Bestandsaufnahme - 25. Februar 2021

Wie intelligent ist KI wirklich?

Es ist hilfreich, sich gelegentlich der Begriffe neu zu vergewissern, mit denen wir allzu geläufig umgehen. Das bewahrt uns vor manche m Irrtum.

Nähern wir uns in diesem Gestus einmal dem Begriff der Intelligenz und der Frage, inwieweit diese künstlich sein kann. Ihre landläufige Übersetzung mit Einsichtsfähigkeit bedarf des Vorhandenseins eines Bewusstseins, eines Wissens um die eigene Existenz – im weitesten Sinne der Fähigkeit also, zu sich selbst „ich“ sagen zu können und damit einer Qualität, die keiner Maschine der Welt zukommt. Schwächen wir den Begriff darum etwas ab und reduzieren Intelligenz auf bloße Lernfähigkeit. Voraussetzung hierfür ist die Verabschiedung eines strengen, immer gleichen Ablaufs zugunsten einer Möglichkeit zur Option zwischen verschiedenen Handlungsalternativen – und damit eine Rückkopplung der Handlungsergebnisse an den Entscheidungsprozess. Diese Feststellung mag trivial erscheinen, ist aber von Bedeutung, weil sie ein heuristisches Prinzip repräsentiert und darum zunächst in einem grundsätzlichen Gegensatz steht zu jenem, das auf Algorithmen basiert und das den Kern jeder digitalen IT ausmacht. Algorithmen, die wir als eine starre Abfolge von Handlungsschritten interpretieren können, so zu gestalten, dass sie Lernfähigkeit im obigen Sinne zulassen, repräsentieren zugleich die Aufgabe wie auch das eigentliche Werkzeug, mit dem so etwas wie maschinelle, künstliche Intelligenz (KI) in die Welt kommt.

Künstliche Intelligenz ist keine Simulation

Zweckrational betrachtet und mit der oben umrissenen Einschränkung versehen handelt es sich bei der KI also durchaus um eine Form von Intelligenz und keineswegs nur um deren Simulation. Sie ist weit mehr als ein So-tun-als-ob. Auch in der Natur begegnet uns, was wir doch spontan für unmöglich halten: Intelligenz ohne Gehirn – im Sinne einer Lernfähigkeit bei gleichzeitiger Abwesenheit einer steuernden, das erworbene Wissen tragenden neuronalen Struktur. Wir finden dies etwa bei einem Bienenvolk, das flexibel und arbeitsteilig mit einer Fülle von Situationen zweckgerichtet und somit innerhalb gewisser Grenzen intelligent umzugehen imstande ist.

Man hüte sich vor den Propheten

Allerdings ruft dieser durchaus positive Befund allzu rasch die Fantasten und Visionäre auf den Plan, die die eingangs getroffene Unterscheidung von Intelligenz als Einsichtsfähigkeit von jener als bloßer Lernfähigkeit fahrlässig ignorieren. Unter den Propheten lassen sich etwa die Posthumanisten vernehmen, die glauben, angesichts rapide wachsender KI-Leistungen werde unsere Spezies in absehbarer Zeit entbehrlich, der Mensch sei folglich ein Auslaufmodell der Evolution. Andere, die Transhumanisten, erklären uns zum Mängelwesen, ja zum Sanierungsfall, den es mithilfe künstlicher Intelligenz zu optimieren gelte. Hoffnung und Angst, Verheißung und Schrecken, Utopie und Dystopie liegen hier eng beieinander, und doch leitet die meisten Vordenker eine zentrale Vorstellung: dass die Zukunft intelligente Maschinen hervorbringen wird, deren Denkungsart der unseren verwandt sein wird, so weit zumindest, dass sie uns Menschen ein echtes Gegenüber sein können, befähigt nicht nur geläufig zu kommunizieren, sondern zu verstehen – ein gewaltiger Unterschied. Und indem man dieser Vorstellung anhängt, übersieht man eben genau den entscheidenden Punkt, dass maschinelle Intelligenz, so staunenswert ihre Leistungen auch sein mögen, kein Bewusstsein hat, sondern, wo sie uns als humanoid begegnet, tatsächlich nur eine beeindruckende Simulation darstellt.

Der Roboter – Homunkulus des 21. Jahrhunderts

Die Sehnsucht des Menschen, ein denkendes Wesen zu erschaffen, ist ein geistesgeschichtliches Motiv, das bis in die Antike zurückreicht. Der Demiurg begegnet uns in vielerlei Gestalt vom Mittelalter über Paracelsus (De natura rerum, 1538) bis zu Goethe (Faust II, 1832) als Schöpfer des Homunkulus, der uns nun im 21. Jahrhundert als Roboter zwar noch etwas ungelenk, aber bereits vollkommen autark entgegenstakst. Die Ingenieure von Boston Dynamics etwa lassen hier die Welt immer wieder aufs Neue staunen. Das Bemühen, der intelligenten Maschine menschliche Züge zu verleihen, treibt die Entwickler an. Aufrechter Gang, mechanische Hände, die wie die unseren geformt sind, eine reagible Mimik, die Gefühlsregungen simuliert – die Anstrengungen, um die Grenze zwischen Mensch und Droide zu verwischen, sind immens und kommen doch über die Schaffung eines bloßen Erscheinungsbilds nicht hinaus. Der Grund liegt zum nämlichen Mal in der begrenzten Teilhabe der Maschine an dem, was wir Intelligenz nennen, ohne Bewusstsein kann diese über eine nur lernende nicht hinaus. Daher kann KI auch keine ethischen Entscheidungen treffen. Alles Tun und Lassen entfaltet sich vor dem Hintergrund eines Wertegefüges, das der Mensch allein setzen und für vorläufig verbindlich erklären kann; Werte, aus denen sich die Zwecke und Ziele ableiten, denen die Intelligenz der Maschine als deren Erfüllungsgehilfe unterworfen ist und bleibt. Denken wir uns eine KI, deren Lernkurve in dem Bemühen besteht, die Ursachen für kriegerische Konflikte zu analysieren, um diese künftig zu vermeiden. Käme sie zu dem Ergebnis, dass die Abschaffung der Menschheit hierzu die verlässlichste Strategie wäre, hätte sie ihre Aufgabe formal zwar unbestreitbar gelöst, ihr Ziel aber auf groteske Weise verfehlt. Man wäre gut beraten, ihr schleunigst ein Update zu verpassen. Auch wenn dieses Beispiel absurd anmutet, zeigt es doch deutlich die Grenze jeder KI auf. Sie dient vorgegebenen Zwecken, die Werte aber, aus denen diese hervorgehen, können niemals der Maschine selbst entspringen – so lange diese kein eigenes Bewusstsein hat.

Bewusstsein – das ungelöste Rätsel des Ichs

Ob eine KI bei gewaltiger Steigerung ihrer Komplexität und Leistungsfähigkeit dermaleinst ein solches entwickeln wird, ist indessen reine Spekulation, ein Thema für Science-Fiction- Autoren, aber kein Gegenstand seriöser Prognostik. Dies liegt im Übrigen nicht zuletzt daran, dass wir ja nicht einmal über unser eigenes Bewusstsein hinreichend aufgeklärt sind. Wir kennen den Ort, dessen Aktivität aus 100 Milliarden Neuronen und einer hochkomplexen Biochemie unser Bewusstsein gewissermaßen verwahrt, haben damit aber noch nicht einmal ansatzweise verstanden, wie das Bewusstsein, also ein erlebendes Wissen um die eigene Existenz überhaupt in die Welt kommt. Komplexität allein stellt dabei ganz sicher nicht den entscheidenden Faktor dar, wenn es um den Umschlag von Quantität in Qualität geht. Es wäre naiv anzunehmen, eine Hardware müsste nur Tausende Male leistungsfähiger sein als heute und Software-seitig mit entsprechender KI bestückt werden, um plötzlich ein Bewusstsein zu entwickeln und sich ihrer selbst innezuwerden. Diesem Irrtum sitzt im Übrigen auch auf, wer vergisst, dass eine Digitalelektronik grundsätzlich anders arbeitet als das bioelektrische Konnektom mit seinen 100 Billionen Synapsen in unseren Köpfen.

Kein Anlass für Hybris

Üben wir uns also ein wenig in Demut und Bescheidenheit. Es ist – bei all ihren beeindruckenden Leistungen – noch nicht allzu weit her mit dem, was wir KI nennen. Es handelt sich um lernfähige, sich im Hinblick auf ein gesetztes Ziel autonom weiterentwickelnde Systeme. Nicht mehr und nicht weniger. Auch wenn uns die vermeintliche Eloquenz von Alexa in Staunen versetzt, erzeugen unsere Fragen an sie keinen Vorgang, der auch nur im Entferntesten etwas mit Nachdenken zu tun hat. Von einer dem Menschen auch nur halbwegs ebenbürtigen künstlichen Intelligenz sind wir noch so weit entfernt wie unsere Sonne vom nächsten Fixstern. Es sind Lichtjahre. Und indem wir Robotern schon heute ein humanoides Aussehen verleihen, um sie uns so leichter anzuverwandeln, tun wir den zweiten Schritt vor dem ersten und sitzen einem Selbstbetrug auf: Wenn sie aussehen wie wir, dann sind sie doch auch wie wir? Ein epochaler Irrtum, ein Irrglaube und – je nachdem, wie wir dazu stehen – auf unabsehbare Zeit eine irrige Hoffnung oder unnötige Befürchtung.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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