Tradition - 25. März 2021

Was Familienunternehmen besonders macht

Ihnen haftet zuweilen der Ruf des Provinziellen an, doch sind sie ein absoluter Leistungsträger der deutschen Wirtschaft. Werfen wir darum einmal einen Blick auf diese gleichsam natürlichste Form gemeinsamen Wirtschaftens.

Der Begriff der Familie, der für uns Heutige mit vielen wertschätzenden Bedeutungen aufgeladen ist, hat einen höchst profanen Ursprung. Von dem Wort Famulus, dem Haussklaven abgeleitet, meinte er im römischen Imperium ursprünglich das Gesinde, die Gesamtheit der in einem Hausstand zusammenwirkenden Menschen, dem der Pater familias vorstand, ausgestattet mit der Patria Potestas, der nahezu unbeschränkten Macht über die Frau, die Kinder, die Dienerschaft und das Vieh. Diese grob verdinglichende Auflistung der Objekte paternalistischer Verfügungsgewalt reflektiert ein gottlob überholtes Werteverständnis, verweist aber auch auf ein Merkmal, das bis heute für Familienunternehmen charakteristisch ist: das Zusammenfallen von Eigentum, Verfügungsrecht und Leitung, also der Wahrnehmung der Führungsrolle kraft Besitzes oder mit anderen Worten die Bündelung von gleich mehrfach legitimierter Macht und Verantwortung in den Händen einer Person.

1.300 Jahre Hotelier

Hierfür gibt es beeindruckende Beispiele, beileibe nicht nur in Deutschland, wie denn die ältesten Familienunternehmen vielleicht nicht zufällig in Japan ansässig und damit in einer Kultur beheimatet sind, in der Traditionsbewusstsein, der Respekt vor der Meisterschaft und den Leistungen der älteren Generation einen höheren Stellenwert haben als im Westen. Bis zu seiner Liquidierung im Jahr 2006 führte die Baufirma Kongō Gumi, gegründet 578, die Liste an. Auch das älteste bis heute bestehende Familienunternehmen findet sich in Japan, es ist ein Ryokan, ein traditioneller Beherbergungsbetrieb in Awazu Onsen und heißt Hōshi (Mönch). Gegründet wurde er im Jahre 718 und ist seit 46 Generationen ununterbrochen in Familienbesitz. Das inhabergeführte Unternehmen, bei dem Risiko und Haftung zusammenfallen, ist die charakteristische Betriebsform der kleinen und mittleren Unternehmen, und auch bei 61 Prozent der 1.000 größten deutschen Familienunternehmen ist der Geschäftsführer oder CEO zugleich Inhabervertreter.

Und da wir gerade bei Zahlen sind: EU-weit sind 60 Prozent, in Deutschland sogar 90 Prozent aller Betriebe Familienunternehmen und tragen zu mehr als 50 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt und zur Beschäftigung bei. Auch in der Liste der reichsten Deutschen finden sich überwiegend Namen, die für solche Unternehmen stehen, an deren Spitze eine Familie steht: Tochter und Sohn von Karl Albrecht (ALDI SÜD, 33,8 Milliarden Euro), Dieter Schwarz (Lidl, Kaufland mit 41,5 Milliarden Euro), und auch die nördliche Hälfte des ALDI-Imperiums steht unter Theo Albrecht Junior mit 17,5 Milliarden Euro nicht schlecht da. Familienunternehmen genießen oftmals eine hohe Reputation – als Stützen der Gesellschaft, als Arbeitgeber und als das eigentliche Rückgrat der Wirtschaft. Was immer wieder einmal polarisiert und gelegentlich zu einer etwas plattfüßigen Kapitalismuskritik herausfordert, ist ein allzu selbstgerechter Auftritt eines Firmenpatriarchen, der zwar unstrittig Gutes tut, jedoch zugleich an seinem autokratischen Anspruch keinen Zweifel lässt. Unternehmer dieses Schlages werden gerne in Talkshows eingeladen in der Hoffnung auf provokante Statements zugunsten einer Fleiß- und Leistungsgesellschaft, an denen sich dann die Umverteilungswilligen in der Runde abarbeiten können. Paradebeispiel und Ikone wertkonservativen Familienunternehmertums in diesem Sinne ist etwa Wolfgang Grupp, Alleininhaber von TRIGEMA, an dessen Eloquenz und gelebtem sozialen Verantwortungsbewusstsein alle von sozialistischen Ideen inspirierten Einwände regelmäßig abprallen.

Was Generationen überdauert

Was sich in der Regel auszahlt, sind das Vertrauen und die Loyalität, die bei intakten Familienverhältnissen eine weit über das Ökonomische hinausreichende Grundlage für ein gedeihliches Fortkommen darstellen. Interessant und mehr als eine Fußnote ist hierbei, dass die positive Bewertung dieser Richtgrößen menschlichen Verhaltens sofort ins Negative kippt, wenn wir den Begriff der Familie durch den des Clans ersetzen, obschon die Zusammenhalt stiftenden Faktoren letztlich dieselben sind. Man wittert das Unredliche, die Abkehr vom Ehrbaren, von einer sich zum Recht bekennenden Ordnung zugunsten undurchsichtiger Abhängigkeiten, Machtverhältnisse und Geschäfte mit fließender Grenze zu Rechtsbruch und Gewaltbereitschaft, nichts Gutes jedenfalls, sobald erst einmal der Zusammenhalt untereinander über Anstand und Rechtstreue des Einzelnen triumphiert. Und in der Tat ist ja auch eine Art familiären Zusammenhalts in allen Angelegenheiten eines der Merkmale und zugleich Garant der Schlagkraft mafiöser Gruppierungen – doch glücklicherweise weitab von allem, was wir uns üblicherweise unter einem Familienunternehmen vorstellen. Der in einer Generation maximal erzielbare wirtschaftliche Erfolg ist natürlicherweise begrenzt, was zu der Frage der Unternehmensnachfolge führt. Allein 2018 gab es in Deutschland 27.000 Übergänge. Hier kommt nun die Familie in besonderer Weise ins Spiel, als Hoffnungsträger wie auch als Problem. Als Ersteres, sofern es gelingt, das Loslassen und den Übergang der Verantwortung von einer auf die nächste Generation einvernehmlich zu gestalten – in der Praxis häufig ein schwieriges Thema, von dem eine ganze Begleitungs- und Beratungsindustrie lebt. Wenn auch die Hoffnung eines erfolgreichen Firmengründers hierbei als natürlich anzusprechen ist, dass Tochter oder Sohn das Unternehmen einmal fortführen mögen, so ist deren Bereitschaft und Befähigung hierzu keineswegs als ebenso natürlich vorauszusetzen. Weit jenseits allen meist nur vorübergehenden pubertären Aufbegehrens gegen die Autorität der Altvorderen gibt es hier zuweilen ein pointiertes Wegstreben von jenem Werthorizont, der den Erfolg der Gründergeneration erst ermöglicht hat.

Es gibt dieses Otto von Bismarck zugeschriebene Bonmot, das derlei Verhältnisse in einem Satz zusammenfasst: „Die erste Generation verdient das Geld, die zweite verwaltet das Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends.“ Wahr daran ist gewiss, dass sich die Lebenseinstellung einer bereits in Wohlstand und Sicherheit groß gewordenen Erbengeneration von derjenigen der Väter unterscheidet, die oftmals noch von Entbehrungserfahrungen, Unsicherheit und Opferbereitschaft bis zur Selbstausbeutung geprägt sein mochten; einer Generation, in der Tüchtigkeit ein Selbstwert war und in der Fragen nach Sinn und Erfüllung gar nicht erst gestellt wurden. Ein weiteres Problem ist eine drohende Zersplitterung des Unternehmens, wenn in nachfolgenden Generationen bei gleichermaßen zu berücksichtigenden Anwärtern sich der Verwandtschaftsgrad verdünnt, Uneinigkeit in wesentlichen Fragen der Weiterführung des Betriebs herrscht, Geschick und Ungeschick aufeinandertreffen, teure Ehescheidungen und Abfindungen hinzutreten, schnöde Gier oder der Wunsch, Kasse zu machen: die Früchte vom Baum also nicht nur zu verzehren, sondern gleich den ganzen Obstgarten zu verkaufen. Doch bisher haben mittelständische Familienunternehmen noch immer Krisen zu meistern gewusst und die in den Wirtschaftswissenschaften unter anderem von Alfred Chandler propagierte These Lügen gestraft, ein ökonomisches Auslaufmodell zu sein.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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