BMWK, Pressemitteilung vom 14.10.2022
- Am 12. Oktober hat Bundesminister Habeck die Herbstprojektion der Bundesregierung vorgelegt.
- Die Wachstumsaussichten Deutschlands haben sich deutlich eingetrübt. Grund ist der vertragswidrige Bruch aller Gasliefervereinbarungen durch Russland, der zu anhaltend hohen Energiepreisen in Europa führt.
- Die Bundesregierung rechnet noch mit einem Wachstum von 1,4 % im laufenden Jahr. 2023 dürfte die Wirtschaftsleistung dann um 0,4 % rückläufig sein.
- Die Inflationsrate bleibt mit 8,0 % in 2022 und 7,0 % in 2023 auf einem hohen Niveau. Ohne die Maßnahmen des wirtschaftlichen Abwehrschirms wäre sie noch höher ausgefallen.
- Die Konjunkturindikatoren deuten darauf hin, dass der deutschen Volkswirtschaft ein schwerer Winter bevorsteht.
- Die Industrie musste einen weiteren Rücksetzer hinnehmen. Im Berichtsmonat August sind sowohl die Produktion als auch die Auftragseingänge zurückgegangen.
- Die Umsätze im Einzelhandel setzten im August ihren Abwärtstrend fort. Das Konsumklima ist angesichts hoher Preissteigerungen weiter auf abwärtsgerichtet.
- Die Inflationsrate hat sich im September mit 10,0 % auf den höchsten Wert seit Dezember 1951 erhöht. Dazu beigetragen hat das Auslaufen der Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und des Neun-Euro-Tickets.
- Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt stabil. Die Frühindikatoren sind zwar gesunken, sprechen aber dafür, dass die Unternehmen trotz einer drohenden Rezession ihr Mitarbeiter halten werden.
- Für das erste Halbjahr 2022 meldeten die deutschen Amtsgerichte mit insgesamt 7.113 beantragten Unternehmensinsolvenzen 4 % weniger Anträge als im ersten Halbjahr 2021. Aktuelle Frühindikatoren und Umfragen deuten auf eine Trendwende des bisher rückläufigen Insolvenzgeschehens in den nächsten Monaten hin, eine „Insolvenzwelle“ ist derzeit jedoch nicht in Sicht.
Deutsche Volkswirtschaft steht vor schwerem Winter
Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsaussichten für Deutschland mit der Herbstprojektion vom 12. Oktober im Vergleich zur Frühjahrsprojektion substanziell nach unten korrigiert. Im Jahr 2022 wird zwar noch ein Wachstum von 1,4 % erwartet, dies ist allerdings hauptsächlich auf das solide und unerwartet positive erste Halbjahr zurückzuführen. Im Jahr 2023 erwartet die Bundesregierung hingegen einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4 %. Deutschland steht somit vor einer Rezession.
Die Konjunkturindikatoren in den Berichtsmonaten August und September stützen die Aussicht, dass sich die wirtschaftliche Lage vor dem Hintergrund der versiegten Gaslieferungen aus Russland stark eingetrübt hat. So waren Auftragseingänge und Produktion im August rückläufig. Die energieintensive Industrie fuhr ihre Produktion überproportional zurück. Auch das ifo Geschäftsklima entwickelte sich rückläufig, vor allem, weil die Geschäftserwartungen einbrachen. Im Außenhandel war nominal zwar noch ein kleines Plus zu verzeichnen, das in realer Rechnung jedoch verschwinden dürfte – Grund sind die nach wie vor hohen Preissteigerungen.
Diese machen sich auch in den Verbraucherpreisen bemerkbar. Die Inflationsrate lag im September bei 10 %. Dies ist der höchste Stand seit Dezember 1951. Zum hohen Anstieg gegenüber dem Vormonat (August: +7,9 %) dürfte auch beigetragen haben, dass die Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und das Neun-Euro-Ticket ausgelaufen sind und somit keine preisdämpfende Wirkung von den Maßnahmen mehr ausgeht.
Die Bundesregierung rechnet gemäß Herbstprojektion mit einer Rezession über den Winter und drei negativen Quartalen in Folge, beginnend mit dem dritten Quartal 2022.
Eine positive Nachricht dabei ist, dass die Rezession nach jetziger Lage kaum Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen wird. Denn in Zeiten von Fachkräftemangel werden die Unternehmen alles tun, um ihre Beschäftigten zu halten und sogar gezielt neue qualifizierte Arbeitskräfte anwerben. Der Arbeitsmarkt zeigt sich in der Krise somit robust. Die Erhöhung des Mindestlohns stützt einkommensschwache Haushalte. Die jüngsten Anstiege in der Arbeitslosigkeit sind fast ausschließlich auf die Fluchtmigration aus der Ukraine zurückzuführen.
Weltwirtschaftliche Abkühlung
Die harten Indikatoren zur Weltwirtschaft liegen nur mit einer zeitlichen Verzögerung von drei Monaten vor. Im Juli entwickelte sich die weltweite Industrieproduktion mit -0,7 % gegenüber dem Vormonat leicht negativ, während der Welthandel mit einer Veränderungsrate von +0,7 % noch im Plus lag. Die Stimmungsindikatoren am aktuellen Rand signalisieren eine Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Lage auf niedrigem Niveau. Der Index von S&P Global (ehemals IHS Markit) lag im September weiter unter der Wachstumsschwelle von 50 Punkten, konnte allerdings minimal gegenüber dem Vormonat zulegen. Der Zuwächse im Dienstleistungsbereich konnten einen Rückgang im Bereich des Verarbeitenden Gewerbes ausgleichen. Für die kommenden Monate rechnen die Umfrageteilnehmer mit einem schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld.
Außenhandel mit leichtem Plus
Die nominalen Ausfuhren von Waren sind im August saisonbereinigt um 0,3 % gegenüber dem Vormonat gesunken. Die nominalen Einfuhren legten hingegen zum Juli um 2,0 % zu Allerdings dürften hohe Preissteigerungen den nominalen Zuwachs in realer Rechnung deutlich schwächer ausfallen lassen.
Die Verschlechterung der Terms of Trade durch die Energiepreiskrise macht sich zunehmend in den Leistungsbilanzüberschuss bemerkbar. In zehn der letzten zwölf Monate wuchsen die Importe nominal stärker als die Exporte. Im Zuge dessen hat sich der monatliche Handelsbilanzüberschuss Deutschlands deutlich reduziert. Im August 2022 lag er bei einem Plus von 3,4 Mrd. Euro, im Vorjahrsmonat war er mit 21,1 Mrd. Euro noch mehr als sechsmal so hoch.
Der Ausblick für den Außenhandel ist trotz des guten Berichtsmonats August eher pessimistisch: Umfragebasierte Stimmungsindikatoren legen nahe, dass sich die Erwartungen zuletzt eingetrübt haben. Der Index von S&P Global sank im August unter die wichtige Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Auch die ifo Exporterwartungen sanken im September weiter. Sie liegen mit – 6 Saldenpunkten nun auf einem Niveau, das zuletzt nur während der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 unterschritten wurde.
Auch die Anzeichen der Erholung vom Materialmangel, die in den letzten Monaten auszumachen waren, erhielten im August einen kleinen Dämpfer. Zumindest in der deutschen Industrie scheint sich die Situation nicht weiter zu verbessern. Laut ifo-Umfrage berichten immer noch rund 78 % der Firmen von Knappheiten in der Beschaffung. Dies steht im Widerspruch zur weltweiten Situation, wo sinkende Containerfrachtraten eine Entspannung beim Materialmangel signalisieren.
Industriekonjunktur angeschlagen
Im August sank die Produktion im Produzierenden Gewerbe leicht um 0,8 % gegenüber dem Vormonat. Während der Ausstoß in der Industrie nahezu unverändert blieb (-0,1 %), kam es im Baugewerbe und im Bereich Energie zu Rückgängen um 2,1 % bzw. 6,1 %.
Die beiden gewichtigen Industriebereiche Kfz/Kfz-Teile sowie Maschinenbau verzeichneten im August merkliche Zuwächse von 2,8 % bzw. 2,2 %, nachdem es im Juli Rücksetzer gegeben hatte. Spürbare Abnahmen ihrer Produktion meldeten indes die energieintensiven Wirtschaftszweige chemische Erzeugnisse (-3,1 %), Glas, Glaswaren und Keramik (-2,8 %) sowie Kokerei und Mineralölverarbeitung (-4,5 %).
Die Auftragseingänge sind im August gegenüber dem Vormonat saisonbereinigt um 2,4 % gesunken. Im Juli wurde nach einer Datenrevision noch eine Zunahme um 1,9 % verzeichnet. Ohne Großaufträge ergab sich ein Plus von 0,8 %. Insgesamt lagen die Bestellungen zuletzt 4,1 % unterhalb des Vorjahresniveaus. Verantwortlich für den Rückgang im Vormonatsvergleich war eine geringere Nachfrage nach Vorleistungs- und Investitionsgütern ( 4,2 % bzw. 2,4 %). Produzenten von Konsumgütern verbuchten hingegen eine Steigerung um 5,2 %. Aus dem Inland ging ein um 3,4 % geringeres Bestellvolumen ein. Das Orderminus aus dem Ausland betrug 1,7 %. Dabei ging die Nachfrage aus dem Euroraum stärker zurück als die Auftragseingänge aus dem Nicht-Euroraum ( 3,8 % bzw. 0,4 %). Auf Branchenebene schlugen die kräftigen Rückgänge bei sonstigen Fahrzeugen ( 45,7 %) sowie bei elektrischen Ausrüstungen ( 16,0 %) durch. Die gewichtigen Bereiche Kfz/Kfz-Teile und Maschinenbau verzeichneten hingegen Zunahmen der Auftragseingänge um 4,7 % bzw. 3,8 %. Zu spürbaren Zuwächsen kam es auch bei pharmazeutischen Erzeugnissen (+6,8 %) und im Bereich EDV/Optik (+2,5 %). Chemische Erzeugnisse waren hingegen weniger nachgefragt ( 3,4 %).
Die Industriekonjunktur ist vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der hohen Gas- und Strompreise angeschlagen. Der gedämpfte Ausblick für den restlichen Jahresverlauf spiegelt sich auch in einem abgekühlten Geschäftsklima und zurückhaltenden Exporterwartungen wider. Zuletzt klaffte in den Ergebnissen des ifo Konjunkturtest eine historisch große Lücke zwischen pessimistischen Erwartungen und der vergleichsweise moderaten Lageeinschätzung. Auch hierin zeigt sich die massive Unsicherheit, mit der sich die Wirtschaftsakteure derzeit konfrontiert sehen.
Der Umsatz im Einzelhandel geht wieder zurück
Die Umsätze im Einzelhandel ohne Kfz setzten im August ihren Abwärtstrend weiter fort und verringerten sich gegenüber dem Vormonat um 1,3 %, nachdem sie im Juli leicht um 0,7% gestiegen waren. Damit lagen die Umsätze zuletzt 4,3 % unter ihrem Niveau von einem Jahr zuvor, was hauptsächlich auf die hohen Preissteigerungen im Einzelhandel zurückzuführen ist. So kam es in nominaler Rechnung, also ohne Preisbereinigung, binnen Jahresfrist zu einem Umsatzplus von 5,4 %. Der Handel mit Lebensmitteln verzeichnete im August im Vergleich zum Vormonat eine Abnahme des realen Umsatzes von 1,7 % (ggü. Vorjahresmonat -3,1 %). Der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren meldete ein Umsatzminus von 1,1 % (ggü. Vorjahresmonat -5,9 %). Der Internet- und Versandhandel erlebte im August einen Rückgang um 7,0 % (ggü. Vorjahresmonat -7,1 %). An den Tankstellen indes kam es im August vor dem Auslaufen des sog. Tankrabatts zur größten Umsatzsteigerung seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1994 von 14,0 % (ggü. Vorjahresmonat +12,6 %). Damit lag der Umsatz 24,5 % über dem Niveau vor Einführung des Tankrabatts im Mai. Die Neuzulassungen von Pkw durch private Halter haben im September kräftig um 17,9 % zugelegt, nachdem es bereits im August zu einer Steigerung um 13,1 % gekommen war.
Nach wie vor ist die Stimmung bei den privaten Haushalten laut dem GfK Konsumklima abwärtsgerichtet. Für Oktober wird ein erneuter Rückgang auf einen neuen historischen Tiefststand prognostiziert. Auch die ifo Geschäftserwartungen im Einzelhandel trübten sich im September weiter ein. Der Saldo der Meldungen liegt inzwischen auf einem sehr niedrigen Niveau.
Inflationsrate steigt auf höchsten Wert seit 71 Jahren
Die Inflationsrate, also der Preisniveauanstieg binnen Jahresfrist, hat sich im September wieder erhöht auf 10,0 %. Dieser Wert entspricht dem höchsten Stand seit Dezember 1951. Damals hatte ein knappes Güterangebot kurz nach der Währungsreform für hohe Inflationsraten gesorgt. Damit stieg die Rate im September 2022 um 2,1 Prozentpunkte gegen-über dem Vormonat (August: +7,9 %). Die Kerninflationsrate (ohne Nahrungsmittel und Energie) lag mit +4,6 % erneut nicht einmal halb so hoch wie die Gesamtrate, aber auf einem Rekordniveau seit Dezember 1993 (August: +3,5 %).
Die Teuerung der Energieträger fiel erneut sehr kräftig aus (+43,9 %; August: 35,6 %). Der Anstieg der Preise für Nahrungsmittel verzeichnete mit +18,7 % ein neues Allzeithoch seit der Wiedervereinigung (August: +16,6%). Insbesondere hier wirkten sich Preisanstiege auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen preiserhöhend aus. Im August erhöhten sich die Erzeugerpreise binnen Jahresfrist mit +45,8 % so stark wie nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949. Im Vergleich zum Vormonat legten sie um 7,9 % zu. Die Importpreise verteuerten sich im Juli um +28,9 % gegenüber dem Vorjahr. Der Anstieg der Großhandelsverkaufspreise fiel im August hingegen erneut schwächer aus (gegenüber August 2021: +18,9 %; gegenüber Juli 2022: +0,1 %).
Zur erneuten Steigerung der Inflationsrate haben das Auslaufen des 9-Euro-Tickets und des „Tankrabatts“ beigetragen. Auch für die nächsten Monate werden weiterhin hohe Inflationsraten erwartet. Dabei werden die Gas- und Strompreisbremsen so umgesetzt, dass sie die Preissteigerung abmildern.
Arbeitsmarkt: stabile Lage trotz globaler Unsicherheiten
Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt stabil, die übliche Herbstbelebung fällt aber angesichts der globalen Unsicherheiten relativ schwach aus. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit hat nachgelassen und lag im September bei 14.000 Personen. Die Zuwächse der vergangenen Monate waren im Wesentlichen auf Fluchtmigration aus der Ukraine zurückzuführen. Die ukrainischen Geflüchteten werden seit Juni in der Grundsicherung erfasst. Dementsprechend stieg die Zahl der Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II stärker, im September um 4.000 Personen. Im SGB III kam es hingegen zu einem Rückgang um 6.000 Personen. Die Erwerbstätigkeit wuchs im August erstmals seit längerem nicht mehr an (-4.000 Personen). Bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gab es im Juli ein Plus (+16.000 Personen). Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro stabilisiert einkommensschwache Haushalte. Die Inanspruchnahme der Kurzarbeit lag im Juli bei rund 0,1 Mio. Personen und war damit weiter rückläufig. Die Frühindikatoren sind gesunken, sprechen aber weiterhin für eine stabile Entwicklung. Im Dienstleistungssektor werden noch neue Mitarbeiter gesucht und insgesamt versuchen die Unternehmen, die Beschäftigten angesichts des Fachkräftemangels zu halten, auch wenn der deutschen Wirtschaft eine Rezession droht.
Erneut Rückgang der Insolvenzen im 1. Halbjahr 2022
Die rückläufige Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen der vergangenen beiden Jahre hält weiterhin an und die Zahlen bleiben auch im Jahr 2022 bisher weiter unter Vorjahresniveau. Nach endgültigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes meldeten die deutschen Amtsgerichte mit insgesamt 7.113 beantragten Unternehmensinsolvenzen 4 % weniger Anträge als im 1. Halbjahr 2021 (-21% ggü. 1. Halbjahr 2020).
Als Frühindikator gibt die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen Hinweise auf die künftige Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen. Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes setzte sich der zuletzt im Juni (-7,6 %) und Juli (-4,2 %) rückläufige Trend im August 22 nicht weiter fort (+6,6 %, jeweils ggü. Vormonat). Experten des IW Halle gehen von steigenden Insolvenzzahlen in den nächsten Monaten aus; eine „Insolvenzwelle“ wird derzeit jedoch nicht erwartet. Allerdings stellen die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die drastisch gestiegenen Energiepreise für viele Unternehmen Belastungen dar, deren Auswirkungen auf das Insolvenzgeschehen im weiteren Jahresverlauf nur schwer abzuschätzen sind.
Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz