe der Hinzuschätzung.

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Markus Riedl

Redaktion DATEV magazin

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