Alt-Stiftung - 29. Juli 2021

Die Fuggerei – 500 Jahre soziales Wohnen

Sozialer Wohnungsbau, Wohnraumförderung, Genossenschaften – die Bundesrepublik Deutschland fördert bezahlbares Wohnen in vielen Bereichen. Wohnraum für Bedürftige aber hat eine lange Tradition. Die berühmteste Sozialsiedlung der Welt kann unterdessen auf eine über 500-jährige Geschichte zurückblicken: die Augsburger Fuggerei.

Im Jahr 1514 hatte Jakob Fugger, genannt der Reiche, eine Idee: Um unschuldig in Not geratenen Bürgern Obdach zu gewähren, gründete er in seinem und im Namen seiner beiden Brüder Ulrich und Georg eine gemeinnützige Stiftung aus „inniger Dankbarkeit für die vom Herrgott empfangenen Güter aus Andacht und hochherziger Freigiebigkeit zum Vorbild“. Für 15.000 Gulden kaufte der Händler und Bankier vier Grundstücke in der Jakobervorstadt, einem Augsburger Handwerkerviertel. Hier errichtete er die erste Sozialsiedlung der Welt. Bis 1522 entstanden auf mehreren Tausend Quadratmetern zahlreiche Häuser für jeweils zwei Parteien. Die Wohnungen waren 60 Quadratmeter groß, die Erdgeschosswohnungen wurden um einen kleinen Garten mit Schuppen ergänzt, die Wohnungen im Obergeschoss bekamen dafür einen geräumigen Dachboden. Außerdem standen den Bewohnern der Siedlung die Gemeinschaftsflächen, wie öffentliche Plätze, eine Kirche und – bis zum Einbau privater Badezimmer ab den 1970er-Jahren – Badehäuser, zur Verfügung. Die Gegenleistung? Wer in der Fuggerei lebte, sollte täglich drei Gebete zugunsten der Familie Fugger sprechen – ein Vaterunser, ein Avemaria und ein Credo. Zudem mussten die Bewohner schon vorher in Augsburg gelebt haben und die Jahresmiete von einem Rheinischen Gulden aufbringen können. Dies entsprach damals etwa dem Wochenlohn eines Handwerkers. Jakob Fugger war es vor allem deshalb wichtig, dass die Bewohner der Fuggerei einen Obolus leisten, damit sie sich nicht als Almosenempfänger fühlten, sondern als Mieter mit Würde. Tatsächlich war das auch einer der größten Unterschiede zu anderen Sozialprojekten der Zeit: In der Fuggerei konnten die Bewohner mit ihren Familien eigenbestimmt leben und arbeiten und fristeten nicht nur eine traurige Existenz in einem Armenhaus.

Dass die Fuggerei dauerhaft und über 500 Jahre hinweg Bestand haben würde, war indes keinesfalls sicher. Zwar hatte Jakob Fugger in der Stiftungsurkunde von 1521 verfügt, dass die Fuggerei auf ewig erhalten bleiben und zur Memoria der Familie beitragen solle. Dennoch wäre die Fuggerei sowohl im Dreißigjährigen Krieg, als die Schweden Augsburg eroberten, als auch im Zweiten Weltkrieg beinahe zerstört worden. 1632 vertrieben schwedische Soldaten die katholischen Fuggereibewohner und richteten in den Häusern eine Truppenunterkunft ein. Nach mehreren weiteren Einquartierungen und Plünderungen waren die Häuser 1635 in desolatem Zustand, als die schwedische Besatzung endete. Eine weitere große Bewährungsprobe für die Fuggerei wurde die Bombennacht vom 25. auf den 26. Februar 1944. Wie nahezu die gesamte Innenstadt Augsburgs lag auch sie in Trümmern. Zwei Drittel der Gebäude wurden zerstört. Die damaligen Bewohner hatten im Bunker der Fuggerei überlebt. Nur vier Tage nach dem Luftangriff der Alliierten beschloss der Stiftungsrat, die Fuggerei wiederaufzubauen. Zusätzlich wurde die Anlage umfangreich erweitert, um noch mehr Wohnraum für Bedürftige zu schaffen. Nach wie vor liegt die Verwaltung der Stiftungen, die den Fortbestand der Fuggerei sichert, in Familienhand. Die Fürstlich und Gräflich Fuggerschen Stiftungen wurden Mitte des 16. Jahrhunderts als Kapitalstiftungen gegründet. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem über viele Jahre hinweg keine Zinserträge flossen, investierte die Stiftung in Grundbesitz. Heute finanziert sich die Fuggerei vor allem aus Erträgen der Forstwirtschaft. Die Stiftungen besitzen circa 3.000 Hektar Waldwirtschaftsfläche, die sogenannten Stiftungsforsten. Schon mehrfach hat der Forst die Stiftungen vor Vermögensverlusten bewahrt.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, in Zeiten des Wiederaufbaus, galt Holz als solide Währung. Das fortschreitende Waldsterben jedoch, das in den frühen 1980er-Jahren begann, betrifft auch die Stiftungsforsten. Die Folgen des Klimawandels wie häufiger auftretende Wetterextreme und der Befall von Bäumen mit dem Borkenkäfer gefährden die Finanzierung der Fuggerei. Um dem zu begegnen, wurde eine weitere Einnahmequelle generiert: Seit 2006 wird von den zahlreichen Besuchern Eintrittsgeld für die Besichtigung der Fuggerei erhoben. Was sich seit dem 16. Jahrhundert nicht geändert hat, ist der Anspruch, wer in der Fuggerei leben darf. Anspruchsberechtigt sind bis heute Katholiken, die in Augsburg wohnhaft und unschuldig in Not geraten sind. Nach wie vor sollen die Bewohner dreimal täglich für die Fugger beten und auch die Jahreskaltmiete ist noch die gleiche wie vor 500 Jahren. Heute beträgt sie 88 Cent, was nominal einem Rheinischen Gulden entspricht, wenn man die Kaufkraft außer Acht lässt. Zur Kaltmiete kommen heute noch die Nebenkosten für Müllabfuhr, Strom und Heizung und weitere 88 Cent für den Fuggereipfarrer. Die Wohnungen sind über die Jahre an moderne Standards angepasst worden. Trotz gleicher Voraussetzungen hat sich die Bewohnerstruktur über die Jahrhunderte stark verändert. Ursprünglich waren die Häuser für Handwerker und ihre Familien ausgelegt. Wenn der Haushaltsvorstand starb, musste die Witwe zwar nicht die Fuggerei verlassen, aber ihr stand nur noch die Hälfte der Wohnfläche zu, sie musste sich also eine Wohnung mit einer anderen Witwe teilen. Ledige Frauen oder gar ledige Mütter wurden noch im 20. Jahrhundert lange nicht aufgenommen. Mit dem modernen Wertewandel änderten sich auch die Aufnahmekriterien in der Fuggerei. Heute sind es besonders Alleinerziehende und Geringverdiener, die von einer Wohnung in der Fuggerei profitieren und dank der niedrigeren Lebenshaltungskosten auch mit wenig Gehalt ihr Leben finanzieren können. Hier greift unmittelbar der Gründungsgedanke Jakob Fuggers, eben kein Armenhaus einzurichten, sondern Familien unterstützend unter die Arme zu greifen.

Mehr dazu

Adloff, Frank: Wozu sind Stiftungen gut? Zur gesellschaftlichen Einbettung des deutschen Stiftungswesens, in: Leviathan, Vol. 32, No. 2 (Juni 2004), S. 269 –285.

Blaich, Fritz: Zur Wirtschaftsgesinnung des frühkapitalistischen Unternehmers in Oberdeutschland, in: Tradition: Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiografie, 15. Jahrg., H. 6 (November/Dezember 1970), S. 273 –281.

Gabler, Astrid (Hrsg.): Die Fuggerei. Familie, Stiftung und Zuhause seit 1521, München 2020.

Herre, Franz: Die Fugger in ihrer Zeit, Augsburg 1999.

Zabel, Ralf, u. a.: The Transition in Social Housing in Germany – New Challenges and New Players After 60 Years, in: Architectural Research, Vol. 21, No. 1 (März 2019), S. 1– 8.

Website des Hauses Fugger: www.fugger.de

Zu den Autoren

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Laura Niederhoff

Neumann & Kamp Historische Projekte

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