Der Begriff Arbeit taucht bereits im Althochdeutschen auf und meint dort so viel wie Mühsal, Not und Bedrängnis. Kein guter Karrierestart für ein Wort, das doch nur bezeichnet, was unser aller Alltag bestimmt.
Dem, was Arbeit im allgemeinen Sinne eigentlich sei, haben Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Sozio- und Anthropologie gründlich nachgespürt. Uns genügt die Vorstellung, dass es sich dabei um eine zielgerichtete, durch Bräuche, Institutionen und Regeln abgestützte Form menschlicher Tätigkeit handelt, die den arbeitenden Individuen das Überleben sichert. Daraus ergibt sich zweierlei: zum einen, dass die althochdeutsche Vorstellung von ihr (Mühsal) nicht allzu fernliegt, denn für Milliarden arbeitender Menschen dürfte dies wohl bis heute den Kern der Sache treffen; zum anderen, dass das, was wir unter Arbeit verstehen, sehr eng mit der jeweiligen Epoche, der Wirtschaftsform und den Rahmenbedingungen verknüpft ist, innerhalb derer sie erbracht wird.
Arbeit – wozu?
Mit der kontinuierlichen Verbesserung der Stellung und Rechte, der Minderung körperlicher Strapazen und nicht zuletzt der verbesserten Entlohnung der arbeitenden Bevölkerung etablierte sich ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hierzulande jene Arbeitswelt, wie wir sie kennen und in der heute das Standes- und Klassenbewusstsein etwa der Arbeiterschaft, wie es für das 19. Jahrhundert noch charakteristisch war, zusehends verblasst. Die emanzipierte Arbeitnehmerin beziehungsweise der emanzipierte Arbeitnehmer unserer Tage sieht Erwerbsarbeit zwar in der Regel als Last und als notwendiges, dem Lebensunterhalt dienendes Übel an, aber zugleich sichert die Arbeit eben auch Rang, Ansehen und Sozialprestige sowie die privaten Entfaltungsmöglichkeiten und den Lebensstandard. Idealerweise ist Arbeit auch ein Weg zur Selbstverwirklichung, was jedoch im täglichen Einerlei nur für die wenigsten gelten dürfte. Die Gewissensfrage hierzu müsste lauten: Gesetzt, man erhielte das persönliche Angebot, sein derzeitiges monatliches Entgelt auch ohne Arbeit als lebenslange Rente zu beziehen: Würde man dies ausschlagen und lieber erwerbstätig bleiben wollen? Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, wie die Antwort wohl in den meisten Fällen ausfallen würde – und befindet sich dabei in bester Gesellschaft: Die intellektuelle Aristokratie der Antike schätzte in ihren Schriften und überlieferten Äußerungen die tägliche Arbeit der Handwerker, Bauern und Kaufleute zum Broterwerb gering. Einzig die in schöpferischer Muße (scholé) zugebrachte Zeit galt ihnen als die unserem Geist wirklich angemessene Daseinsform.
Arbeit 4.0
Dank der Digitalisierung und ubiquitären Internetverfügbarkeit befindet sich die Büroarbeit derzeit in einem epochalen Umbruch, da sie heute theoretisch von jedem Ort aus möglich ist. Mit Corona als weltweit wirksamem Veränderungsbeschleuniger ist für Abermillionen Beschäftigte das Arbeiten außerhalb des Büros über Nacht Wirklichkeit geworden – auch wenn es sich bei dem neuen Arbeitsplatz allermeist um den heimischen Küchentisch und nicht um einen Strand auf den Seychellen handeln dürfte. Diese Situation ist historisch insofern nicht ganz neu, als sie die räumliche Trennung von Arbeit und häuslichem Leben neuerlich aufhebt, die erst mit den Manufakturen des Spätmittelalters und danach mit der Industrialisierung von der Ausnahme zur Regel geworden war. Natürlich ruft diese Situation auch die Wissenschaft auf den Plan: Wie also sieht die Büro- und Arbeitswelt der Zukunft aus?
Dr. Martin Klaffke, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der HTW Berlin, prophezeit dem Büro, wie wir alle es kennen, ein baldiges Ende. Die Zukunft gehört den Coworking-Hubs, Begegnungsforen, die dem Austausch, der Kooperation und dem gemeinschaftlichen Lernen gewidmet sind. Sie werden zu Projektorten, die der Identifikation mit dem Unternehmen, mit den gestellten Aufgaben und dem Kollegium dienen. Studien haben gezeigt, dass genau der Mangel an Begegnung und Interaktion die Quelle von Unzufriedenheit in der Corona-bedingten Abgeschiedenheit gewesen ist, weit weniger als der Umstand, in häuslicher Umgebung konzentriert arbeiten zu müssen. Wo die räumlichen und sonstigen Umfeldvoraussetzungen für ein produktives Arbeiten zu Hause nicht gegeben sind, muss es zwar auch weiterhin die Möglichkeit ungestörter Büroarbeit geben, dies aber nicht mehr an einem fest zugewiesenen Arbeitsplatz. Die Begegnungsräume, die Coworking Hubs oder Remote Hubs, müssen keineswegs zwingend an den angestammten Standorten liegen, sondern können dezentral – auch in gemeinschaftlicher Nutzung mit anderen Unternehmen – eingerichtet werden. Swisscom und Daimler experimentieren hier bereits erfolgreich mit Coworking Spaces auf dem Land.
New Work
Insofern geht es auch nicht nur um innovative Bürokonzepte, sondern um einen komplett neuen Arbeitsstil, die New Work, dessen Kerngedanke in einer umfassenden Flexibilisierung liegt – nicht nur der Arbeitszeiten und -bedingungen. Der Business-Imperativ ist die Agilität des gesamten Unternehmens und vor allem auch der Führung, die ihre Rolle ganz neu definieren muss. Sämtliche Akteure gilt es einzubinden, um Module für die Raumgestaltung und Zusammenarbeit zu definieren. In Workshops müssen Beschäftigte, Personalabteilung, Betriebsrat, aber auch das Real-Estate- und Facility-Management und nicht zuletzt der IT-Bereich zusammenkommen. Bewährt hat sich dabei ein Botschafterkonzept, bei dem ernannte Vertreter aus allen Bereichen ihre Anforderungen artikulieren und gemeinsam Lösungen erarbeiten.
Ganz ohne Büro geht es nicht
So wird das Büro als Ort der Zusammenkunft noch auf lange Sicht unentbehrlich bleiben, und wenn auch, wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergab, die Belegschaftszufriedenheit bei freier Einteilung von Büro- und Heimarbeitszeit steigt, stehen bei allzu lässiger Ausgestaltung doch auch Zusammenhalt und Zielorientiertheit auf dem Spiel. Marissa Ann Mayer, ehemalige CEO von Yahoo, erregte Aufsehen, als sie in einer spektakulären Aktion schon 2013 alle Angestellten ins Büro zurückrief. Ihre Begründung damals: „Um der absolut beste Arbeitsplatz zu werden, sind Kommunikation und Zusammenarbeit wichtig, also müssen wir Seite an Seite arbeiten. (…) Wir müssen ein Yahoo sein, und das beginnt damit, dass wir physisch zusammen sind.“
Das Patentrezept für die Arbeit der Zukunft gibt es nicht, wohl aber überprüfbare Key Performance Indicators (KPI) wie Arbeitszufriedenheit, Funktionalität neuer Büro-Infrastrukturen und das konkrete Nutzungsverhalten in einer neuen Arbeitskonfiguration. Ob die neuen Konzepte greifen, wo nachgebessert werden muss, lässt sich ermitteln. Bisher haben, so Prof. Dr. Klaffke, die Unternehmen ihr Augenmerk noch zu wenig auf die Passgenauigkeit gerichtet. Aber die neue Bürowelt steht ja auch noch ganz am Anfang.
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Die Vielfalt neuer Arbeitsmodelle ist groß und bedeutet weit mehr als nur freie Bahn fürs Homeoffice. Mehr zu den verschiedenen Szenarien hören Sie im Podcast von Prof. Dr. Martin Klaffke.