Unternehmens­sa­nie­rung - 23. Februar 2017

Aktuelles zum Rangrücktritt

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 5. März 2015 die Anforderungen an einen Rangrücktritt zugunsten der Gläubiger konkretisiert. Der Beitrag untersucht die Auswirkungen des Urteils auf das Insolvenz- und Bilanz(steuer)recht.

Der Rangrücktritt ist ein bewährtes Instrument der ­Sanierungspraxis. Er ist ein Vertrag (keine einseitige Erklärung), durch den ein Gläubiger seinen Anspruch auf Leistung – bis zur Über­win­dung der Krise der Gesellschaft – hinter die Forderungen aller gegenwärtigen und künftigen Gläubiger subordiniert und Erfüllung nur noch aus einem künftigen Gewinn, Liqui­da­tions­über­schuss und/oder sonstigem freien Vermögen der Gesellschaft begehrt (Besserungsabrede). Ziel eines Rangrücktritts ist es, den Eintritt einer insolvenzrechtlichen Überschuldung (§ 19 Abs. 2 Insolvenzordnung – InsO) zu vermeiden oder – falls diese bereits eingetreten ist – zu beseitigen. Der Charme des Rangrücktritts besteht – anders als beim Forderungserlass mit Besserungsschein – darin, dass akzessorische Sicherheiten und der Anspruch auf Verzinsung der Forderung nicht verlustig gehen. Mit Urteil vom 5. März 2015 (IX ZR 133/14) hat der (Insolvenzrechts-)Senat des Bundesgerichtshofs die Anforderungen an einen Rangrücktritt und seine Rechtsfolgen kon­kre­ti­siert. Die viel beachtete Entscheidung könnte auch auf das Bilanz- und Steuerrecht ausstrahlen. Ziel des Beitrags ist es, das aktuelle BGH-Urteil vorzustellen und anschließend dessen Auswirkungen auf das Bilanz- und Steuerrecht zu beleuchten.

Insolvenzrecht

Ein Rangrücktritt muss bereits vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wirken.

Die wechselvolle Geschichte des Rangrücktritts sei an den folgenden drei Eckpfeilern nachgezeichnet:
(1) Mit Urteil vom 8. Januar 2001 hatte der II. (Zivil­rechts-) Senat des BGH (II ZR 88/99) den sogenannten qualifizierten Rangrücktritt eingeführt. Kennzeichen eines qualifizierten Rangrücktritts war, dass der Gläubiger seinen Anspruch (auf Rückzahlung, ge­ge­ben­en­falls auch auf Zinsen und Nebenkosten) in die Rang­stufe subordiniert, in der die Ge­sell­schafter eine Rückzahlung ihrer Einlagenrückgewähransprüche fordern können (§ 199 Satz 2 InsO). Die Entscheidung des BGH (2001) hatte eine überschießende Tendenz, die auch im Lichte des Gläubigerschutzes nicht geboten war. Der qualifizierte Rangrücktritt ist seit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts (MoMiG), spätestens seit dem BGH-Urteil vom 5. März 2015 tot.

(2) Mit dem MoMiG hat der Gesetzgeber – in Abkehr vom Eigenkapitalersatzrecht – angeordnet, dass Gesellschafterdarlehen (nicht: Drittdarlehen) mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in den Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO subordiniert werden. Soll die Verbindlichkeit indes auch im Überschuldungsstatus außer Ansatz bleiben, muss der Gesellschafter überdies einen Rangrücktritt erklären, dessen Rangtiefe jenseits des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO reicht.

(3) Die mit dem MoMiG eingeführten §§ 19 Abs. 2 Satz 1 und 39 Abs. 2 InsO hatten neuerlich Zweifelsfragen entfacht, die nun durch die Entscheidung des BGH vom 5. März 2015 ausgeräumt wurden. So muss ein Rangrücktritt bereits vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wirken. Eine zeitliche Begrenzung des Rangrücktritts (nur) auf den Zeitraum des Insolvenzverfahrens ist schädlich. Deshalb sollte in dem Rangrücktritt ausdrücklich vereinbart werden, dass er auch im Insolvenzverfahren (besser: inner- und außerhalb des Insolvenzverfahrens) gelten soll.

Ein Rangrücktritt begründet nicht lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners im Sinne eines pactum de non petendo (so aber bisher die herrschende Meinung), sondern stellt einen dinglichen Schuld(änderungs)vertrag im Sinne von § 311 Abs. 1 BGB dar. Dies hat spürbare Auswirkungen: So kann der Schuldner bei einem Leistungsverweigerungsrecht zwar die Leistung gegenüber dem Gläubiger verweigern. Zahlt er indes, bewirkt die Leistung, dass das Schuld­ver­hältnis durch Erfüllung erlischt (§ 362 BGB). Dagegen besteht nach der Rechtsprechung des BGH (2015) bis zur Überwindung der Krise für den Schuldner ein Zahlungsverbot: Leistet der Schuldner dennoch, leistet er – so der BGH – auf eine Nichtschuld. Anders gewendet: Bis zur Abwendung der Krise ist die Forderung nicht erfüllbar (!); eine Leistung kann kondiziert (§§ 812 Abs. 1 Satz 1, 814 BGB) und vom Insolvenzverwalter nach § 134 InsO angefochten werden.
Ein Rangrücktritt ist ein Vertrag zugunsten aller (gegenwärtigen und künftigen) Gläubiger, der nur mit Zustimmung aller Gläubiger (einvernehmlich) aufgehoben werden kann. Er kann – ohne Beteiligung aller anderen Gläubiger – nur bei Abwendung der Krise der Gesellschaft (das heißt bei Existenz freien Vermögens) aufgehoben werden. Dies bedeutet, dass der Gläubiger durch seinen Rangrücktritt – anders als bei einer Patronatserklärung, die gegebenenfalls kündbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2010 – II ZR 296/08) – unauflöslich mit dem Schicksal der Gesellschaft verwoben ist.

Steuerrecht

Die gestalterische Herausforderung bei der Vereinbarung eines Rang­rücktritts ist, dass die Schuld im Überschuldungsstatus außer Ansatz bleibt, ohne ihre Passivierung in der (Handels- und) Steuerbilanz zu gefährden. Gefahr droht dabei von dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG.
Nach der Rechtsprechung des I. und IV. Senats des BFH (zuletzt Urteil vom 10.08.2016 – I R 25/15) und dem BMF-Schreiben vom 8. September 2006 bleibt eine Verbindlichkeit, für die ein Rang­rück­tritt vereinbart wurde, jedenfalls dann in der Steuerbilanz passiviert, wenn die Erfüllung der Verbindlichkeit auch aus dem sogenannten sonstigen freien Vermögen der Gesellschaft begehrt werden kann. Dies soll nach der Rechtsprechung des IV. Senats stets vereinbart sein, wenn der Gläubiger in der Besserungsabrede eine Erfüllung seiner Forderung aus dem sonstigen freien Vermögen nicht ausdrücklich ausschließt (Urteil vom 10.11.2005 – IV R 13/04).
Begehrt der Gläubiger dagegen eine Erfüllung seiner Forderung „nur“ aus einem künftigen Jahres­überschuss (oder einem künftigen Bilanzgewinn) oder aus einem künftigen Liqui­da­tions­erlös, ist die Verbindlichkeit in der Steuerbilanz aufzulösen; ein derart spezifizierter Rangrücktritt dürfte auch nach der Rechtsprechung des IV. Senats des BFH eine Passivierung der Verbindlichkeit in der Steuerbilanz nicht rechtfertigen, da insoweit eine Erfüllung auch aus einem sonstigen freien Vermögen nachgerade ausgeschlossen wird („nur“).
Die Auflösung der Verbindlichkeit in der Steuerbilanz führt zu einem steuerpflichtigen Ertrag (soweit die Forderung nicht mehr werthaltig ist) beziehungsweise einer einkommensneutralen Einlage (soweit die Forderung noch werthaltig ist).

Handelsrecht

Bislang ist allgemein anerkannt, dass eine Verbindlichkeit, für die ein Rangrücktritt vereinbart wurde, in der Handelsbilanz zu passivieren ist; dies gebiete das Vollständigkeits- und das Vor­sichts­prinzip. Im Lichte des aktuellen BGH-Urteils fordert nun erstmals Welf Müller eine Auflösung der Verbindlichkeit in der Handelsbilanz (zugunsten der Dotierung der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB in Höhe des gesamten Nominalwerts der Forderung). So stehe „der Er­fül­lungs­an­spruch nach Eintritt der Insolvenzreife unter mindestens einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB), nämlich der Erwirtschaftung eines Jahresüberschusses/Bilanz­ge­winns oder des Vorhandenseins ‚sonstigen freien Vermögens‘ und zusätzlich nach Eintritt der Insolvenzreife ggf. noch der Zustimmung der Gläubiger der Gesellschaft. (…) Aufschiebend bedingte Ver­bind­lich­keiten sind aber als Verbindlichkeiten erst mit dem Eintritt der Bedingung(en) zu passi­vieren. (…) Allenfalls ist eine Rückstellung zu bilden, wenn am Bilanzstichtag mit einem Eintritt der Be­din­gung zu rechnen ist; das ist aber gerade in der Krise nicht der Fall“ (BB 2016, S. 491).
Die Ansicht von Müller hat Beifall (Hoffmann, StuB 2016, S. 286), aber auch Widerspruch (Kahlert, BB 2016, S. 878) geerntet. Ihre Sprengkraft besteht darin, dass bei einer Pflicht zur Auflösung der Verbindlichkeit in der Handelsbilanz kein Raum für ihren Ansatz in der Steuerbilanz verbliebe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Rechtsprechung des BFH, die dem steuerlichen Berater bislang (bei Ver­ein­barung der Erfüllung der Forderung aus dem sonstigen freien Vermögen) eine rechtssichere Hand­lungs­an­weisung eröffnete, wäre Makulatur.

Stellungnahme Wirtschaftsprüfer

Der Hauptfachausschuss der Wirtschaftsprüfer plädiert für ein Passivierungsgebot.

Der Hauptfachausschuss (HFA) des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW) hatte im Jahr 2005 zum qualifizierten Rangrücktritt des BGH (2001) für eine Passivierung der Verbindlichkeit in der Handelsbilanz plädiert. Allerdings fußte diese auf der seinerzeit herrschenden Meinung des Rangrücktritts als eines pactum de non petendo, die vom BGH (2015) nun zurückgewiesen wurde. Der HFA hat deshalb seine Stellungnahme aus 2005 auf den Prüfstand gestellt, hält jedoch unverändert an der Passivierungspflicht der Verbindlichkeit in der Handels­bilanz fest: „Auch das (…) BGH-Urteil ändert nichts daran, dass die Verpflichtung des Schuldners zivilrechtlich fortbesteht. Vor diesem Hintergrund verbietet das handelsrechtliche Vorsichtsprinzip nach Auffassung des HFA auch weiterhin die Ausbuchung der Verbindlichkeit in der Handels­bi­lanz“ (IDW Life 11/2016, S. 1001).

Ausblick

Das Urteil des BGH vom 5. März 2015 hat die Anforderungen an einen Rangrücktritt zugunsten der Gläubiger konkretisiert. Fraglich ist, ob es den Ansatz der Verbindlichkeit in der (Handels- und) Steuerbilanz auch dann zu Fall bringt, wenn die Erfüllung der Forderung aus dem sonstigen freien Vermögen vereinbart ist. Bedauerlicherweise war die neue Rechtsprechung des BGH für das jüngste Urteil des BFH vom 10.08.2016 (I R 25/15) zum Rangrücktritt noch nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich. Die künftige Entwicklung zum Rangrücktritt in Handels- und Steuerbilanz bleibt damit spannend.

Fotos: hkeita / Getty Images

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Zum Autor

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Prof. Dr. Peter Oser

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Stuttgart

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