Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 16.12.2020
IMK prognostiziert 4,9 Prozent Wachstum 2021
Die zweite Welle der Corona-Pandemie hat die konjunkturelle Erholung in Deutschland zunächst ausgebremst. Doch nach einer Stagnation zum Jahresende und im ersten Quartal 2021 wird die deutsche Wirtschaft ab dem Frühjahr 2021 wieder auf Wachstumskurs gehen – vorausgesetzt, die Impfstoffe gegen COVID-19 sind tatsächlich so wirksam und so schnell verfügbar wie derzeit abzusehen ist. Im Jahresdurchschnitt 2021 wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 4,9 Prozent zulegen, nach einem Rückgang um 5,0 Prozent in diesem Jahr. Zur weiteren Erholung trägt in erster Linie der private Konsum bei, aber auch Außenhandel und Investitionen liefern im kommenden Jahr positive Wachstumsbeiträge. Die Arbeitslosenquote sinkt wieder leicht von 5,9 Prozent im Jahresmittel 2020 auf durchschnittlich 5,7 Prozent 2021, das Vorkrisenniveau bei der Erwerbstätigkeit wird aber bis Ende 2021 längst nicht wieder erreicht. Das ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
Gegenüber ihrer letzten Vorhersage setzen die Ökonominnen und Ökonomen ihre wirtschaftlichen Erwartungen geringfügig herauf: Im September rechneten sie noch mit einem BIP-Einbruch um -5,2 Prozent in diesem Jahr. Die Prognose für 2021 bleibt unverändert.
„Die wirtschaftliche Erholung wird durch die zweite Infektionswelle und die notwendigen Gegenmaßnahmen unterbrochen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die wirtschaftliche Grunddynamik ist stark genug, und die Stützungspolitik von Regierung und Europäischer Zentralbank wirkt“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Da der Lockdown Branchen wie Gastronomie, Freizeiteinrichtungen, Reisen und Teile des Handels erneut lahmlegt, prognostiziert das IMK für die kommenden Monate eine gesamtwirtschaftliche Stagnation, wobei ein gewisses Risiko einer neuen „Mini-Rezession“ über den Jahreswechsel besteht, also zweier aufeinanderfolgender Quartale leicht schrumpfender Wirtschaftsleistung. Der IMK-Konjunkturindikator, der die Wahrscheinlichkeit einer solchen technischen Rezession misst, stieg im Dezember gegenüber dem Vormonat um 2,2 Prozentpunkte auf 20,9 Prozent – wobei die am Wochenende beschlossene Verschärfung der Kontaktbeschränkungen das Risiko noch einmal leicht erhöht haben dürfte.
Dass aus dem Dämpfer zur Jahreswende aber keine erneute tiefe Rezession wird, liegt wesentlich an einer recht stabilen Entwicklung der Industrie: Mit einem erneuten Zusammenbruch von Lieferketten wie im Frühjahr sei nicht zu rechnen. Hinzu komme die weiterhin wirksame staatliche Stabilisierung, unter anderem durch Kurzarbeit. Schließlich dürfte zumindest der Internethandel weiter expandieren, mit zunehmender Verbreitung von Impfschutz in der Bevölkerung auch weitere Dienstleistungsbranchen.
Für das kommende Jahr rechnet das IMK mit einer um 5,0 Prozent sehr kräftig zunehmenden privaten Nachfrage bei spürbar steigenden Löhnen und Gehältern – die Tariflöhne „dürften mit 1,9 Prozent nur geringfügig weniger zunehmen als in diesem Jahr“, schreiben die Forscherinnen und Forscher. Vom Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung erwarten die Forscher nur begrenzte Bremseffekte. Eine weitere Triebfeder des Wachstums ist der Welthandel, der um gut 9 Prozent zunehmen dürfte. Sowohl für die USA als auch für China sieht das IMK im kommenden Jahr deutliches Wachstum voraus. Auch die europäischen Volkswirtschaften werden, nicht zuletzt infolge des 750 Milliarden Euro schweren EU-Aufbauprogramms, zulegen.
Die Konjunkturexpertinnen und -experten stellen ihre Vorhersagen allerdings unter einen gewissen Vorbehalt: Sollte „die zweite Infektionswelle wesentlich stärker und länger ausfallen“ als derzeit absehbar ist, hätte dies auch Folgen für die künftige wirtschaftliche Entwicklung. Ein weiteres Konjunkturrisiko stellt ein möglicher harter Brexit dar, falls die Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien endgültig scheitern. Dies wäre eine ernste Belastung für die deutsche Exportwirtschaft. In der Prognose rechnet das IMK mit einer Einigung, die allzu drastische Auswirkungen verhindert.
Kerndaten der Prognose für 2020 und 2021
Arbeitsmarkt
Der wirtschaftliche Einbruch wurde und wird durch den Einsatz von Kurzarbeit soweit abgefedert, dass die Schäden auf dem Arbeitsmarkt im Verhältnis zum BIP-Einbruch in diesem Jahr weitaus geringer ausfallen. Auch im kommenden Jahr wird Kurzarbeit nach Erwartung des IMK noch eine erhebliche Rolle spielen. Trotzdem trifft die Krise viele Arbeitsplätze. Im Jahresdurchschnitt 2020 wird die Zahl der Erwerbstätigen nach Erwartung des IMK deutlich um knapp 500.000 Personen oder 1,0 Prozent sinken. Im kommenden Jahr steigt die Erwerbstätigkeit nur geringfügig um 0,1 Prozent, weil die Unternehmen zunächst die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten ausweiten.
Die Zahl der Arbeitslosen steigt 2020 um etwa 430.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,7 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,9 Prozent. Für 2021 erwartet das IMK dann einen leichten Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um gut 65.000 Personen im Jahresdurchschnitt. Die Arbeitslosenquote sinkt ebenfalls leicht auf 5,7 Prozent.
Außenhandel
Auch die meisten wichtigen Handelspartner durchlaufen 2020 durch die Corona-Pandemie eine tiefe Rezession, an die sich laut IMK-Prognose 2021 eine Erholung anschließt, die aber, mit Ausnahme von China, die Verluste nicht wettmacht. So sinkt das BIP im gesamten Euroraum in diesem Jahr um 7,8 Prozent, im kommenden Jahr steigt es um 5,7 Prozent. In den USA schrumpft die Wirtschaft 2020 um 3,6 Prozent, 2021 wächst sie um 3,2 Prozent. Die chinesische Wirtschaft wird nach der IMK-Prognose in diesem Jahr um 1,9 Prozent wachsen, 2021 dann um 8,3 Prozent zulegen.
Die weltwirtschaftliche Krise trifft die deutschen Ausfuhren in diesem Jahr schwer. Das IMK rechnet mit einem Rückgang der Exporte um 10,3 Prozent. Die Importe brechen ebenfalls ein und nehmen um 8,7 Prozent ab. Im kommenden Jahr erholt sich der Außenhandel dann, die Verluste können aber zunächst nicht aufgeholt werden: Die Exporte nehmen im Jahresmittel 2021 um 7,6 Prozent zu, die Importe um 6,3 Prozent. Damit ergibt sich 2021 ein positiver Wachstumsbeitrag aus dem Außenhandel.
Investitionen
Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen brachen im ersten Halbjahr infolge des Corona-Schocks besonders drastisch ein und sinken 2020 im Jahresdurchschnitt um 11,9 Prozent. 2021 nehmen sie dann um 8,8 Prozent zu. Die Bauinvestitionen bleiben in der Krise relativ robust, was vor allem am Wohnungsbau liegt. Im Jahresmittel 2020 und 2021 nehmen sie um jeweils 2,3 Prozent zu.
Einkommen und Konsum
Die verfügbaren Einkommen stagnieren im Jahresdurchschnitt 2020 real nahezu. 2021 nehmen sie real um 2 Prozent zu. Die realen privaten Konsumausgaben brechen laut IMK in diesem Jahr um durchschnittlich 5,1 Prozent ein. Infolge mangelnder Konsummöglichkeiten sparten die privaten Haushalte in erheblichem Maße. Die Sparquote steigt in diesem Jahr im Durchschnitt stark auf 15,5 Prozent, 2021 sinkt sie wieder auf 12,9 Prozent. Für das kommende Jahr prognostiziert das IMK bei den privaten Konsumausgaben dann eine reale Zunahme um 5,0 Prozent.
Inflation und öffentliche Finanzen
Die Verbraucherpreise steigen im Jahresmittel 2020 um nur geringe 0,5 Prozent, wozu auch die zeitweilige Mehrwertsteuersenkung beiträgt. 2021 liegt die Inflationsrate dann wieder bei 1,3 Prozent im Jahresdurchschnitt, bleibt aber auch damit deutlich hinter der Zielinflation der EZB zurück.
Da der Staat zur Krisenbekämpfung sehr viel Geld einsetzt und 2020 gleichzeitig auch die Steuereinnahmen deutlich zurückgegangen sind, ergibt sich nach acht Jahren mit Überschüssen ein gesamtstaatliches Budgetdefizit von 5,1 Prozent des BIP. Im kommenden Jahr wird sich die erwartete konjunkturelle Belebung positiv auf die öffentlichen Haushalte auswirken, zudem wirkt die Fiskalpolitik weniger expansiv. Das gesamtstaatliche Defizit geht 2021 auf 3,8 Prozent des BIP zurück. Der öffentliche Schuldenstand dürfte 2020 auf über 70 Prozent des BIP ansteigen und auch im kommenden Jahr auf einem ähnlichen Niveau verharren. Das ist allerdings immer noch deutlich weniger als nach der Finanzkrise 2008/2009.
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung