Augmented und Virtual Reality halten viele für eine technische Spielerei, wenn nicht überhaupt für eine Domäne der Gamer-Szene. Weit gefehlt! Auch DATEV macht sich diese Technik zunutze.
Um zu verstehen, wovon hier die Rede sein wird, müssen wir uns zunächst trennscharf über die beiden Begriffe klar werden. Virtual Reality (VR) ist eine Simulation mittels einer stereoskopischen Datenbrille, die den Nutzer von der realen Welt um ihn herum abschirmt und ihn in eine komplett künstliche, dreidimensionale Umgebung versetzt, die, je nach weiterer Ausstattung, auch gehört und mit zusätzlichen Sinnesqualitäten angereichert werden kann. Innerhalb dieser kann er sich nun umschauen, kann sich bewegen und erhält dabei in Echtzeit dank einer 360-Grad-Abbildung seiner virtuellen Umgebung jederzeit einen realistischen Eindruck dieser künstlichen Welt. Bewegt er seinen Kopf oder geht herum, verändern Lagesensoren entsprechend die 3-D-Projektion in seiner Datenbrille, sodass in jedem Moment ein möglichst realistisches Bild seiner vermeintlichen Umgebung entsteht – eine Illusion von frappierender Sogwirkung. Dass diese Technik gewaltige Rechenleistungen erfordert, wenn die Kunstwelt detailreich und realistisch wirken soll, liegt auf der Hand. Ebenso, dass sie geradezu prädestiniert ist, Computerspiel und Unterhaltung zu revolutionieren. Kombiniert mit weiteren Sinneseindrücken, etwa einer Achterbahnfahrt, kann diese beispielsweise zu einer Art Flugerlebnis gesteigert werden, bei dem man sich eben nicht in einem Film befindet, sondern sich während der Fahrt in der virtuellen Umgebung völlig frei umschauen kann.
Mehr als ein Spiel
In der Arbeitswelt sind es Übungs- und Vorbereitungssituationen, in denen VR-Brillen zum Einsatz kommen. So können beispielsweise Schwindelfreiheit oder Trittsicherheit bei Arbeiten in großer Höhe trainiert werden, etwa an Windkraftanlagen. Eine gefühlte Absturzgefahr, realistisch simuliert, erzielt den gleichen Adrenalinausstoß, den gleichen Stress für den Gleichgewichtssinn und die gleichen Lerneffekte wie eine echte – nur eben ohne objektive Gefahr. Weitere Anwendungen finden sich beispielsweise in der Automobilindustrie, der Medizintechnik, im Tourismusbereich, bei der Immobilienvermarktung und in neuartigen Konfiguratoren. Augmented Reality (AR) ist insofern das genaue Gegenteil von VR, als sie die Wirklichkeit nicht ausblendet, sondern – genau umgekehrt – deren Wahrnehmung und Interpretation mit digitalen Helfern unterstützt. Eine AR-Anwendung benötigt eine Kamera, beispielsweise die des Smartphones. Richtet man diese nun auf bestimmte Objekte, Ensembles oder sonstige wiedererkennbare Objektkonstellationen, erhält man ergänzende Informationen, die eingeblendet werden, etwa zu den Ausstellungsstücken in einem Museum. Eine kostenlose AR-Anwendung von beeindruckender Leistung ist beispielsweise Google Lens. Wer etwa am Wegesrand eine unbekannte Blume erspäht, muss sie nur mit der Kamera seines Smartphones in den Blick nehmen und bekommt sofort deren botanische Bestimmung geliefert.
Ein Auge – viele Zuschauer
Eine besondere Ausprägung der Augmented Reality spielt künftig bei DATEV eine Rolle und nicht nur hier, denn sie tritt gerade ihren Siegeszug in der Wartungstechnik und im Bauwesen an. Die Rede ist von der Kombination einer speziellen AR-Brille mit Videokonferenzsystemen. Die Brille verfügt über eine Kamera, die genau das sieht, was deren Träger gerade sieht. Zusätzlich können diesem aber Informationen in sein Sichtfeld einprojiziert werden, ähnlich den Head-up-Displays moderner Autos, die dem Fahrer Geschwindigkeit, Navi-Informationen und anderes als transparentes Bild in die Frontscheibe einspiegeln. Das Besondere ist nun, dass das ganze System gleichzeitige WLAN-Telefonie zulässt und das Bild nun – etwa via MS Teams – über das Internet an korrespondierende Gesprächspartnerinnen und -partner überträgt, mit denen nicht nur zeitgleich geredet werden kann, sondern die auch optische Markierungen oder Hinweise setzen können, die wiederum der Brillenträger als Hinweis eingeblendet bekommt. Die Teilnehmer können folglich aktiv Anteil nehmen an dem, was durch das System visuell übertragen wird.
Kleine Revolution mit großer Wirkung
Und damit wird auch verständlich, warum diese Technik die Wartung von Maschinen, technischen Objekten, die Inspektion von Bauteilen und Objektzuständen und vieles andere noch revolutionieren wird: Sie macht es in vielen Fällen entbehrlich, dass ein Experte (Bausachverständiger, Ingenieur, Gutachter … – hier sind viele Anwendungen denkbar) zur Beurteilung oder Problembehebung persönlich erscheint. In vielen Fällen wird es genügen, einen Techniker in einem Servicefall durch einen Experten oder auch ein Gremium von Fachleuten in einer Konferenzschaltung virtuell und live zu begleiten und ihn remote anzuleiten, während er manuell an dem Problem arbeitet. Mehrere Apps, die diesen Vorgang unterstützen, sind in der zugrunde liegenden Software bereits angelegt. So können aus der aktuellen Session heraus beispielsweise jederzeit Screenshots gezogen werden. Auf diesen lassen sich Markierungen und Hinweise anbringen und an den Techniker vor Ort zur Unterstützung zurückspielen – weitere Funktionen, weitere Apps kommen ständig hinzu.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Reisetätigkeit von Spezialisten kann kostensparend reduziert werden, wenn es möglich ist, die Perspektive des Technikers eins zu eins zu teilen und ihn anzuleiten.
Erste Erfahrungen
Eine erste Brille hat DATEV bereits in Betrieb, die sich auch bei ersten Serviceeinsätzen schon bewährt hat – etwa an der Kühlanlage der Niederlassung in Kassel oder auf der Baustelle unserer Niederlassung am Sophienblatt in Kiel. Weitere Geräte werden folgen. Was bei alldem nie aus dem Blick geraten darf, sind die Wahrung von Datenschutz und Informationssicherheit. So verfügt die Datenbrille über keine eigene SIM-Karte und kann nur über sicheres WLAN betrieben werden. Wartungseinsätze in hochsensiblen Bereichen wie im Rechenzentrum sind gleichwohl tabu, weil detaillierte Bilder über die genaue Hardware-Konstellation unserer IT aus Sicherheitsgründen prinzipiell nicht über das Internet übertragen werden dürfen. Ein ausgeklügeltes Berechtigungskonzept stellt sicher, dass nur ausgewähltes und speziell geschultes Personal Zugang zu dieser Technik erhält. Ein weiterer Punkt ist die Wahrung sämtlicher Rechte derer, die bei der Arbeit mit der Datenbrille eventuell zufällig durchs Bild laufen, da deren Bilder ja über das Netz weitergeleitet werden, ohne dass sie eine Kontrolle haben, wohin und an wen sie gehen. Weiterhin werden keine Aufzeichnungen der Videostreams gemacht – beziehungsweise wenn doch, dann nur mit expliziter Genehmigung aller Umstehenden, die womöglich im Bild zu sehen sein würden. Die frühzeitige Einbindung von Datenschutz und Rechtsabteilung bei der Einführung dieser Technik erweist sich als äußerst sinnvoll, federt Reaktanzen ab, beschert Rechtssicherheit und erleichtert auch die Konsensfindung der Betriebspartner – ein Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist.
Von dieser Technik, die ja noch am Anfang steht, werden Wartung und Facility-Management nicht nur von DATEV, sondern vieler Branchen noch viel erwarten dürfen – vielleicht eine kleine Revolution mit großer Wirkung.