Vermögen weitergeben - 28. April 2022

Schenken und vererben

Die Übertragung von Gaben, spontan oder ritualisiert, ist so alt wie die Menschheit und eingebettet in eine komplexe Psychologie. Ein Blick auf Hintergründe, Fakten und Zahlen.

Wenn ein männliches Exemplar der Gattung Pisaura mirabi­lis, einer Jagdspinne, sich einem Weibchen nähert, so tut es dies nie mit leeren Händen oder in seinem Falle nie mit leeren Cheliceren. Es bringt stets ein kunstvoll eingesponnenes Braut­geschenk mit, eine Fliege etwa, die der Umworbenen ein schmackhaftes Hochzeitsmahl beschert. Währenddessen kann das Männchen, von der Braut freundlich ignoriert, seinem Paa­rungsgeschäft nachgehen. Am Beispiel dieser Spezies offenbart sich eines der charakteristischsten Merkmale des Schenkens als eines sozialen Tauschgeschäfts: Die Schenkende oder der Schen­kende erhofft, durch die Gabe selbst einen Vorteil zu erlangen.

Die Lauterkeit auf dem Prüfstand

Ist der Akt des Schenkens darum von Anbeginn moralisch kom­promittiert als ein im Gewand der Freigebigkeit daherkommen­der Eigennutz? Urteilen wir nicht zu hart, denn in seiner ethisch reinen Form ist dieser Vorteil nur ideeller Natur, es ist die Freude, die auf den Schenkenden dadurch zurückstrahlt, dass er einem anderen Menschen eine Freude bereitet. Doch schon hier mischt sich als leichte Trübung ein weiteres Momentum ein: die Dankes­schuld, in die der Beschenkte gegenüber dem Schenkenden ge­rät und dadurch ein Stück seiner Freiheit einbüßt. Auch dieses Opfer ist zunächst ein rein ideelles, ein innerer Appell an Anstand und Gewissen. Es gilt, die Annahme einer Gabe als einen Ver­bindlichkeit stiftenden Akt wahrzunehmen und sich dem Schen­kenden entsprechend dankbar und freundlich zu zeigen.

Wer schenkt, hat Macht

Die Verteilung von Geschenken ist – ganz ebenso wie die Zutei­lung von Erbanteilen zu Lebzeiten – mitunter auch ein Akt der Machtausübung. Sie schafft ein Gefälle, lässt dieses augenfällig werden und sich in diesem Sinne auf elegante Weise zur Festi­gung der eigenen Position instrumentalisieren. Formal schuldet der Beschenkte dem Schenkenden zwar nichts, in den Augen et­waiger Zeugen und vor der unbestechlichen Instanz des eigenen Gewissens gegebenenfalls jedoch viel.

Eine bizarre Form der Geschenk- und Verbindlichkeitskultur be­gegnet uns bei den indigenen Völkern an der pazifischen Nord­westküste Amerikas: das sogenannte Potlatch, ein Geschenk­fest, bei dem die Häuptlinge konkurrierender Stämme sich ge­genseitig derart in ihrer Freigebigkeit zu übertrumpfen such­ten, dass sie regelmäßig der wirtschaftliche Ruin ereilte. Dies wiederum bewog 1884 die kanadische Regierung, das Potlatch zu verbieten. Genützt hat es nichts, sodass 1922 der Chief der Kwakwaka’wakw kurzerhand inhaftiert wurde, nachdem er an 300 Gäste zwei Dutzend Boote, 30.000 Decken, 1.000 Säcke Mehl, Musikinstrumente und Grammopho­ne, Masken, Bargeld und unzählige Kleider und Schmuckstücke verschenkt hatte. Damit übertrumpfte und beschämte er jene Häupt­linge, die da nicht mithalten konnten – er und sein Stamm waren ruiniert, sein Status indes war gesichert.

Der Zugriff des Fiskus

Da Schenken und Vererben ein Geben ohne unmittelbare Gegenleistung sind und damit der höchst privaten Sphäre zugerechnet werden, reagieren die Menschen spontan oftmals empfindlich, wenn sich in dieses Ge­schehen der Fiskus einmischt. Die Auffassung, dass Geld und an­dere Werte, die einer verschenkt oder vererbt, ja bereits allesamt versteuert seien und eine neuerliche Besteuerung somit eine doppelte und darum illegitim sei, ist so verbreitet wie kurzsichtig. Aus der Perspektive des Schenkenden mag es so aussehen, aus der des Beschenkten jedoch ist die Vereinnahmung von Geld, Im­mobilien, Wertgegenständen aller Art jedoch eine Form von Ein­kommen, und es wäre unter dem Aspekt der Steuergerechtigkeit unvertretbar, geschenkte oder ererbte Werte und Gelder von der Besteuerung auszunehmen, Einkommen, das durch eigene Ar­beit erwirtschaftet wird, aber zu besteuern.

Große Summen

Unzählige Geschichten geben die Gaunereien her, die im Zusam­menhang mit Schenkungen und Erbfällen tagtäglich überall auf der Welt verübt werden. Ein prominentes historisches Beispiel ist etwa die Konstantinische Schenkung. Dabei handelt es sich um eine um das Jahr 800 aufgetauchte Urkunde, der zufolge Kaiser Konstantin I. knapp 500 Jahre zuvor Papst Silvester I. (Pontifex von 314 bis 335) und allen seinen Nachfolgern auf ewig die Herr­schaft über Rom, Italien und die Westhälfte des Römischen Reichs geschenkt habe – eine glatte Fälschung, die im 15. Jahr­hundert bereits aufflog.

Und heute? Das notarielle Beurkundungswesen schützt zwar nicht vor Erbschleichern, erschwert aber zumindest bei Immobi­lien die skrupellosesten Übergriffe bei der Aneignung von Besitz­tümern im familiären Nahbereich. Künftige Erblasser können ihre Testamente durch deren Hinterlegung bei Anwalt oder Notar vor dreisten Manipulationsversuchen post mortem schützen. Und es geht dabei um viel, auch wenn niemand weiß, um wie viel genau. Denn fiskalisch erfasst werden nur jene Schenkungen und Erbfälle, die die üppigen Freigrenzen (500.000 Euro für Ehepart­ner, 400.000 Euro für jedes Kind) überschreiten. Das Gesamtver­mögen der Deutschen beträgt rund 14,1 Billionen Euro. Das Ins­titut für Altersvorsorge schätzt, dass, bezogen auf den Zehnjah­reszeitraum von 2015 bis 2024, von dieser Summe 1.437 Milliar­den Euro an Geldvermögen und Wertpapieren, knapp 1.300 Milliarden Euro an Immobilien und 337 Milliarden Euro an Sach­werten vererbt oder verschenkt werden. Jährlich wechselt daher ein Wertvolumen zwischen 200 und 400 Mil­liarden Euro den Besitzer. Fiskalisch von Be­deutung ist davon jedoch nur der Teil, der im Einzelfall die oben genannten Freigrenzen überschreitet. Erbschaftsteuerpflichtig ver­erbt wurden 2020 daher nur Immobilien im Wert von 21,4 Milliarden Euro sowie 28,8 Milliarden Euro an sonstigen Werten. Hinzu kamen steuerlich relevante Schenkungen, zu­meist von Betriebsvermögen, in Höhe von 34,2 Milliarden Euro. Insgesamt unterlagen somit 2020 Werte in Höhe von 84,4 Milliar­den Euro der Steuerpflicht, von denen rund zehn Prozent, näm­lich 8,5 Milliarden Euro, an das Finanzamt gingen: 6,9 Milliarden Euro Erbschaft- und 1,6 Milliarden Euro Schenkungsteuer. Das Gesamtaufkommen beider Steuerarten ist also eher gering und machte 2020 nur 0,87 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus. Politisch nach wie vor umstritten ist die weitgehende De-fac­to-Steuerfreiheit der Weitergabe von Betriebsvermögen. Grund­sätzlich gilt: Wer als Erbe einen Betrieb mindestens sieben Jahre weiterführt und die bisherige Lohnsumme nicht unterschreitet, wird von der Erbschaftsteuer komplett befreit, eine Regelung, die zwar eine Ungleichbehandlung von Vermögenswerten bedeutet, aber andererseits die sonst unvermeidliche Liquidierung zahllo­ser KMU verhindert und damit deren Arbeitsplätze sichert.

Steuergerechtigkeit trägt als regulative Idee zwar die Steuerge­setzgebung, ist aber, wenn es ums Erben und Schenken geht, berechtigterweise nicht die einzige Richtschnur politischen Handelns.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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