Vom Konkurs zur Insolvenz - 27. Mai 2021

Nackt in der Öffentlichkeit

Versklavung oder Tod! Die Aussichten für überschuldete Menschen waren in der Antike nicht gerade rosig. Später im 16. Jahrhundert musste der Zahlungsunfähige im wahrsten Sinne des Wortes die Hüllen fallen lassen. Was musste passieren, damit schließlich die Entschädigung der Gläubiger und der Schutz der Wirtschaft in den Fokus des Konkursrechts gelangten?

Wer seine Schulden im antiken Rom nicht begleichen konnte, wurde persönlich für seine Zahlungsunfähigkeit bestraft. Am Ende eines mehrstufigen Verfahrens standen die Sklaverei oder der Tod des Schuldners – und seiner Familie. Die Entscheidung über das Schicksal des Schuldners trafen seine Gläubiger. Im Zentrum des Verfahrens stand die Bestrafung des Vertragsbruchs, nicht die Entschädigung derer, die auf ihr Geld warteten. Das änderte sich ab etwa 105 vor Christus, als es möglich wurde, auf sämtliche Güter eines Schuldners zuzugreifen und sie zugunsten seiner Gläubiger zu verkaufen. Auch dieses Verfahren kostete den Schuldner seine bürgerliche Ehre. Kurze Zeit später wurde die cessio bonorum, die Abtretung des Vermögens, eingeführt. Mit ihrer Hilfe konnte ein Schuldner sein Vermögen freiwillig an seine Gläubiger abtreten und dem Ehrverlust entgehen. Hier sieht man erste Grundzüge moderner Konkursverfahren.

„Schlägt sein Hinterteil dreimal gegen einen Stein“

Diese frühe Form des Konkursrechts hatte lange Bestand. Dabei nahm die damit einhergehende Bloßstellung des Schuldners manchmal absurde Züge an: Im 16. Jahrhundert war es in Teilen Italiens üblich, dass sich der Zahlungsunfähige nackt auf einen öffentlichen Platz begeben musste. „Dort schlägt er sein Hinterteil dreimal gegen einen Stein oder eine Säule, während er laut ausruft: cedo bonis (ich trete meine Güter ab)“, wie uns ein Bericht von 1561 verrät. Solche Rituale waren weit verbreitet. Wer die Reste seines Vermögens offenlegen wollte, musste sich zuerst wortwörtlich nackt machen. Ein Problem dieser Form des Konkurses liegt auf der Hand: Niemand möchte so eine Demütigung über sich ergehen lassen. Daher kam es nicht selten vor, dass insolvente Unternehmer ganz einfach die Stadt verließen und so ihren Gläubigern entflohen. Auch in der Handelsmetropole Antwerpen war dieses Problem nur zu gut bekannt. Um ausländischen Händlern und Kaufleuten mehr Sicherheit vor flüchtigen Schuldnern zu bieten, wurde 1515 ein gesetzlich geregeltes Konkursverfahren eingeführt, das die Gläubiger mithilfe der zurückgelassenen Güter entschädigte. Dieser Schutzmechanismus machte Antwerpen zu einem besonders attraktiven Handelsplatz. Viele andere europäische Städte führten daraufhin ähnliche Verfahren ein. Ein Konkursrecht wurde zum Standortvorteil. Durch den Dreißigjährigen Krieg gerieten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts viele Menschen in finanzielle Schwierigkeiten. Die Gerichte standen vor einer Mammutaufgabe. Vielerorts wurden die bestehenden Gesetze überarbeitet, um das Konkursverfahren effizienter und sicherer zu machen. Als einheitlicher Begriff etablierte sich der „Concurs der Gläubiger“, abgeleitet vom lateinischen concursus creditorum, dem Zusammenlaufen der Gläubiger. So gelangte der bis heute gebräuchliche Begriff Konkurs in den deutschen Sprachgebrauch. Der genaue Ablauf des Konkursverfahrens blieb aber lokal verschieden. Als 1871 das Deutsche Kaiserreich gegründet wurde, war kaum ein Rechtsgebiet so zersplittert wie das Konkursrecht. Das war fatal, denn die Industrialisierung hatte immer komplexere Geschäftsbeziehungen hervorgebracht. Im Falle einer Insolvenz konnte es passieren, dass die verschiedenen Gläubiger unterschiedlich behandelt wurden, weil sie aus verschiedenen Regionen kamen und somit nicht die gleichen Gesetze griffen. Der Reichstag ließ daher eine Konkurskommission aus Juristen und Geschäftsleuten zusammenkommen, die einen Entwurf für eine einheitliche Konkursordnung vorlegen sollte. Diese Reichskonkursordnung trat 1877 in Kraft. Das vereinheitlichte Konkursrecht regelte, wie das restliche Vermögen des Schuldners im Falle einer Insolvenz auf seine Gläubiger zu verteilen war. Was es nicht vorsah, war die Abwendung des Konkurses. Im Ersten Weltkrieg wurde dies zu einem Problem. Viele Unternehmen gerieten kriegsbedingt in Zahlungsschwierigkeiten, obwohl sie eigentlich gesunde Unternehmen waren. Es lag nicht im Interesse des Staates, diese Unternehmen reihenweise zu zerschlagen, wenn sich ihr Zusammenbruch mit etwas Hilfe verhindern ließe. 1914 wurde daher eine Geschäftsaufsicht eingeführt. Diese sollte die Unternehmen, die durch Kriegsfolgen insolvent geworden waren, vor dem Konkurs bewahren. Der erste Baustein für ein Vergleichsverfahren war gelegt. 1927 wurde schließlich das Gesetz über den Vergleich zur Abwendung des Konkurses verabschiedet. Eine Insolvenz konnte nun entweder in den Konkurs oder zu einem Vergleich und somit zur Rettung des Unternehmens führen. Diese beiden Möglichkeiten wurden 1999 in einer neuen Insolvenzordnung zusammengeführt. Der Konkurs existiert in Deutschland seitdem nur noch in der Umgangssprache. Mit der Insolvenzordnung sollte der Zahlungsunfähigkeit auch die negative Konnotation genommen werden, die dem Konkurs seit jeher anlastet. Ein gewisses Risiko gehört schließlich zum Unternehmertum. So einfach ließ sich das negative Image aber nicht abschütteln. 2002 wurde die drohende Insolvenz der Mobilcom AG bekannt. Über 5.000 Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. Obwohl die Aussichten auf eine Sanierung des Unternehmens durch ein Insolvenzverfahren gut waren, schritt die Bundesregierung sofort mit finanziellen Hilfen ein. Das einstige Vorzeigeunternehmen der Mobilfunkbranche sollte unter keinen Umständen in Konkurs gehen – schon gar nicht kurz vor der Bundestagswahl.

MEHR DAZU

Anke Meier: Die Geschichte des deutschen Konkursrechts, insbesondere die Entstehung der Reichskonkursordnung von 1877, Frankfurt am Main 2003.

Christoph G. Paulus: Ein Kaleidoskop aus der Geschichte des Insolvenzrechts, in: JuristenZeitung 23, 2009.

Wilhelm Uhlenbruck: Zur Geschichte des Konkurses, in: Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 1, 2007.

Zum Autor

BB
Britt Badekow

Neumann & Kamp Historische Projekte

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