Persönliches Burn-out – und nun? - 27. November 2014

Ein Weg zurück

Verliert man als Folge der Krankheit beruflich den Boden unter den Füßen, scheint das das Ende der Welt zu sein. Das dadurch ausgelöste Gefühl der Ausweglosigkeit ist jedoch Teil der Krankheit. Es verschwindet, sobald die Depression abklingt.

Letztes Frühjahr bin ich zusammengebrochen. Ende April 2013 ging nichts mehr. Nachdem ich mich die beiden Jahre zuvor nur noch mühsam vorangeschleppt hatte, gab mir eine akute Belastungssituation den Rest. Die Ärzte diagnostizierten ein Burn-out sowie eine schwere depressive Episode. Nach dieser Diagnose brach mein Alltag zusammen. In Absprache mit meinen Ärzten durfte ich noch knapp zwei Wochen eingeschränkt weiterarbeiten, um die wichtigsten Dinge zu erledigen und mein Dezernat halbwegs geordnet übergeben zu können. Dann war, von einem Tag auf den anderen, Schluss. Von Mitte Mai bis Mitte Oktober habe ich nicht als Anwalt gearbeitet. Ich kann mich kaum erinnern, in den beiden Jahren vor dem Zusammenbruch an einem Tag nicht gearbeitet zu haben. Auch an den Wochenenden war ich mindestens an einem Tag im Büro. Zumeist waren es sogar beide Tage.
Dementsprechend sah mein restliches Leben aus. Es fand praktisch kaum noch statt. Lediglich das Laufen brachte eine Zeit lang einen gewissen Ausgleich, bis auch hier der Leistungsgedanke derart die Oberhand gewann, dass der Sport zum Teil der Symptomatik wurde. Als ich endlich arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde, erschien mir das Leben ohne Arbeit wüst und leer. Freunde und Kollegen, die zu diesem Zeitpunkt schon klarer sahen als ich, drängten mich dazu, in eine Klinik zu gehen. Als sie mir diesen Vorschlag machten, brach ich in Tränen aus. Zum Glück war ich zu schwach, um mich gegen das Ansinnen auf Dauer zu wehren. Ich willigte schließlich ein. Ich war zehn Wochen in stationärer Behandlung. Ich habe mich physisch und psychisch erholt und die Depression mithilfe von Therapie und Medikamenten überwunden. Die Klinik hatte ein ungewöhnlich umfangreiches therapeutisches Angebot. Tägliche Einzel- und Gruppensitzungen, mehrmals wöchentlich Gestaltungs- und Achtsamkeitstherapien, dazu Entspannungsübungen und – in Maßen – Sport.
Das war also kein Erholungsurlaub. Das Programm war umfangreich und angesichts der Probleme, denen ich mich stellen musste, anstrengend. Das Wochenende war frei, ein Umstand, der für sich genommen bereits einen therapeutischen Effekt bei mir hervorrief.

Akzeptanz der Erkrankung

In der Therapie habe ich festgestellt, dass ich meinen Beruf als Strafverteidiger weiterhin ausüben will. Allerdings habe ich auch erkannt, dass aufgrund bestimmter persönlicher Dispositionen meine damaligen Arbeitsbedingungen ihren Anteil an der Erkrankung hatten. Mir wurde klar, dass ich die Art und Weise, wie ich meinen Beruf ausübte, grundlegend ändern musste. Deshalb habe ich die Sozietät, die ich fünf Jahre zuvor mit gegründet hatte, verlassen.
Als ich aus der Sozietät ausschied, hatte ich noch keine Pläne für einen Neustart. Zu meiner eigenen Überraschung machte mir das zunächst wenig aus. Mit dem Abklingen der Depression kam der Optimismus zurück, der Glaube an die eigenen Fähigkeiten sowie eine Tatkraft, die ich lange nicht mehr gespürt hatte. Davor hatten mir grundlegende Veränderungen Angst gemacht; nun erkannte ich, dass sie nicht das Ende der Welt bedeuteten. Trotzdem verließ ich die Klinik im August 2013 mit gemischten Gefühlen. Es ist eine Sache, die Zukunft in einem geschützten therapeutischen Umfeld zu planen, eine andere, sie „draußen“ tatsächlich zu gestalten. Wichtig ist zu begreifen, dass der Klinikaufenthalt kein Boxenstopp ist. Wer aus der Klinik kommt, kann zumeist nicht gleich wieder mit Vollgas auf die Piste.

Ich habe die Auszeit nach dem Klinikaufenthalt gebraucht, um meine Vorstellungen über den Wiedereinstieg in den Beruf umsetzen zu können.

Ich hatte das Glück, mir nach dem Klinikaufenthalt eine weitere, zweimonatige Auszeit nehmen zu können. Ich habe diese Zeit gebraucht, nicht zuletzt dazu, um meine Vorstellungen über den Wiedereinstieg in den Beruf umsetzen zu können. Schon in der Klinik hatte ich – mithilfe meiner Therapeuten – die Eckpunkte für den Neustart abgesteckt. Zunächst hatte ich entschieden, offen mit meiner Krankheit umzugehen. Ich wollte mich nicht hinter einer Herz-Kreislauf- oder Bandscheiben-Reha verstecken. Bei dieser Entscheidung half mir der Zuspruch, den ich von Kollegen, die den Grund meines Klinikaufenthalts kannten, erhalten hatte. Schließlich kam mir auch der Zufall zu Hilfe. Ein Interview, das durch die Klinik vermittelt wurde, führte dazu, dass meine Erkrankung vielen Kollegen bekannt wurde. Das ersparte mir sicher viele Nachfragen und Erklärungen. Ich bin nach wie vor froh, dass ich diese Entscheidung getroffen habe, weiß aber nicht, ob ich jedem dazu raten würde. Kurz nach Erscheinen des Interviews bekam ich Post von einem Kollegen, der als Referendar an einer Depression gelitten hatte. Damals, so schrieb er mir, habe er nicht den Mut gehabt, sich zu offenbaren. Ich kann ihn gut verstehen. Wenn ich nicht bereits über zehn Jahre im Beruf gestanden hätte, hätte ich diesen Mut wahrscheinlich auch nicht aufgebracht. Über den zeitlichen Umfang meiner Tätigkeit war ich mir ebenfalls bereits in der Klinik klar geworden. Drei Tage in der Woche wollte ich wieder als Anwalt arbeiten, einen halben Tag plante ich für meinen Lehrauftrag ein. Mein Therapeut und ich meinten, dass ich diese Belastung verkraften könne. Den Rest der Woche sollte ich zur Erholung, aber auch zur Fortsetzung der Behandlung nutzen. Beides war gerade in der ersten Zeit der Wiedereingliederung von großer Bedeutung. Die Rückkehr in den Beruf hatte mich euphorisiert. Die Arbeit ging mir wesentlich leichter von der Hand, nachdem die mit der Depression einhergegangenen kognitiven Einschränkungen abgeklungen waren.
Damit geht aber zugleich die Gefahr einher, sich selbst zu überschätzen und zu übernehmen. Verständige und gegebenenfalls professionelle Begleitung ist in dieser Phase folglich besonders wichtig. Dafür kommen nicht nur niedergelassene Therapeuten, sondern auch Selbsthilfegruppen in Betracht. Der Erfahrungsaustausch mit denjenigen, die Gleiches oder Vergleichbares hinter sich gebracht haben, ist nicht nur tröstlich, sondern auch für die Einschätzung der eigenen Situation sehr wertvoll. Es ist erstaunlich leicht, sich selbst etwas vorzumachen; ebenso erstaunlich ist es, wie leicht man von seinesgleichen durchschaut wird. Zwei Wochen nach meiner Rückkehr aus der Klinik habe ich mit den Bewerbungsgesprächen begonnen. Dabei bin ich auf viel Verständnis für meine Situation gestoßen sowie auf eine erstaunlich große Bereitschaft, die Arbeitsbedingungen meinen Vorstellungen entsprechend zu gestalten. Das ist sicher nicht selbstverständlich.
Diese Erfahrung sollte jedoch jedem Mut machen, dem eigenen „Marktwert“ zu vertrauen und über Arbeitsbedingungen zu verhandeln, die einen erfolgreichen und nachhaltigen Wiedereinstieg möglich machen. Ich hatte das Glück, unter mehreren Angeboten auswählen zu können. Die Anwälte, mit denen ich seit Mitte Oktober 2013 zusammenarbeite, sind zumeist alte und gute Bekannte. Ich habe mich unter anderem deshalb für sie entschieden, weil ich ihnen vertraue und ich mir sicher war, dass sie die zugesagten Arbeitsbedingungen einhalten würden. Sie haben mich nicht enttäuscht.

Eigenes Resümee

Es ist keine Schande, an einem Burn-out oder an einer Depression zu erkranken oder an einer anderen psychischen Krankheit zu leiden. Trotzdem fällt es zunächst schwer, eine derartige Tatsache zu akzeptieren. Mir ist das erst in der Klinik gelungen, als ich die Diagnose in einem Bericht an die Krankenkasse zum ersten Mal schwarz auf weiß in der Hand hielt.
Die Krankheit und ihre Folgen waren mit meinem Selbstbild nicht vereinbar. Ich wäre lieber nicht krank geworden. Nicht nur meinetwegen. Auch andere Menschen haben sehr darunter gelitten. Aber das Akzeptieren der eigenen Krankheit ist der erste – schwere – Schritt auf dem Weg zurück. Dann kann die Krankheit behandelt und in den allermeisten Fällen auch geheilt werden. Und einige Erkenntnisse und Erfahrungen, die ich in der Zeit der Rekonvaleszenz gewonnen habe, möchte ich heute nicht missen: Man erkennt, dass das Leben weitergeht. Der Spruch ist alt. Er klingt nach billigem Trost. Aber er stimmt.

Zum Autor

AS
Alexander Sättele

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Partner der Kanzlei
Danckert Bärlein Sättele Rechtsanwälte in Berlin und lehrt in der Hauptstadt seit 2012 zudem
Wirtschaftsstrafrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht.

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