Übergang in der Insolvenz - 26. November 2015

Der kleine Unterschied

§ 613a BGB wird beim Erwerb sa­nie­rungs­be­dürf­tiger Unter­neh­men weiter an­ge­wendet. Für den Er­werber ist eine ge­wis­sen­hafte Due Dili­gence wichtig. Im Grunde gelten die­selben Regeln wie ohne In­sol­venz. Aber eben nur im Grunde.

Ein erfolgreiches Insolvenzverfahren hat in den Augen der Öffentlichkeit neben der rechtlichen Vorgabe einer möglichst weitgehenden Sicherstellung der Gläubigerbefriedigung gemäß § 1 Insolvenzordnung (InsO) zum Ziel, den Betrieb der Insolvenzschuldnerin nebst Arbeitsplätzen jedenfalls teilweise zu erhalten und nicht zu zerschlagen. Oftmals ist dem Insolvenzverwalter die hierfür notwendige Finanzierung aber allein nicht möglich, sodass sich der Erhalt des insolventen Betriebs nur erreichen lässt, wenn ein Investor diesen einschließlich seiner Betriebsmittel und Vermögensgegenstände im Wege eines Asset Deals übernimmt. Werden dem Erwerber hierbei so viele Betriebsmittel übertragen, dass die betrieblichen Strukturen und damit die wirtschaftliche Einheit erhalten bleiben, stellt ein solcher Erwerbsvorgang in arbeitsrechtlicher Hinsicht einen Betriebs(teil)übergang gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dar. Als Folge greifen dann die unabdingbaren arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften zum Betriebsübergang.

Gilt § 613a BGB in der Insolvenz?

Im Grundsatz findet § 613a BGB auch während der Insolvenz Anwendung, hierzu gibt es allerdings einige praxisrelevante Einschränkungen. Die europäische Richtlinie (RL 2001/23/EG), die der nationalen Vorschrift zugrunde liegt, räumt den einzelnen Mitgliedstaaten zwar in Art. 5 die Möglichkeit ein, zur Förderung sanierender Übertragungen hiervon abzuweichen. Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber davon bewusst keinen Gebrauch gemacht. Ergo gelten auch bei Erwerbsvorgängen aus der Insolvenz die arbeitsrechtlichen Schutzregelungen der Be­triebs­ü­ber­gangs­vor­schrift wie

  • der Übergang der bestehenden Arbeitsverhältnisse im Status quo auf den Erwerber,
  • der grundsätzliche Eintritt des Erwerbers in alle bestehenden Verbindlichkeiten,
  • der Fortbestand von Arbeitnehmervertretungen und von diesen ausgehandelter Betriebsvereinbarungen,
  • die Transformation bestehender kollektivrechtlich geregelter Arbeitsbedingungen nebst einjähriger Veränderungssperre dieser Vorschriften sowie
  • das Kündigungsverbot wegen Betriebsübergangs.

Einschränkungen der Anwendbarkeit

Die Anwendbarkeit des § 613a BGB ist in Insolvenzkonstellationen allerdings insoweit ein­ge­schränkt, als keine Haftung des Erwerbers gegenüber den Arbeitnehmern für vor In­sol­venz­ein­tritt entstandene Verbindlichkeiten eintritt. Es erfolgt also ein Schuldenschnitt auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung. Diese sanierungsfreundliche Wirkung ist darin begründet, dass die betroffenen Arbeitnehmer andernfalls gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt würden und eine vollständige Befriedigung erlangen könnten. Weil der Erwerber dies gegenüber dem Insolvenzverwalter in den Kaufpreis einpreisen würde, müssten die übrigen Gläubiger diese faktisch vorrangige Befriedigung der betroffenen Arbeitnehmer andernfalls finanzieren. Große praktische Bedeutung erlangt das insbesondere bei Ansprüchen der Arbeitnehmer auf Leistungen betrieblicher Altersvorsorge vor Insolvenzeintritt, für die der Pensionssicherungsverein (PSVaG) gemäß § 14 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) eintritt. Für neu entstehende Ansprüche auf betriebliche Altersvorsorge ab dem Zeitpunkt der In­sol­venz­er­öff­nung haftet allerdings wieder der Erwerber, der auch diese Verpflichtung mit den auf ihn übergehenden Arbeitsverhältnissen übernimmt.

Vermeidung der tatbestandlichen Voraussetzungen

Da das Vorliegen eines Betriebsübergangs für den Erwerber gravierende (finanzielle) Folgen hat, werden in der Praxis verschiedene Möglichkeiten zur Haftungsbegrenzung diskutiert. Diesen Überlegungen liegt zugrunde, dass der Rechtsanwender auch nach vom Bundesarbeitsgericht (BAG) gebilligter Rechtsauffassung grundsätzlich darin frei ist, eine bestimmte Konstellation so zu gestalten, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer bestimmten Norm vorliegen oder eben gerade nicht. Mit anderen Worten: Wird der Sachverhalt so gestaltet, dass kein Übergang einer wirtschaftlichen Einheit vorliegt, ist das zulässig, auch wenn die Vermeidung eines Be­triebs­über­gangs erklärtes Ziel dieses Vorgehens ist (Fuhlrott/Salamon, Betriebs-Berater [BB] 2012, S. 1793). Da ein Betriebsübergang nur dann gegeben ist, wenn der rechtsgeschäftliche Übergang einer ihre Identität wahrenden betrieblichen Einheit vorliegt, kann bereits auf Tatbestandsebene gestaltend eingegriffen werden: Übernimmt der Erwerber nur Teile des Betriebsvermögens, die ihrerseits keine wirtschaftliche Einheit darstellen, liegt kein Be­triebs­über­gang vor. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass auch Betriebsteilübergänge möglich sind, wenn der Erwerber eine bestimmte organisatorisch abgrenzbare Teileinheit der Insolvenzschuldnerin übernimmt.

Prägende Betriebsmittel nicht übernehmen

Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen betriebsmittelreichen und -armen Betrieben.

Hier stellt sich stets die Frage, was den Kern der Wert­schöp­fung des Veräußererbetriebs ausmacht: Die Rechtsprechung unterscheidet dabei zwischen betriebsmittelreichen und betriebsmittelarmen Betrieben. Betriebsmittelreich sind Betriebe, bei denen Gegenständen des Anlagevermögens wie Maschinen, Produktionsstraßen, Fuhrparks oder besonderen Gerätschaften maßgebliches Gewicht zukommt – also oftmals Produktionsbetriebe. Ein betriebsmittelarmer Betrieb liegt hingegen vor, wenn das in den Arbeitnehmern verkörperte Know-how Hauptanknüpfungspunkt der betrieblichen Identität ist, also typischerweise bei Dienstleistungsunternehmen wie Callcentern oder Reinigungsunternehmen. Während ein Betriebsübergang bei einem betriebsmittelreichen Betrieb ohne Übernahme der Maschinen schwer denkbar ist, kommt bei einem betriebsmittelarmen Betrieb der Übernahme der Mitarbeiter die ausschlaggebende Bedeutung zu. In der Praxis ist dies jedoch nur in bestimmten Fällen eine Option, da es dem Erwerber oftmals gerade darauf ankommt, die wesentlichen und prägenden Betriebsmittel – seien es Maschinen, seien es Arbeitnehmer – zu übernehmen, um den Be­triebs­zweck und die betriebliche Identität aufrechtzuerhalten, das Unternehmen also im Großen und Ganzen fortführen zu können.

Verknüpfung der Betriebsmittel aufheben

Die übernommenen Betriebsmittel müssen beim Veräußerer zudem in einer eigenständigen organisatorisch abgrenzbaren Einheit zusammengefasst gewesen sein, sodass ein Be­triebs­über­gang auch dann vermieden werden kann, wenn die funktionelle Verknüpfung der Betriebsmittel beim Erwerber aufgrund einer völlig neuen Betriebsorganisation aufgehoben wird (Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht [FA] 2013, S. 196). Hier kann zur Veranschaulichung auf das vom BAG bereits mehrfach bemühte Bild des Sich-ins-gemachte-Bett-Legens des Veräußerers verwiesen werden, wonach die Beibehaltung bisheriger Strukturen für einen Betriebsübergang spricht, deren völlige Neuordnung hingegen eher nicht.

Vorheriger Personalabbau nach Erwerberkonzept

Die Risiken der Übernahme womöglich unerwünschten Personals durch den Erwerber lassen sich auch durch vorherige Kündigungen beim Veräußerer nach dem Konzept des Erwerbers be­gren­zen (vgl. Fuhlrott, BB 2013, S. 2042). Bei diesen sogenannten Kündigungen nach Er­wer­ber­kon­zept spricht der Insolvenzverwalter als Veräußerer betriebsbedingte Kündigungen nach dem späteren unternehmerischen Konzept des Erwerbers aus, sodass Letzterer die betrieblichen Strukturen sowie die personelle Aufstellung des Erwerbsbetriebs vor dem Betriebsübergang gestalten und beeinflussen kann. Vorteilhaft ist eine solche Vorgehensweise insbesondere, weil der In­ter­es­sen­aus­gleich, der bei Bestehen eines Betriebsrats erforderlich ist, in einer In­sol­venz­kon­stel­la­tion gemäß § 125 InsO – gegebenenfalls auch mit Namensliste – unter erleichterten Voraussetzungen abgeschlossen werden kann beziehungsweise die in­di­vi­du­al­recht­li­chen Kündigungsfristen gemäß § 113 InsO auf maximal drei Monate reduziert werden. Derartige Kündigungen nach Er­wer­ber­kon­zept sind von der Rechtsprechung anerkannt – in zeitkritischen In­sol­venz­kon­stel­la­ti­o­nen fehlt es indes oftmals an der hierzu notwendigen Vorbereitungszeit.

Zwischenschaltung einer Transfergesellschaft

Die Zwischenschaltung von Transfergesellschaften oder Beschäftigungs- und Qua­li­fi­zie­rungs­ge­sell­schaf­ten (BQG) in Form des so­ge­nann­ten BQG-Modells ist inzwischen nur noch bedingt empfehlenswert. Bei einem derartigen Modell schließen die Arbeitnehmer des Veräußerers vor dem beabsichtigten Be­triebs­über­gang ein­ver­ständ­li­che Auf­he­bungs­ver­trä­ge und wechseln aufgrund dreiseitigen Vertrags in ein befristetes Arbeitsverhältnis mit einer Trans­fer­ge­sell­schaft. Zum Zeitpunkt des Be­triebs­über­gangs ist der Er­wer­ber­be­trieb dann ideal­ty­pisch arbeitnehmerleer. Folglich gehen keine Arbeitsverhältnisse gemäß § 613a BGB auf den Erwerber über. Dieser stellt dann die von ihm benötigte Belegschaft zu (neuen) Ar­beits­ver­trags­be­din­gun­gen bei sich ein.
Die Arbeitnehmer werden zur freiwilligen Aufgabe ihres sozialen Besitzstands beziehungsweise ihres Arbeitsverhältnisses dadurch motiviert, dass der Vollzug des Betriebsübergangs regelmäßig an das Erreichen eines bestimmten Mindestquorums der Unterzeichnung von Auf­he­bungs­ver­trä­gen (zum Beispiel 99 Prozent) geknüpft wird, andernfalls eine Stilllegung des gesamten Betriebs durch Ausspruch von Kündigungen mit der maximal dreimonatigen Insolvenzkündigungsfrist durch den Insolvenzverwalter droht. Der Erwerber finanziert dabei oftmals noch die Trans­fer­ge­sell­schaft und verpflichtet sich, einen Teil der in die Trans­fer­ge­sell­schaft gewechselten Arbeitnehmer nach Erwerb einzustellen. Von der Trans­fer­ge­sell­schaft – die staatlich gefördert wird – erhalten die Arbeitnehmer zudem einen über drei Monate hinausgehenden befristeten Arbeitsvertrag mit Kurzarbeit Null zur Wei­ter­qua­li­fi­zie­rung (zum Modell: Fuhlrott/Chwalisz, FA 2011, S. 38).
Die Rechtsprechung billigt derartige Gestaltungsmodelle grundsätzlich, hat aber in den letzten Jahren die Anforderungen erheblich verschärft. So muss der Aufhebungsvertrag auf ein end­gül­ti­ges Ausscheiden der Arbeitnehmer aus dem Betrieb gerichtet sein, was konkrete Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­gen verbietet. Auch darf weder der Erwerber die Sozialauswahl umgehen noch die Transfergesellschaft zum Schein vorgeschoben sein (vgl. hierzu Fuhlrott, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht [NZA] 2012, S. 549). Aufgrund dieses Rechtsprechungswandels werden BQG-Modelle nur noch sehr zurückhaltend eingesetzt.

Fazit

Das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Betriebsübergangs ist bei Erwerbsvorgängen aus der Insolvenz die entscheidende Frage, der oftmals das Gewicht eines Deal Breakers zukommt. Darüber hinaus stellt eine nicht sehr sanierungsfreundliche Rechtsprechung sinnvolle Ge­stal­tungs­mo­del­le zur Ermöglichung sanierender Übertragungen wie das skizzierte BQG-Modell infrage. Eine Abschaffung des § 613a BGB in Insolvenzkonstellationen – wie es einige Stimmen fordern – ist indes nicht absehbar, so wünschenswert das aus Sanierungssicht auch sein mag. Erwerberseitig ist folglich neben einer Prüfung des Erwerbsvorgangs unter dem Aspekt der Qualifikation als Betriebsübergang insbesondere eine sorgfältige Due Diligence der bestehenden ar­beits­recht­li­chen Situation und Vertragslage notwendig, um die finanziellen Risiken bewerten zu können. Wer das missachtet, riskiert, dass sich die zukunftsträchtige Akquisition am Ende als kostenträchtiges Abenteuer erweist.

Zum Autor

Prof. Dr. Michael Fuhlrott

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Er ist zudem Professor für Arbeits- und Wirt­schaft­srecht an der Hoch­schu­le Fresenius in Hamburg.

Weitere Artikel des Autors