Nicht nur bei einer Insolvenz droht der Geschäftsführer in Anspruch genommen zu werden. Vielmehr sieht er sich einem ganzen Katalog potenzieller Haftungsrisiken ausgesetzt, wie Rechtsanwalt Christian Lentföhr aus Düsseldorf erläutert.
DATEV magazin: Die Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen in der Krise verschärft sich neuerdings.
CHRISTIAN LENTFÖHR: Ja, diese Haftung tritt gemäß § 64 GmbHG neben die Haftung eines existenzvernichtenden Eingriffs gemäß § 826 BGB. Sie wird von Insolvenzverwaltern zunehmend verfolgt. Auch für Zahlungen an Gesellschafter, die erkennbar zur Zahlungsunfähigkeit führen, haftet der Geschäftsführer.
DATEV magazin: Gibt es eine zeitliche Grenze für den Zusammenhang zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Die Haftung kann jahrelang bis zur Grenze der Verjährung zurückreichen.
DATEV magazin: Inwiefern besteht ein Leistungsverweigerungsrecht?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Ergibt die Prüfung der Liquidität der Gesellschaft im Rahmen einer Insolvenzprognose, dass die Zahlung an einen Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zur Folge hätte, dann ist der Geschäftsführer – trotz entgegenstehender Weisungen – berechtigt, die Vornahme der Zahlung zu verweigern und dazu wohl auch verpflichtet. Ob der BGH damit für den GmbH-Geschäftsführer Klarheit schafft und ihm den Rücken stärkt für die Auseinandersetzung mit dem Gesellschafterkreis, erscheint angesichts der Praxis allerdings fraglich.
DATEV magazin: Aber der Geschäftsführer hat doch ein Handlungsermessen hinsichtlich unternehmerischer Entscheidungen?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Sogar ein erhebliches. Daher kann ihn allein die Entstehung eines Verlusts bei der Gesellschaft noch nicht zum Schadensersatz verpflichten. Diese Haftungsprivilegierung setzt jedoch voraus, dass das unternehmerische Handeln auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen mit allen verfügbaren tatsächlichen und rechtlichen Informationsquellen unter genauer Abwägung der Vor- und Nachteile sowie insbesondere der Risiken aller bestehenden Handlungsoptionen erfolgt.
DATEV magazin: Und wenn eine sorgfältige Ermittlung unterbleibt?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Wird die Ermittlung nicht mit hinreichender Sorgfalt vorgenommen, bleibt kein Raum für das unternehmerische Handlungsermessen. Dem Haftungsprozess werden so wieder Tür und Tor geöffnet: Risikogeschäfte, deren Misslingen die Existenz der Gesellschaft gefährden, hat der Geschäftsführer in der Regel zu unterlassen.
DATEV magazin: Gibt es Dokumentationspflichten?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Einige Gesichtspunkte wird der Geschäftsführer in jedem Fall dokumentieren müssen, wie etwa das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung, das Handeln zum Wohle der Gesellschaft, dass kein Interessenkonflikt besteht zwischen ihm und der Gesellschaft, das Handeln aufgrund angemessener Informationen sowie die Vermeidung übergroßer Risiken.
DATEV magazin: Wie verhält es sich mit Geschäften, die nicht dem Unternehmens- bzw. Gesellschaftszweck entsprechen?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Derartige Geschäfte sind ebenfalls als pflichtwidrig einzustufen – ein Gesichtspunkt, der bei einer unternehmergeführten GmbH häufig vergessen wird.
DATEV magazin: Problematisch ist doch auch der verfrühte Insolvenzantrag.
CHRISTIAN LENTFÖHR: Ein derartiger Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit ist zulässig, kann aber eine Haftung gegenüber der Gesellschaft begründen, wenn die Zustimmung der Gesellschafterversammlung fehlt und der Insolvenzgrund falsch eingeschätzt wurde.
DATEV magazin: Wann kommt eine persönliche Haftung des Geschäftsführers gegenüber Dritten in Betracht?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Eine solche Haftung kann sich nur aus zusätzlichen besonderen Umständen ergeben. Die Verletzung von Organisationspflichten oder der Pflicht zum rechtmäßigen Handeln durch den Geschäftsführer führt grundsätzlich nur zu einer Haftung im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft und eventuell der Gesellschaft gegenüber Dritten.
DATEV magazin: Anders ist es aber doch, wenn der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH derartige Organisationspflichten verletzt.
CHRISTIAN LENTFÖHR: Richtig, er wird dann auch gegenüber der Kommanditgesellschaft haften, da die ordnungsgemäße Geschäftsführung in beiden Gesellschaftsverträgen angelegt ist, sodass der Geschäftsführer zwangsläufig den Gesellschaftsvertrag verletzt. Sonst bleibt es für die Außenhaftung bei den deliktischen Tatbeständen.
DATEV magazin: Gibt es im Falle einer sogenannten D&O-Versicherung Besonderheiten?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Ja. Besteht für den Gesellschafter eine Directors-and-Officers-Versicherung, reicht die Prüfung über die eigentliche haftungsbegründende Pflichtverletzung hinaus. Es sind dann die weiteren Voraussetzungen des Vertrags zu prüfen.
DATEV magazin: Zum Beispiel?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Dazu gehört insbesondere das Erreichen der Deckungssumme, die unter Umständen dann überschritten wird, wenn mehrere Geschäftsführer solidarisch in Anspruch genommen werden. Der Haftpflichtversicherer kann die sich aus dem Versicherungsvertrag ergebenden Pflichten dadurch erfüllen, dass er berechtigte Ansprüche befriedigt und unberechtigte Ansprüche abwehrt.
DATEV magazin: Für D&O-Versicherungen gilt doch grundsätzlich das sogenannte Anspruchserhebungs- bzw. Claims-made-Prinzip.
CHRISTIAN LENTFÖHR: Dieses System stammt aus dem angloamerikanischen Versicherungsmarkt. Der maßgebliche, den Versicherungsfall auslösende Umstand ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftungsanspruchs gegen eine versicherte Person durch Dritte oder durch den Versicherungsnehmer aufgrund einer tatsächlichen oder behaupteten Pflichtverletzung.
Erfasst werden so auch Ansprüche, deren Voraussetzungen bereits vor Abschluss der D&O-Versicherung erfüllt waren.
DATEV magazin: Und das bedeutet?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Entscheidend ist, dass zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Haftungsanspruchs eine D&O-Versicherung besteht. Erfasst werden so auch Ansprüche, deren Voraussetzungen bereits vor Abschluss der D&O-Versicherung erfüllt waren, im Ergebnis kommt es dann zu einer sogenannten Rückwärtsdeckung.
DATEV magazin: Und für wen hat das Claims-made-Prinzip welchen Vorteil?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Der Vorteil des Claims-made-Prinzips gegenüber dem sonst üblichen Verstoßprinzip liegt für das versicherte Organ bei Vertragsbeginn darin, dass auch vor Vertragsbeginn liegende Schäden versichert sind – wenn sie unbekannt blieben. Der größere Vorteil liegt jedoch für die Versicherer darin, dass eine zeitlich unbegrenzte Nachhaftung und eine daraus resultierende Spätschadensproblematik ausgeschlossen sind.
DATEV magazin: Und welchen Nachteil hat dieses System?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Für das versicherte Organ birgt das Claims-made-Prinzip das Risiko, dass bis zu deren Verjährung kein Versicherungsschutz für Haftungsansprüche besteht, die erst nach Vertrags-
beendigung geltend gemacht werden, auch wenn die Pflichtverletzung während der Vertragslaufzeit begangen und der Schaden in dieser Zeit bereits eingetreten war.
DATEV magazin: Besteht die Möglichkeit, dieses Problem zu lösen?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Um diese Lücke zu schließen, lassen D&O-Versicherungen regelmäßig einen Nachmeldezeitraum zu, der auch Nachhaftungsfrist genannt wird. Das ermöglicht dem versicherten Organ innerhalb einer bestimmten Frist nach Ablauf der Versicherungsperiode, dem Versicherer den Eintritt eines Versicherungsfalls nachzumelden.
DATEV magazin: Mit welcher Folge?
CHRISTIAN LENTFÖHR: Es besteht dann auch nach Ablauf der Versicherungsperiode Versicherungsschutz, soweit der aus der Pflichtverletzung resultierende Haftungsanspruch während des Nachhaftungszeitraums geltend gemacht und die zugrunde liegende Pflichtverletzung während der Vertragslaufzeit begangen wurde.