Wandel der Arbeitspraxis - 27. April 2023

Die Zukunft unserer Arbeit

Die Arbeitswelt befindet sich in einer tiefgreifenden Transformation. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen prägen nicht zuletzt auch den Arbeitsmarkt. Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung beschleunigt. Wir sprachen mit Aufsichtsrätin und Beraterin Janina Kugel darüber, die gesellschaftliche Vielfalt auch in der Arbeitswelt zur Normalität zu machen.

DATEV magazin: Ist das, was wir als New Work bezeichnen, der richtige Ansatz?
JANINA KUGEL: Die Arbeitswelt ist im Grunde ständig Veränderungen ausgesetzt, sonst könnte es ja keinen Fortschritt geben. Doch nicht immer ist es für viele so spürbar wie zurzeit. Lange wurden gesellschaftliche Veränderungen nicht direkt in die Arbeitswelt getragen, doch auch dies hat sich stark verändert. Auch wenn Diversität und Inklusion in vielen Unternehmen erst im letzten Jahrzehnt auf der Tagesordnung gelandet sind, so sind sie inzwischen ein fester Bestandteil der Arbeitswelt geworden. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, damit sich unsere Gesellschaft auch in der Arbeitswelt widerspiegelt und die gleichberechtigte Teilhabe überall Realität wird, doch der Anfang ist gemacht. Auch wenn viele es noch nicht glauben wollen, so haben zahlreiche Forschungen gezeigt, dass diverse Unternehmen erfolgreicher sind. Sie erzielen bessere Ergebnisse und sind innovativer. Wer also Vielfalt fördert und Inklusion nicht nur als Modewort sieht, sondern aktiv im Unternehmen implementiert und lebt, wird davon profitieren. Die Pandemie hat die Flexibilität der Arbeitszeiten und des Arbeitsorts ordentlich vorangeschoben. Die Digitalisierung vieler Prozesse hat stattgefunden. Dass Wissensarbeiterinnen und -arbeiter auch außerhalb des Büros arbeiten können, ist überall angekommen. Es ist ein Umbruch, mit dem sich jedes Unternehmen aktiv auseinandersetzen muss, um auf der einen Seite die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zufriedenzustimmen und auf der anderen Seite die Arbeitsabläufe reibungslos zu managen.

Flexibilität der Arbeitszeiten, der Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung sind Herausforderungen, denen sich Arbeitgeber stellen müssen. Was ist für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv?
Die Anforderungen an Arbeitgeber sind heute sehr unterschiedlich. Nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Erwartungen, die oft an persönlichen Lebensbedingungen und Wünschen hängen, sondern auch der Zugang zu Talenten hat sich verändert. Es ist also nicht möglich, pauschal zu sagen, wer ein attraktiver Arbeitgeber ist, sondern das ist von vielen Faktoren abhängig. Doch vor allem müssen sich Führungskräfte mit all diesen Erwartungen auseinandersetzen. Das ist nicht immer einfach und erfordert, viel aktiver erklären zu müssen, was sich verändert und wie man als Team damit umgehen möchte. Häufig wünschen sich viele die sprichwörtlich guten alten Zeiten zurück. Im letzten Jahr ist auch der Arbeits- und Fachkräftemangel spürbar geworden und in unserem Alltag angekommen. Es betrifft nicht mehr nur einzelne Branchen, sondern fast alle Arbeitsbereiche. Die Summe an Veränderungen ist also groß. Unternehmen müssen an vielen unterschiedlichen Hebeln ansetzen, denn die Zeit des Einfach-Weitermachens ist definitiv vorbei. Doch im Veränderungsdruck liegt auch immer die Chance, dass vieles schneller besser wird und Innovationen entstehen.

Sie plädieren für mehr Flexibilität in der Arbeitswelt, etwa eine Viertagewoche für Arbeitnehmer. Sorgt das nicht für mehr Arbeitsverdichtung und eine höhere Taktung, worunter viele seit der Pandemie im Homeoffice klagen?
Ich plädiere für mehr Flexibilität, nicht unbedingt für eine Viertagewoche, denn das lässt sich aus meiner Sicht nicht pauschal beantworten. Flexibilität heißt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Chance haben, sich ihre Zeit und den Arbeitsort aufzuteilen, es heißt aber auch, dass man gerne jeden Tag weiterhin ins Büro kommen darf. Es heißt auch nicht, dass der Arbeitgeber nicht fordern darf, auch regelmäßig ins Büro zu kommen. Es heißt, dass starre Strukturen überdacht werden sollen. Die Lockdown-Zeiten in der Pandemie waren eine Ausnahmesituation, in der teils alle der Familie zu Hause waren oder auch Alleinstehende völlig isoliert waren, daher kann man das aus meiner Sicht nicht mit heute vergleichen. Doch ich bin davon überzeugt: Wem die Chance gegeben wird, mitzuentscheiden, wann und wo er arbeitet, wird deutlich zufriedener sein, als wenn es nur starre Vorgaben gibt. Natürlich ist diese Debatte aber auch eine Luxusdiskussion der Wissensarbeiterinnen und -arbeiter. Wer im Schichtbetrieb arbeitet oder wessen Arbeit auch eine örtliche Abhängigkeit verlangt, kann nicht ganz so flexibel sein. Doch dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Schicht aussuchen können, ist schon lange erprobt und funktioniert ziemlich gut. Flexibilität gibt es also an vielen Stellen. Manche arbeiten lieber an vier Tagen länger und haben dann einen Tag frei, andere können im Homeoffice nur schlecht Arbeit und Privatleben trennen. So sollte jeder für sich, gemeinsam mit der Führungskraft festlegen, welches Konzept am besten funktioniert. Für Einzelne, aber natürlich auch für das gesamte Team.

Leben und Arbeit sind nicht mehr so trennscharf wie noch vor einigen Jahren und beeinflussen sich gegenseitig. Was müssen wir für eine gerechtes, tolerantes und vereinbares Arbeitsleben verändern?
Es ist nicht für jeden Mitarbeitenden einfach, Leben und Arbeiten zu trennen, insbesondere wenn man zu Hause arbeitet. Es ist daher unerlässlich, dass die Erwartungshaltungen im Team geklärt werden. Wenn manche im Team spät abends arbeiten, weil sich beispielsweise die Kinderbetreuung so besser organisieren lässt, dann muss das nicht heißen, dass auf diese E-Mails auch am Abend geantwortet werden muss. Das hat auch Zeit bis zum nächsten Morgen. Wenn die Erwartungshaltungen im Team vorher vereinbart sind, dann bedeutet dies auch weniger Druck für den Einzelnen und Klarheit im Team. Gleichzeitig muss es jedoch auch in jedem Team Zeit für gemeinsames Arbeiten, Denken und einfach nur Beisammensein geben. Die menschliche Komponente der kollegialen Beziehungen ist aus meiner Sicht nach wie vor wichtig und darf nicht zu kurz kommen. Und das heißt eben auch, die individuellen Interessen hinter die des Teams zu stellen.

Führung ist eine komplexe Aufgabe. Sie haben eine klare Vorstellung davon, was eine gute Führungskraft ausmacht, und unterscheiden zwischen Managern und Leadern.
Führungskraft zu sein, klingt immer toll – nach Status und Verantwortung –, doch Führungskraft zu sein, ist nicht immer einfach. Als Führungskraft ist man unter anderem dafür verantwortlich, dass Themen abgearbeitet werden, Prozesse reibungslos laufen und Ergebnisse erzielt werden. Doch es geht auch darum, Menschen zu begleiten, ihnen Richtung zu geben, Feedback zu geben und Feedback zu erhalten und dafür zu sorgen, dass das Team motiviert und leistungsbereit ist. Manche finden heraus, dass ihnen diese Aufgabe nicht liegt, sondern sie lieber wieder im Team arbeiten. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Wer die Führungsaufgabe wieder abgeben möchte, dem sollte dies auch möglich sein. Leadership ist mehr als Management. Es bedeutet, klare Visionen zu haben, eine Strategie zu entwickeln, wie diese Vision verwirklicht werden kann, und vor allem die Gabe, Menschen davon zu überzeugen, diese neuen Wege mitzugehen. Egal, in welcher Branche man sich befindet, Leadership bedeutet auch häufig, Durchhaltevermögen zu haben, denn visionäres Denken und Handeln wird oft belächelt oder abgetan, bis die Idee Realität wird. Wenn es aber klappt, ist es ein wunderbarer Erfolg.

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Lesen Sie bitte auch das Interview mit Prof. Dr. Richard David Precht „Wie arbeitet die Sinngesellschaft?“ unter www.datev-magazin.de
Ganztagsberatung vor Ort „Personal & Führung – Ihr Weg zum erfolgreichen Kanzleiteam“, www.datev.de/consulting
DATEV-Fachbuch: Praxisleitfaden Homeoffice und mobiles Arbeiten, www.datev.de/shop/35476
Kompaktwissen Beratungspraxis: Homeoffice und mobiles Arbeiten, www.datev.de/shop/35759
Mandanten-Info-Broschüre: Homeoffice und mobiles Arbeiten, www.datev.de/shop/32472

Zu den Autoren

Kerstin Putschke

Chefredakteurin DATEV magazin

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Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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