Standard IDW S 1 - 18. Juli 2018

Das Passende finden

Auch den An­for­de­rungen der Praxis bei der Be­wer­tung kleiner und mittel­stän­discher Be­triebe muss man gerecht werden.

Die Struktur, der Aufbau sowie die Anwendung des Standards IDW S 1 (IDW S 1) zielen im Regelfall auf die Bewertung von großen und gegebenenfalls sogar kapitalmarktorientierten Unternehmen durch Wirtschaftsprüfer ab, etwa bei der Bestimmung von Abfindungen für Minderheitsaktionäre (sogenanntes Squeeze-out), der Festlegung von Verschmelzungs­relationen oder der Bestimmung von Ausgleichszahlungen (zum Beispiel bei Gewinnabführungsverträgen). Die mittelständische Mandantschaft oder Gesellschafter von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) stehen regelmäßig eher nicht im Vordergrund. Als Reaktion auf die Forderungen aus der Praxis nach praktikablen Lösungsansätzen für Bewertungen solcher KMU durch den steuerlichen Allroundberater, gaben die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) und das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) Hinweise zur Bewertung von KMU heraus. Nachfolgend soll das Vorgehen aus Sicht der Praxis prägnant dargestellt werden.

Hintergrund

Der IDW S 1 in seiner jetzigen Fassung gilt, abgesehen von kleineren redaktionellen Änderungen ab dem Jahr 2008 mit Einführung des Abgeltungsteuerregimes für die Unternehmensbewertung durch Wirtschaftsprüfer. Auch und insbesondere durch Rückgriff auf theoretische Preisbildungsmodelle der internationalen Kapitalmärkte (Capital Asset Pricing Model beziehungsweise Tax-CAPM) sowie die Bestimmung des Betafaktors stehen dabei große börsennotierte Unternehmen im Vordergrund. Die Berechnung von Abfindungen für KMU, die Begleitung von M&A-Transaktionen bei KMU durch den lokalen Steuerberater und nicht zuletzt auch Unternehmensbewertungen für steuerliche Zwecke, beispielsweise zum Zwecke der vorweggenommenen Unternehmensnachfolge in Abgrenzung zum im Bewertungsgesetz (BewG) geregelten vereinfachten Ertragswertverfahren, stellen den steuerlichen Berater vor alltägliche Herausforderungen. Das wirft die Frage auf, wie mit dem IDW S 1 bei der Bewertung von KMU umzugehen ist.

Hinweise der BStBK zur Bewertung von KMU

Vielmehr ist die kapitalmarktorientierte Vorgehensweise aus IDW S 1 auch bei KMU anzuwenden.

Die BStBK hat in Zusammenarbeit mit dem IDW Hinweise herausgegeben, die sich explizit mit der Bewertungsfragestellung von KMU auseinandersetzen und dem Praktiker nützliche Hinweise geben (Hinweise zu den Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittlerer Unternehmen vom 13. März 2014 beziehungsweise IDW Praxishinweis 1/2014 (IDW-Fachnachrichten, Heft 4/2014, S. 282ff.). Häufig wird in der Praxis mit einfachen Multiplika­toren (KMU-Multiples), pauschalen KMU-Zuschlägen auf die Kapitalkosten oder insgesamt mit pauschalen Abschlägen auf den gesamten Unternehmenswert gearbeitet. All diesen Lösungsversuchen ist immanent, dass mit pauschalem Vorgehen KMU-besondere Spezifika wie fehlende Diversifikation, mangelnde Fungibilität oder schlicht fehlende Größe (sogenanntes Size Premium) Rechnung getragen werden soll. Sowohl die BStBK als auch das IDW weisen darauf hin, dass solche pauschalen Zuschläge auf die Kapitalkosten oder Abschläge auf den Unternehmenswert nicht sachgerecht sind und sich mit dem CAPM nicht vereinbaren lassen. Vielmehr ist die kapitalmarktorientierte Vorgehensweise aus IDW S 1 auch bei KMU anzuwenden. Eine ausschließliche Multiplikatorenbewertung ist abzulehnen. Denn Multiples erfüllen nach IDW S 1 lediglich den Zweck einer Plausibilisierung. Eine eigenständige Bewertung ersetzen sie auch bei KMU nicht.

Besondere Anforderungen an KMU

Die Grundproblematik der Unternehmensbewertung bei KMU ist jedem Steuerberater aus einer Vielzahl von Betriebsprüfungen nur allzu gut bekannt: die Verquickung der Sphären des Unternehmenseigentümers und der Geschäftsführung, geprägt durch Leistungsbeziehungen zwischen Unternehmen, Eigentümer und nahestehenden Personen. Eine trennscharfe Abgrenzung von Betrieblichem und Privatem kann oft nicht vorgenommen werden. Daneben sind weitere KMU-Besonderheiten regelmäßig gegeben. In der Dimension der verfügbaren Informationen: einfaches Rechnungswesen, eingeschränkte Informationen, vereinfachte interne Kontrollsysteme und keine Prüfungspflicht. Unternehmensplanungen weisen allenfalls rudimentäre Annahmen und Überlegungen zu einer möglichen zukünftigen Entwicklung des Unternehmens aus. KMU-Geschäftsmodelle sind durch hohe Abhängigkeiten und geringe Diversifikation von nur wenigen Kunden, Produkten oder Lieferanten geprägt. Auch die Finanzierung ist nicht mit großen Unternehmen vergleichbar: Die Eigenkapitalausstattung ist oft ungenügend (Stichwort: Gesellschafterdarlehen), und es bestehen keine Möglichkeiten, externe Finanzierungsquellen wie den Kapitalmarkt oder andere klassische Fremdkapitalgeber in Anspruch zu nehmen. Hier setzen die Hinweise der BStBK an, indem sie für die KMU-Bewertung den Grundsatz darstellen, dass bei einer objektivierten Unternehmensbewertung lediglich die dem Unternehmen innewohnende und auf einen dritten Erwerber übergehende und demnach übertragbare Ertragskraft zu bewerten ist. Rein personenbezogene Einflüsse des Eigentümers auf die Ertragskraft sind hingegen zu eliminieren. Umgesetzt wird das mit dem Modell der abschmelzenden Ertragskraft.

Modell der abschmelzenden Ertragskraft

Eine Standardtypisierung aus IDW S 1 ist der Verbleib oder ein gleichwertiger Ersatz des vorhandenen Managements. Bei personenbezogenen KMU führt die Personenabhängigkeit unter Umständen dazu, dass Erfolgsfaktoren an den Eigentümer gebunden und damit nicht vollständig oder allenfalls temporär auf einen Erwerber übertragbar sind. Bei der Bewertung von KMU ist eine solche Eigentümerabhängigkeit durch entsprechende Modifikationen zu berücksichtigen: Bei einem geringen Modifikationsbedarf und vollständiger Übertragbarkeit der Ertragskraft kann die Bewertung unter der Going-Concern-Prämisse erfolgen. Einzelne GuV-Positionen sollten auf erforderliche Anpassungen reduziert werden, wie etwa die Berücksichtigung eines adäquaten Unternehmerlohns, fremdübliche Mieten und Finanzierungskonditionen bei Gesellschafterdarlehen oder der Stellung von Sicherheiten. Ein hoher Modifikationsbedarf ist anzunehmen, wenn die Dauerhaftigkeit der Kombination aus materiellen und immateriellen Vermögenswerten nicht gegeben ist. Die Ertragskraft des wirtschaftlichen Verbunds muss dann vielmehr neu geschaffen werden. Die KMU-Bewertung sollte dann von einem Abschmelzen der bewertungsrelevanten Überschüsse in den Planjahren ausgehen. Anhaltspunkte für die Bestimmung der Abschmelzrate und des Abschmelzzeitraums hängen von den Verhältnissen des zu bewertenden Unternehmens sowie unter Umständen auch von seinem Branchenumfeld ab. Insbesondere eine Orientierung am voraussichtlichen Fortbestand der bestehenden Kundenbeziehungen kann Anhaltspunkte für eine Analyse anbieten, etwa durch:

  • Vertragslaufzeiten und erwartete Vertragsverlängerungen,
  • typische Produktlebenszyklen,
  • voraussichtliche Handlungen von Wettbewerbern und Konkurrenten,
  • dem Zeitraum der Abhängigkeit des Kunden (wirtschaftlich, rechtlich, technisch) und
  • demografische/biometrische Aspekte hinsichtlich der bestehenden Kundenstruktur.

Der Herausforderung der Ermittlung adäquater Kapitalkosten für KMU kann durch Analyse von Branchen- oder Industrie­betafaktoren begegnet werden, wenn beispielsweise eine Einordnung in eine homogene Branche oder Industrie möglich ist. Ferner bietet sich die Analyse einer möglichst großen Zahl börsennotierter Unternehmen an, die eine möglichst hohe Übereinstimmung mit dem zu bewertenden Unternehmen aufweisen. Hilfsweise können auch vergleichbaren Risikofak­toren, insbesondere vor- und nachgelagerter Wertschöpfungsstufen, herangezogen werden.

Praxishinweis

Die Komplexität der Bewertung von KMU bleibt auch mit den Hinweisen der BStBK bestehen. Die Praktiker-Hinweise helfen dem erfahrenen Steuerberater. Hier ist insbesondere das Modell der abschmelzenden Ertragskraft zu nennen. Die Klarstellung, dass pauschale Vorgehensweisen bei kritischen Fällen, etwa einer steuerlichen Bewertung, unterbleiben sollten, ist wichtig.

Fotos: Dmitrii Kharchenko / Getty Images

Zum Autor

Christian Gerber

Diplom-Ökonom, Wirtschaftsprüfer und Chartered Financial Analyst (CFA), ist Partner der Atroni GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die mit Standorten in Düsseldorf und Duisburg auf die Begleitung von M&A-Transaktionen und Durchführung von Unternehmensbewertungen spezialisiert ist. Er betreut insbesondere mittelständische Mandanten, (Finanz-)Investoren und deren Beteiligungsunternehmen bei Unternehmensbewertungen, der Vorbereitung und Durchführung von Transaktionen (M&A) und Bilanzierungsfragen bundesweit.

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