Vorsorge für Berufsträger - 30. Juli 2020

Frei und gesichert

Die berufsständischen Versorgungswerke sind ein System von Freiberuflern für Freiberufler. Es lebt vom Engagement seiner Mitglieder ebenso wie von ihren Beitragszahlungen.

Compliance wird allgemein verstanden als Bereitschaft, die geltenden Gesetze zu achten und seine rechtlichen Pflichten zu erfüllen. Der Steuerberater behält als Compliance-Coach für seine Mandanten genau diesen Überblick – deckt mögliche Schwachstellen auf und zeigt, wie Fehler abgestellt werden können. Der Unternehmer ist damit auf der sicheren Seite, er kann sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren – und sich auf seinen steuerlichen Lotsen verlassen.  Für bestimmte Angehörige der freien Berufe existiert in Deutschland ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Alterssicherungssystem – die berufsständische Versorgung oder die berufsständischen Versorgungswerke. Sie erfassen als Mitglieder im Rahmen einer Pflichtmitgliedschaft aufgrund Landesrecht die Angehörigen der verkammerten freien Berufe, also Ärzte, Apotheker, Architekten, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater beziehungsweise Steuerbevollmächtigte, Tierärzte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Zahnärzte, Psychologische Psychotherapeuten sowie Ingenieure.

Jeder Angehörige eines solchen Berufsstands ist in jedem Bundesland berufsständisch versorgt – mit Ausnahme der Steuerberater im Land Berlin, wo es an einer gesetzlichen Grundlage für die Gründung eines Versorgungswerks fehlt. In der Regel existiert pro Bundesland oder Kammerbezirk für jeden Berufsstand ein Versorgungswerk. Manche Berufsstände haben sich jedoch bereits bestehenden Versorgungswerken angeschlossen oder lassen ihr Versorgungswerk von solchen verwalten, ohne eine eigene Verwaltung aufzubauen. Einen Sonderfall bildet der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer, für den bundesweit nur ein Versorgungswerk existiert. Dem Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer sowie der vereidigten Buchprüfer im Land Nordrhein-Westfalen sind die Berufsstände der anderen Bundesländer außer dem Saarland per Staatsvertrag angeschlossen. In den anderen rechts- und steuerberatenden Berufen bestehen bundesweit 16 Werke für die Anwaltschaft, sieben für das Notariat und zwölf für Steuerberater.

Wesen und Bedeutung

Den angesprochenen Berufen kommt im staatlichen Gesamtgefüge eine besondere Bedeutung zu, sie sind im Interesse der Bürger, etwa in der Gesundheits- und Rechtspflege, tätig. Der Staat erkennt das durch die Verleihung einer öffentlich-rechtlich geregelten Verfassung an. Die Errichtung berufsständischer Kammern und die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf diese Kammern machen dies offenkundig. Wichtig ist, dass die Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Berufskammer sowohl Voraussetzung für die Ausübung des Berufs als auch für die Mitgliedschaft im Versorgungswerk ist. Entstanden sind die ersten Versorgungswerke infolge der Inflationserfahrung nach dem Ersten Weltkrieg, weil in dessen Folge in der Inflation alle Rücklagen und Vermögen, die bis dahin zur Sicherung des Alters bestimmt waren, vernichtet wurden und viele Berufsständler und Witwen nach 1923
vor dem Nichts standen.

Mit dieser Reform wurde die auch für Freiberufler interessante dynamische Rente eingeführt.

Zentraler Anstoß für die Gründung von weiteren Versorgungswerken war die sogenannte Adenauer’sche Rentenreform 1957. Mit dieser Reform wurde die auch für Freiberufler interessante dynamische Rente eingeführt. Die freien Berufe waren jedoch auch nach der Rentenreform auf Hilfe zur Selbsthilfe verwiesen. Der Gesetzgeber unterstrich diese Verweisung auch dadurch, dass er den angestellt tätigen Pflichtmitgliedern eines berufsständischen Versorgungswerks ein Befreiungsrecht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, damals § 7 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), heute § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VI einräumte. Zu weiteren Versorgungswerkgründungen kam es nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Die Grundlage hierfür war insbesondere Art. 18 Abs. 3 des Staatsvertrags zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990, der ausdrücklich festlegte, dass die Errichtung berufsständischer Versorgungswerke außerhalb der Rentenversicherung ermöglicht werden sollte. Inzwischen verfügen die klassischen verkammerten freien Berufe in fast allen neuen Ländern über berufsständische Versorgungswerke. 2020 gibt es bundesweit 90 Versorgungswerke. Sie haben – Stand 2017 – mehr als eine Million Mitglieder. Das Deckungsvermögen der Versorgungswerke erreichte Ende 2017 fast 207 Milliarden Euro.

Selbstverwaltung und Aufsicht

Die berufsständischen Versorgungswerke werden durch die jeweiligen Berufsstände nach dem Prinzip der repräsentativen Demokratie selbst verwaltet. Das bedeutet, die Mitglieder wählen die Delegierten zu den Kammer- beziehungsweise Vertreterversammlungen. Die Kammer-/Vertreterversammlungen haben die Aufgabe, über die Beiträge und Leistungen zu beschließen. Rechtsgrundlage hierfür ist eine entsprechende ­Ermächtigung im Kammergesetz, beispielsweise dem Heilberufe-Kammergesetz, des jeweiligen Landes oder ein spezielles Landesgesetz, etwa dem Rechtsanwaltsversorgungsgesetz, und die auf dieser Grundlage errichtete Satzung. Die Kammer-/ Vertreterversammlungen wählen die Mitglieder der zur Geschäftsführung und Aufsicht befugten Organe des Versorgungswerks, den Verwaltungsausschuss oder Verwaltungsrat beziehungsweise Vorstand und den Aufsichtsausschuss. Die Versorgungswerke unterstehen der Aufsicht der Bundesländer. Die Rechtsaufsicht wird dabei ausgeübt von der Behörde oder dem Ministerium. Beiden ist auch die Aufsicht über die jeweilige berufsständische Kammer zugewiesen. Die Versicherungsaufsicht erfolgt durch die Versicherungsaufsichtsbehörden der Länder. Für den Bereich der Vermögensanlagen sind die Versorgungswerke durch Landesrecht in der Regel an die Vorgaben von § 215 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und der dazu nach § 217 VAG erlassenen Anlageverordnung gebunden.

Finanzierung

Die Versorgungswerke beruhen auf dem Versicherungsprinzip und finanzieren ihre Leistungen ohne Zuschüsse des Staats nach kapitalbildenden Finanzierungsverfahren. Im Wesentlichen sind für die Versorgungswerke zwei Finanzierungsverfahren kennzeichnend, einmal das offene Deckungsplanverfahren und das Verfahren der modifizierten Anwartschaftsdeckung.

Insbesondere das offene Deckungsplanverfahren ist zur dauerhaften Sicherung der Versorgung auf den dauernden Zugang von Berufsangehörigen angewiesen. Schwankungen im demografischen Aufbau des Mitgliederbestands werden bei beiden genannten Finanzierungsverfahren durch Kapitalbildung ausgeglichen. Hinzu kommt, dass der Ertrag der Kapitalanlage zur Finanzierung beiträgt. Beide Finanzierungsverfahren ermöglichen darüber hinaus eine dynamische Anpassung der Leistungen. Das geschieht im Wege der unmittelbaren Verwendung von Beitrags- und Ertragsteilen einerseits, zum Teil aber auch durch eine reduzierte Kapitalbildung. Der Entlastungseffekt der Kapitalbildung verringert sich natürlich bei niedrigem Zinsniveau, doch die stabilisierende Wirkung hybrider Finanzierung besteht weiter.

Beiträge

Die Festlegung der Pflichtbeiträge erfolgt unterschiedlich. Eine Mehrzahl der Versorgungswerke hat den Regelbeitrag für Selbstständige am Höchstbeitrag der gesetzlichen Rentenversicherung orientiert, während andere Versorgungswerke ihren Beitrag als Prozentsatz vom Berufseinkommen – Umsatz minus Kosten – festlegen. Wieder andere bestimmen den Pflichtbeitrag in Höhe des durchschnittlichen Versorgungsbeitrags des vorletzten Geschäftsjahrs. Bei allen Versorgungswerken ist aber, auch wenn für Selbstständige der Regelbeitrag als Höchstbeitrag wie zur gesetzlichen Rentenversicherung bestimmt ist, eine einkommensbezogene Beitragsfestsetzung möglich, auch hier orientieren sich die Versorgungswerke an den Gegebenheiten (Beitragsbemessungsgrenze/Beitragssatz) der gesetzlichen Rentenversicherung. Regelmäßig lassen die Versorgungswerke zu, dass über den Pflichtbeitrag hinaus Versorgungsbeiträge geleistet werden. Dies folgt aus der Tatsache, dass die von ihnen versicherten Personenkreise oft durch lange Ausbildungszeiten und Praxisaufbau an der für ein ausreichendes Versorgungsniveau erforderlichen Beitragszahlung gehindert waren.

Die Möglichkeit der Zahlung von Mehrbeiträgen ist oft in der Spanne von 130 bis 170 Prozent des Höchstbeitrags der gesetzlichen Rentenversicherung festgelegt, manche Versorgungswerke lassen aber auch eine Beitragszahlung bis zur Grenze des Körperschaftssteuergesetzes (§ 5 Abs. 1 Nr. 8 KSTG) zu. Angestellt tätige Mitglieder der Versorgungswerke zahlen auf jeden Fall an ihr Versorgungswerk den Beitrag, den sie ohne die Befreiung an die gesetzliche Rentenversicherung zu entrichten gehabt hätten. Auch ihnen steht die Möglichkeit der Entrichtung zusätzlicher Versorgungsabgaben offen. Angestellte Mitglieder, die sich nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) haben befreien lassen, zahlen zusätzlich zum Beitrag in die RV regelmäßig einen Mindestbeitrag an ihr Versorgungswerk in Höhe von einem bis fünf Zehntel des jeweiligen Höchstbeitrags der gesetzlichen Rentenversicherung.

Leistungen

Die Versorgungswerke bieten Versorgungsschutz bei Berufsunfähigkeit, Alter und für Hinterbliebene als Regelleistung; zusätzlich leisten sie Zuschüsse zu besonders aufwendigen Rehabilitationsmaßnahmen. Die Anwartschaft auf Berufsunfähigkeitsrente entsteht bei den berufsständischen Versorgungswerken in der Regel ohne Wartezeit schon nach der Entrichtung des Beitrags für den ersten Mitgliedschaftsmonat. Berufsunfähig im Sinne der Satzungen der Versorgungswerke ist das Mitglied, das die Fähigkeit, Erwerbseinkünfte im versicherten Beruf zu erzielen,

  • infolge Gebrechens oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte oder wegen Krankheit umfassend verloren und
  • die Tätigkeit im Beruf, der zur Pflichtmitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk geführt hat, aus diesem Grund eingestellt hat.

Beide Voraussetzungen müssen also zusammenkommen, denn die Einstellung der Tätigkeit im versicherten Beruf muss aus medizinischen Gründen erfolgt sein. Diese Abgrenzung des Berufsunfähigkeitsbegriffs ergibt sich, weil die Versorgungswerke die Versicherungsverhältnisse ohne Gesundheitsprüfung, wie sie in der privaten Versicherungswirtschaft üblich ist, beziehungsweise ohne Wartezeit, die die gesetzliche Rentenversicherung kennt, übernehmen. Sie müssen aber vergleichbar ihre Versichertengemeinschaften vor Personen schützen, die den Kammerberuf kurzfristig möglicherweise nur zur Erlangung eines Rentenanspruchs aufnehmen. Rechtsanspruch auf eine Altersrente ihres Versorgungswerks haben alle Mitglieder nach Vollendung des 65., künftig des 67. Lebensjahrs. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Altersrenten beträgt über alle 90 Versorgungswerke 2.105 Euro (2017). Ein Bezug der Altersrente vor dem Regelalter ist möglich, bei manchen Versorgungswerken ab dem 60., oft ab dem 62. Lebensjahr. Allerdings muss das Mitglied hierfür versicherungsmathematische Abschläge in der Größenordnung von 0,5 bis 0,7 Prozent der Rente pro Monat in Kauf nehmen. Es kann aber auch den Beginn der Rentenzahlung aufschieben, längstens bis zum 68./70. Lebensjahr, und erhält dann Zuschläge. Diese Zuschläge liegen ebenfalls zwischen 0,5 und 0,7 Prozent pro Monat der Aufschubzeit. 

Zum Autor

SS
Stefan Strunk

Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer ­Versorgungseinrichtungen e.V. in Berlin.

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