Bis zur Neuregelung der Erbschaftsteuer kann betriebliches Vermögen noch nach den alten Regeln übertragen werden. Trotz gewisser Rechtsunsicherheit könnte es sich aus steuerlicher Sicht lohnen, jetzt zu handeln.
Der Mittelstand als das so oft zitierte Rückgrat der deutschen Wirtschaft wird besonders stark durch Familienunternehmen geprägt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie – meist über mehrere Generationen hinweg – im Eigentum einer oder mehrerer Familien stehen, wobei die Ausgestaltungen mannigfaltig sind. Der Handwerker, der sein Einzelunternehmen immer an einen geeigneten Abkömmling aus der Familie weitergibt, oder die Großfamilie, die ihre Interessen in einer AG & Co. KGaA bündelt – allen ist gemein, dass sie sich beim Übergang auf die nächste Generation mit der Erbschaftsteuer befassen müssen, denn in den seltensten Fällen werden Unternehmen oder Anteile daran im Familienkreis verkauft. Daher ist es wichtig, erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte bei der Unternehmensnachfolge zu beleuchten und auch auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sowie daraus resultierende gegenwärtige Überlegungen des Gesetzgebers einzugehen. Soweit in diesem Beitrag von Erbschaftsteuer die Rede ist, gelten die Ausführungen entsprechend für die Schenkungsteuer, die im Grundsatz denselben Regeln unterworfen ist.
Betriebliches Vermögen
National wie international besteht ein weitgehender Konsens, dass im Betrieb gebundenes Vermögen im Erb- oder Schenkungsfall nicht wie liquides Vermögen besteuert werden sollte. Insbesondere wenn die Steuersätze – wie hierzulande – hoch sind, könnte eine unreflektierte Besteuerung durch den damit verbundenen Liquiditätsbedarf und -abfluss im Unternehmen Arbeitsplätze gefährden, bis hin zu einer Existenzgefährdung des Unternehmens selbst. Deutschland hat sich – im Gegensatz zu anderen Ländern wie etwa Großbritannien – entschieden, betriebliches Vermögen der Erbschaftsteuer zu unterwerfen, wenngleich auch seit jeher mit zum Teil sehr weitgehenden Begünstigungen. Die dritte Überprüfung der Erbschaftsteuer nach 1995 und 2006 hält nach Auffassung des höchsten deutschen Gerichts erneut den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) nicht stand. In den ersten beiden Entscheidungen begründete im Wesentlichen die privilegierte Bewertung einzelner Vermögensgruppen – im Fokus stand vor allem die Grundbesitzbewertung nach den Einheitswerten und später nach den Bedarfswerten – gegenüber anderem Vermögen die Verfassungswidrigkeit. Aktuell sind es nun die sehr weitgehenden Verschonungsregelungen für betriebliches Vermögen, die vom Gericht letztlich als nicht verfassungsmäßig eingestuft werden.
Regelverschonung
Wird betriebliches Vermögen (Einzelunternehmen, Mitunternehmeranteile, land- und forstwirtschaftliche Betriebe sowie qualifizierte Kapitalgesellschaftsbeteiligungen) vererbt oder verschenkt, können Erwerber derzeit weitgehende Begünstigungen bei der Erbschaftsteuer in Anspruch nehmen. Kleinere Unternehmen bis zu einem Wert von eine Million Euro können steuerfrei, Unternehmen mit einem höheren Wert mit einem Verschonungsabschlag von 85 Prozent übertragen werden (Regelverschonung), wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Der Wert des üblicherweise nicht den betrieblichen Zwecken des Betriebs dienenden Vermögens (Verwaltungsvermögen) beträgt im Übertragungszeitpunkt nicht mehr als die Hälfte des Unternehmenswerts.
- Der Erwerber führt den Betrieb für einen Zeitraum von fünf Jahren im Wesentlichen unverändert fort (Behaltens- und Fortführungsfrist), also insbesondere verkauft er den Betrieb in diesem Zeitraum nicht.
- Der Erwerber entzieht dem Betrieb – sei es durch Entnahmen oder Ausschüttungen – während der fünfjährigen Behaltens- und Fortführungsfrist nicht mehr als 150.000 Euro der bei Übertragung vorhandenen Vermögenssubstanz über die im Behaltens- und Fortführungszeitraum erzielten Gewinne und Einlagen hinaus (schädliche Überentnahmen).
- Das Lohnsummenniveau im Betrieb sinkt im Laufe der auf die Übertragung folgenden fünf Jahre (Lohnsummenfrist) nicht unter 80 Prozent des jährlichen Lohnsummenniveaus im Durchschnitt der letzten vor der Übertragung abgeschlossenen fünf Geschäftsjahre. Diese Regelung gilt jedoch nur für Unternehmen, bei denen mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt sind.
Optionsverschonung
Eine steuerfreie Übertragung auch von Unternehmen mit einem Wert von über eine Million Euro ist darüber hinaus möglich (Optionsverschonung), wenn der Erwerber das unwiderruflich beantragt und die vorstehenden Voraussetzungen mit folgender Maßgabe erfüllt:
- Der Wert des Verwaltungsvermögens darf nicht mehr als zehn Prozent des Unternehmenswerts betragen.
- An die Stelle einer Behaltens- und Fortführungsfrist von fünf Jahren tritt eine Frist von sieben Jahren.
- Das Lohnsummenniveau im Betrieb sinkt im Laufe der auf die Übertragung folgenden sieben Jahre nicht unter das jährliche Lohnsummenniveau im Durchschnitt der letzten vor der Übertragung abgeschlossenen fünf Geschäftsjahre; auch dies gilt jedoch nur für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten.
Verlust der Verschonung
Ein Verstoß gegen die Behaltensregeln führt nicht zwangsläufig zum Verlust der Verschonung.
Ein Verstoß gegen die vorgenannten Behaltens- und Fortführungsregeln führt nicht zwangsläufig zum Verlust der Verschonung insgesamt; vielmehr hängt der Umfang des Verlusts vom Zeitpunkt der schädlichen Maßnahme beziehungsweise vom Umfang des Verstoßes ab. Verstößt ein Erwerber gegen die Behaltens- und Fortführungsfristen, weil er beispielsweise das geerbte Unternehmen im vierten Jahr nach dem Erwerb verkauft, entfällt die Regelverschonung von 85 Prozent nur zu zwei Fünfteln. Die Ratio dahinter ist, dass der Erwerber den Betrieb bereits drei der vorgeschriebenen fünf Jahre fortgeführt hat. Unterschreitet die Lohnsumme des Unternehmens eines Erwerbers, der die Optionsverschonung beantragt hat, in den auf die Übertragung folgenden sieben Jahren die vorgegebene Mindestlohnsumme um 20 Prozent, so entfällt auch der Verschonungsabschlag nur in dieser Höhe.
Bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen, das heißt insbesondere Aktien oder Geschäftsanteilen einer GmbH, ist zu beachten, dass diese nur dann als der Verschonung zugängliches betriebliches Vermögen gelten, wenn die unmittelbare Beteiligung des Erblassers oder Schenkers mehr als 25 Prozent des Grund- beziehungsweise Stammkapitals beträgt. Bei der Ermittlung der maßgeblichen Beteiligungsquote können Anteile weiterer Gesellschafter mit einbezogen werden, sofern sie sich bestimmten für Familienunternehmen typischen Bindungen unterwerfen (Poolregelung). Wichtig hierbei ist, dass diese Bindungen nicht nur im Zeitpunkt der Übertragung, sondern auch für den gesamten Behaltens- und Fortführungszeitraum vorliegen müssen.
Die BVerfG-Entscheidung zur Erbschaftsteuer
Das BVerfG hat in seiner im Dezember vergangenen Jahres veröffentlichten Entscheidung das Verschonungssystem nach dem geltenden Recht im Grundsatz zwar gebilligt, allerdings in einzelnen Teilbereichen so gravierende Gleichheitsverstöße gesehen, dass es das Erbschaftsteuergesetz insgesamt für verfassungswidrig erachtet hat. Um erhebliche Steuerausfälle für den Fiskus – das Erbschaftsteueraufkommen steht den Ländern zu – zu vermeiden, hat das Gericht die Weitergeltung der aktuellen Regeln bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber angeordnet, die bis spätestens 30. Juni 2016 erfolgen soll. Dem Gesetzgeber ist es dabei ausdrücklich vorbehalten, eine besonders exzessive Ausnutzung der als verfassungswidrig erkannten Regelungen gegebenenfalls rückwirkend auf den Zeitpunkt der Entscheidung zu versagen. Beanstandet werden im Wesentlichen drei Aspekte der geltenden Verschonungsregeln:
- Eine so weitgehende Steuerverschonung, wie sie das geltende Recht vorsieht, ist ohne jede Bedürfnisprüfung für vom Gesetzgeber als besonders förderungswürdig eingestufte kleine und mittlere Unternehmen gerechtfertigt, nicht aber für Großunternehmen.
- Die im Grundsatz verfassungskonforme Lohnsummenregelung läuft aufgrund der Mindestbeschäftigtenzahl von mehr als 20 Beschäftigten praktisch weitgehend leer, da nur rund zehn Prozent der Unternehmen diese Voraussetzung erfüllen.
- Schließlich sind die Regelungen zum Verwaltungsvermögen zu wenig zielgenau und begünstigen dadurch auch eine Reihe von Gestaltungen, die dem Gesetzeszweck offenkundig zuwiderlaufen. Insbesondere die Möglichkeit, Verwaltungsvermögen, also dem Grunde nach nicht privilegiertes Vermögen, im Wert von bis zu 50 Prozent des Unternehmenswerts – bei Konzernstrukturen unter Umständen einen noch höheren Anteil – steuerfrei zu übertragen, verstößt nach Auffassung der obersten Richter gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG.
Aktivitäten des Gesetzgebers
Die Bundesregierung hat am 8. Juli den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Dabei ist keineswegs an eine grundlegende Umwälzung des bestehenden Erbschaftsteuersystems gedacht, sondern vielmehr an eine minimalinvasive Änderung. Ein Systemwechsel scheint derzeit politisch nicht durchsetzbar zu sein, sind doch bereits die nun auf dem Tisch liegenden Änderungsvorschläge in der Regierungskoalition nach wie vor hochumstritten. Daher ist es durchaus möglich, dass das Gesetz bei seiner endgültigen Verabschiedung noch erhebliche Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf aufweist. Auch darf bezweifelt werden, ob ein Konsens – wie derzeit geplant – noch in diesem Jahr gefunden werden kann. Der Regierungsentwurf sieht insbesondere folgende wesentliche Änderungen gegenüber der derzeitigen Gesetzeslage vor: Begünstigtes Betriebsvermögen soll nicht wie bisher negativ über den Verwaltungsvermögensbegriff, sondern positiv abgegrenzt werden. Begünstigt werden soll nur das Vermögen, das seinem Hauptzweck nach überwiegend einer land- und forstwirtschaftlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit dient. Nicht begünstigtes Vermögen wird maximal in Höhe von zehn Prozent des begünstigten Vermögens wie begünstigtes Vermögen behandelt. Neu sind zudem eine konsolidierte Betrachtungsweise bei mehrstufigen Gesellschaftsstrukturen und die Nettobetrachtung, also der anteilige Schuldenabzug. Finanzmittel werden ähnlich dem aktuell bereits existierenden Finanzmitteltest nur begünstigt, soweit sie 20 Prozent des Vermögenswerts des Betriebs nicht übersteigen. Bei der Übertragung von Anteilen an Großunternehmen sollen die weitgehenden Verschonungsabschläge an zusätzliche Bedingungen geknüpft oder nicht mehr in vollem Umfang gewährt werden. Ab einem Schwellenwert von 26 Millionen Euro für den einzelnen Erwerb beziehungsweise von 52 Millionen Euro, soweit ein Unternehmen betroffen ist, bei dem bestimmte als für Familienunternehmen typisch erachtete gesellschaftsvertragliche Restriktionen über einen Zeitraum von insgesamt 40 Jahren verankert sind, hat der Erwerber zwei Optionen: Er kann zwischen einer konkreten Verschonungsbedarfsprüfung und einem maximal bis auf 20 Prozent abschmelzenden Verschonungsabschlag bei der Regelverschonung beziehungsweise 35 Prozent bei der Optionsverschonung wählen. Im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung ist auch das Privatvermögen des Erwerbers mit einzubeziehen. Die Grenze, ab der die Lohnsummenregelung zu beachten ist, soll auf drei Beschäftigte herabgesetzt werden, wobei die zu erfüllenden Lohnsummenvorgaben bei Übertragung von Anteilen an Unternehmen mit zwischen vier und 15 Mitarbeitern stark reduziert sind.
Auswirkungen auf die Nachfolge
Was bedeutet das für anstehende Unternehmensnachfolgen? Da der Gesetzgeber Anstrengungen unternimmt, die Vorgaben des BVerfG umzusetzen und die beanstandeten Regelungen fristgerecht verfassungskonform auszugestalten, bedeutet das vor allem zweierlei: Die zu erwartende Neuregelung wird – wie schon die Regelungen des Regierungsentwurfs zeigen – aufgrund der Vorgaben des BVerfG für die Übertragung von Betrieben in vielen Fällen zwangsläufig Verschärfungen gegenüber dem geltenden Recht mit sich bringen. Betriebliches Vermögen kann bis zu einem Inkrafttreten einer Neuregelung grundsätzlich noch nach den geltenden Regeln übertragen werden. Derzeit gibt es zwar keine Anzeichen dafür, dass der Gesetzgeber überhaupt ein teilweise rückwirkendes Inkrafttreten des Gesetzes plant. Dennoch bleibt diesbezüglich eine gewisse Restunsicherheit bestehen, sofern bei der Übertragung die als verfassungswidrig beanstandeten Regelungen exzessiv ausgenutzt werden. In vielen Fällen dürfte sich aber aus rein steuerlicher Sicht eine zeitnahe Übertragung nach den geltenden Regeln noch lohnen.