Gewinner in allen Bereichen - 27. November 2014

Die Balance halten

Gelingt es, eine aus­ge­wo­ge­ne Work-Life-Balance zu ge­stal­ten, so ergibt sich eine drei­fache Win-win-Situation: für Ar­beit­ge­ber, Ar­beit­neh­mer und auch für die Gesellschaft.

Zugänge zum Thema Work-Life-Balance finden sich sowohl in der Soziologie und Psychologie – hier insbesondere in der Arbeits- und Organisationspsychologie – als auch in der Be­triebs­wirt­schafts­lehre sowie der Politikwissenschaft. Das Hinwirken auf eine definierte Work-Life-Balance ist angesichts zentraler Trends und Entwicklungen in der Arbeitswelt mittlerweile ein Muss auf der Agenda zukunftsgerichteter Unternehmen. Zu nennen sind hier insbesondere: die Globalisierung und Entwicklung zur Wissensgesellschaft, der technologische Fortschritt, der demografische Wandel, ein gesellschaftlicher Wertewandel sowie der Vormarsch der Frauen.

Wissensgesellschaft und Globalisierung

Bedingt durch den sich verschärfenden globalen Wettbewerb und eine zunehmende Ver­än­de­rungs­ge­schwin­dig­keit und Komplexität erleben viele Unternehmen einen steigenden Kosten- und Effizienzdruck. Ihr wirtschaftlicher Erfolg hängt in zunehmendem Maße vom Wissen und den Kompetenzen ihrer Beschäftigten ab, Fluktuationskosten steigen in dem Maße, in dem die Bedeutung von Wissen für jeden einzelnen Arbeitsplatz zunimmt.
Gerade in wissensintensiven Bereichen und im Dienstleistungssektor findet Arbeit immer weniger in Form des Normalarbeitsverhältnisses statt. Das bezieht sich einerseits auf die Arbeitszeiten und Arbeitsorte, die immer
flexibler werden und sich je nach betrieblichen Bedarfen im Laufe der Zeit immer wieder verändern können. Andererseits verringert sich auch die Verweildauer an Arbeitsplätzen. Befristete Arbeitsverhältnisse, temporäre Auslandseinsätze und projektbezogenes Arbeiten werden immer mehr zur Regel. Laut Statistischem Bundesamt befand sich 2012 mehr als jeder fünfte Arbeitnehmer in einem solchen sogenannten „atypischen Beschäftigungsverhältnis“.
Verstärkt wird dieser Trend durch den technologischen Fortschritt, der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer stärker verschwimmen lässt und gleichzeitig eine enorme Beschleunigung des Lebens und Arbeitens mit sich bringt. Dadurch wird die Arbeitszeit als kalkulierbare Größe für Freizeit, Lebens- und Familienplanung immer schwieriger zu erfassen. Hinzu kommt der demografische Wandel, der Arbeitgeber in mehrfacher Hinsicht vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen stellt. Eine Dimension besteht darin, dass die Pflege von Angehörigen in Zukunft für mehr Arbeitnehmer die Notwendigkeit der Vereinbarkeit mit sich bringen wird als die Betreuung von Kindern. Schon heute gehen nach Zahlen der berufundfamilie gGmbH aus dem September 2013 mehr als die Hälfte aller Pflegenden einer Erwerbstätigkeit nach – eine Zahl, die sich in den kommenden Jahren deutlich erhöhen wird, wenn man bedenkt, dass infolge der Alterung der Bevölkerung von einem deutlichen Anstieg der Pflegebedürftigen auszugehen ist. Eine weitere Dimension stellen die Alterung der Belegschaften und die Verknappung der Nachwuchskräfte dar. Für 2030 gehen Hochrechnungen der Kommission „Zukunft der Arbeitswelt“ der Robert Bosch Stiftung von einem Mangel von bis zu 6,5 Millionen Arbeitskräften aus. Das bedeutet einerseits, dass die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft von Beschäftigten über eine deutlich längere Spanne als bisher aufrechterhalten werden müssen. Ein wichtiger Baustein hierzu ist eine ausgewogene Work-Life-Balance, die schon in jungen Jahren dafür sorgt, dass es nicht zu einem Ausbrennen der Leistungsträger im mittleren Alter kommt, und über alle Lebensphasen hinweg Be- und Entlastungsmomente ausbalanciert. Zum anderen ist sie ein Erfolgsfaktor beim Umgang mit mehreren Generationen im Unternehmen sowie beim Anwerben und der Bindung jüngerer Arbeitnehmer.
Denn schließlich ist auch ein gesellschaftlicher Wertewandel zu beobachten, bei dem deutlich wird, dass die jüngeren Generationen bei der Wahl eines Arbeitgebers viel weniger Wert auf Status und Einkommen legen als auf eine ausgewogene Balance zwischen Berufs- und Privat-leben, herausfordernde Arbeitsinhalte sowie Ent­wick­lungs­pers­pek­tiven. Ebenfalls deutlich wird die Selbstverständlichkeit, mit der die Nachwuchskräfte Beruf UND Familie vereinbaren möchten und nach Selbstverwirklichung auch im privaten Bereich streben, während noch ihre Eltern sich klar für Beruf ODER Familie entschieden haben und der Erwerbsarbeit klaren Vorrang vor privaten Interessen eingeräumt haben. An dieser Stelle ist eine weitere gesellschaftliche Entwicklung zu nennen, die Einfluss auf die Bedeutung der Work-Life-Balance nimmt: Es ist zu beobachten, dass sowohl die An­for­de­run­gen an Paarbeziehungen als auch an die Betreuungs- und Er­zie­hungs­quali­tät in Bezug auf Kinder deutlich angestiegen sind. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass für viele Menschen der Freizeitstress mit dem Gefühl eines chronischen Zeitmangels wächst und sie auch im privaten Bereich einen verstärkten Druck durch die Zunahme außerberuflicher Aktivitäten mit Verpflichtungscharakter (zum Beispiel Haus- und Gartenarbeit, Pflege, Ehrenamt) empfinden. Dieses Empfinden ist abhängig vom Lebensalter, dem Familienstatus, der Anzahl und dem Alter der im Haushalt lebenden Kinder, dem Beruf, dem Umfang der Erwerbstätigkeit sowie der Einkommenshöhe. Gleichzeitig steigen auch die An­for­de­run­gen an die Erwerbsarbeit. Diese schlagen sich insbesondere im Wunsch nach der Sinnhaftigkeit der Arbeit, nach interessanten Arbeitsinhalten, Mitsprache- und Mit­ge­stal­tungs­mög­lich­keiten, persönlicher und beruflicher Entwicklung sowie individueller Gestaltungsfreiheit nieder.

Gestiegene Erwerbstätigkeit von Frauen

Nicht zuletzt steht die hohe Bedeutung der Work-Life-Balance im Zu­sam­men­hang mit der weiter vo­ran­schrei­tend­en Er­werbs­tä­tig­keit von Frauen. Denn auch wenn Work-Life-Balance mehr ist als nur die Ver­ein­bar­keit von Beruf und Familie und auch wenn Männer zu­neh­mend Ver­ant­wor­tung für den häuslichen und familiären Bereich übernehmen, ist nicht von der Hand zu weisen, dass noch immer in erster Linie Frauen den Spagat zwischen Familie und Beruf meistern. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung, auch angesichts des demografischen Wandels die Zahl der Frauen in Füh­rungs­po­si­tionen und Vollzeit- beziehungsweise vollzeitnahen Stellen zu steigern, wird also die Thematik der Work-Life-Balance auch durch Frauen in Zukunft noch stärker in Organisationen getragen werden. In diesem Kontext sind weiterhin unzureichende externe Betreuungsarrangements für Kinder und die Zunahme der Zahl alleinerziehender Frauen als große Herausforderungen zu nennen. Flankiert werden diese Trends und Entwicklungen durch die zunehmende Zweiteilung des Arbeitsmarkts. Sie bedingt, dass der Leistungsdruck auf die gut Qualifizierten immer mehr ansteigt – der Deutsche Managerverband schätzt, dass alleine die Arbeitsbelastung von Führungskräften seit den 90er-Jahren um 50 Prozent gestiegen ist –, während gleichzeitig viele Menschen durch Arbeitslosigkeit ein Übermaß an Life erleben, das sich nachweislich negativ auf die Gesundheit auswirkt.
Hieraus entsteht eine paradoxe Situation: Eine gelungene Work-Life-Balance ist immer schwieriger zu realisieren, denn aufgrund betrieblicher Zwänge wird dem Einzelnen eine hohe Anpassungsfähigkeit abverlangt. Das gilt für das tägliche Leben, in dem er in einer Art der „Flexibilisierung von Routinen“ (Auer 2000), etwa in Bezug auf Betreuungsarrangements, nicht selten klar definierte Grenzen überschreiten und das Unmögliche möglich machen muss, ebenso wie bei der Einschränkung klassischer Anker im privaten Bereich. So ist es bei häufigen Ortswechseln oder zahlreichen Auslandsaufenthalten kaum möglich, ein funktionierendes soziales Netzwerk aufrechtzuerhalten, sich in einem Verein sportlich oder ehrenamtlich zu engagieren und Ähnliches mehr. Hinzu kommt, dass bei Doppelverdiener-Paaren, insbesondere mit Kindern, berufliche Mobilität die Anforderungen in Bezug auf Haus- und Familienarbeit für den vor Ort verbleibenden Partner noch einmal erheblich erhöht. Die steigende Forderung nach Eigenverantwortung für die eigene berufliche Entwicklung, verbunden mit der hohen Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit in vielen Tätigkeitsbereichen, macht wiederholt nebenberufliche Weiterbildung nötig, die mit dem Arbeits- und Freizeitbereich vereinbart werden muss. Ebenso steigt jedoch die Notwendigkeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Work und Life in Balance zu halten, um zu gewährleisten, dass es in einer immer komplexeren und schnell­lebi­ge­ren Welt nicht zum Ausbrennen kommt. Dabei sind Arbeitgeber gleichermaßen Auslöser, Betroffene und Gestalter der Ver­ein­bar­keits­pro­ble­matik. So verursachen sie einerseits naturgemäß das Spannungsfeld zwischen beruflicher und privater Sphäre. Andererseits jedoch leiden Arbeitgeber vielfach ebenso unter einer unzureichenden Vereinbarkeit, die letztlich Auswirkungen auf die Arbeitsleistung und Wertschöpfung mit sich bringt. Schließlich sind sie es, die über die entscheidenden Stellschrauben verfügen, um Vereinbarkeit zu verbessern. Von Maßnahmen zur Verbesserung der Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter erhoffen sich Unternehmen sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Effekte.
Konkrete Berechnungen zur Effektivität von Maßnahmen zur Verbesserung der Work-Life-Balance aus Unternehmenssicht liegen überwiegend für den Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor. Hier ermittelte das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik auch 2012 wieder eindeutige betriebswirtschaftliche Effekte einer familienbewussten Personalpolitik. Sehr viele Maßnahmen zur Verbesserung der Work-Life-Balance beziehen sich auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, beziehungsweise Maßnahmen in diesem Kontext können auch in ähnlichen Bedarfsfällen dienlich sein – so beispielsweise die Förderung eines schnellen Wiedereinstiegs nach einer Familienphase, einer außerbetrieblichen Weiterbildungsphase oder einer pflegebedingten Auszeit. Allerdings bleiben betriebswirtschaftliche Effekte noch immer umstritten. Zu stark ist die Orientierung an harten Fakten, während sich Work-Life-Balance eher in weichen Faktoren wie Unternehmenskultur, Leistungsfähigkeit, Motivation, Innovationskraft und so weiter manifestiert. In jedem Fall aber lassen sich auf gesellschaftlicher Ebene durchaus positive Effekte einer ausgewogenen Work-Life-Balance identifizieren (siehe Tabelle, rechte Spalte). Dies zeigen Studien der Prognos AG und der Bertelsmann Stiftung. Gleichzeitig bringt die Work-Life-Balance nach den Ergebnissen aus den gleichen Studien auch für Arbeitnehmer nicht zu unterschätzende Vorteile mit sich.

Vorteile für Arbeitnehmer

Vorteile für Arbeitnehmer

  • Schaffung zusätzlicher Handlungsmöglichkeiten in der individuellen Lebensführung, da aus zwangsläufigen „Entweder-oder“-Entscheidungen „Sowohl-als-auch“-Lösungen werden,
  • Gewinnung von Optionen für Eigeninitiative, Weiterbildung und Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit,
  • Verringerung gesundheitsbelastender Stress-Situationen,
  • Schaffung von Freiräumen für sportliche beziehungsweise gesundheitsfördernde Aktivitäten,
  • Möglichkeit einer verlässlicheren Planung im privaten und beruflichen Bereich,
  • Ermöglichung eines gesünderen und zufriedeneren verlängerten Erwerbslebens,
  • Verbesserung der Chancen für Frauen, ihre beruflichen Ziele zu verwirklichen und ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen,
  • Stärkung der Verstetigung von Erwerbsverläufen, vor allem für Frauen,
  • Erhalt des Know-hows durch verringerte Abwesenheitszeiten aus privaten Gründen,
  • Verbesserung der Möglichkeiten zur Pflege sozialer Beziehungen.

Gesellschaftseffekte

Gesellschaftseffekte

  • Mittel- bis langfristige Erhöhung der Geburtenrate,
  • Abschwächung der Auswirkungen des demografischen Wandels,
  • Verbreiterung der Steuerbasis,
  • Schaffung zusätzlicher Freiräume für Erwerbstätige mit Blick auf ehrenamtliches, soziales oder politisches Engagement und dadurch auch Entlastung des Staates,
  • Förderung einer gesundheitsorientierten Lebensführung von Erwerbstätigen,
  • Beitrag zur individuellen Einkommenssicherung (zum Beispiel durch Verstetigung der Erwerbsverläufe, Sicherung der ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen, Erhalt der Leistungsfähigkeit Älterer),
  • Unterstützung der Chancengleichheit am Arbeitsmarkt und Überwindung traditioneller Rollenbilder,
  • Verbesserung der Ausschöpfung des Erwerbspersonenpotenzials,
  • Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit auch des gesamtwirtschaftlichen Wachstums,
  • Verteilung der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme auf eine größere Zahl von Beitragszahlern,
  • Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wertewandels.

Zur Autorin

Prof. Dr. Jutta Rump

Professorin für All­ge­meine Be­triebs­wirt­schafts­lehre an der Hoch­schule Lud­wigs­hafen sowie Direk­torin des Instituts für Be­schäf­ti­gung und Em­ploya­bi­lity IBE in Ludwigshafen. Eines ihrer Hauptthemen sind Trends in der Arbeitswelt.

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