Wirtschaftsbeziehungen - 17. Januar 2022

Unsichere EU-Schweiz-Beziehungen – Prioritäten für die deutsche Wirtschaft

DIHK, Mitteilung vom 13.01.2022

Die Europäische Union ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz, die Schweiz wiederum der viertgrößte für die EU. Doch diese starken Wirtschaftsbeziehungen sind nicht in Stein gemeißelt: Auf Grundlage von 120 Vereinbarungen ist die Schweiz zwar eng mit der EU verbunden, aber kein Mitglied des Binnenmarktes. Ein neues Rahmenabkommen sollte die Situation weiter verbessern, die Schweiz hat das aber kürzlich überraschend zurückgewiesen. Beide Seiten sollten jetzt rasch neue Gespräche für eine stärkere wirtschaftliche Integration starten.

Privilegierter Marktzugang für die Schweiz

Die Schweiz ist eng mit der Europäischen Union verbunden und nimmt etwa am Schengen-Raum, dem Dublin-System sowie den Forschungs- und Mobilitätsprogrammen teil. Zum Binnenmarkt besteht ein privilegierter Zugang. Bereits 2013 hatten die EU und die Schweiz Gespräche für ein institutionelles Rahmenabkommen gestartet, damit diese Bündnisse einheitlicher und effizienter angewendet werden können. Neben einer dynamischen Rechtsanpassung wäre auch ein Instrument für die Streitschlichtung eingeführt worden – dies hatte die EU von der Schweiz als Nettoprofiteur des Binnenmarktes schon seit über zehn Jahren gefordert. Nach sieben Jahren Verhandlungen samt vorläufigem Vertragstext brach die Schweizer Regierung jedoch im Mai 2021 überraschend die Gespräche über ein Rahmenabkommen ab, da sie verbleibende Verhandlungslücken als unüberwindbar einstufte.

Unsicherheit und Handelshemmnisse für die Wirtschaft

Nach diesem Rückschritt herrscht für die deutschen und europäischen Unternehmen zunehmend Rechtsunsicherheit im Schweiz-Geschäft: Die kontinuierliche Weiterentwicklung des Binnenmarkts durch Regulierungen und die Rechtsprechung erfordert eine immer komplexere Aktualisierung der bilateralen Abkommen. Ohne das Rahmenabkommen droht nun die schrittweise Verschlechterung der Handelsbeziehungen – vergleichbar mit einem Smartphone ohne Updates. Dies ist bereits im Bereich der Medizinprodukte der Fall, wo seit Mai 2021 der grenzüberschreitende Handel stark erschwert ist – unter anderem da die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen nicht mehr gültig ist. Auch weiteren Bereichen droht in den nächsten Jahren ein Auseinanderdriften der Standards für Unternehmen. Zudem erschweren viele Hemmnisse den grenzüberschreitenden Wirtschaftsaustausch: So muss zum Beispiel eine Dienstleistung in der Schweiz in der Regel acht Kalendertage im Voraus angemeldet werden und in manchen Branchen mit einer Kaution von bis zu 20.000 Schweizer Franken garantiert werden. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland haben mit dem Rahmenabkommen Hoffnungen auf eine erleichterte Entsendung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verbunden. Gerade sie sehen hier dringenden Handlungsbedarf.

Wichtige Wirtschaftspartner …

Der Blick auf die Wirtschaftsdaten zeigt, wie bedeutend diese Entwicklungen sowohl für die europäischen als auch die Schweizer Unternehmen sind: Die EU ist Handelspartner Nummer Eins der Schweiz, und die Schweiz der viertgrößte für die EU. Über die Hälfte der Schweizer Exporte gehen in die Europäische Union. Deutschland ist dabei mit Abstand der größte europäische Partner der Schweiz. Das bilaterale Handelsvolumen umfasste 2020 über 100 Milliarden Euro und circa 50 Milliarden Euro beträgt der Wert der jeweiligen Investitionen im anderen Land.

… mit Kooperationspotenzial

Diese engen Wirtschaftsbeziehungen sollten nicht aufs Spiel gesetzt, sondern vielmehr nachhaltig abgesichert werden. Es gilt die Belastung für die Außenwirtschaft so gering wie möglich zu halten und gleichzeitig für die Entwicklung zukünftiger gemeinsamer Integrationsschritte offen zu bleiben – auch etwa für den nicht zuletzt mit Blick auf die Schweiz, konzipierten Europäischen Wirtschaftsraum. Diese Annäherung müsste wichtige Bereiche wie Streitbeilegung, dynamische Rechtsanpassung, Modernisierung des Handelsabkommens, Energie, Gesundheit, Forschung, Finanzmarktregulierung und Dienstleistungen umfassen. Angesichts der weltweiten Zunahme von Protektionismus und wirtschaftlicher Entkopplung wäre es vor dem Hintergrund gemeinsamer Anliegen im beiderseitigen Interesse. Das Kammernetzwerk in Deutschland und die Handelskammer Deutschland-Schweiz als Teil des weltweiten AHK-Netzwerks unterstützen dabei.

Quelle: DIHK