Hyperinflation - 18. November 2019

Rasanter Wertverfall

Herbst 1923: 
Herr Müller kommt nach Hause, heute ist er Billionär. In seiner Aktentasche stapeln sich die Geldbündel. Er hat keine Bank überfallen, sondern nur sein Gehalt erhalten, das ihm seit einiger Zeit täglich ausgezahlt wird. Seine Frau eilt sofort zum Laden an der Ecke, um das Nötigste zu besorgen: ein Dutzend Eier, ein Kilo Brot und ein halbes Kilo Rindfleisch. Was wir heute günstig im Supermarkt kaufen können, kostet Frau Müller mehrere Billionen Mark. Für ein einziges Ei bezahlt sie schon Hunderte Milliarden. Das Geld für den Einkauf trägt sie im Wäschekorb zum Kaufmann. Doch an der Tür hängt ein Schild „Bin gleich wieder da“ – der Kaufmann zeichnet gerade höhere Preisschilder. Die Preise sind in Mark angegeben, doch die ist im Laufe der Hyperinflation quasi wertlos geworden.

Wie kam es dazu? Zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs beendete das deutsche Kaiserreich 1914 die bis dato gültige Golddeckung der Mark und gab, statt Steuern zu erheben, Staatsanleihen aus. Gleichzeitig standen den Bürgern immer weniger Güter zur Verfügung. Noch während des Kriegs kam es zu einer enormen Preissteigerung und Geldentwertung. Nach Kriegsende war Deutschland hoch verschuldet, zusätzlich musste man die Kriegsfolgen schultern: Invalide und Hinterbliebene versorgen, Reparationen zahlen und sechs Millionen heimkehrende Soldaten in den Arbeitsmarkt eingliedern. Der Schuldenberg wuchs weiter. Wegen der drohenden Massenarbeitslosigkeit waren drastische Steuererhöhungen keine Option. Stattdessen warf die Regierung beziehungsweise die Reichsbank die Gelddruckmaschine an. Immer mehr Geld kam in Umlauf.

Dementsprechend stieg die Inflation nach Kriegsende unvermindert weiter an und nahm Fahrt auf. Im Januar 1921 bekam man für 60 Mark einen US-Dollar, ein Jahr später musste man schon 200 Mark ausgeben und im Januar 1923 knapp 50.000 Mark. Und das war erst der Anfang der Preissteigerung. Die Hyperinflation begann. Die Geldentwertung betrug phasenweise mehr als 50 Prozent pro Monat. Das Geld zerrann einem förmlich in den Händen und Preise änderten sich täglich. Diese Entwicklung lässt sich an den Banknoten nachverfolgen: Im Juni 1922 löste der 10.000-Mark-Schein den 1.000-Mark-Schein als höchste Banknote ab. Ein Jahr später wurde die 500.000-Mark-Note eingeführt. Ende Juli 1923 wurden Banknoten mit einem Nominalwert von bis zu 50 Millionen Mark gedruckt. Diese Entwicklung gipfelte Ende des Jahrs im 100-Billionen-Mark-Schein. Am Ende der Inflation waren vermutlich insgesamt mehrere Hundert Trillionen Mark ausgegeben.

Notgeld als Zahlungsmittel

Obwohl über 130 Firmen zusätzlich zur Reichsdruckerei für die Reichsbank Geld produzierten – teilweise wurden alte Scheine einfach mit einem Stempel „upgegradet“ – konnte der immense Bedarf nicht gedeckt werden: Geldscheine wurden knapp. Gemeinden, Banken und Unternehmen begannen, eigene Zahlungsmittel, sogenanntes Notgeld, auszugeben. Bei der BASF in Ludwigshafen erhielten die Mitarbeiter beispielsweise den „Anilin-Dollar“. Aus der Not heraus gaben die Behörden immer mehr Sachwertgutscheine aus, deren Wert zum Beispiel in Roggen, Kartoffeln oder Holz berechnet wurde. Generell etablierte sich ein reger Tauschhandel. Da bezahlte man zwei Eier für einen Haarschnitt oder zwei Stück Presskohle für einen Kinobesuch.

Bereits im Oktober 1923 wurde mit der Gründung der Deutschen Rentenbank der Grundstein zu einer Währungsreform gelegt. Am 15. November gab die Bank die Rentenmark heraus. Deren Menge war streng auf 3,2 Milliarden begrenzt und der Wechselkurs von Papiermark zu Rentenmark auf eins zu eine Billion festgelegt. Dieser radikale Währungsschnitt beendete die Hyperinflation. Dabei war die Rentenmark nie als gesetzliches Zahlungsmittel, sondern lediglich als Übergangslösung gedacht, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Währung zurückzugewinnen. Und es funktionierte: Die Deutschen nahmen die neue Währung an und auch die Wirtschaft normalisierte sich. Schon im August 1924 führte die Reichsbank die Reichsmark ein. Diese war das neue gesetzliche Zahlungsmittel und entsprach im Wert einer Rentenmark. Damit waren im Deutschen Reich vorübergehend drei Währungen plus Notgeld in Umlauf: Die alte Mark wurde erst 1925 endgültig eingezogen. Die Rentenmark wurde 1942 für kraftlos ­erklärt, blieb aber wegen des Zweiten Weltkriegs bis zur Währungsreform 1948 in Umlauf, als mit der Einführung der ­Deutschen Mark auch die Reichsmark verschwand.

Schwerwiegende Konsequenzen

Die Hyperinflation von 1923 hatte schwerwiegende Konsequenzen für die Bevölkerung. Der Großteil verarmte wegen fallender Reallöhne, grassierender Arbeitslosigkeit und durch Entwertung der Bankersparnisse. Doch während viele Menschen nicht mehr über die Runden kamen, gab es auch einige, die von der Inflation profitierten. Das Deutsche Reich konnte seine hohen Kriegsschulden massiv reduzieren. Ebenso waren private Schuldner in der Lage, ihre Verbindlichkeiten mühelos zu begleichen, da bis 1923 der Grundsatz Mark ist gleich Mark galt. Das heißt, ein vor Jahren aufgenommener Kredit in Höhe von 500.000 Mark ließ sich nun dank der Inflation leicht mittels einer einzelnen Banknote begleichen, da es sich nominell ja immer noch um den gleichen Betrag handelte, auch wenn der reelle Gegenwert mittlerweile ein ganz anderer war. Die Industrie nutzte dasselbe Prinzip, um bei der Reichsbank Kredite aufzunehmen und das frische Kapital zu investieren. Mit der Einführung der Rentenmark beziehungsweise Reichsmark fand diese Praktik dann ihr Ende. Frau Müller benötigte den Wäschekorb beim Einkaufen allenfalls noch für Lebensmittel, aber nicht mehr für ihre Geldbündel. 

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Blaich, Fritz: Der Schwarze Freitag. Inflation und Wirtschaftskrise (Deutsche Geschichte der neuesten Zeit, Bd. 15), München 1985.

Henning, Friedrich-Wilhelm: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil I Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik 1914 – 1932 (Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd. 3), Paderborn, u. a. 2003.

Rowley, Eric E.: Hyperinflation in Germany. Perceptions of a Process, Aldershot, Brookfield 1994.

Webb, Steven B.: Hyperinflation and Stabilization in Weimar Germany, New York, Oxford 1989.

Zu den Autoren

CA
Claudia Anreiter

Neumann & Kamp Historische Projekte, München

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TB
Tobias Birken

Neumann & Kamp Historische Projekte

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