Herbstprognose 2021 - 11. November 2021

Europas Wirtschaft erholt sich schneller als erwartet

EU-Kommission, Pressemitteilung vom 11.11.2021

Die Wirtschaft der EU erholt sich schneller als erwartet von der pandemiebedingten Rezession. Zu diesem Schluss kommt die Europäische Kommission in ihrer Herbstprognose, die sie am 11.11.2021 vorgelegt hat. Demnach dürfte die EU-Wirtschaft in diesem Jahr um 5 Prozent und im Jahr 2022 um 4,3 Prozent wachsen. Gleiches gilt für den Euro-Raum. Im Jahr 2023 soll das Wachstum in der EU 2,5 Prozent und im Euroraum 2,4 Prozent betragen.

Mit fast 14 Prozent pro Jahr lag die BIP-Wachstumsrate in der EU im zweiten Quartal 2021 so hoch wie nie zuvor: Sie fiel genauso stark aus wie der beispiellose BIP-Rückgang, der im selben Zeitraum des Vorjahres während der ersten Pandemiewelle verzeichnet wurde. Im dritten Quartal 2021 fand die EU zu ihrer vor der Pandemie verzeichneten Gesamtwirtschaftsleistung zurück und wechselte von der Erholungsphase in eine Expansionsphase.

„Die europäische Wirtschaft erholt sich kräftig von der Rezession und kann dieses Jahr eine Wachstumsprognose von 5 Prozent vorweisen. Unsere Maßnahmen zur Abfederung des Pandemieschocks und zur Beschleunigung der Impfungen in der gesamten EU haben eindeutig zu diesem Erfolg beigetragen“, erklärte Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident für eine Wirtschaft im Dienste der Menschen. „Wir sollten uns aber nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, denn wir haben das Virus noch nicht vollständig im Griff, sodass noch einige Unsicherheiten und Risiken bestehen. Um auf Kurs zu bleiben, müssen wir uns nun darauf konzentrieren, unser wirtschaftliches Potenzial zu steigern, indem wir die im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität geplanten Investitionen und Reformen durchführen.“

Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni ergänzte: „Die europäische Wirtschaft geht von der Erholungsphase in eine Expansionsphase über. Dieses positive Bild trüben drei wesentliche Risikofaktoren: eine deutliche Zunahme der COVID-19-Neuansteckungen, insbesondere in Gebieten mit relativ niedrigen Impfquoten, die steigende Inflation, die vor allem vom sprunghaften Anstieg der Energiepreise verursacht wird, und die Störungen in den Lieferketten, die für zahlreiche Branchen ein ernstes Problem darstellen. Wir müssen wachsam bleiben und bei Bedarf eingreifen, um sicherzustellen, dass uns dieser Gegenwind nicht von unserem auf die Erholung gerichteten Kurs abtreibt.“

Zwei Faktoren beeinflussen diese Entwicklungsaussichten wesentlich: Einerseits wird der weitere Verlauf der COVID-19-Pandemie ausschlaggebend sein. Andererseits wird wichtig sein, wie gut die Angebotsseite mit der Nachfrage mithalten kann: Durch die Wiederbelebung der Wirtschaft steigt die Nachfragekurve wieder an.

Die europäische Wirtschaft kehrt schneller als erwartet zu ihrem expansiven Kurs zurück

Die Expansion dürfte von der Binnennachfrage weiterhin getragen werden. Die sich aufhellende Arbeitsmarktlage und der erwartete Rückgang der Sparquote dürften den Konsum nachhaltig stützen. Auch die Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität beginnt ihre Wirkung zu entfalten und stimuliert sowohl private als auch öffentliche Investitionen.

Dennoch erfährt die Wachstumsdynamik neuen Gegenwind. Engpässe und Störungen der globalen Lieferketten belasten die Wirtschaftstätigkeit in der EU, insbesondere in der verarbeitenden Industrie, wo der Grad der Integration besonders hoch ist. Zudem sind die Energiepreise insbesondere für Erdgas nach einem drastischen Rückgang im Jahr 2020 im vergangenen Monat rasant gestiegen und liegen nun deutlich über ihrem Niveau vor der Pandemie. Dies dürfte sowohl den Konsum als auch die Investitionen bremsen.

Der Arbeitsmarkt dürfte sich weiter erholen

Mit der Lockerung der Beschränkungsmaßnahmen bei den auf private Verbraucher ausgerichteten Wirtschaftstätigkeiten haben sich die Arbeitsmarktbedingungen in der EU deutlich verbessert. Im zweiten Quartal dieses Jahres wurden in der EU rund 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, viele Arbeitnehmer konnten die Programme zur Arbeitsplatzerhaltung verlassen und die Arbeitslosenquote ging zurück. Die Gesamtzahl der Beschäftigten in der EU lag jedoch noch immer 1 Prozent unter ihrem vor der Pandemie verzeichneten Niveau.

Seither ist die Arbeitslosigkeit weiter zurückgegangen. Im August lag die Arbeitslosenquote in der EU mit 6,8 Prozent knapp über dem Ende 2019 verzeichneten Wert. Wie die nach dem Stichtag der Prognose veröffentlichten Zahlen zeigen, waren sie im September weiter leicht rückläufig. Aus den Konjunkturerhebungen der Kommission geht hervor, dass sich in bestimmten Bereichen ein Arbeitskräftemangel herausbildet, insbesondere in Sektoren, in denen die Wirtschaftstätigkeit am stärksten wächst. Je länger dieser Arbeitskräftemangel andauert, desto größer ist die Gefahr, dass er die Wirtschaftstätigkeit belastet und durch Lohnauftrieb die Inflation begünstigt.

In der Prognose wird ein Beschäftigungswachstum in der EU von 0,8 Prozent in diesem Jahr, 1 Prozent im Jahr 2022 und 0,6 Prozent im Jahr 2023 veranschlagt. Die Beschäftigungsquote dürfte nächstes Jahr einen Wert über dem Vorkrisenniveau erreichen und 2023 weiter wachsen. Die Arbeitslosenquote in der EU dürfte dieses Jahr 7,1 Prozent betragen und im Jahr 2022 auf 6,7 Prozent und 2023 auf 6,5 Prozent zurückgehen. Für den Euroraum werden in den nächsten drei Jahren 7,9 Prozent 7,5 Prozent und 7,3 Prozent prognostiziert.

Geringere Defizite als erwartet

Die verbesserten Wachstumsaussichten deuten darauf hin, dass die Defizite 2021 niedriger ausfallen werden als im Frühjahr erwartet. Im Jahr 2020 lag das Gesamtdefizit in der EU bei 6,9 Prozent des BIP; im Jahr 2021 dürfte es sich aufgrund der zu Beginn des Jahres nach wie vor hohen fiskalischen Unterstützung geringfügig auf 6,6 Prozent verringern.

Da der Einfluss der Unterstützungsmaßnahmen und der automatischen Stabilisatoren in Anbetracht des anhaltenden Wirtschaftswachstums nach und nach zurückgehen wird, dürfte sich das gesamtwirtschaftliche Defizit der EU im Jahr 2022 auf rund 3,6 Prozent des BIP halbieren und 2023 weiter auf 2,3 Prozent des BIP zurückgehen.

Nach einem Wert von rund 92 Prozent in der EU (und 99 Prozent im Euro-Währungsgebiet) dürfte sich die Gesamtschuldenquote in diesem Jahr weitgehend stabilisieren, ab dem Jahr 2022 zurückgehen und im Jahr 2023 einen Wert von 89 Prozent des BIP (97 Prozent im Euro-Währungsgebiet) erreichen.

Der vorübergehende globale Preisdruck treibt die Inflation auf den höchsten Wert seit zehn Jahren

Nach mehreren Jahren mit geringen Inflationswerten ging der kräftige Neustart der Wirtschaftstätigkeit in der EU wie in vielen anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften mit einem Anstieg der Inflation einher, der die prognostizierten Werte übertraf.

Im Euro-Währungsgebiet stieg die jährliche Teuerungsrate ausgehend von einem negativen Wert im vierten Quartal 2020 (-0,3 Prozent) im dritten Quartal 2021 auf 2,8 Prozent. Gemäß den im Oktober veröffentlichten Zahlen betrug sie 4,1 Prozent und erreichte damit einen Wert, der seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1997 nur einmal verzeichnet wurde.

Diese starke Teuerung ist in der Hauptsache auf den sprunghaften Anstieg der Energiepreise zurückzuführen, aber auch vor dem Hintergrund der vielfältigen wirtschaftlichen Anpassungen nach der Pandemie zu sehen, was nahelegt, dass es sich bei diesen hohen Werten in erster Linie um ein vorübergehendes Phänomen handelt.

Die Inflation im Euro-Währungsgebiet dürfte 2021 einen Höchstwert von 2,4 Prozent erreichen und – mit der allmählichen Stabilisierung der Energiepreise – 2022 auf 2,2 Prozent und 2023 auf 1,4 Prozent zurückgehen. Für die EU insgesamt wird eine Inflation von 2,6 Prozent im Jahr 2021, 2,5 Prozent im Jahr 2022 und 1,6 Prozent im Jahr 2023 erwartet.

Die Wachstumsaussichten sind weiterhin mit sehr hohen Ungewissheiten und Risiken behaftet

Obwohl die Wirtschaftstätigkeit nunmehr sehr viel weniger von der Pandemie beeinträchtigt wird, ist das COVID-19-Virus noch nicht besiegt, und die wirtschaftliche Erholung ist in hohem Maße vom weiteren Verlauf der Pandemie innerhalb und außerhalb der EU abhängig.

Wirtschaftliche Risiken ergeben sich auch aus den derzeitigen Versorgungsschwierigkeiten und Engpässen, die längerfristige Auswirkungen haben könnten. Die wichtigsten Aufwärtsfaktoren für die Wachstumsaussichten sind die potenziellen Effizienzgewinne und dauerhaften Produktivitätszuwächse, die sich aus den pandemiebedingten strukturellen Veränderungen ergeben.

Investitionen, die durch die Aufbau- und Resilienzfazilität und die damit verbundenen Strukturreformen gefördert werden, werden dabei von entscheidender Bedeutung sein. Insgesamt überwiegen bei dieser Prognose die Abwärtsrisiken. Falls die Lieferengpässe länger anhalten und die über dem Produktivitätswachstum liegenden Lohnsteigerungen auf die Verbraucherpreise durchschlagen, könnte die Inflation höher ausfallen als in der Prognose angenommen.

Quelle: EU-Kommission