Seit Jahrzehnten setzt die Finanzverwaltung die Datenverarbeitung im Massenvollzug ein. Die Datentechnik soll zunehmend auch dessen Qualität sichern und steigern.
Finanzbehördliches „Risikomanagement“ wird von den Finanzverwaltungen seit Jahren praktiziert, ist aber erst in jüngerer Zeit in das Bewusstsein der Fachöffentlichkeit gelangt.1 Diese Diskussion ist Anlass im Folgenden zu skizzieren, was sich hinter dem Begriff des finanzbehördlichen Risikomanagements verbirgt, auf welcher Rechtsgrundlage es beruht und welche Auswirkungen sein Einsatz für die Praxis der Steuerberatung haben kann.
Bereits vor Jahrzehnten hat die Datenverarbeitungstechnik Einzug in den Steuervollzug genommen. Verschiedene Entwicklungsschübe sind Folge der Fortentwicklung der Technik und der „Perfektionierung“ ihres Einsatzes durch die Finanzverwaltung als besonders informationsbasiertem Verwaltungszweig. Die moderne Verwaltungsrechtswissenschaft versteht unter Verwaltung die Informationsverarbeitung, bei der die Gewinnung, Auswertung und Vernetzung aller verwaltungsrelevanten Informationen zur Grundkategorie rationaler Entscheidungsfindung zählen.2 Information ist danach der Kern der Verwaltungstätigkeit. Dass gerade die Finanzverwaltung bei der programmgestützten Informationsverarbeitung eine gewisse Pionierfunktion innehatte, hängt insbesondere mit dem „Massenfallgeschäft“ zusammen, weil Verwaltungsmassen geradezu nach standardisierter Verarbeitung mit Hilfe von Datentechnik rufen. Die Datentechnik dient aber nicht mehr allein, die Quantität zu bewältigen, sondern soll zunehmend auch die Qualität des Steuervollzugs sichern und steigern. Für den Steuervollzug mit dem obersten Ziel der gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung ist die Generierung, Strukturierung und selbstlernende Auswertung von Besteuerungsinformationen elementar, um diesem Ziel trotz des steuerlichen Massenfallrechts möglichst nahe zu kommen.
Die Finanzverwaltung versteht unter „Risikomanagement“ zusammenfassend eine Verbesserung der Fallauswahl für Kontrollzwecke.3 Sie fasst hierunter ganz unterschiedliche Instrumente zusammen, um aus einer Flut von Erklärungen möglichst zielgenau die prüfungswürdigen Fälle herauszufiltern. Betrugsfälle sollen so künftig leichter aufgedeckt werden. Hierzu werden mit sogenannten Risikofiltern die Daten der eingehenden Steuererklärungen analysiert. Unabhängig davon hat der Bearbeiter die Möglichkeit, ausgewählte Steuerfälle zur personellen Prüfung vorzumerken. Vorgesehen ist ferner die intensive Prüfung stichprobenweise ausgewählter Fälle ohne Risikohinweis. So soll auch dem Gedanken der Generalprävention Rechnung getragen werden.4 Diese risikoorientierte Arbeitsweise der Steuerverwaltung prägt seit Langem die Arbeitnehmerveranlagung und soll schrittweise dieselbe Bedeutung bei den Gewerbetreibenden und selbstständig Tätigen erlangen. Dafür bedarf es indes der strukturellen Verkennzifferung, der Aufnahme in geeignete Formulare und der Entwicklung entsprechender Kontrollhinweise für die Bearbeiter. Das alles soll mit der sogenannten E-Bilanz forciert werden, die zu Recht als Ausbaustufe des untervnehmenssteuerrechtlichen Risikomanagements gilt.5
Selbst bei den zur personellen Prüfung ausgeworfenen Fällen war die Bearbeitung lückenhaft.
Rechtsfragen risikoorientierten Steuervollzugs
Obwohl der risikoorientierte Steuervollzug heutzutage den Besteuerungsalltag bestimmt, bestehen nach wie vor ungeklärte Rechtsfragen. So sieht beispielsweise der Deutsche Steuerberaterverband die Gleichmäßigkeit der Besteuerung unter anderem dadurch gefährdet, dass im Endeffekt die freien Personalressourcen bestimmen, in welchem Umfang Fälle der personellen Überprüfung zugeführt werden.6 Zahlreiche Fälle würden bereits in dem durch die Finanzverwaltung eingesetzten Risikofilter enden, weilbestimmte Risikoparameter nicht erfüllt und die personellen Kapazitäten ausgeschöpft sind. Für die Steuerverwaltung als Verifikationsverwaltung ist indes eine strukturell wirksame Kontrolle verfassungsrechtlich unverzichtbar. Darum müssen automationsgestützte Risikoanalyse, menschliche Verwaltungserfahrung und das Zufallsprinzip in Kombination zum Einsatz kommen. Die Gefahr, dass sich die finanzbehördliche Verifikation in eng definierten Risikoparametern erschöpft, hat vor Jahren bereits der Bundesrechnungshof gerügt. Nach dessen Auffassung können maschinelle Risikomanagementverfahren grundsätzlich die Effizienz und die Bearbeitungsqualität der Besteuerung verbessern. Er beanstandete jedoch, dass die angewandten Verfahren den Untersuchungsgrundsatz (§ 88 Abgabenordnung) nur unzureichend beachteten. Zwar dürften in einem Massenverfahren wie dem Besteuerungsverfahren die Anforderungen an die Finanzbehörden nicht zu hoch angesetzt werden. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichte sie aber, unklaren, lückenhaften, widersprüchlichen oder unschlüssigen Angaben nachzugehen. Bei den risikoarmen Fällen liege die Kontrollverantwortung allein beim Risikofilter, der nur begrenzt Schlüssigkeitsprüfungen vornahm. Dadurch blieben Sachverhalte, die bestimmte Wertgrenzen nicht überschritten, grundsätzlich unbeanstandet.7 Auch heute erfüllt die finanzbehördliche Praxis des „Risikomanagements“ aus Sicht des Bundesrechnungshofs „noch nicht“ die gesetzlichen Vorgaben.8 Bei seinen letzten Prüfungen untersuchte der Bundesrechnungshof Fälle, die zuvor von dem elektronischen Risikofilter als risikolos eingestuft worden waren. Er stellte fest, dass ein großer Teil der geprüften Fälle fehlerhaft beurteilt worden war, weil beispielsweise Betriebsausgaben in der Steuererklärung zu hoch ausgewiesen wurden. Selbst bei den zur personellen Prüfung ausgeworfenen Fällen war die Bearbeitung lückenhaft, was nicht zuletzt an den verschiedentlichen Vorgaben der unterschiedlichen Ämter lag. Hier sieht der Bundesrechnungshof weiterhin noch Handlungs- und Verbesserungsbedarf. Diese Feststellungen illustrieren, dass Risikomanagement auch beim Steuervollzug ein Dauerprozess ist, der steter Anstrengungen der Kontrolle und der Optimierung bedarf.
Risikoorientierung und Steuerberatung
Für den steuerlichen Berater stellen sich angesichts dieser Entwicklungen im Wesentlichen zwei Fragen: Inwieweit kann er seinen Mandanten auf die Arbeitsweise der Finanzverwaltung vorbereiten und inwieweit kann er selbst zu einem Bestandteil des finanzbehördlichen Risikomanagements werden? Die im Markt für das Risikomanagement entwickelten EDV-Programme versuchen, die risikoorientierte Kontrolle zu antizipieren und Steuererklärungen schon im Vorhinein auf Risikobereiche vorzuprüfen. Die Finanzverwaltung publiziert indes keine Details über die Arbeits- und Funktionsweise der entsprechenden Programme und die jeweiligen Risikofilter. Steuerpflichtige und ihre Berater sollen sich nicht ex ante auf die Kontrollansätze einstellen und „risikokonforme“ Erklärungen erstellen können.
Über den Risikovollzug soll ein Schleier des Nichtwissens gelegt werden. Ob dieser auch im finanzgerichtlichen Verfahren mit dem Recht auf Akteneinsicht aufrechterhalten werden kann oder eine Kontrolle durch das Finanzgericht zumindest in einem „in camera“-Verfahren stattfinden muss, bleibt abzuwarten.9 Jedenfalls sollte der Steuerberater seine Mandanten darauf hinweisen, dass die Steuererklärungen von der Finanzverwaltung aufgrund eines intensivierten Informationsaustausches zunehmend automatisch mit internen und externen Daten verprobt werden.
Die Finanzverwaltung sollte die tragende Rolle des Steuerberaters im Besteuerungsverfahren nicht ignorieren.
Steuerberater als Compliance-Faktor
Ob der Steuerberater im finanzbehördlichen Risikomanagement selbst zum Compliance-Faktor werden kann, indem die Wahl eines oder des konkreten Beraters auch zu einem Auswahlkriterium für steuerbehördliche Maßnahmen wird, erscheint fragwürdig. Die Finanzverwaltung sollte die tragende Rolle des Steuerberaters im Besteuerungsverfahren als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht ignorieren.10 Ohne die Aufbereitung der steuerrelevanten Informationen der Mandanten durch die Steuerberaterschaft wäre angesichts der Personalkapazitäten der Finanzverwaltung der Massenvollzug nicht zu realisieren. Der Steuerberater bietet einerseits die Gewähr für eine sorgfältige und fachkundige Aufarbeitung der Steuerdaten des Mandanten. Darum plädiert der Deutsche Steuerberaterverband für eine Aufnahme des Steuerberaters als positiven Compliance-Faktor bei den Risikofiltereinstellungen. Auf der anderen Seite mag die Finanzverwaltung die interessengeleitete Beratung und „Steueroptimierung“ durch versierte Steuerberater als negativen Compliance-Faktor verstehen, dessen Einsatz erhöhtes Kontrollbedürfnis indiziert. Allerdings dient das Recht, sich durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen (§ 80 AO), der Waffengleichheit mit der spezialisierten Verwaltung und sichert den Ablauf des Besteuerungsverfahrens. Ein Steuerberater-Risikomanagement, bei dem aufgrund der Beratungspraxis und der gespeicherten Daten ein Profil eines jeden Steuerberaters erstellt und dieses dem Mandanten als negativer Compliance-Faktor zugerechnet würde, bedürfte als Eingriff in die Berufsfreiheit des Steuerberaters jedenfalls einer gesetzlichen Grundlage.11 Deren verfassungskonforme Ausgestaltung bedürfte erheblicher Anstrengungen. Allerdings plant die Finanzverwaltung nach eigenen Angaben derzeit nicht, den Steuerberater als strukturellen negativen oder positiven Risikoparameter zu berücksichtigen.
Fazit
Ein risikoorientierter Steuervollzug ist unabdingbar angesichts der Flut der potenziell steuerrelevanten Informationen. Den für die Steuerfestsetzung und -erhebung erforderlichen Informationsstrom gilt es, nach rechtlichen Vorgaben zu kanalisieren und zu beherrschen. Ob die bisherigen Umsetzungsversuche schon die richtige rechtliche Steuerungskraft und Intensität erreicht haben, verneint der Bundesrechnungshof. Der Ansatz ist richtig und auch alternativlos, aber weitere Verbesserungen erscheinen geboten. Auch und gerade bei programmgestützter Informationsverarbeitung im Steuerverfahren ist die Kooperation der Finanzbehörden mit Steuerberatern unabdingbar. Steuerberater bereiten die besteuerungserheblichen Informationen auf und leisten für die Finanzverwaltung eine in ihrem Wert kaum messbare Vorarbeit. Auch beim risikoorientierten Steuervollzug ist die Finanzverwaltung auf die Hilfe der Steuerberaterschaft angewiesen. Das ist den Spitzen der Finanzverwaltung durchaus bewusst. Im Dienste der Transparenz und eines besseren gegenseitigen Verständnisses sollte die Finanzverwaltung noch verstärkter bei der Beraterschaft, ihren Kammern und Verbänden für ihre risikoorientierte Arbeitsweise und ihre Funktionszusammenhänge werben, auch wenn sie Details der Bearbeitungsvorgänge und zum Risikofilter selbst im Zeitalter der Informationsfreiheit kaum offenbaren wird.
1 Zum Diskussionsstand zuletzt Münch, Finanzbehördliches Risikomanage-ment im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung, DStR 2013, 212 m.w.N.
2 Vesting, Die Bedeutung von Information und Kommunikation für die verwaltungsrechtliche Systembil-dung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, 2. Aufl. 2012, § 20 Rn. 1 ff., 5.
3 Kaiser, Zur Terminologie „Risikomanagement“ aus Sicht der Finanzverwaltungen, Ubg 2012, 631.
4 So insgesamt Schmidt/Schmitt, Festschrift W. Spindler, 2011, S. 529 (541 f.).
5 Treffend mit weiterer Analyse Herzig/Schäperclaus, Einheitstaxonomie für E-Bilanz und Offenlegung, DB 2013, S. 1.
6 Stellungnahme S 14/11 des Deutschen Steuerberaterverbandes e. V. zum Referentenentwurf des BMF zur 2. Verordnung zur Änderung steuerlicher Verordnungen.
7 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2009 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes, S. 177.
8 Bundesrechnungshof, Bericht nach § 99 BHO über den Vollzug der Steuergesetze, insbesondere im Arbeitnehmerbereich v. 17.1.2012, S. 30.
9 Zum Umgang der Finanzgerichte mit dem risikoorientierten Steuervollzug vgl. Haunhorst, Risikomanagement in der Finanzverwaltung – ein Fall für die Finanzgerichte?, DStR 2010, 2105.
10 Dazu bereits Seer, Die Rolle des Steuerberaters in einer elektronischen Finanzverwaltung, DStR 2008, 1553 (1554).
11 Näher bereits Mann, Der Steuerberater als Compliance-Faktor?, DStR 2009, 506 (508).