Zweite Chance für Unternehmen - 23. Februar 2017

Ante portas

Die EU-Kommission hat am 22. November 2016 einen Richt­linien­vor­schlag zu einem struk­tu­rierten Sa­nie­rungs­verfahren außer­halb der Insolvenz ein­ge­bracht. Im Vor­der­grund steht dabei die Sanierung und nicht die Zer­sch­la­gung be­zie­hungs­weise Liqui­da­tion von Unter­nehmen in der Krise.

Die Konkursordnung (KO) mit der primären Ausrichtung auf bestmögliche Gläubigerbefriedigung durch Unternehmenszerschlagung und Asset-Verwertung hatte sich in Zeiten einer insbesondere in anglikanischen und frankophilen Rechtskreisen vorherrschenden Sanierungsmentalität über­lebt. Sie wurde im Jahr 1999 von der Insolvenz­ordnung (InsO) abgelöst. In die InsO ein­ge­bettet findet sich erstmals der Ansatz eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens in Gestalt des In­sol­venz­plan­verfahrens, das allerdings von Beginn an nur ein Schattendasein frönte. Deshalb sollten mit dem im Jahre 2012 in Kraft getretenen Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sa­nie­rung von Unternehmen (ESUG) für in die Krise geratene Unternehmen zusätzliche Anreize geschaffen werden, recht- und frühzeitig, zudem eigeninitiativ und im Rahmen der Eigen­ver­wal­tung weitgehend eigenbestimmt eine Sanierung anzugehen. Nach fast fünf Jahren ist zwar ein deutlicher Anstieg von Planverfahren in Eigenverwaltung zu konstatieren. Dieser bleibt aber immer noch weit hinter den Erwartungen
zurück.

EU bereitet Maßnahmen vor

Bereits mit dem eingebrachten Gesetzesentwurf zum ESUG wurde ein außerinsolvenzliches Sanierungsverfahren diskutiert, letztlich aber nicht gesetzlich implementiert. Die Thematik nimmt durch die jetzige Initiative der EU-Kommission zur Verbesserung des freien Kapitalverkehrs im Binnenmarkt wieder an Fahrt auf. Am 12. März 2014 sprach die Kommission gegenüber den Mitgliedstaaten die Empfehlung aus, ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren einzuführen und diesbezüglich binnen Jahresfrist geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Nach Sondierung der unterschiedlichen Reaktionen aus den Ländern kündigte die Kommission am 30. September 2015 in einer offiziellen Mitteilung gegenüber dem Europäischen Parlament an, im vierten Quartal 2016 einen Legislativentwurf über Unternehmensinsolvenzen einzubringen, der Bestimmungen zu frühen Umstrukturierungen und zu einer zweiten Chance enthalten werde. Die Kommission hat Wort gehalten.

Sanierung ist bisher kein primäres Ziel

Das Sanierungsverfahren soll lediglich ein Angebot für das in die Krise geratene Unternehmen sein, sich still und leise zu sanieren.

In der Insolvenzordnung findet sich der Sa­nie­rungs­begriff an keiner Stelle. In § 1 InsO ist zwar vom „Erhalt des Unternehmens“ die Rede, allerdings nicht etwa als Verfahrensziel, sondern als eine Variante zur Massemehrung mit dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Wohl finden sich in der Insolvenzordnung nach der ESUG-Reform an ver­schiedenen Stellen gewisse Sanierungsansätze und sanierungsfördernde Regelungen. Aber es bleibt einer der größten Webfehler des ESUG, dass sich die einzigen gesetzlichen Sanierungsinstrumente in der Insolvenzordnung finden, deren primäres Ziel nicht die Sanierung, sondern die bestmögliche Gläubigerbefriedigung ist. Da auch die EU-Kom­mis­sion ein Verfahren fordert, dessen Ziel es sein soll, ein Insolvenzverfahren gerade zu vermeiden, ist der deutsche Gesetzgeber aufgerufen, ein Verfahren außerhalb der In­sol­venz­ord­nung zu in­stal­lie­ren. Wie ein solches in concreto ausgestaltet sein wird, ist noch offen. Der Richtlinienvorschlag der Kommission liefert indes genügend Anhaltspunkte, um über die Eckpfeiler der Regelungsinhalte mehr als nur spekulieren zu können. Ein außerinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland wird sich vermutlich in einem selbstständigen Sanierungsgesetz wiederfinden, um jeglichen Bezug zu einem förmlichen Insolvenzverfahren zu vermeiden. Das Sanierungsverfahren soll nur ein Angebot für das in die Krise geratene Schuldnerunternehmen sein, sich schnell und still zu sanieren. Deswegen kann das Initiativrecht denknotwendig nur beim Schuldnerunternehmen liegen, das Verfahren jedenfalls nicht ohne seine Zustimmung aufgenommen werden. Die Kom­mis­sions­em­pfehlung sieht grundsätzlich eine gerichtliche Befassung vor, verlangt aber aus­drück­lich nicht, dass für die Einleitung der Restrukturierung ein formales gerichtliches Verfahren eröffnet werden muss. Zugunsten eines möglichst geräuschlosen, schlanken und kostengünstigen Verfahrens gilt die Devise: so viel Gericht wie nötig und so wenig wie möglich.

Wer darf das Sanierungsverfahren nutzen?

Welches Krisenstadium als Einlassticket in das Verfahren vorliegen muss, geht aus dem Richt­linien­vor­schlag nicht mit letzter Klarheit hervor. Einerseits spricht der Entwurf in seinen einführenden Anmerkungen von insolvenznahen, indes noch nicht insolvenzreifen und damit antragspflichtigen Unter­nehmen in finanziellen Schwierigkeiten. Andererseits sind besondere Zugangs­voraus­set­zun­gen nicht genannt, und das betroffene Unternehmen muss insbesondere seine Lebens- und Sanierungsfähigkeit nicht nachweisen. Vorschlagsweise sollte sich der deutsche Gesetzgeber an den bei uns bereits etablierten Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit anlehnen. Damit werden künftig einem insolvenzbedrohten und sanierungswilligen Unternehmen alternativ zwei Wege angeboten, nämlich entweder eine Insolvenzsanierung in Eigen­verwaltung (ESUG) oder eine Sanierung unter dem Schutz des neuen Sanierungsgesetzes außerhalb der Insolvenz.

Restrukturierungsplan als Kernstück

Der vom Schuldner zu erstellende Restrukturierungsplan muss den konzeptionellen Weg zur Gesundung beschreiben und ebenso darlegen, welche Gläubiger mit welchen Beiträgen vom Plan betroffen sind. Denn anders als im Insolvenzverfahren soll nach dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission entsprechend den angloamerikanischen Vorbildern eine Verständigung mit nur einigen ausgesuchten Gläubigern oder Gläubigergruppen möglich sein, während die übrigen Gläubiger vom Verfahren gar nicht tangiert werden. Dies ist dem deutschen Recht bis dato fremd. Die Kommission spricht davon, dass Gläubiger mit unterschiedlichen Interessen auch in unter­schied­lichen Klassen behandelt werden sollen und die mehrheitliche Zustimmung in jeder Klasse letztlich maßgeblich sein soll. Dies ähnelt der Struktur unseres Insolvenzplanverfahrens, und es spricht nichts dagegen, diese im Sanierungsverfahren grundsätzlich zu übernehmen. Wie im Insolvenzrecht wird auch im Sanierungsgesetz darauf zu achten sein, dass kein betroffener Gläubiger mit dem Restrukturierungsplan schlechtergestellt wird als im Falle einer Insolvenz.

Missbrauch ist auszuschließen

Der Schuldner sollte das Verfahren und dessen Ablauf – zur Vermeidung von Missbrauch stets unter fachkundiger externer Hilfe und Kontrolle – selbst gestalten und koordinieren. Einer ge­richt­lichen Befassung bedarf es erst dann, wenn der Schuldner dessen bedarf. So soll ent­spre­chend dem Richtlinienvorschlag auf Antrag des Schuldners vom Gericht ohne weiter­gehende Prü­fung ein Moratorium gegenüber den vom Plan betroffenen oder gar sämtlichen Gläubigern mit Ausnahme der Arbeitnehmer ausgesprochen werden. Dabei sollen Durchsetzungsmaßnahmen temporär, nämlich bis zu vier Monaten, in Ausnahmefällen bis maximal zwölf Monaten ausgesetzt werden. Um den Schuldner nicht gläubigerseits vom Sanierungsverfahren in die Insolvenz zwingen zu können, sollen nach dem Richtlinienvorschlag auch Gestaltungsrechte, wie Kün­di­gun­gen oder sonstige Vertragsbeendigungen, vorübergehend suspendiert sein. Der Entwurf geht sogar so weit, Insolvenzantragspflichten während des Verfahrens auszusetzen, was bedenklich erscheint. Mit Eintritt der Insolvenzreife und einer entsprechenden Antragspflicht sollte das Sanierungsverfahren beendet werden, weil eine außerinsolvenzliche Sanierung gescheitert ist. Die EU-Kommission legt die Entscheidung darüber aber letztlich in die Hand des Gerichts.

Der Schuldner bleibt Herr im Verfahren

Der Schuldner soll nach dem Richtlinienvorschlag die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über sein Vermögen behalten und keinerlei besonderen Beschränkungen unterliegen. Dies entspricht im Grundsatz unserer Eigenverwaltung in der Insolvenz. Die Bestellung eines Restrukturierungsverwalters zur Unterstützung oder zur Beaufsichtigung durch das Gericht soll nach Ansicht der Kommission nicht verpflichtend sein, aber im Einzelfall vom Gericht angeordnet werden können. Einer gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans bedarf es nur, wenn er von den zur Abstimmung aufgerufenen Gläubigern nicht einstimmig angenommen wird und/oder gemäß dem Restrukturierungsplan neue Finanzierungen zur Verfügung gestellt werden. Die Kommission will solche Neufinanzierungen besonders schützen. Was darunter konkret zu verstehen ist, lässt sie offen. Es müssen sämtliche Finanzierungen gemeint sein, soweit sie a) neu sind und b) der Umsetzung des Plans und der Sanierung dienen. Solche Neufinanzierungen sollen im Falle des Scheiterns des Verfahrens und einer sich anschließenden Insolvenz im Rang pri­vi­le­giert und der Anfechtung entzogen sein. Es würde sich anbieten, die Rechtsprechung des BGH zu Überbrückungs- und Sanierungskrediten bei der Gesetzesformulierung heranzuziehen, um dadurch die notwendige Rechtssicherheit zu schaffen. Zu präferieren ist es, den Plan stets gerichtlich bestätigen zu lassen. Denn auch bei Einstimmigkeit sollte ein Verfahren, das in Drittrechte eingreift, gegebenenfalls neue Vollstreckungstitel schafft und Rechtsmittelfristen auslöst, durch gerichtliche Bestätigung besonders legitimiert werden.

Operative Sanierung im Fokus

Da es in aller Regel mit einer reinen Bilanzsanierung nicht getan ist, weil die Gründe für die Schieflage zumeist im Operativen liegen, sollte im Restrukturierungsplan klar definiert werden, wie und unter welchen Voraussetzungen (zum Beispiel Erreichen von Kennzahlen) die operative Sanierung als erfolgreich abgeschlossen gilt. Leider verhält sich der Richtlinienvorschlag zu dieser Frage nicht, obwohl die EU-Kommission insbesondere auch auf klassisch mittelständische Unternehmen abstellt, bei denen die Krisenursachen zumeist operativ-leistungswirtschaftliche Probleme sind.

Schlankes Verfahren ist gefordert

Nach Inkrafttreten der EU-Richtlinie sollen den Mitgliedstaaten zwei Jahre zu deren legislativer Umsetzung gegeben werden. Die Kunst für den deutschen Gesetzgeber wird darin bestehen, ein Gesetz zu modellieren, das sich deutlich von einem förmlichen Insolvenzverfahren abgrenzt. Es muss Instrumente an die Hand geben, die es dem Schuldnerunternehmen ermöglichen, sich im Rahmen eines geräuschlosen, schlanken und schnellen Verfahrens unter minimaler gerichtlicher Beteiligung mittels eines Restrukturierungsplans mit seinen Gläubigern oder auch nur mit einigen von diesen auf Maßnahmen zum nachhaltigen Bestand des Unternehmens zu einigen.

Zum Autor

Dr. Utz Brömmekamp

Geschäftsführender Gesell­schafter der Bucha­lik Brömme­kamp Rechts­­an­walts­ge­sellschaft und der Bucha­lik Brömme­kamp Unter­neh­mens­be­ra­tung GmbH; Schwer­punkte sind ins­be­son­dere die Sa­nie­rung von Unter­nehmen durch ein Eigen­ver­wal­tungs­ver­fahren, aber auch außer­halb der Insolvenz

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