Old and New Work - 28. Oktober 2021

Vom Wandel der Arbeit

Der Begriff Arbeit taucht bereits im Althochdeutschen auf und meint dort so viel wie Mühsal, Not und Bedrängnis. Kein guter Karrierestart für ein Wort, das doch nur bezeichnet, was unser aller Alltag bestimmt.

Dem, was Arbeit im allgemeinen Sinne eigentlich sei, ha­ben Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Sozio- und Anthropologie gründlich nachgespürt. Uns genügt die Vorstel­lung, dass es sich dabei um eine zielgerichtete, durch Bräu­che, Institutionen und Regeln abgestützte Form menschlicher Tätigkeit handelt, die den arbeitenden Individuen das Überle­ben sichert. Daraus ergibt sich zweierlei: zum einen, dass die althochdeutsche Vorstellung von ihr (Mühsal) nicht allzu fern­liegt, denn für Milliarden arbeitender Menschen dürfte dies wohl bis heute den Kern der Sache treffen; zum anderen, dass das, was wir unter Arbeit verstehen, sehr eng mit der jeweili­gen Epoche, der Wirtschaftsform und den Rahmenbedingun­gen verknüpft ist, innerhalb derer sie erbracht wird.

Arbeit – wozu?

Mit der kontinuierlichen Verbesserung der Stellung und Rechte, der Minderung körperlicher Strapazen und nicht zu­letzt der verbesserten Entlohnung der arbeitenden Bevölke­rung etablierte sich ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun­derts hierzulande jene Arbeitswelt, wie wir sie kennen und in der heute das Standes- und Klassenbewusstsein etwa der Ar­beiterschaft, wie es für das 19. Jahrhundert noch charakteris­tisch war, zusehends verblasst. Die emanzipierte Arbeitneh­merin beziehungsweise der emanzipierte Arbeitnehmer un­serer Tage sieht Erwerbsarbeit zwar in der Regel als Last und als notwendiges, dem Lebensunterhalt dienendes Übel an, aber zugleich sichert die Arbeit eben auch Rang, Ansehen und Sozialprestige sowie die privaten Entfaltungsmöglichkei­ten und den Lebensstandard. Idealerweise ist Arbeit auch ein Weg zur Selbstverwirklichung, was jedoch im täglichen Ei­nerlei nur für die wenigsten gelten dürfte. Die Gewissensfra­ge hierzu müsste lauten: Gesetzt, man erhielte das persönli­che Angebot, sein derzeitiges monatliches Entgelt auch ohne Arbeit als lebenslange Rente zu beziehen: Würde man dies ausschlagen und lieber erwerbstätig bleiben wollen? Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, wie die Ant­wort wohl in den meisten Fällen ausfallen würde – und befin­det sich dabei in bester Gesellschaft: Die intellektuelle Aristo­kratie der Antike schätzte in ihren Schriften und überlieferten Äußerungen die tägliche Arbeit der Handwerker, Bauern und Kaufleute zum Broterwerb gering. Einzig die in schöpferi­scher Muße (scholé) zugebrachte Zeit galt ihnen als die unse­rem Geist wirklich angemessene Daseinsform.

Arbeit 4.0

Dank der Digitalisierung und ubiquitären Internetverfügbar­keit befindet sich die Büroarbeit derzeit in einem epochalen Umbruch, da sie heute theoretisch von jedem Ort aus möglich ist. Mit Corona als weltweit wirksamem Veränderungsbe­schleuniger ist für Abermillionen Beschäf­tigte das Arbeiten außerhalb des Büros über Nacht Wirklichkeit geworden – auch wenn es sich bei dem neuen Arbeitsplatz al­lermeist um den heimischen Küchentisch und nicht um einen Strand auf den Seychel­len handeln dürfte. Diese Situation ist his­torisch insofern nicht ganz neu, als sie die räumliche Trennung von Arbeit und häusli­chem Leben neuerlich aufhebt, die erst mit den Manufakturen des Spätmittelalters und danach mit der Industrialisierung von der Ausnahme zur Regel geworden war. Natürlich ruft diese Situa­tion auch die Wissenschaft auf den Plan: Wie also sieht die Büro- und Arbeitswelt der Zukunft aus?

Dr. Martin Klaffke, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der HTW Berlin, prophezeit dem Büro, wie wir alle es ken­nen, ein baldiges Ende. Die Zukunft gehört den Coworking-Hubs, Begegnungsforen, die dem Austausch, der Kooperati­on und dem gemeinschaftlichen Lernen gewidmet sind. Sie werden zu Projektorten, die der Identifikation mit dem Unter­nehmen, mit den gestellten Aufgaben und dem Kollegium dienen. Studien haben gezeigt, dass genau der Mangel an Begegnung und Interaktion die Quelle von Unzufriedenheit in der Corona-bedingten Abgeschiedenheit gewesen ist, weit weniger als der Umstand, in häuslicher Umgebung konzent­riert arbeiten zu müssen. Wo die räumlichen und sonstigen Umfeldvoraussetzungen für ein produktives Arbeiten zu Hau­se nicht gegeben sind, muss es zwar auch weiterhin die Mög­lichkeit ungestörter Büroarbeit geben, dies aber nicht mehr an einem fest zugewiesenen Arbeitsplatz. Die Begegnungs­räume, die Coworking Hubs oder Remote Hubs, müssen kei­neswegs zwingend an den angestammten Standorten liegen, sondern können dezentral – auch in gemeinschaftlicher Nut­zung mit anderen Unternehmen – eingerichtet werden. Swisscom und Daimler experimentieren hier bereits erfolg­reich mit Coworking Spaces auf dem Land.

New Work

Insofern geht es auch nicht nur um innovative Bürokonzepte, sondern um einen komplett neuen Arbeitsstil, die New Work, dessen Kerngedanke in einer umfassenden Flexibilisierung liegt – nicht nur der Arbeitszeiten und -bedingungen. Der Business-Imperativ ist die Agilität des gesamten Unterneh­mens und vor allem auch der Führung, die ihre Rolle ganz neu definieren muss. Sämtliche Akteure gilt es einzubinden, um Module für die Raumgestaltung und Zusammenarbeit zu definieren. In Workshops müssen Beschäftigte, Personalab­teilung, Betriebsrat, aber auch das Real-Estate- und Facility-Management und nicht zuletzt der IT-Bereich zusammen­kommen. Bewährt hat sich dabei ein Botschafterkonzept, bei dem ernannte Vertreter aus allen Bereichen ihre Anforderun­gen artikulieren und gemeinsam Lösun­gen erarbeiten.

Ganz ohne Büro geht es nicht

So wird das Büro als Ort der Zusammen­kunft noch auf lange Sicht unentbehrlich bleiben, und wenn auch, wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergab, die Be­legschaftszufriedenheit bei freier Eintei­lung von Büro- und Heimarbeitszeit steigt, stehen bei allzu lässiger Ausgestaltung doch auch Zusammenhalt und Zielorientiertheit auf dem Spiel. Marissa Ann Mayer, ehemalige CEO von Yahoo, erreg­te Aufsehen, als sie in einer spektakulären Aktion schon 2013 alle Angestellten ins Büro zurückrief. Ihre Begründung da­mals: „Um der absolut beste Arbeitsplatz zu werden, sind Kommunikation und Zusammenarbeit wichtig, also müssen wir Seite an Seite arbeiten. (…) Wir müssen ein Yahoo sein, und das beginnt damit, dass wir physisch zusammen sind.“

Das Patentrezept für die Arbeit der Zukunft gibt es nicht, wohl aber überprüfbare Key Performance Indicators (KPI) wie Arbeitszufriedenheit, Funktionalität neuer Büro-Infra­strukturen und das konkrete Nutzungsverhalten in einer neu­en Arbeitskonfiguration. Ob die neuen Konzepte greifen, wo nachgebessert werden muss, lässt sich ermitteln. Bisher ha­ben, so Prof. Dr. Klaffke, die Unternehmen ihr Augenmerk noch zu wenig auf die Passgenauigkeit gerichtet. Aber die neue Bürowelt steht ja auch noch ganz am Anfang.

Mehr dazu

Die Vielfalt neuer Arbeitsmodelle ist groß und bedeutet weit mehr als nur freie Bahn fürs Homeoffice. Mehr zu den verschiedenen Szenarien hören Sie im Podcast von Prof. Dr. Martin Klaffke.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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