Nachfolge - 25. August 2022

Die Kunst des Loslassens

Wohl denen, die leichten Herzens Verantwortung und Besitz in jüngere Hände übergeben, wenn die Zeit dafür gekommen ist – für alle anderen gewiss eine der schwersten Übungen, die das Leben bereithält.

Nüchtern betrachtet, handelt es sich um eines der selbst­verständlichsten Erfordernisse, die sich denken lassen: Als sterbliche Wesen sollten wir nichts, das uns seiner Natur nach überdauert, so untrennbar mit unserer eigenen Exis­tenz verknüpfen, dass unser Ableben mit in den Untergang reißt, was uns an Werken und Mitwelt umgibt. Zwar gibt es auch dafür Beispiele: Firmenliquidierungen aus Eigensinn, aus Trotz oder wegen familiärer Zerwürfnisse etwa – aber zum Glück geht es heute nirgends mehr zu wie in der Shang- Dynastie (China, 1766 bis 1080 v. Chr.): Deren über Jahrhun­derte geltendes Pietätsverständnis gebot es, dass Teile des Hofstaats den jeweiligen Herrscher gleich mit ins Grab be­gleiten mussten. Generell tut der Mensch sich schwer mit der Einsicht in die Unausweichlichkeit des eigenen Endes, aus der ja alles Los­lassen- und Weitergebenmüssen erst erwächst. Das Bedürf­nis, Bleibendes zu schaffen, fortzuwirken und damit die Spur der eigenen Existenz über den Tod hinaus zu verlängern, lässt sich so als ein Anstemmen gegen jene als Kränkung empfundene Tatsache interpretieren, dass uns hienieden kei­ne Dauer beschieden ist. Leichter wird es, wenn uns ein maß­geblicher Einfluss zuerkannt wird, wie es denn weitergehen solle, wenn unsere Zeit abläuft. Wenn darum Menschen un­seres Vertrauens, vorzugsweise Kinder oder enge Verwand­te, weiterführen, was wir selbst begonnen haben, verbürgt dies zwar keine Kontinuität, stellt eine solche aber doch im­merhin in Aussicht und vermag die Hoffnung zu vermitteln, dass es im eigenen Sinne weitergeht.

Auch Imperien gehen von Hand zu Hand

Diese Sicht ist kulturell tief verwurzelt und reicht, zu forma­lem Anspruch geronnen, auch institutionell in Gestalt eines differenzierten Erb- und Schenkungsrechts zurück bis ins alt­römische Eigentumsverständnis und in dessen besonderen Schutz durch Brauchtum und Gesetz: Es sichert dem Erblas­ser bei der Weitergabe seiner Güter einen großen Gestal­tungsspielraum zu. Doch schon in der Antike musste man na­türlich hin und wieder die Erfahrung machen, dass auch ein Tüchtiger zuweilen nur komplette Taugenichtse zu zeugen vermochte, der leibliche Nachwuchs darum nicht immer die naturgemäß beste Nachfolge im Amt repräsentierte. Für im­merhin rund 80 Jahre (98 bis 180 n. Chr.) hielt sich darum eine Institution, die man als historisches Experiment betrachten kann: jene Periode der Römischen Kaiserzeit, in der die Herr­schaftsnachfolge nicht durch biologische Abkunft, sondern durch Adoption be­stimmt wurde. Der amtierende Kaiser nahm – unabhängig von seinen eigenen fa­miliären Verhältnissen – einen jungen Mann an Sohnes statt an, der dann unter den kritischen Augen der Großen des Reichs in seine künftige Rolle hinein­wuchs. Man mag dies als eine extreme Form der Günstlingswirtschaft kritisieren, aber immerhin qualifizierte so nicht der blinde Zufall der Geburt jemanden zum Herrn des Imperiums, und die Regierungszeiten der Ad­optivkaiser Trajan, Hadrian, Antoninus Pius und Mark Aurel gelten unbestritten als eine Glanzperiode des Reichs. Dynas­tischen Ambitionen war so ein Riegel vorgeschoben und trotzdem war gesichert, dass der Amtsträger entscheidenden Einfluss auf seine Nachfolge und damit auf die Zukunft des Reichs nehmen konnte.

Ein Zeugnis von beachtlicher charakterlicher Größe in Fra­gen der Nachfolge lieferte rund 800 Jahre später Konrad I., von 911 bis 918 König des Ostfrankenreichs und nach dem Zerfall des Karolingerreichs jener Herrscher, mit dessen Re­gierung das beginnt, was wir als deutsche Geschichte be­zeichnen. Glücklos, in zermürbende Konflikte und Fehden mit den Landesfürsten verstrickt, ließ er vom Sterbebett aus nicht etwa, wie erwartet, seinem Bruder Eberhard die Reichs­insignien überbringen, sondern just seinem erbittertsten, aber auch fähigsten und mächtigsten Gegner: Krone, Zepter und das mit deren Besitz verknüpfte Königsheil gingen so an denjenigen über, der als Heinrich I. (919 bis 936) eine weit glücklichere Hand bei der Einigung des Reichs hatte als sein Vorgänger. Das Ganze war weit mehr als eine Geste, es war ein auch heute noch Respekt gebietender Akt von Entsagung und Verzicht zugunsten eines anderen, des sächsischen Ge­schlechts und einer glücklicheren Zukunft, an der das eigene Haus keinen Anteil mehr haben würde.

Fingerspitzengefühl gefragt

Nun mag ein solches Verhalten eines Königs würdig sein – wir heutigen Mitglieder einer bürgerlichen Zivilgesellschaft und vom Gottesgnadentum ebenso weit entfernt wie vom im­perialen Adoptionswesen finden uns in kleineren Wirkungs­radien wieder – und doch bleibt den Selbstständigen unter uns die Frage nicht erspart: Was soll einmal aus meiner Fir­ma werden? Mit den Planungen hierfür, den erforderlichen Schritten und Vorkehrungen, den rechtlichen Fragen und den Aufgaben, die auf die steuerliche Beraterin oder den steuerlichen Berater hierbei zukommen, befasst sich diese Ausgabe ausführlich. Dass das Thema damit dennoch nicht erschöpft ist, zeigt die schier unüber­schaubare Menge an Literatur, die sich da­mit beschäftigt, wie das Loslassen und Weitergeben beizeiten schmerzlindernd eingeübt werden können. Die Arbeit des psychotherapeutischen Berufsstands be­steht zu einem Gutteil aus der Begleitung von Ab-, Loslösungs- und existenziellen Veränderungsprozessen. Nicht viel anders eine befasste Kanzlei auf ihrem Felde: Sie kann unversehens in die Rolle eines Mode­rators zwischen den Generationen hinein­geraten, eine Vermittlerrolle, die viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den jeweiligen Empfindlichkeiten erfordert.

Das Kreuz mit der eigenen Entbehrlichkeit

Denn ist es keine Infragestellung des eigenen, über Jahr­zehnte zurückgelegten Wegs ebenso wie der eigenen Erfah­rung und Könnerschaft, wenn der Nachwuchs die Führung eines Familienunternehmens übernimmt und – vielleicht so­gar mit demütigend großem Erfolg – vieles ganz anders macht als die Gründergeneration? Gerade in Branchen wie beispielsweise dem Weinbau, in dem nach dem Selbstver­ständnis der Älteren oftmals Tradition und Beständigkeit als identitätsstiftendes Momentum den Markenkern eines Be­triebs repräsentieren, können solche Situationen zu Vertrau­enskrisen bis hin zu – siehe oben – familiären Zerwürfnissen und dem Untergang alteingesessener Güter führen. Jedoch gibt es zahlreiche positive Beispiele generationenübergrei­fender Familienbetriebe, die mit kreativen Ideen sehr erfolg­reich sind. In manchen Konstellationen fällt der Rückzug besonders schwer, denn die bereits genannte Einsicht in die eigene Endlichkeit schließt ja auch diejenige in die eigene Entbehr­lichkeit mit ein und schmälert damit nicht nur das Selbstbild eigener Meisterschaft im ausgeübten Metier, sondern be­rührt womöglich eine noch tiefere Schicht: unsere zwar sel­ten artikulierte, doch latent stets vorhandene Vorstellung, als Individuum einzig und darum letztlich unersetzbar zu sein. Vielleicht unsere größte Lebenslüge? Da kann man nur mit den Worten Hermann Hesses schließen: „… Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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