Erbengemeinschaften - 26. März 2015

Dinglich abschichten

Die persönliche Teil­aus­ein­an­der­set­zung ist eine un­kom­pli­zierte Mög­lich­keit, als Miterbe ohne no­ta­riel­len Vertrag die dinglich wir­kende Rechts­zu­ständig­keit über Nach­lass­grund­stücke zu erlangen.

Hinterlässt ein Erblasser mehrere Erben, entsteht eine Erbengemeinschaft, die sogenannte Gesamthandsgemeinschaft (§ 2032 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Die Verwaltung des Nachlasses ist sodann grundsätzlich nur noch gemeinschaftlich möglich, wobei über alle Verwaltungsmaßnahmen einstimmig entschieden werden muss. Das mag bei zwei Miterben noch kontrollierbar sein. Bei Erbengemeinschaften, die aus mehr als zwei Mitgliedern bestehen, wird es schon komplizierter. Die Miterben werden die Erbengemeinschaft deshalb über kurz oder lang beenden wollen. Die Erbengemeinschaft endet in der Regel mit der Auseinandersetzung, die jeder Miterbe zu jedem Zeitpunkt verlangen kann (§ 2042 Abs. 1 BGB). Neben der Auseinandersetzung nach den gesetzlichen Teilungsregeln haben die Miterben auch die Möglichkeit, sich über die Verteilung der Nachlassgegenstände auf Grundlage der Vertragsfreiheit zu einigen. Die Miterben vereinbaren dazu einen Auseinandersetzungsvertrag: Der eine bekommt das Haus, der andere die Waldgrundstücke, der Dritte die Lebensversicherung. Die Auseinandersetzung kann auch durch Übertragung sämtlicher Miterbenanteile (§ 2033 BGB) auf einen Miterben vonstattengehen.

Die persönliche Teilauseinandersetzung

Es gibt jedoch noch eine weitere Möglichkeit, die Erbengemeinschaft zu verlassen: die persönliche Teilauseinandersetzung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 1998 in einer grundlegenden Entscheidung anerkannt, dass ein Miterbe gegen Abfindung aus der Erbengemeinschaft ausscheiden kann. Diese Variante nennt sich Abschichtung, ein in der Praxis bereits verwendeter Begriff, der vom BGH auch übernommen wurde. Mit der Abschichtung verzichtet der Miterbe auf seine Mitgliedschaftsrechte – inklusive des Rechts auf Auseinandersetzungsguthaben – an der Gesamthandsgemeinschaft. Sein Erbteil wächst dadurch den verbleibenden Mitgliedern der Erbengemeinschaft an. Die Abschichtung ist formfrei möglich, und zwar auch dann, wenn zum Nachlass Grundvermögen gehört. Die Eigentumsübertragung vollzieht sich außerhalb des Grundbuches, sodass das Grundbuch zu berichtigen ist. Eine Auflassungserklärung des Aus­tritts­wil­li­gen ist ebenso wenig notwendig wie die Bewilligung der übrigen Miterben. Diese Rechtsfortbildung des BGH ist in der Literatur umstritten, in der Praxis jedoch anerkannt.
Der Anteil des Abgeschichteten wächst kraft Gesetzes analog § 738 BGB den verbleibenden Miterben an. Das Versprechen, die gesetzliche Anwachsung zu vollziehen, löst somit keine Beurkundungspflicht nach § 311b Abs. 1 BGB aus. Lediglich dann, wenn als Abfindung ein Grundstück übertragen wird, ist diese Handlung formbedürftig. Aufgrund dieser Formfreiheit werden erhöhte Anforderungen an die Feststellung des tatsächlichen Rechtsbindungswillens des Austrittswilligen gestellt. Es gilt somit jedenfalls, die Vereinbarung schriftlich festzuhalten.
Der Vorteil dieser Formfreiheit liegt im Kostenrecht: Statt einer teuren Beurkundung nach § 36 Abs. 2 Kostenordnung (KostO) bei der herkömmlichen Auseinandersetzung – die doppelte der vollen Gebühr ohne Gebührenobergrenze – reicht bei der formfreien Abschichtung die Unter­schrifts­be­glau­bi­gung nach § 45 KostO mit einer Gebührendeckelung auf 130 Euro plus Mehr­wert­steuer. Gerade bei Nachlässen mit hohem Immobilienvermögen liegt der Vorteil hier klar auf der Hand. Die Formfreiheit ist in der Literatur jedoch Stein des Anstoßes, weil damit einige Probleme verbunden sind.

Fallstricke

Auch nach seinem Ausscheiden haftet der abgefundene Erbe nach wie vor als Erbe für die Erblasser- und Erbfallschulden.

Ein Problem liegt in der Aussagekraft des Erb­scheins in der Praxis. Der Vollzug der Ab­schich­tungs­verein­barung lässt die Erben­stel­lung des Aus­ge­tre­te­nen un­ver­ändert, sodass der Ab­ge­schich­tete nach wie vor im Erb­schein als Erbe auf­zu­führen ist. Der Erbs­chein wird durch die voll­zo­gene Ab­schich­tung nicht un­richtig, die Erb­quote an sich ändert sich auch durch die Ab­schich­tung nicht. Le­dig­lich die Be­tei­li­gungs­quote am Nach­lass im Rahmen der Mit­glied­schaft in der Er­ben­ge­meinschaft ist zu korrigieren. Durch die Ab­schich­tung wird eben nur die Mitgliedschaft in der Erbengemeinschaft beendet, welche sich jedoch nicht zwingend mit der Erbenstellung deckt. Der Ausgeschiedene ist nicht mehr berechtigt und auch nicht mehr verwaltungs- und verfügungsbefugt (§§ 2038, 2040 BGB). Für die Öffentlichkeit ist jedoch nicht erkennbar, dass Erbenstellung und Verfügungsmacht aus­ein­ander­fallen können. Die Öffentlichkeit wird sich am Erbschein orientieren. Deshalb wird ein Schuldner des Nachlasses auch nach erfolgter Abschichtung vermutlich nur an alle leisten wollen. Ein Dritter, der einen Nachlassgegenstand erwerben will, wird bestätigt haben wollen, dass alle Miterben mitwirken. Es wird somit zu Abwicklungsproblemen im Rechtsverkehr kommen, weil zunächst nachgewiesen werden muss, dass die Mitgliedschaft des Ausgetretenen und damit seine Ver­fü­gungs­be­rech­ti­gung geendet hat.
Der Austrittswillige muss außerdem beachten, dass mit der Abschichtungsvereinbarung keine Entlassung aus der Erbenhaftung verbunden ist. Vermutlich wird der Laie jedoch genau davon ausgehen. Auch nach seinem Ausscheiden haftet der abgefundene Miterbe nach wie vor gemäß § 1967 BGB als Erbe für die Erblasser- und Erbfallschulden. Für die Schulden, die als Nach­lass­schulden nach seinem Ausscheiden begründet werden, haftet er jedoch nicht mehr. Das bedeutet aber auch, dass der Ausgeschiedene nach wie vor für die Erfüllung des Pflicht­teils­an­spruches haftet. § 1967 BGB knüpft eben nur an die Erbenstellung an, nicht an die Mitgliedschaft in der Erbengemeinschaft.
Auch die Haftungs­be­schrän­kungs­mög­lich­keiten werden durch die Abschichtung reduziert: Als Haf­tungs­be­schrän­kungs­mö­glich­keiten stehen dem Abgeschichteten nach wie vor die Nachlassinsolvenz und die Dürftigkeitseinrede zur Verfügung. Die Haftungsbeschränkung gemäß § 2059 Abs. 1 und die Nachlassverwaltung hingegen sind nur bis zur Teilung des Nachlasses möglich und entfallen nach herrschender Meinung nach vollzogener Abschichtung.
Ein weiterer Fallstrick liegt im Steuerrecht: Der Abgeschichtete ist weiterhin Schuldner der Erbschaftsteuer. Zu beachten ist auch das Auslösen einer steuerpflichtigen Schenkung an die übrigen Miterben, wenn eine zu geringe oder gar keine Abfindung bezahlt wird. Einkommensteuerpflichtige Veräußerungsgewinne können drohen, wenn sich Betriebsvermögen im Nachlass befindet.

Zustimmungserfordernis und Rücktrittsrecht

In gewissen Fällen sind Zustimmungserfordernisse zu berücksichtigen: Ist ein Minderjähriger Miterbe, sind je nach Konstellation vormundschaftsgerichtliche Pflichten (Bestellung eines Ergänzungspflegers, Genehmigung usw.) zu beachten. Liegt ein Fall der Vor- und Nacherbschaft vor, so muss der Nacherbe unter Umständen im Rahmen der §§ 2113, 2114 BGB (Verfügungen über Grundstücke, Hypothekenforderungen, Grund- und Rentenschulden) zustimmen. Gleiches gilt für den Fall eines Nießbrauchs am Erbteil. In diesem Fall ist die Mitwirkung des Nieß­brauchs­be­rech­tig­ten nötig. Es empfiehlt sich, die Einwilligung des Ehegatten einzuholen, wenn der Abzuschichtende verheiratet ist.
Nach erfolgter Abschichtung kann die Frage auftauchen, ob und wie der Abgeschichtete die Abschichtung wieder rückgängig machen kann, zum Beispiel wenn die versprochene Abfindung nicht bezahlt wird. Der Rücktritt gemäß § 323 BGB mit anschließender Rückabwicklung ist möglich. Die Rückgewähr des bereits aufgegebenen Erbteils kann ­jedoch nur durch Erb­teils­über­tra­gung gemäß § 2033 BGB erfolgen. Es empfiehlt sich somit, auf jeden Fall die dingliche Abschichtung nur ­unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Leistung der Abfindung zu erklären. Nur so kann der Austrittswillige sicher sein, dass die dingliche Aufgabe seines Erbteils erst dann eintritt, wenn die Abfindung geleistet wurde. Die in der Er­ben­ge­mein­schaft ver­blei­ben­den Miterben sind hingegen geschützt, dass der Austrittswillige in der Schwebe­zeit nicht über seinen Erbteil verfügt.

Fazit

Solange der BGH seine ausgesprochene Rechtsfortbildung nicht rückgängig macht – wovon nicht auszugehen ist –, wird die persönliche Teil­auseinandersetzung auch in der Praxis weiterhin anerkannt werden.

Zur Autorin

Solange van Rens

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Erb- und Arbeitsrecht; Partnerin in der Kanzlei Binder & Partner, Passau, sowie Mitglied im Redaktionsbeirat des DATEV magazins

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