Künstliche Intelligenz - 2. Februar 2022

Was wir von KI erwarten dürfen

Die Leistungen, zu denen künstliche Intelligenz schon heute fähig ist, sind höchst staunenswert und lassen noch viel erwarten. Sie birgt ein enormes Potenzial.

Wie intelligent ist künstliche Intelligenz (KI) wirklich? Im Sinne einer Fähigkeit zu selbstständigem Lernen und dem Vermögen, autark – also nicht nach dem Muster eines starren Algorithmus – aus dem Gelernten Schlüsse zu ziehen und Entscheidungen abzuleiten, sind KI-Systemen Eigenschaften zuzubilligen, die wir gemeinhin mit unserem Begriff von Intelligenz in Verbindung bringen. Die Vorsicht in dieser Formulierung hat allerdings einen guten Grund. Folgt man nämlich der allgemeinsten Definition von Intelligenz, die man als Fähigkeit zur Einsicht bezeichnen müsste, wird diese von jeder gegenwärtigen Form von KI noch ganz grundsätzlich verfehlt: Einsichtsfähigkeit setzt die Möglichkeit des Verstehens voraus, also die Fähigkeit, aus der Umwelt zuströmende Informationen und Sinneseindrücke innerhalb eines umfassenden Deutungshorizonts zueinander in Beziehung zu setzen.

Aus Ungewissem Gewissheit schöpfen

Sich diese grundsätzlichen Beschränkungen immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dient nicht dazu, in irgendeinem Sinne herabzusetzen, was künstliche Intelligenz bereits heute zu leisten vermag. Im Gegenteil. Ihre Leistungen bei der Anwendung heuristischer Methoden sind frappierend. Die Fähigkeit von KI, auf analytischem Wege Probleme zu lösen durch Versuch und Irrtum (trial and error), durch die statistische Auswertung von Stichproben, die Beherrschung von Ausschlussverfahren, durch Muster- und Strukturvergleiche mit Informationen aus Wissensdatenbanken, kurzum, durch das Sammeln von Erfahrung, ist höchst staunenswert. Dies gilt auch und gerade in durch unzureichende Information geprägten Situationen von unscharfer Ausgangslage. Schlussfolgerungen und Erkenntnisse einer KI sind in diesem Sinne stets fundierte Mutmaßungen – allerdings von einer oftmals bestechenden Treffsicherheit.

Roboter – Menschen wie Du und ich?

Nehmen wir als ein Beispiel die Spracherkennung: In einem Lautkontinuum akustische Muster zu identifizieren, die es gestatten, in diesen einen Wunsch oder eine Frage zu erkennen, die sodann mit den Elementen einer Wissensdatenbank in Verbindung gebracht werden, die wiederum zu einer mutmaßlich sinnvollen Antwort oder Reaktion kombiniert werden – all dies ist bereits eine ungeheure Leistung, deren Komplexität wir uns normalerweise nicht klar machen, weil uns in der menschlichen Sphäre die Fähigkeit zur Kommunikation allzu selbstverständlich erscheint. Je perfekter eine KI mit uns kommuniziert, desto leichter vergessen wir paradoxerweise, dass es sich um eine solche handelt – hierin liegt eine gewisse Ironie: Ihre rasante Vervollkommnung steigert nicht einfach nur die Erwartungen in die KI, sondern macht sie vergessen. So führt ihr Erfolg auch zur Zuschreibung immer differenzierterer anthropomorpher Fähigkeiten und Eigenschaften, ein Trend, der durch jenen Zweig der Robotik noch massiv befördert wird, deren Ziel der perfekte Droide ist: der künstliche Mensch. Doch man täusche sich nicht: KI wird hier lediglich zu einem Instrument der Simulation. Die Vorstellung, etwas das redet, aussieht, sich bewegt und sich allem Anschein nach so verhält wie wir, müsse darum doch wohl auch so sein wie wir, ist eben grundfalsch. Die Natürlichkeit in Mimik, Gestik und Ausdruck von Ameca etwa, dem neuesten humanoiden Roboter der britischen Engineered Arts Ltd., sind geradezu sensationell. Sie täuschen damit Emotionen vor, die nicht vorhanden sind – und damit uns, die wir uns willig täuschen lassen wollen und nur allzu gerne vergessen, dass uns eine fühllose Elektronik in Menschengestalt gegenübersteht. Eine fröhliche Grenzverwischung aus inszeniertem Selbstbetrug, gepaart mit ein wenig Hybris. Eine interessante Kombination.

Einmal nüchtern betrachtet

Die möglichen Anwendungen von KI für den steuerberatenden und anwaltlichen Berufsstand sind hingegen von größerer praktischer Bedeutung – und darum ein Thema für DATEV: Am Anfang aller Überlegungen stehen die Daten, deren Potenzial es zum Nutzen unserer Mitglieder auszuschöpfen gilt. Ihre Qualität und Verfügbarkeit sind ausschlaggebend für den Wert und die Treffsicherheit jeder KI. Sind Echtdaten für Analysezwecke verfüg- und interpretierbar, verspricht der Einsatz künstlicher Intelligenz Lösungen auf einem völlig neuen Level, einschließlich der Chancen für neue, datengetriebene Geschäftsmodelle.

Einsatzbereiche finden sich beispielsweise im Wissensmanagement. Das in den Unterstützungsmedien vorhandene Wissen kann mit KI wesentlich intelligenter aufbereitet, kontextrelevant, passgenau und benutzerindividuell präsentiert werden.

Mitdenkende Systeme begleiten den Erfassungsvorgang und steigern dessen Effizienz, etwa durch Vorbelegung, Vorschläge oder Autokorrekturen. Ausgaben wie Hinweise oder Fehlermeldungen vereinfachen, wenn sie intelligent und kontextsensitiv aufbereitet sind, die weitere Bearbeitung.

In der Prozessautomatisierung werden die Anwenderprozesse so weit wie möglich automatisiert, wobei intelligente Services wiederkehrende Tätigkeiten übernehmen. Durch eigenständiges Lernen der KI steigt der Grad der Automatisierung kontinuierlich an.

Auch die Beratungsqualität kann mittels KI unterstützt werden. Aus Analysen, wie Benchmarking oder Vorhersagen werden mittels KI konkrete Beratungsempfehlungen abgeleitet und Beratungsinhalte automatisiert vorbereitet. Dies ermöglicht eine übergreifende, vorausschauende und hochwertige Beratung.

Zudem erkennt und lernt ein KI-gestütztes System anhand der Abläufe, dass beziehungsweise ob sich die Benutzer regel- und rechtskonform verhalten und unterstützt so etwaige Compliance-Maßnahmen.

Komplexe Sachverhalte werden semantisch durchdrungen, zueinander in Beziehung gesetzt und intelligent aggregiert. Dies führt zu fundierten Prognosen. Zur einfachen Verständlichkeit können die Ergebnisse mit sprachlichen Interpretationshilfen angereichert und durch weiterführende Analysen, wie etwa Hochrechnungen ergänzt werden. Ein großes vom Bund gefördertes Forschungsprojekt, das in diesen Zusammenhang gehört und an dem DATEV beteiligt ist, ist CoyPu, die Cognitive Economy Intelligence Plattform für die Resilienz wirtschaftlicher Ökosysteme. Das Ziel: Mittels KI die Krisenfestigkeit der Wirtschaft zu steigern und ein Frühwarnsystem zu etablieren, das etwaige unternehmerische Krisen oder Schieflagen viel früher erkennt als dies heute möglich ist. DATEV kümmert sich in einem Teilprojekt darum, dass Unternehmensdaten und Kontextinformationen aus den Unternehmen in das System einfließen und ausgewertet werden können. Im Einzelnen geht es darum, öffentlich zugängliche Informationen, beispielsweise zu Insolvenzen, Wertschöpfungsketten und Demografie mit Beiträgen der Projektpartner zu kombinieren sowie betriebswirtschaftliche Informationen aufzubereiten und alles auf Basis von KI-Analysemechanismen miteinander in Beziehung zu setzen. Über Benutzerschnittstellen können Betroffene entweder direkt oder auch indirekt durch die Politik oder ihre Steuerberatung unterstützt werden. Um maximale Anwendernähe sicherzustellen, sind auch mehrere Kanzleien in das Projekt eingebunden.

Der Einsatz der KI – er steht noch am Anfang, aber sie wird kommen, mit erstaunlichen Ergebnissen.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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