Mittelfristprojektion Frühjahr 2022 - 22. März 2022

Hohe Rohstoffpreise und Deglobalisierung belasten Wachstum

IfW Kiel, Pressemitteilung vom 22.03.2022

Deutschlands Wachstumsperspektiven trüben sich nochmals ein. Vor allem der demografische Wandel schmälert die Wachstumskräfte, zudem drohen dauerhaft höhere Energie- und Rohstoffpreise, den Produktivitätsfortschritt zu belasten. Auch die Weltwirtschaft dürfte künftig mit geringeren Raten wachsen, weil sich die Zugkraft Chinas abschwächt und verkürzte Lieferketten Spezialisierungsvorteile kosten.

In Deutschland flacht sich das Wachstum des Produktionspotenzials – die Zunahme der bei normaler Kapazitätsauslastung möglichen Wirtschaftsleistung – mehr und mehr ab. Es dürfte bis zum Jahr 2026 auf nur noch knapp 0,8 Prozent zurückgehen. Bislang wuchs die deutsche Wirtschaft seit der Wiedervereinigung um durchschnittlich 1,4 Prozent jährlich. Auch das Pro-Kopf-Wachstum wird in der mittleren Frist voraussichtlich deutlich zurückgehen und in etwa dem Potenzialwachstum entsprechen. Dies geht aus der heute vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) veröffentlichten Mittelfristprojektion bis 2026 hervor („Mittelfristprojektion für Deutschland im Frühjahr 2022“).

„Weniger Wachstum bedeutet am Ende weniger zusätzliche Güter, über die verfügt werden kann. Zugleich steigen die Ansprüche an die Wirtschaftsleistung ungebremst weiter. Das führt zu gesamtwirtschaftlichen Spannungen. Finanzpolitisch passt ein Ausweichen in immer neue Schulden nicht in die gesamtwirtschaftliche Landschaft. Der Staat muss konsolidieren, idealerweise durch Priorisierung seiner Ausgaben. Wir können uns nicht alles leisten“, sagt Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel.

Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter geht zurück

Maßgeblich für den Wachstumsschwund ist die demografische Alterung. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter geht zurück und dürfte ab Mitte des Jahrzehnts – trotz Zuwanderung – jährlich um 140.000 Personen sinken. Bereits ab dem nächsten Jahr dürfte die Anzahl an Personen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, abnehmen.

Zudem mindern höhere Energie- und Rohstoffpreise das Produktionspotenzial und dürften das Niveau um rund 1 Prozent senken, weil sich Produktionsstrukturen neu ausrichten müssen. Das IfW Kiel erwartet im Projektionszeitraum einen Ölpreis von rund 90 Dollar pro Barrel. Die Corona-Pandemie dürfte die Wachstumskräfte, anders als frühere schwere Wirtschaftskrisen, nur wenig belasten.

„Der Staat sollte die stark gestiegenen Energiepreise im Wesentlichen durchwirken lassen, um den gesamtwirtschaftlichen Schaden so gering wie möglich zu halten. Eingriffe in das Preissystem über Subventionen oder Deckelungen bedeuten nur, dass mit der veränderten Energieknappheit unwirtschaftlich umgegangen wird. Härtefälle kann man abfangen, ohne das Preissystem zu beschädigen”, so Kooths.

„Preissignale sind im marktwirtschaftlichen Gefüge nicht nur Symptome des Problems, sondern auch Teil der Lösung. Die besteht in dezentralen Anreizen, mit diesem Gut sparsamer umzugehen und verstärkt nach Ersatzstoffen oder alternativen Formen der Energiegewinnung zu suchen.“

Globales Wachstum unter langjährigem Durchschnitt

Auch die globalen Wachstumskräfte werden kleiner. Die globale Produktion dürfte in den Jahren 2024 bis 2026 im Durchschnitt mit einer Rate von 2,8 Prozent zunehmen. Der langjährige Durchschnitt liegt bei rund 3,5 Prozent. Auch global dämpft eine alternde Gesellschaft die Wachstumsaussichten.

Außerdem verliert das bisherige Zugpferd China an Kraft. Das Land wird die Steigerung seiner Produktivität, die im Wesentlichen durch die Adaption fremder Technologien erfolgte, nicht mehr im bisherigen Tempo steigern können, weil sich die Möglichkeiten dafür zunehmend erschöpfen. Im Ergebnis dürfte die chinesische Volkswirtschaft ab 2025 jährlich nur noch um unter 5 Prozent wachsen.

Auch drohen Wachstumsimpulse durch die Globalisierung künftig auszubleiben. Politisch motivierte Handelshemmnisse verbunden mit zunehmenden geopolitischen Risiken belasten die internationale Arbeitsteilung. Um Lieferketten robuster zu machen, dürften diese künftig verstärkt auf Versorgungssicherheit ausgerichtet sein, anstatt auf Spezialisierungsvorteile. Dies geht jedoch auf Kosten der Produktivität und verringert das Wachstum.

Quelle: IfW Kiel