Digitale Ethik - 25. Mai 2022

Welche Werte leiten uns?

Sie ist der Versuch, unser Tun und Lassen in der digitalen Welt nach unserem Verständnis von Richtig und Falsch auszurichten. Sehen wir einmal, was dies genau bedeutet.

Wenn wir ein Thema ethisch beleuchten, denken wir über die Richtigkeit unseres Handelns und Denkens nach. Wir überlegen, ob die Werte, die uns dabei leiten – unsere Moralvor­stellungen –, aktuell und angemessen sind. Als angewandte Phi­losophie ist Ethik ganz Lebenspraxis, sie reflektiert unsere Mo­ral und unterzieht sie der Kritik: Was legitimiert unser Urteil über Gut und Böse? Gibt es so etwas wie eine Universalgram­matik der Moral, die wir Menschen aus dem historischen Ge­dächtnis unserer Art abrufen können? Oder muss ethisches Ab­wägen durch Erziehung, Erfahrung, Tradition ganz individuell erworben werden? Lässt sich Ethik auf ein rationales Funda­ment stellen? Davon war Immanuel Kant überzeugt und hat dies in seinem kategorischen Imperativ auf eine stringente Formel gebracht, deren wunderbare Klarheit bis heute unübertroffen ist. Doch wie steht es um die Verlässlichkeit unserer morali­schen Vorstellungen? Handelt es sich bei ihnen möglicherweise um nicht mehr als ein vages Gefühl, eine leicht korrumpierbare Aktivität im ventromedialen präfrontalen Cortex, dem physiolo­gischen Sitz unseres Moralempfindens, wie manche Hirnfor­scherinnen und Hirnforscher glauben? Wie wichtig ist folglich eine Ethik, um dieses Gefühl zu begründen?

Auf dem Weg zum Guten: überlegen und abwägen

Gehen wir es pragmatisch an und verstehen digitale Ethik als die Frage danach, welche Werte uns leiten, wenn wir digitale Technologien entwickeln und nutzen, welche Prinzipien uns da­bei wichtig sind, welche Freiheiten wir damit gemeinsam errei­chen und bewahren wollen. Zur praktischen Aufgabe einer sol­chen Ethik wird dann die Begründung und Formulierung unse rer eigenen Anspruchshaltung: Wie können wir Digitalisierung gemeinsam auf eine gute Weise gestalten? Dabei bleibt uns be­wusst: Nicht alles, was zu einem bestimmten Zeitpunkt legal und rechtlich unproblematisch erscheint, ist damit schon gleichzeitig ethisch legitim, soweit wir uns der Rechtschaffen­heit verpflichtet fühlen – und das tun wir.

Wie uns digitale Ethik unterstützt

Als Teilgebiet der Ethik bezieht sich digitale Ethik damit insbe­sondere auf die vielschichtigen technologischen Gestaltungs­möglichkeiten, die unser Leben im 21. Jahr­hundert prägen: Die Fragen, die wir mit ihr beantworten, erwachsen aus den völlig neu­en Möglichkeiten, die beispielsweise daten­analytische Verfahren mit sich bringen. Beispiele: Welchen Spielraum wollen wir al­gorithmischen Empfehlungen zuerkennen – etwa bei Kreditvergaben, Stellenbesetzun­gen, medizinischer Diagnostik, Tarifgestal­tung im Versicherungswesen? Wie steht es um die Verantwortung für die Folgen ma­schineller Funktionalität, etwa bei sich auto­nom bewegenden Fahrzeugen? Welche Hal­tung nehmen wir gegenüber der Datensouveränität des Einzel­nen ein, wenn Datenverarbeitung unser tägliches Leben beglei­tet – beim Einchecken im ICE, auf Streaming-Plattformen, bei der Kartenzahlung an der Supermarktkasse? Auch die uralte Frage nach dem rechten Maß stellt sich ganz neu, wenn wir das Gemeinwohl gegen individuelle Grundrechte abwägen. Auch hier ein Beispiel: Digitale Technologien ermöglichen es einer­seits, Gesundheitsdaten aus der ganzen Welt zu erheben und zu analysieren, um neue Behandlungsmethoden zu entwickeln, die Heilungschancen zu erhöhen und Menschen das Leben zu ret­ten. Andererseits ist darauf zu achten, dass bei diesen sensiblen Daten die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen gewahrt bleiben. Anders ausgedrückt: Unsere Gesellschaft sieht die Würde jedes Menschen als unantastbar an und sieht das Individuum niemals als Objekt, dessen Rechte wir zugunsten des Gemeinwohls be­schneiden dürfen. Doch dies gilt nicht überall. Die Volksrepub­lik China macht es auf beängstigende Weise vor. Eine nahezu totale Überwachung des Individuums im öffentlichen Raum ist dort eine weitgehend unumstrittene Praxis: KI-basierte Ge­sichtserkennung, lückenlose Bewegungsdokumentation oder Nachverfolgbarkeit finanzieller Aktionen bei Zurückdrängung des Bargelds. In Verbindung mit dem, was wir alle gewollt oder ungewollt durch die tägliche Nutzung des Internets preisgeben, lassen sich – rein technisch betrachtet – heute schon ganze digi­tale Biografien in einem Detailliertheitsgrad erstellen, der schwindelig machen kann. Vor diesem Hintergrund bleibt es umso wichtiger, sich an den Grundwerten zu orientieren, die unseren Rechtsstaat prägen – immer dann, wenn wir ethisch abwägen, auch im Zusammenhang mit digitalen Technologien.

Datenethik bei DATEV

Inwieweit affiziert all dies in besonderer Weise auch DATEV? Es tut dies, weil im Nürnberger Rechenzentrum ungeheure Daten­mengen zusammenfließen. Diesen Schatz als großes gemeinsa­mes Potenzial zu heben, bedeutet für uns gleichzeitig auch: Wenn wir Mehrwerte für uns alle schaffen, wollen wir dabei gleichzeitig unsere DATEV-Werte lebendig halten und dies in bewährter, vertrauensvoller Zusammenarbeit tun – daten­schutzkonform und datenethisch. Wir arbeiten an der Frage, wie wir unseren Werkzeugkasten an neuen Technologien wert­schöpfend einsetzen und dabei deren reinen Tool-Charakter wahren. Entscheidungsins­tanz ist und bleibt der Mensch. So bedarf es beispielsweise eines ethisch geleiteten Ent­wurfs von künstlicher Intelligenz, der sämtli­che schützenswerten Rechtsgüter verteidigt und sich gleichwohl mit dem technischen Fortschritt verbindet. Damit ist Datenethik ein Kernbestandteil unserer Corporate Res­ponsibility und unserer Nachhaltigkeitsstra­tegie, womit wir eigenmotiviert prüfen, wie wir Innovationen wertorientiert vorantreiben und Datensouveränität genossenschaftlich gestalten. Besonders bedeutend ist und bleibt hier die Zusam­menarbeit mit unseren Mitgliedern und Stakeholdern: Wie wir mit neuen Technologien Zukunft gestalten und gleichzeitig un­sere hohen DATEV-Standards leben – darüber wollen wir mit Ih­nen im Dialog bleiben.

Unsere DATEV-Werte – unser Fundament

Um dies als festes Element in unseren Entscheidungsprozessen noch greifbarer zu machen, haben wir unsere DATEV-Werte bei der Datenverarbeitung in einer seit Juli 2021 gültigen Datenethik-Leitlinie verbindlich fixiert. Sie macht deutlich, welche Werte uns bei der Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedern und Stakehol­dern leiten. Wir nehmen unsere Verantwortung bewusst wahr: als maßstabsetzendes IT-Unternehmen und als Marktführer. Ho­noriert haben das auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) und Bayern Innovativ: Datenethik bei DATEV wurde 2021 mit dem Corporate Digital Responsibility Award ausge­zeichnet. Vertrauenswürdig, leistungsstark, partnerschaftlich, führend – das sind die Kernwerte, die DATEV ausmachen. Un­sere gemeinsame Arbeit nach ihnen auszurichten, bleibt für uns entscheidend – bei datengetriebenen Geschäftsmodellen und der Prozessautomatisierung mithilfe neuer Technologien ge­nauso wie bei Fragebögen oder Fotografien von Gästen auf Konferenzen. Datenethische Grundsätze sind Grundlage für Da­tenverarbeitung bei DATEV – heute und in Zukunft.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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