Konjunkturprognose - 29. März 2021

Kräftige Erholung trotz großer Risiken: IMK prognostiziert 4,9 Prozent Wirtschaftswachstum 2021 und 4,2 Prozent 2022

Hans-Böckeler-Stiftung, Pressemitteilung vom 24.03.2021

Trotz des erst einmal verlängerten Lockdowns und des schleppenden Starts beim Impfprogramm wird sich die deutsche Wirtschaft in diesem und im kommenden Jahr kräftig erholen. Im Jahresdurchschnitt 2021 legt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,9 Prozent zu, 2022 um 4,2 Prozent. Treibende Kräfte des Wachstums sind in diesem Jahr sowohl der sehr dynamische Außenhandel als auch der wieder zunehmende private Konsum, der 2022 zum dominierenden Wachstumsfaktor wird. Auch die Investitionen liefern spürbare positive Impulse. Die Arbeitslosenquote sinkt in diesem Jahr geringfügig auf durchschnittlich 5,8 Prozent. 2022 geht die Arbeitslosigkeit dann deutlicher zurück, die Quote wird im Jahresdurchschnitt bei 5,3 Prozent liegen. Das ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

Gegenüber der letzten IMK-Prognose vom Dezember bleibt die Wachstumserwartung für 2021 unverändert. Für 2022 legen die Düsseldorfer Konjunkturforscher erstmals eine Prognose vor.

„Medizinisch ist die Corona-Pandemie leider längst noch nicht besiegt und damit bleiben Risiken. Aber ökonomisch stehen die Zeichen nach dem harten Jahr 2020 erst einmal auf Entspannung“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. „Das hat zwei wesentliche Gründe: Erstens funktioniert die Stabilisierungspolitik der Bundesregierung weiterhin recht gut – bei aller berechtigten Kritik an teilweise schleppenden Hilfszahlungen. Zweitens profitiert vor allem die deutsche Industrie von der kräftigen Nachfrage aus Asien, den USA und auch vielen EU-Ländern. Die Lieferketten halten und offensichtlich sind die Corona-Schutzkonzepte in den meisten Betrieben wirkungsvoll.“

Auch wenn die Fortschritte bei den Impfungen bisher relativ langsam sind, rechnen die Ökonomen zudem damit, dass der private Konsum im Verlauf dieses Jahres kräftig anzieht, weil Einschränkungen gelockert werden können und viel Geld gespart wurde, das in diesem und im kommenden Jahr ausgegeben werden kann. Dabei spielt auch eine Rolle, dass nach Berechnungen der Ökonomen eine deutliche Beschleunigung des Impftempos ab April wahrscheinlich und sogar eine Impfung aller impfwilligen Erwachsenen in Deutschland bis Ende Juli möglich ist. Stimulierend wirken zudem die weitgehende Abschaffung des Solidaritätszuschlags, höhere Kindergeldzahlungen und Steuersenkungen durch das Familienentlastungsgesetz sowie die Einführung der Grundrente. Auf den tiefsten Einbruch der Konsumausgaben in der Geschichte der Bundesrepublik 2020 folgen nach der IMK-Prognose daher zwei Jahre mit sehr dynamischer Konsumentwicklung: 2021 kalkulieren die Forscher mit einer Zunahme um 4,6 Prozent im Jahresdurchschnitt, 2022 mit 6,0 Prozent.

„Unsere Prognose ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, es ist ja schwer einzuschätzen, wie heftig eine dritte Corona-Welle wird. Deshalb überwiegen zur Zeit eindeutig die zusätzlichen Risiken. Wir sehen aber auch gewisse Chancen, dass es besser läuft als wir momentan annehmen“, sagt IMK-Direktor Dullien. Auf der Chancen-Seite nennen die Ökonomen in erster Linie eine noch kräftigere Nachfrage bei wichtigen Handelspartnern sowie forcierte Investitionen in klimafreundliche Techniken. Zu den möglichen Gefahren zählen sie neben einer drastischen Zuspitzung der Pandemiesituation und weiteren Rückschlägen bei den Impfungen eine Insolvenzwelle, die größer ausfällt als bislang zu erwarten ist.

Mindestens genauso schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung wäre aber eine politische Fehlentscheidung, hebt das IMK hervor: Dieses Risiko bestünde darin, „dass die Bundesregierung eine fiskalpolitische Konsolidierung einleitet, bevor ein selbsttragender Aufschwung eingesetzt hat.“ Angesichts des großen Investitionsbedarfs, insbesondere bei klimafreundlichen Technologien, und hoher Leistungsbilanzüberschüsse, müssten Investitionen über die nächsten Jahre absolute Priorität haben. Notwendig sei sowohl eine Verstetigung der öffentlichen Investitionen auf hohem Niveau als auch ein ausgearbeiteter Plan, wie diese im Falle einer konjunkturellen Abschwächung zügig hochgefahren werden können, mahnen die Wirtschaftsforscher. Der notwendige Spielraum bei den Staatsfinanzen sei auf jeden Fall gegeben.

Kerndaten der Prognose für 2021 und 2022

Arbeitsmarkt

Im zweiten Lockdown ist die Zahl der Kurzarbeitenden erneut erheblich und die Arbeitslosigkeit leicht gestiegen. Eine Trendwende am Arbeitsmarkt ist nach Analyse des IMK erst möglich, wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung Impfschutz gegen das Corona-Virus hat. Wenn das im zweiten Halbjahr erreicht ist, dürfte sich die Arbeitsmarktsituation aber relativ schnell deutlich verbessern: Die Zahl der Erwerbstätigen nimmt nach der Einschätzung des IMK ab dem Spätsommer wieder kräftig zu. In der Statistik schlägt sich das allerdings mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung nieder, so dass die Erwerbstätigkeit im Jahresdurchschnitt 2021 um rund 35.000 Personen oder 0,1 Prozentpunkte sinkt. Im kommenden Jahr wächst die Zahl der Erwerbstätigen dann aber mit rund 650.000 Personen bzw. 1,5 Prozent kräftig.

Bei den Arbeitslosenzahlen erwartet das IMK im Jahresdurchschnitt 2021 eine geringfügige Entspannung. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt um etwa 30.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,66 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,8 Prozent nach 5,9 Prozent im Vorjahr. Für 2022 erwartet das IMK dann einen spürbaren Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um gut 220.000 Personen im Jahresdurchschnitt. Die Arbeitslosenquote sinkt auf 5,3 Prozent.

Außenhandel

Auch die meisten wichtigen Handelspartner erleben 2021 und 2022 eine wirtschaftliche Erholung. Die Weltwirtschaft insgesamt, die im Jahresmittel 2020 um 3,4 Prozent eingebrochen ist, wächst in diesem Jahr kräftig um 5,5 Prozent und im kommenden Jahr um 3,5 Prozent. Getragen wird die Erholung unter anderem vom robusten Wachstum in China und dem massiven fiskalischen Hilfsprogramm der US-Regierung. So wird das US-BIP in diesem Jahr um 7,0 Prozent zulegen – so stark wie seit 1984 nicht mehr. Für 2022 prognostiziert das IMK ein Wachstum um 3,1 Prozent. Die chinesische Wirtschaft, die auch 2020 zulegte, dürfte in diesem Jahr um 8,4 Prozent wachsen, 2022 dann noch um 4,9 Prozent. Auch die wirtschaftliche Erholung in den meisten Euro-Ländern ist nach Analyse des IMK „trotz dritter Corona-Welle weitestgehend intakt“. Die Wirtschaft im Euroraum wird dieses Jahr um durchschnittlich 5,3 Prozent wachsen, 2022 um 4,2 Prozent.

Die weltwirtschaftliche Erholung beflügelt die deutschen Ausfuhren in diesem Jahr stark. Das IMK rechnet mit einem Wachstum der Exporte um 10,9 Prozent. Die Importe legen ebenfalls zu – um 7,3 Prozent Im Jahresdurchschnitt. Damit leistet der Außenhandel in diesem Jahr einen kräftigen Wachstumsbeitrag von 2,0 Prozentpunkten, allerdings wächst auch der Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz in wieder problematischem Ausmaß. Im kommenden Jahr expandiert der deutsche Außenhandel weiter kräftig und zudem etwas balancierter: Die Exporte nehmen im Jahresmittel 2022 um 6,8 Prozent zu, die Importe um 8,0 Prozent.

Investitionen

Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen erholen sich ebenfalls vom Corona-Schock. Das liegt vor allem an der Kapazitätsauslastung der Industrie, die schon wieder nahe am langjährigen Durchschnitt liegt, weshalb neben Ersatz- auch Erweiterungsinvestitionen notwendig werden. 2021 nehmen die Ausrüstungsinvestitionen daher im Jahresmittel um 9,3 Prozent zu, 2022 um 5,8 Prozent. Die Bauinvestitionen bleiben trotz Behinderungen durch den Kälteeinbruch robust. Treibende Kraft ist der Wohnungsbau, doch auch der Wirtschaftsbau kommt wieder in Gang. Im Jahresmittel 2021 nehmen die Bauinvestitionen um 1,6 Prozent zu, 2022 dann um 5,1 Prozent.

Einkommen und Konsum

Die verfügbaren Einkommen legen in diesem und im kommenden Jahr wieder zu, weil die durchschnittlichen Arbeitszeiten durch Rückgang der Kurzarbeit wieder länger werden, die Beschäftigung wächst und die Bruttolöhne und -gehälter steigen. Da das IMK zudem davon ausgeht, dass ab dem zweiten Quartal die Restriktionen in Handel und Freizeitbereich zunehmend gelockert werden können, fließen die Einkommen wieder verstärkt in den Konsum, die Sparquote geht von sehr hohen 16,2 Prozent auf 13,5 Prozent zurück.

Nach dem Einbruch im Vorjahr nehmen die realen privaten Konsumausgaben im Jahresdurchschnitt 2021 um kräftige 4,6 Prozent zu. Für das kommende Jahr prognostiziert das IMK bei weiter sinkender Sparquote (auf dann 10,7 Prozent) ein noch stärkeres Wachstum der privaten Konsumausgaben um real sogar 6,0 Prozent. Nachdem sinkende Konsumausgaben im Jahr 2020 die wirtschaftliche Entwicklung stark gebremst haben (negativer Wachstumsbeitrag von -3,2 Prozentpunkten), ergibt sich in diesem Jahr ein spürbar positiver Wachstumsbeitrag um 2,4 Prozentpunkte. 2022 sind es sogar 3,2 Prozentpunkte.

Inflation und öffentliche Finanzen

Obwohl höhere Energiepreise und die Rückkehr zu den alten Mehrwertsteuersätzen die Inflation beschleunigen, bleibt die Zunahme der Verbraucherpreise auch 2021 mit 1,7 Prozent knapp unter der Zielinflationsmarke der EZB. Im kommenden Jahr geht die Inflationsrate leicht auf 1,5 Prozent zurück.

Da der Staat zur Krisenbekämpfung sehr viel Geld einsetzt, Anfang 2021 verschiedene Steuern sowie die EEG-Umlage gesenkt wurden und sich die Einnahmen generell erst langsam erholen, ergibt sich 2021 ein Budgetdefizit von 3,8 Prozent des BIP. Im kommenden Jahr wird sich die erwartete konjunkturelle Belebung dann stärker positiv auf die öffentlichen Haushalte auswirken, zudem wirkt die Fiskalpolitik weniger expansiv. Das gesamtstaatliche Defizit geht 2022 deutlich um 2,5 Prozentpunkte auf 1,3 Prozent des BIP zurück.

Quelle: Hans-Böckeler-Stiftung