Gemeinschaftsbetrieb - 21. November 2019

Alternative zur Leiharbeit

Nach der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sind die Betriebe bei der Suche von Handlungsoptionen auf eine Rechtsfigur gestoßen, die weiterhin einen flexiblen und langfristigen Einsatz von Drittpersonal ermöglicht.

Bislang haben viele Unternehmen in Fällen langfristigen Drittpersonaleinsatzes auf die Arbeitnehmerüberlassung zurückgegriffen. Mit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) zum 1. April 2017 wurde eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten eingeführt, so dass die Arbeitnehmerüberlassung für Fälle des langfristigen Drittpersonaleinsatzes unattraktiv geworden ist. Für die Unternehmen bestehen mit Blick auf den Einsatz von Fremdpersonal ­außer- und innerhalb des AÜG verschiedene Handlungsvarianten, um auf die geänderten Rahmenbedingungen zu reagieren.

Per­so­nal­ge­stel­lung

Bei der Personalgestellung als Nebenleistung geht es um den Abschluss eines gemischten Vertrags über Kauf, Miete, Pacht, Herstellung von Maschinen oder anderen Gegenständen samt der Überlassung von Bedienpersonal oder anderem externen Personal, das im Rahmen einer Gesamtwürdigung der ­Umstände nur untergeordnete Funktionen hat und dem ­gemischten Vertrag nicht das Gepräge gibt. Nach der bisherigen ­Geprägetheorie liegt in diesen Fällen keine Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn die Zurverfügungstellung des Personals nur eine Hilfsfunktion zur Erreichung des Vertragszwecks hat (Beispiel: Leasingvertrag über ein Flugzeug mit Piloten und Bordpersonal). Die Einzelheiten der Personalgestellung sind umstritten, insbesondere, ob und inwiefern Umfang, Größe und Wert der Sachen im Verhältnis zum gestellten Personal maßgeblich sind. Letzten Endes ist stets eine wertende Entscheidung zu treffen, so dass für die Beteiligten eine Rechtsunsicherheit verbleibt. Es mehren sich die Stimmen, dass die Personalgestellung seit Geltung der Leiharbeitsrichtlinie so nicht mehr vertretbar ist. Nicht zuletzt deshalb ist es denkbar, dass sich die Rechtsprechung, gegebenenfalls nach einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), ändern wird.

Werk- und Dienst­leis­tungs­ver­trä­ge

Der Werk- beziehungsweise Dienstleistungsvertrag ist die traditionelle Alternative zur Arbeitnehmerüberlassung. Bei langfristigen Werk- und Dienstleistungsverträgen besteht jedoch oft die Gefahr, dass aufgrund enger Zusammenarbeit der Arbeitnehmer des Auftragnehmers mit dem Stammpersonal des Auftraggebers die Erstgenannten immer stärker in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert werden und seinen Weisungen unterliegen. Mit anderen Worten: Es entsteht eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung (Scheinwerkvertrag). Bislang konnte im Falle einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung das rückwirkende Entstehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem (verdeckt) verliehenen Arbeitnehmer dadurch vermieden werden, dass eine Vorratserlaubnis bereitgehalten wurde. Seit dem AÜG-Reformgesetz muss jede Arbeitnehmerüberlassung vor jedem Einsatz eines Leiharbeitnehmers ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet werden, was zur Folge hat, dass jeder Werk- oder Dienstleistungsvertrag, der sich im Nachhinein als Arbeitnehmerüberlassung ­herausstellt, zwingend illegal ist und zum (rückwirkenden) ­Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Auftraggeber (Entleiher) und dem eingesetzten Arbeitnehmer führt – mit allen Konsequenzen von rückwirkend fällig werdenden Lohnansprüchen auf Equal-Pay-Basis, Nachforderung von Sozialisierungsbeiträgen sowie Lohnsteuer, Bußgeldern.

Leih­ar­beit­neh­mer­karus­sell

Unter einem Leiharbeitnehmerkarussell versteht man den kontinuierlichen Austausch von Leiharbeitnehmern auf dem Arbeitsplatz beim Entleiher. Dieses Modell ist weiterhin zulässig, weil der Gesetzgeber die Höchstüberlassungsdauer ­arbeitnehmer- und nicht arbeitsplatzbezogen ausgestaltet hat. Zudem kann derselbe Leiharbeitnehmer unter Beachtung ­einer zeitlichen Zäsur von mindestens drei Monaten erneut beim früheren Entleiher auf seinem vormaligen Arbeitsplatz beschäftigt werden, wobei die Fristen erneut bei null beginnen (vgl. § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG). Die Leiharbeitsrichtlinie ­verlangt von den Mitgliedstaaten jedoch Maßnahmen, um eine missbräuchliche Anwendung der Gleichbehandlungsvorgaben, insbesondere aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Vor diesem Hintergrund ist die Unterbrechung der Höchstfristen durch die neue Regelung bei ­Beachtung ­einer Zäsur von mehr als drei Monaten kritisch zu ­sehen. Nicht zuletzt deshalb sind die Unternehmen bei der ­Suche nach ­weiteren (Gestaltungs-)Optionen auf die Rechtsfigur des ­Gemeinschaftsbetriebs gestoßen.

Gemein­schafts­be­trieb

Vielmehr besteht zwischen der Arbeit­nehmerüberlassung und dem Gemeinschaftsbetrieb ein Exklusivitätsverhältnis.

Die Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG setzt voraus, dass sich der drittbezogene Personaleinsatz aufseiten des Vertragsarbeitgebers darauf beschränkt, einem Dritten den ­Arbeitnehmer zur Förderung von dessen Betriebszwecken zur Verfügung zu stellen. Es liegt daher keine Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn die beteiligten Arbeitgeber im Rahmen einer unternehmerischen Zusammenarbeit mit dem Einsatz ihrer ­Arbeitnehmer jeweils ihre eigenen ­Betriebszwecke verfolgen. Das AÜG findet daher in Bezug auf die im Gemeinschaftsbetrieb tätigen Beschäftigten der beteiligten Arbeitgeber keine Anwendung; ­vielmehr besteht zwischen der Arbeitnehmerüberlassung und dem Gemeinschaftsbetrieb ein Exklusivitätsverhältnis. Der ­Gemeinschaftsbetrieb ist damit insbesondere in all jenen ­Fällen eine pragmatische Alternative, in denen eine Arbeitnehmerüberlassung aufgrund der Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten nicht (mehr) attraktiv oder möglich erscheint.

Rechts­fi­gur des Gemein­schafts­betrie­bs

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte bislang nur selten Gelegenheit, den Gemeinschaftsbetrieb von der Arbeitnehmerüberlassung abzugrenzen. Ein Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen wird nach der Rechtsprechung wie folgt charakterisiert: Im gemeinsamen Betrieb besteht eine einheitliche Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten durch zwei Arbeitgeber; das arbeitgeberseitige Weisungsrecht ist damit nicht gespalten, wie es für die Arbeitnehmerüberlassung charakteristisch ist. Vielmehr gibt es einen einheitlichen betrieblichen Leitungsapparat, der die Arbeitgeberfunktion für die Arbeitnehmer sowohl des einen Arbeitgebers als auch des anderen Arbeitgebers wahrnimmt. Diese einheitliche ­Leitung bedarf einer zumindest konkludenten Führungsvereinbarung.

Der Gemeinschaftsbetrieb dient der gemeinsamen Verfolgung eines oder mehrerer arbeitstechnischer Zwecke, die sich nicht darauf beschränken, dass der eine Arbeitgeber dem anderen Arbeitgeber Personal zur Verfügung stellt.

Der gemeinsame Betrieb als solcher hat keine Rechtssubjektsqualität. Es handelt sich vielmehr (in der Regel) um eine BGB-Innengesellschaft der beteiligten Arbeitgeber, die nicht am Rechtsverkehr teilnimmt. Deshalb kann der Gemeinschaftsbetrieb als solcher keine Verträge schließen und insbesondere auch kein Entleiher im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung sein.

Ur­sprüng­lich­er Zweck

Bislang wurde die Rechtsfigur des Gemeinschaftsbetriebs von Unternehmen nicht bewusst zu ihren Gunsten eingesetzt. Das mag darin begründet sein, dass die Feststellung des Bestehens eines gemeinsamen Betriebs oftmals zur Anwendung von betriebsverfassungsrechtlichen und sonstigen arbeitnehmerschützenden Regelungen führt, die ansonsten keine ­Anwendung finden würden, wie etwa der Anwendbarkeit des ­allgemeinen Kündigungsschutzes bei mehr als zehn Arbeitnehmern, der Anzahl der Mitglieder des Betriebsrats in ­Abhängigkeit von der Belegschaftsstärke oder aber der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern von ihrer beruflichen ­Tätigkeit ab ­einem Schwellenwert von 200 Arbeitnehmern. Die Feststellung eines gemeinsamen Betriebs kann schließlich dazu ­führen, dass der zunächst nur in einem von mehreren Unternehmen bestehende Betriebsrat nunmehr auch für die an sich betriebsratslosen Betriebe zuständig wird. Durch das Konstrukt des Gemeinschaftsbetriebs wird dann plötzlich das ­gesamte Betriebsverfassungsrecht anwendbar, einschließlich der Pflicht zum Interessenausgleich und Sozialplan bei ­Betriebsänderungen oder im Krisenfall.

Al­ter­na­tiver Zweck

Verleiht ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter einem anderen ­Arbeitgeber gegen entsprechende Vergütung, liegt kein gemeinsamer Personaleinsatz vor. Vielmehr spaltet sich das ­arbeitgeberseitige Weisungsrecht auf. Die sogenannte personelle und soziale Leitungsmacht bleibt beim Vertragsarbeitgeber, das Weisungsrecht in arbeitstechnischer Hinsicht wird für die Dauer der Überlassung an den Entleiher abgegeben. Ein ­gemeinsamer Betriebszweck würde eine gemeinsame Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten voraussetzen und eine zumindest stillschweigend getroffene Vereinbarung über eine gemeinsame Führung. In Fällen, in denen das Weisungsrecht gespalten ist, liegt keine Führung vor. Kurzum: Die ­Arbeitnehmerüberlassung schließt den gemeinsamen Betrieb aus. Umgekehrt gilt auch, dass ein Gemeinschaftsbetrieb die Arbeitnehmerüberlassung ausschließt. Damit wird der dauerhafte Einsatz von Drittpersonal möglich. Darüber hinaus ist eine unterschiedliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen für beide Arbeitnehmergruppen in einem Gemeinschaftsbetrieb grundsätzlich möglich (Geltung unterschiedlicher Tarifverträge, kein Gleichbehandlungsgrundsatz).

Be­grün­dung und Rechts­fol­gen

Um einen Gemeinschaftsbetrieb herbeizuführen, ist kein (schriftlicher) Vertrag erforderlich. Es ist ausreichend, wenn die vorgenannten Merkmale tatsächlich vorliegen. Sorgfältig zu prüfen ist aber die Frage des Betriebszwecks. Nach der Rechtsprechung des BAG reicht es nicht aus, dass der arbeitstechnische Zweck eines Unternehmens sich darin erschöpft, dem anderen Unternehmen Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen, damit diese allein dessen betriebliche Zwecke verfolgen. Maßgeblich ist stets, dass jedes der beiden kooperierenden Unternehmen zumindest auch einen eigenen betriebstechnischen Zweck verfolgt. Es empfiehlt sich daher – vor allem zu Dokumentations- und Beweiszwecken –, die Führungsvereinbarung schriftlich festzuhalten. Darin sind die gegenseitigen Unterstützungshandlungen der beteiligten Unternehmen, die gegenseitigen Rechte und Pflichten sowie die Verteilung von Kosten, Nutzen und Risiken festzulegen. Die Begründung ­eines Gemeinschaftsbetriebs kann aufseiten des betroffenen Betriebs zu einer Betriebsänderung nach § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) führen und dadurch die entsprechenden Beteiligungsrechte auslösen. Ist in einem der beteiligten Unternehmen ein Betriebsrat errichtet, wird dieser unternehmensübergreifend für alle Beschäftigten des Gemeinschaftsbetriebs zuständig. Die Mitbestimmungsrechte erstrecken sich auf alle Mitarbeiter, unabhängig davon, wer Vertragsarbeitgeber ist. Ferner ist eine Beteiligung bei personellen ­Einzelmaßnahmen gemäß § 99 BetrVG sowie vor Kündigungen nach § 102 BetrVG im Gemeinschaftsbetrieb erforderlich. Die Begründung eines Gemeinschaftsbetriebs dürfte auch Neuwahlen des Betriebsrats erforderlich machen, weil sich die ­Betriebsstruktur grundlegend ändert und der bestehende ­Betriebsrat nicht mehr von der neu zusammengesetzten ­Belegschaft legitimiert ist.

Fa­zit

In Konstellationen, in denen Mitarbeiter von Dienstleistern längerfristig oder dauerhaft (Hilfs-)Leistungen für ein Unternehmen erbringen, erweisen sich Werk- oder Dienstverträge als risikobehaftet, weil sie sich oftmals als Arbeitnehmerüberlassung entpuppen. Um derartige Kooperationen vergleichsweise rechtssicher auszugestalten, stellt die Begründung ­eines Gemeinschaftsbetriebs der beteiligten Unternehmen eine praxistaugliche Alternative dar. Dessen Vor- und Nachteile sollten allerdings im konkreten Einzelfall genau analysiert und abgewogen werden. 

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Kompaktwissen Lohn und Personal:
Neue gesetzliche Regelungen für den Fremdpersonal­einsatz, Art.-Nr. 36110

Zur Autorin

Dr. Tina Kärcher-Heilemann Weitere Artikel der Autorin